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5.3 Bedarf

5.3.2 Von anfänglicher Äußerung zu gemeinsamer Konstruktion des Bedarfs

Im Beispiel des Mechanisierungsprojektes ging der geäußerte Bedarf von verschiedenen Akteuren aus, die an den Planungsseminaren der Region teilnahmen. Dabei waren die Berater der staatlichen Institutionen sowie die Politiker dominierend, denen es gelang, das Interesse der Bauern zu wecken, wobei sowohl die Erfahrungen, die die Bauern in anderen Regionen gemacht hatten, eine Rolle spielten, als auch die Verbindung der Mechanisierung mit dem Bild einer modernen Landwirtschaft. Die Forscher des LAET, die aus technischen Erwägungen Zurückhaltung zeigten, mußten auf die Herausforderung der Präfektur von Altamira sowie den Druck der Bauern und ihrer Organisationen reagieren, denn das Thema war als eine der Prioritäten des PAET ausgewählt worden. Sie wählten als naheliegenden Ausweg die Forschung. Dies ist immer dann eine geeignete Lösung, wenn Skepsis hinsichtlich des gewählten Themas herrscht, die eingegangene Verpflichtung aber eine Handlung verlangt. Obwohl die ersten Ergebnisse die Hypothesen der Forscher bestätigten, bestanden die Bauern und ihre Organisationen darauf, Experimente durchzuführen, die zu verläßlicheren Ergebnissen führen könnten. Aufgrund dieser Erfahrung begannen die Forscher damit, Hypothesen über die Motive der Bauern zu erarbeiten, da sie Zweifel hegten, ob diese nicht auf Manipulation der Berater, Einfluß der Führungspersönlichkeiten oder

"eigennützige" Interessen zurückzuführen seien.

Die Wahl der Aktionsforschung als Methode, die mit einer Gruppe von Bauern aus Uruará ausgehandelt wurde, erlaubte gemeinsam das Objekt der Arbeit zu definieren (verhandelter Bedarf) und im Verlauf des Prozesses den wirklichen Bedarf der Bauern kennenzulernen.

Aufgrund ihrer Reaktionen ließ sich herausfinden, ob die Innovation erfolgversprechend war und aus welchen Gründen. Die Krise, die durch die destabilisierende Aktion von FUNDASUR-Mitgliedern hervorgerufen wurde, brachte schließlich den wirklichen Bedarf zum Vorschein. Selbst in dieser Situation verbarg ein Teil der Bauern noch seine wirklichen Motive. Eine zweite Krise, die Wahlniederlage in Uruará, zeigte schließlich, daß der verhandelte Bedarf, die Mechanisierung und Intensivierung der einjährigen Kulturen, nur eine Minderheit interessierte.

Erst im Verlauf der Aktion stellten sich die wirklichen Motive der Teilnehmer heraus, von denen viele von den Organisationen der Bauern aus politischen Gründen ausgewählt worden waren, um die Vorschläge der Sozialen Bewegung vor den Kommunalwahlen in Betrieben zu zeigen, die mehrheitlich gut sichtbar an der Hauptverbindungsstraße, der Transamazônica, lagen. Nun zeigte sich, daß nur wenige Bauern Interesse hatte, die Mühen des Experimentierens auf sich zu nehmen, um herauszufinden, wie man für längere Zeit auf der gleichen Parzelle produzieren könnte. Die Mehrheit der Bauern wollte eine kurzfristige Lösung.

Obwohl es sich um ein technisches Projekt handelte, die Einführung der Zugtieranspannung, wurde bald deutlich, daß die Motivation der Bauern stark durch soziale und politische Interessen beeinflußt war. Die Vermittlung durch eine repräsentative Organisation der Bauern komplizierte die Arbeit noch durch die politischen Kriterien bei der Auswahl der Teilnehmer und führte zur Krise des Projektes im Moment der Destabilisierung, ohne jedoch die Aktionsforschung unmöglich zu machen. Um die Komplexität der Situation besser zu verstehen, soll noch einmal daran erinnert werden, daß diese Handlungen von Personen ausgingen, die eine wesentliche Rolle bei der Implementierung des Projektes spielten. Trotz dieser Feststellung, war die Partnerschaft von entscheidender Bedeutung für die Konstruktion des Bedarfs, die Begleitung der Aktionsforschung und die Verbreitung der Ergebnisse mittels der in der Region bestehenden Kommunikationsnetze.

Nur durch die gemeinsame Aktion und die miteinander verbrachte Zeit wurde der reale Bedarf sichtbar. Es dürfte schwer einzuschätzen sein, inwieweit den Bauern selbst ihre wirklichen Motive von Anfang an oder erst während des Prozesses der Konstruktion des Bedarfs bewußt waren. Die Bauern, die im Projekt verblieben, vereinigten sich um ein gemeinsames Ziel, die Intensivierung, um für längere Zeit in der gleichen Parzelle zu produzieren, die Abholzung zu reduzieren und ihren Kindern eine Aussicht zu bieten, weiter als Bauern arbeiten zu können. Dieses Ziel trug dazu bei, ein Fenster für einen größere Zeitraum des gemeinsamen Lernens zu öffnen und erlaubte auch andere Methoden zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit auszuprobieren, wie den Anbau von Leguminosen oder den Gebrauch von Rindermist. Das durch die unterschiedlichen Vorstellungen zwischen Bauern und Forschern ausgelöste Dilemma, bei dem die Forscher den Bedarf der Partner bezweifelten, konnte durch das gemeinsame Handeln in der Aktionsforschung überwunden werden, das beiden Seiten neue Einsichten eröffnete.

Ein anderes Problem der partizipativen Bedarfsdefinition ist, daß die frühere Festlegung der Arbeitsthemen durch die Forscher oder Berater nun in ihr Gegenteil umschlägt. Forscher und Berater begnügen sich häufig damit, die Wünsche der Bauern zu akzeptieren, die sich somit zu "Einkaufslisten" entwickeln, wie es beispielsweise zunächst im Lumiar-Projekt geschah.

Dabei wissen die Bauern sehr wohl, was sie in dem jeweiligen "Supermarkt" kaufen können, da sie die Berater bestimmten Programmen zuordnen und ihnen gegenüber konkrete Erwartungen hegen. In diesem Fall ging es ihnen darum, ihre Wünsche hinsichtlich möglicher Kreditprojekte auszudrücken. Andere Anforderungen an die Beratung ohne Notwendigkeit

eines Kredits zu ihrer Realisierung, wie zum Beispiel sanitäre Maßnahmen in der Rinderhaltung oder Beschneiden der Kaffeesträucher, tauchten nicht auf.

Erst nach einer Intervention des Supervisors begann in der Equipe eine Diskussion über die Ergebnisse der Diagnose für jedes Teilsystem und die einzelnen Aktivitäten der Bauern, um anschließend in dialektischer Form zu Vorschlägen zu gelangen, die aus einem Dialog zwischen Bauern und Beratern resultierten. Wesentlich für die Festlegung des verhandelten Bedarfs war nun die Debatte über den Jahresplanes der Lokalequipe und dessen Prioritäten, in der die Bauern ihre Kenntnisse und Strategien in die Gruppenarbeit einbrachten und die Berater ihre Sichtweise darlegten. Für die einzelnen Stichstraßen wurden dabei unterschiedliche Vorschläge definiert, und mit Zustimmung der Bauern brachten die Berater ebenfalls einige Ideen aus ihrer Sicht ein, die als "unerläßliche und innovative Themen"

anerkannt wurden, darunter ökologische Themen und die Arbeit mit Frauen, die ihrer Meinung nach von den Teilnehmern, mehrheitlich Männer, nicht genügend berücksichtigt wurden. Diese Vorgehensweise wird auch von FREIRE (1973,101) vertreten, der sie

"Scharnierthemen" nennt.

Der Versuch, dem Problem der mangelnden Repräsentation der weniger Durchsetzungsfähigen zu begegnen, indem Männer, Frauen und Jugendliche in getrennten Versammlungen diskutierten, war nicht ausreichend, da die Diskussion über Probleme und Prioritäten keine einmalige Angelegenheit für eine große Versammlung, sondern einen Prozeß darstellt. In den weiteren Versammlungen repräsentieren etwa 40 Bauern, vorwiegend der Gewerkschaftsführung nahestehende Männer, 800 bis 1000 Familien. Nimmt man an, daß mindestens ein Mann, eine Frau und ein Jugendlicher von jeder Familie bei vollständiger Anwesenheit teilnehmen könnte, so kann für dieses Beispiel ein "Repräsentationsfaktor" von etwa 1,3% berechnet werden.

Es ist fraglich, ob die benachteiligten Zielgruppen (vor allem die Ärmsten der Armen) überhaupt auf direktem Weg im Rahmen einer Projektarbeit erreicht werden können und ob nicht erst eine längerfristige Bewußtseinsarbeit aufgenommen werden muß, ehe eine solche Gruppe im Rahmen Entwicklungsorientierter Forschung oder Landwirtschaftlicher Beratung effektiv erreicht werden kann. Das Lumiar-Projekt forderte als Bedingung für die Implementation einer Equipe unter anderem die Existenz eines organisierten Ansprechpartners und die Möglichkeit des Zugangs zum Ansiedlungsgebiet. Da die Projekte immer eine erhebliche Investition bedeuten, vom wem auch immer die Mittel kommen, muß gegebenenfalls der Einsatzort gewechselt werden, wenn die Wirkung beeinträchtigt ist, weil die Projektmitarbeiter die meiste Zeit mit Reisen verbringen, die Veränderungsmöglichkeiten wegen fehlender Vermarktungsmöglichkeit gering sind oder die politischen Verhältnisse die Arbeit erschweren. So zielt der Vorschlag, das Kolonisierungsmodell in Uruará zu verändern, indem die Betriebe näher an Straße und Stadt verlegt werden, auf die Verbesserung des Zugang zu den Dienstleistungen (vgl. 4.1.2).253

Bei der Bedarfsdefinition werden häufig Probleme und Symptome oder Probleme und Lösungen verwechselt. So wurde von zwei Lumiar-Equipen im Nordosten von Pará als das zentrale Problem das Fehlen von Kreditprojekten diagnostiziert, die eigentlich ein Beitrag zur Problemlösung sein können. Beide Problembereiche, die Einkaufsliste und die Verwechslung von Problemen mit Lösungen oder Symptomen, sind normal. Zu ihrer dialektischen Weiterentwicklung bedarf es jedoch der Fähigkeit der Berater, in einen kritischen Dialog mit den Bauern einzutreten, woran es sehr oft mangelt. Dabei können auch Konflikte auftreten, wenn beispielsweise die Berater die Sinnhaftigkeit der Vorschläge der Bauern nicht

253 Zu dieser Problematik siehe auch VILLAREAL (1992,251).

anerkennen oder wenn es den Bauern eigentlich um andere Sachen geht, die aber indirekt oder versteckt ausgedrückt werden.