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3.2 Von der Verbreitung zur Beratung

3.2.5 Die Bedeutung der Erziehung im Veränderungsprozeß

3.2.5.1 Die Bedeutung von Paulo Freire für die landwirtschaftliche Beratung In Paulo Freire's pädagogischem Konzept hat die Überwindung von Unterdrückung eine zentrale Stellung, weil sie den Menschen am Menschsein hindert. Seine Pädagogik macht daher die Unterdrückung und ihre Ursachen zu Objekten der Reflexion der Unterdrückten.

Der Kampf für Freiheit ist jedoch ständig von der Gefahr bedroht, daß die Unterdrückten ihre Befreiung damit gleichsetzen, selbst Unterdrücker sein zu wollen, da die Struktur ihres Denkens konditioniert ist durch den in der konkreten Situation gelebten Gegensatz, in dem sie sozialisiert wurden. Sie fühlen sich von dem Unterdrücker angezogen, wollen ihn und seinen Lebensstil imitieren. Der Erzieher darf diese Tatsache nicht übersehen. Freiheit kann jedoch nur das Ergebnis einer Selbstbefreiung der Unterdrückten sein, die allein dazu berufen sind, sowohl sich selbst, als auch die Unterdrücker zu befreien (FREIRE 1993,31-55).

Das Konzept der befreienden Erziehung entstand in Auseinandersetzung mit dem Bildungswesen in Brasilien, dessen Ansatz er als "Bankiers-Konzept" bezeichnet. Im Gegensatz zu der von ihm vorgeschlagenen Bildung als Praxis der Freiheit, nennt er sie Bildung als Praxis der Herrschaft und charakterisiert sie als Erziehung, die zu einem

"Ablageakt" seitens der Erzieher wird, bei dem die "Schüler" die Behälter sind oder, um im Bankiersjargon zu bleiben, Anlageobjekte, die die Einlagen geduldig entgegennehmen (FREIRE 1993,58). Wissen entsteht jedoch "... nur durch Erfindung und Neuerfindung, durch die ungeduldige, ruhelose, fortwährende, von Hoffnung erfüllte Forschung, der die Menschen in der Welt, mit der Welt und miteinander nachgehen" (FREIRE 1973,58). Der Pädagogik der Befreiung geht es darum, den Gegensatz zwischen Lehrer (educador) und Schüler (educando)90 zu überwinden, indem es nicht mehr den Lehrer des Schülers und den Schüler des Lehrers gibt, sondern beide erziehen und lernen, wenn auch mit unterschiedlichem Schwerpunkt: Lehrer-Schüler (educador-educando) und Schüler-Lehrer (educando-educador). Im Gegensatz zur Bankiers-Erziehung, tendiert sie zur völligen Aufhebung dieses Gegensatzes. Dabei ist der Dialog entscheidend (FREIRE 1993,68).

Die problematisierende Erziehung bedeutet eine permanente Bemühung, durch die die Menschen kritisch wahrnehmen, wie sie sich in der Welt befinden. Der Ausgangspunkt ist die Beziehung der Menschen mit ihrer Welt, und der Beginn der Arbeit ist immer das "Hier und Jetzt", in das sie eingebunden sind. Indem sie sich ihrer Situation bewußt werden, eignen die Menschen sie sich als eine historische Realität an und werden fähig, sie zu verändern. Daher

90 Die Übersetzung in die deutsche Sprache mit den Begriffen Lehrer-Schüler (statt Lehrender und Lernender) ist nicht glücklich und verändert etwas die Bedeutung des Originals, entspricht aber den deutschen Ausgaben von Paulo Freires Werk, "Pädagogik der Unterdrückten". Dies gilt auch für zahlreiche andere Ausdrücke Freires in diesem Werk, die z.T. einfach eingedeutscht wurde, wie Konszientisation (anstatt [kritische] Bewußtwerdung). Sicher ist seine Übersetzung nicht einfach. Wo sich jedoch eine bessere Lösung anbot, habe ich die eigene Übersetzung vorgezogen, beispielsweise

"unterlegene Eingeborene" (nativos inferiores), statt "fürchterlich Ungewaschene".

kann das problematisierende Konzept der Erziehung auch nicht von den Unterdrückern benutzt werden, denn welche Unterdrückungs-"Ordnung" würde seitens der Unterdrückten permanent die Frage ertragen: "Warum?" (FREIRE 1993,70-75).

Freires generelles pädagogisches Ziel war die Veränderung des Bewußtseins der brasilianischen Massen. Bewußtsein ist nach Freire ein Prozeß, "... der sich aus Bewältigung und Aneignung der Realität ergibt ...", also "... nicht parallel zur Wirklichkeit verläuft"

(BENDIT & HEIMBUCHER 1979; zitiert nach: WEISSENSTEIN 1981,45). Bewußtsein kann sich nur unter konkreten historischen und existentiellen Bedingungen im Sinne eines Prozesses entwickeln. Die Beziehung zwischen den Subjekten innerhalb dieses Prozesses sei wiederum nur in dialogischer Weise vorstellbar, denn nur der Dialog könne eine Beziehung dialektisch werden lassen. "Bildung könne erst dann im Sinne von Befreiung verstanden werden, wenn der Mensch in Interaktion mit der Wirklichkeit steht, die er fühlt, wahrnimmt und auf die er verändernd einwirken kann" (WEISSENSTEIN 1981,46-47).

Nach Freire sollten die Erzieher nicht zum Volk über ihre Sichtweise sprechen oder sie ihm gar aufzwingen, sondern einen Dialog über ihre beiderseitige Ansicht führen. Sie müssen sich dabei darüber bewußt sein, daß die Weltsicht der Bevölkerung, die sich in ihren verschiedenen Handlungsweisen zeigt, die Situation in ihrem Kontext reflektiert. Eine Erziehungshandlung oder eine politische Aktion (auch der Politiker sollte nach Freire ein Erzieher sein) kann nicht auf das kritische Wissen über diese Situation verzichten, wenn sie nicht zur Bankiers-Erziehung werden oder in der Wüste predigen will. Für eine effektive Kommunikation müssen daher die Erzieher oder Politiker fähig sein, die strukturellen Bedingungen zu kennen, unter denen Denken und Sprache des Volkes in dialektischer Form entstehen (FREIRE 1993,87). Die grundlegenden Widersprüche dieser Situation werden aufgegriffen, dem Volk wiederum als Problem und Herausforderung vorgestellt, die eine Antwort sowohl auf intellektueller Ebene, als auch in der Aktion verlangt (FREIRE 1993,86).

Es gibt keinen Dialog ohne eine profunde Liebe zu den Menschen und der Welt. Ein wirklicher Dialog kommt nur zustande, wenn seine Subjekte wirklich, also kritisch denken.

Als eine Begegnung zwischen Menschen mit dem Ziel, gemeinsam handeln zu können, bricht er ab, wenn eine Seite die Bescheidenheit verliert (FREIRE 1973,79-82). "Wie kann ich mich im Dialog engagieren, wenn ich mich als Mitglied einer Kerngruppe sehe von reinen Menschen, Besitzern von Wahrheit und Wissen, für die alle Außenstehenden 'die Leute da' sind oder 'unterlegene Eingeborene'?" (FREIRE 1973,74-75; FREIRE 1993,80).91

Bei dem kritischen Dialog haben die "generativen Themen" (temas geradores)92 eine Schlüsselfunktion. Die Vorgehensweise zu ihrer Definition schließt verschiedene Etappen ein, wie die Erforschung des "thematischen Universums" des Volkes, die einer Ethnographie ähnelt, Momente der Aufarbeitung der Ergebnisse mit Hilfe von Spezialisten sowie der

"Rückgabe" an die Bevölkerung, Evaluierungstreffen, Kodierung und Dekodierung93, Dialog in "Zirkeln für thematische Forschung", bis schließlich der Dialog in den "Kulturzirkeln"

stattfinden kann. Die Vorbereitung geht von den Erziehern aus und bezieht bereits interessierte Freiwillige in die Erhebung ein (FREIRE 1993,103-120; FREIRE 1992,88). LANGE

(1973,15) beschreibt diesen Prozeß als "... ein gemeinsames Projekt der Lehrenden und

91 Teils eigene Übersetzung.

92 Es handelt sich um Grunderfahrungen, von denen her die gesamte Welterfahrung der Lernenden sich organisiert. Sie nennen sich generative Themen, weil sie die Möglichkeit enthalten, in viele weitere Themen entfaltet zu werden, die ihrerseits nach derDurchführung neuer Aufgaben verlangen (LANGE

1973,15; FREIRE 1973,84).

93 Die Kodierungen sind Repräsentationen existenzieller Situationen. Dekodierung besteht in der kritischen Analyse der kodierten Situation (FREIRE 1973,87).

Lernenden: ein interdisziplinäres Team lebt wochenlang in der Gegend, in der ein Alphabetisierungsprogramm durchgeführt werden soll, und analysiert seine Beobachtungen von Anfang an mit Hilfe von Multiplikatoren am Ort".

Paulo FREIRE (1992,15)94 analysiert die Arbeit des "Agronomen"95, der irrtümlicherweise

"extensionista" genannt wird, als Erzieher (educador). Dazu unterwirft er zunächst den Begriff extensão einer kritischen Analyse. Dieses Wort hatte ursprünglich die Bedeutung

"Ausdehnung". In dem hier diskutierten Zusammenhang wird es gebraucht, um auszudrücken, daß eine Sache (das direkte Objekt der verbalen Handlung) ausgestreckt wird bis zu jemandem (dem indirekten Objekt der verbalen Handlung), der den Inhalt des Objektes der verbalen Handlung empfängt. Im Falle des extensionista geht es nun darum, seine Kenntnisse und seine Techniken zu verbreiten. Eine Analyse nach dem Konzept der "Assoziationsfelder"

von Bally ergibt für Freire folgende Gedanken im Zusammenhang mit extensão (FREIRE

1992,19-22): Transmission, aktives Subjekt (der "ausstreckt" oder verbreitet), Inhalt (ausgewählt vom dem, der verbreitet), Messianismus (von seiten dessen, der verbreitet), Überlegenheit (des Inhaltes dessen, der ihn übergibt), Unterlegenheit (dessen, der empfängt), kulturelle Invasion (durch den transportierten Inhalt, der die Weltsicht desjenigen reflektiert, der ihn sendet, und der die Sicht desjenigen überlagert, der passiv empfängt), etc.

Alle diese Begriffe schließen Handlungen ein, die den Menschen fast in ein Ding verwandeln und ihn verleugnen als ein Wesen, das die Welt verändert. Die Bildung von authentischen Erkenntnissen wird verneint. Man könnte nun sagen, daß extensão nicht dieses ist, sondern daß sie erziehend ist. Aus der Analyse geht jedoch deutlich hervor, daß das Konzept der extensão nicht mit einem befreienden Erziehungsansatz korrespondiert. Damit soll dem Agronom nicht das Recht genommen werden, ein Lehrer-Schüler zu sein im Verhältnis zu den Bauern, die Schüler-Lehrer sein können. Im Gegenteil, Freire ist überzeugt, daß genau dies seine Aufgabe ist. Er akzeptiert jedoch weder Überredung, noch Propaganda als eine Erziehungshandlung. Die Option der Befreiung sei unvereinbar damit, zu überreden, Propaganda zu betreiben oder ein Objekt-Subjekt-Verhältnis aufrecht zu erhalten. Als Erzieher weigert sich der Agronom, die Menschen zu "domestizieren", seine Aufgabe entspricht dem Konzept der Kommunikation und nicht der extensão (FREIRE 1992,22-24).

Die wichtigste Aufgabe im Verhältnis zwischen Agronom und Bauer ist der Aufbau einer Dialog-Beziehung. "Die Erziehung ist Kommunikation, ist Dialog ..." (FREIRE 1992,69).

Lehrer und Schüler nehmen die Rolle von erkennenden Subjekten an, vermittelt durch das erkennbare Objekt, das sie kennenlernen wollen (FREIRE 1992,28). Mit dem Dialog ist die Problematisierung der eigenen Kenntnisse beabsichtigt in ihrer Reaktion mit der konkreten Realität, in der sie entstehen und auf die sie einwirken, um sie besser zu verstehen, zu erklären und zu verändern (FREIRE 1992,52). "Die Aufgabe des Erziehers ist nun, den Lernenden den Inhalt, der sie vermittelt, zu problematisieren und nicht einen Vortrag zu halten ... In diesem Akt der Problematisierung der Lernenden, wird er gleichermaßen problematisiert" (FREIRE 1992,81). Der problematisierende Dialog verringert die Distanz zwischen dem, was der Berater ausdrücken will, und dem Verständnis des Bauern hinsichtlich der Bedeutung, so daß beide das gleiche verstehen (FREIRE 1992,68) Die Problematisierung bezieht die "kritische Rückkehr zur Aktion" ein, die eine Reflexion über die eigene Handlung bedeutet, um gemeinsam besser der Realität angemessen handeln zu können (FREIRE 1992,82-83). Die Aufgabe des Erziehers ist, die Bauern immer mehr herauszufordern, so daß sie in die Bedeutung des Inhaltes des Themas eindringen, mit dem sie konfrontiert sind (FREIRE

1992,90).

94 Das Buch "Extensão oder Kommunikation?" wurde zuerst in Chile auf spanisch veröffentlicht (1969).

95 Agraringenieur oder Agrartechniker.

3.2.5.2 Die Erziehungspraxis in der Beratung

In der Beratung wurden im Lauf ihrer Geschichte verschiedene Faktoren als ausschlaggebend betrachtet. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten wurden entweder der Information, der Kommunikation, der Erziehung, der Technologie oder der Partizipation entscheidende Rollen zugedacht. Die Erziehung wurde bereits zu Beginn der Beratung, beispielsweise in den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung des ländlichen Raumes angesehen. Einerseits erwartete man sich von der Schulbildung generell eine Verbesserung der Situation in der Landwirtschaft. Andererseits sah man die Erziehung vor allem als ein Mittel, um die "Ignoranz, die Rückständigkeit, die traditionelle Lebensweise der Bauern und die Unfähigkeit zur Initiative seitens der ländlichen Gemeinschaften" zu überwinden, die als Hindernis für die Modernisierung des ländlichen Raumes angesehen wurde. Die ländliche Entwicklung wurde daher eng mit der Erziehung verknüpft.

Die Vorstellung über Erziehung durchlief seit dieser Zeit zahlreiche Entwicklungsstufen, in denen sie sich von einer Pädagogik der Übermittlung (transmissão) und der Autorität hin zur Verhaltensanpassung (Konditionierung) im Sinne Skinners wandelte, um später das Wachstum der integralen, allerdings individuellen Person in den Vordergrund zu stellen und in der Phase nach Paulo Freire zusätzlich auch die Veränderung der Person zusammen mit ihrer Gesellschaft anzustreben (BORDENAVE 1981,245). Die Einschätzung ihrer Rolle reichte vom Anpassungs- und Unterdrückungsinstrument im Sinne der herrschenden Klasse und des kapitalistischen Systems bis hin zum Hebel für gesellschaftliche Veränderungen.

Dabei werden häufig Schulbildung im ländlichen Raum, Erwachsenenbildung, Volkserziehung (Educação Popular) und der Erziehungsauftrag der Beratung sowie Unterricht (Training, Anleitung, etc.) und Erziehung im Sinne von Persönlichkeitsentwicklung miteinander vermischt. Im weiteren werde ich mich ausschließlich mit der Bedeutung der Erziehung in der Beratung auseinandersetzen. Die Bedeutung der Schulbildung im ländlichen Raum, ihre Anpassung an die Verhältnisse und Themen der Landbevölkerung stehen hier nicht zur Debatte.

In Brasilien wurde der Erziehungsansatz besonders während der Phase des "innovativen Diffusionsmodells" in der Beratung betont, deren Anliegen sowohl die Veränderung der Einstellung, als auch die Unterrichtung bestimmter Techniken war. "Beraten ist erziehen - Erziehung im weitesten Sinne des Wortes"96 (BECHARA 1954; zitiert nach: SILVA 1992,14).

TIMMER (1954; zitiert nach: QUEDA 1987,134-135) bekräftigte, daß "... die Bevölkerung mit einem geringen Bedarfsniveau keine Initiative entwickelt, um ihre Produktion zu erhöhen, auch weil sie ihr überschüssiges Einkommen nicht in vernünftiger Weise auszugeben wüßte."

Ihm zufolge müßte die Erziehung der ländlichen Bevölkerung eine unleugbare Priorität haben. Er stellte weiter fest, daß Agrarökonomen und Agronomen der Beratung erkannt hätten, "... daß der 'Bedarfskomplex' der Bevölkerung gemeinhin außerordentlich niedrig ist wegen ihrer mangelnden geistigen und intellektuellen Erziehung, da der Bedarf von dieser Erziehung abhängt" (TIMMER 1954; zitiert nach: QUEDA 1987,134-135). "In klarer Weise, ohne irgendeinen Vorwand, war dies der Inhalt des Erziehungsprojektes" (QUEDA 1987,134-135).

96 SILVA (1992,108-109) wendet sich entschieden dagegen, daß die Erziehung nur in dieser Phase eine wichtige Rolle gespielt habe.

Der Erziehungsansatz wurde in der Phase des "Überdenkens der Beratung" in der Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts wieder verstärkt aufgegriffen. SILVA (1992,184), der den Erziehungsprozeß in den Konzepten und der Praxis der EMATER des Bundesstaates Rio Grande do Sul (RS) untersuchte, stellte fest, daß die Befreiungstheorie Paulo Freires den Mitarbeitern hinreichend bekannt war, was darauf zurückzuführen war, daß diese Theorie hohe Priorität in der Organisation während der Phase des "Überdenkens" hatte.97 Obwohl sich die Befragten der verschiedenen hierarchischen Ebenen der EMATER (RS) mehrheitlich als Erzieher verstanden, war das dahinter liegende Verständnis sehr heterogen und zeigte besonders in der Praxis eher autoritäre Züge (SILVA 1992,177). Dem Bauern Kenntnisse beibringen, Veränderungen seiner Handlungsweise bewirken, waren häufige Antworten, und die Verbreitung von Technologien herrschte vor. Weder war ein gemeinsames Verständnis von Erziehung vorhanden, noch eine gemeinsame theoretische Basis des Erziehungsprozesses. So wurde zum Beispiel auf der entscheidenden Ebene der lokalen Berater, die den direkten Kontakt mit den Bauern hatten, eine Vorgehensweise beobachtet, die von gesteuertem und unkritischem Druck gekennzeichnet war. "... ich wurde erzogen, um den Bauern zu erziehen ... der Berater führt den Dialog, aber fährt fort, seine Technologie aufzuzwingen" (SILVA 1992,167).

Die Struktur der EMATER (RS) weist einen hohen Hierarchisierungsgrad auf, und die drei untersuchten technischen Ebenen bekräftigten, daß die "Fortschrittliche Befreiungstheorie"

(Teoria Progressista Libertadora) am meisten ihre Praxis beeinflußte. Daher stellt SILVA

(1992,189) die Frage: Welche Motive führten unter diesen Voraussetzungen dazu, daß die Erziehungspraxis der Beratung nicht verändert wurde? Ein Argument war, daß die Periode, in der der von Paulo Freires Denken beeinflußte Diskurs entstand, zu kurz war, und die Zeit noch weniger für Veränderungen in der Praxis ausreichte, obwohl die EMATER (RS) die Repensar-Ideen übernommen hatte. Die hierarchische Struktur trug zusätzlich dazu bei, die Umsetzung zu erschweren. Die Ausbildung der Mitarbeiter hatte zudem in Zeiten stattgefunden, als andere, autoritäre Erziehungsmodelle vorherrschend waren. Während der gesamten Geschichte der Beratung wurden die Berater ausgebildet, den Widerstand der Bauern gegen die Übernahme von Neuerungen zu brechen (SILVA 1992,198). Den Beratern fehlt die notwendige gründliche Kenntnis der Grundlagen der von ihnen verwendeten Konzepte, um der "Dichotomie zwischen Wollen und Tun" zu entgehen (SILVA 1992,190-191). In seiner Geschichte hat der Apparat des Beratungsdienstes immer dafür gesorgt, daß die Berater an der Basis fertige Lösungen empfingen, was ihre "erzieherische Praxis anbetrifft" (SILVA 1992,197). "Die Instruktionen waren schon 'übersetzt' in Form von 'Etappen des Übernahmeprozesses', 'Prinzipien des Lernens', 'Führungspersönlichkeiten', etc.

In dieser Form blieb der ausführende Berater von der Notwendigkeit 'befreit', das theoretische Wissen zu beherrschen, auf dem diese Orientierungen basierten" (SILVA 1992,198). Es besteht eine fast vollständige Abhängigkeit der Berater im Feld von den höheren Ebenen: statt ihren Arbeitsbedarf in Partnerschaft mit den Bauern zu erarbeiten, warten die Berater in der Regel auf "Informationspakete", die außerhalb ihrer Realität produziert wurden (SILVA

1992,168-169). Wie kann jemand eine Befreiungspraxis mit anderen entwickeln, wenn er selbst nicht die Hintergründe kennt und abhängig von aufbereiteten Anweisungen ist, das heißt ein Anlageobjekt, das die Einlagen geduldig entgegen nimmt?

Die Untersuchung kam zu dem Schluß, daß kein Erziehungsprozeß in der EMATER (RS) existierte. Es gab keine einheitliche Linie, noch weniger Hinweise für die Beratungsarbeit vor

97 So basierten alle Arbeitsvorschläge des Seminars "Extensão Rural - Enfoque Participativo", das 1987 die grundlegenden Richtlinien der Organisation für den Zeitraum 1987/1991 festlegte, auf seinem Erziehungsansatz.

Ort, die der Befreiungspädagogik Freire's folgten. Die autoritäre und vertikale Haltung herrschte vor (SILVA 1992,201-202). Obwohl ihre Verfechter unterlegen waren hinsichtlich ihrer Kapazität, den neuen Vorschlag zur Wirkung zu bringen, war die "Überdenkensphase"

mit ihren reichhaltigen Diskussionen jedoch ausreichend intensiv, um die einheitliche theoretische Basis der traditionellen Beratung zu zerstören und eine theoretische Verwirrung zu hinterlassen (SILVA 1992,176). Eine Änderung braucht Zeit. SILVA (1992,204) stellt fest, daß die Erfahrungen der EMATER (RS) auch auf die anderen Dienste in Brasilien übertragen werden können.