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4.2 Das Lumiar-Projekt: ein klientenorientierter Beratungsdienst

4.2.4 Evaluierungen und Veränderungen

Es gab keine gründliche Evaluierung des Lumiar-Projektes, weniger noch eine Debatte über die Erfahrungen mit Repräsentanten von Ansiedlern, ihren Organisationen, Beratern, Supervisoren und INCRA. Eine Evaluierung, die etwas mehr als ein Jahr nach der Umsetzung des Projektes (im November 1998) in acht Bundesstaaten durchgeführt wurde, darunter auch Pará, kam zu folgenden wesentlichen Ergebnissen (MEPF/INCRA 1999,35-39). Das Projekt verstärkte die Organisation der Ansiedler, die die Bedeutung des Dienstes einmütig bestätigten. Die Supervisionsequipe ist das wichtigste Instrument für die Qualitätssicherung des Projektes und die methodische Anleitung der Berater - falls sie funktioniert. In einigen Staaten erfüllten die externen Supervision jedoch nicht ihre Aufgaben und geringe Anwesenheit im Projekt führte zu Problemen. Das Projekt müsse besser an die Bedingungen

207 Zu dieser Herausbildung führten folgende Faktoren: Orientierung der externen Supervisoren, Geschichte der sozialen Bewegung in der jeweiligen Region, Stärke und Politik der Bauernorganisationen, Trägerstruktur. Dies zeigte eine erstaunliche Flexibilität des Lumiar-Ansatzes.

des Nordens und Nordostens Brasiliens angepaßt werden. Ein stabilerer Zeithorizont für die Dauer des Projektes sei erforderlich. Der Ansatz wurde hinsichtlich der Partizipation, seiner Pluralität, Diversität und Dezentralität bestätigt. Kritik wurde an der Art geübt, mit der große soziale Bewegungen208 das Projekt absorbieren und kontrollieren, die nicht funktional sei und von der Idee der Partizipation, Pluralität, Diversität und Dezentralität abweiche. Die Evaluierung befürwortete das Lumiar-Projekt, auch wenn Schwachpunkte festgestellt werden.

Eine Bewertung seitens der Direktion der Ansiedlungsgebiete auf einem Workshop in Brasília, bei der auch diese Evaluierung diskutiert wurde, zog den Schluß, daß die Ernennung speziell der externen Supervisoren das zentrale Problem des Projektes sei: fehlende Verpflichtung, die Ernennung aus politischen Gründen, unzureichende Arbeitszeit sowie fehlende Interaktion zwischen externen und internen Supervisoren.209 Der Direktor der Ansiedlungsgebiete von INCRA in Brasília stellte klar (CNASI 1999,72): "Wir haben ernsthafteste Probleme mit den externen Supervisoren. Es gibt viele Personen, die verdienen, ohne absolut nichts im Lumiar-Projekt zu tun. Nur daß diese unter Vertrag genommenen Typen von den Universitäten sind, es sind unsere lieben Kollegen und wir werden nicht ..."

darüber mit ihnen diskutieren. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sahen vor, die Qualität des Dienstes durch eine verringerte Zahl von Supervisoren mit erhöhter Arbeitszeit zu verbessern.

Die engagierten Supervisoren argumentierten, daß diese Maßnahme die Supervisoren aus den Universitäten210 unabhängig von ihrer Leistung ausschließe, da die Universitäten wohl kaum eine Arbeitszeit von 80 Stunden pro Monat für das Lumiar-Projekt akzeptieren würden. Die Befürchtung, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen kaum geeignet waren, die aufgedeckten Defizite zu beseitigen, sondern allein dem Zweck dienten, die Kosten des Projektes zu reduzieren, und damit die Vorteile einer Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Institutionen der Agrarreform ohne eine wirkliche Korrektur der Probleme aufgegeben würden, sowie die Frage, welche Fachkräfte die Supervisoren, die sich seit Beginn des Projektes mit Enthusiasmus eingesetzt hatten, ersetzen sollten, beschäftigten die an der Weiterentwicklung des Lumiar-Projektes interessierten Akteure.

Es wurden von INCRA211 bessere Kriterien für die Auswahl der externen Supervisoren definiert und die Evaluierung ihrer Leistung gefordert. Dazu hätten aber die zuständigen Gremien von INCRA, die CEPRO und die Supervisionsequipe die Verantwortung übernehmen müssen, den Vertrag derjenigen Kollegen zu kündigen, deren Arbeit nicht den Anforderungen entsprach. Auf seiten der Bauern, die mehrheitlich niemals eine effiziente Beratung kennengelernt hatten, fehlten noch geeignete Kriterien und Mechanismen der Evaluierung. Wo vorher nichts existierte, war jede Arbeit zunächst willkommen. Die frühere Beziehung zu staatlichen Beratern, die sich keiner Evaluierung durch die Bauern stellen mußten, hatte ebenfalls noch ihre Wirkungen. Die Bauernorganisationen beurteilten das Projekt positiv und machten zunehmend von ihren Einflußmöglichkeiten Gebrauch.

Ehe jedoch erste Ergebnisse der Projektaktivitäten vorliegen konnten, machte die Bundesregierung eine unerwartete Kehrtwendung in Bezug auf das Lumiar-Projekt und ließ

208 Hier ist vor allem das MST gemeint.

209 Memo Circular INCRA/DP/147, 03.05.99. Diese Feststellung wurde in dieser einseitigen Form nicht durch die bereits zitierte Evaluierung bestätigt, die beispielsweise für Pará zu einem positiven Resultat kam (MEPF/INCRA 1999,47).

210 Die Supervisoren aus den Universitäten wurden zur Mitarbeit eingeladen im Rahmen einer Partnerschaft über Fragen der Agrarreform zwischen dem damaligen Spezialministerium für Landverteilungspolitik (Ministério Especial de Política Fundiária), INCRA und dem Rat der Rektoren der Brasilianischen Universitäten (Conselho dos Reitores das Universidades Brasileiras - CRUB).

211 Memo Circular INCRA/DP/147, 03.05.99.

anderthalb Jahre nach den ersten Einstellungen die Zukunft des Projektes im Ungewissen.212 Die vorgesehenen Neueinstellungn im Rahmen der Superintendenz SR(01) wurden unmittelbar nach der Durchführung eines Einführungskurses durch die Equipe der Supervisoren für die Vorbereitung von mehr als 40 weiteren Beratern und 3 neuen Supervisoren im November 1998 unterbrochen, so daß diese Investition verloren war. Die Kreditlinie Procera wurde zeitweise eingestellt.213 Es kam mehrfach zu empfindlichen Verspätungen in der Mittelüberweisung an die Trägerinstitutionen und die Haushaltsprobleme von INCRA erschwerten die Aktivitäten der Supervision. Die Bezahlung der externen Supervisoren verzögerte sich mehr als acht Monate, ohne Garantie über spätere Erstattung.

Die vorgesehene "kontinuierliche Ausbildung" der Berater und die Einstellung von Spezialisten fand praktisch nicht statt, vor allem aufgrund der Tatsache, daß die Entscheidung über diese Aktivitäten von der Nationalen Koordination des Projektes getroffen wurden.214 Schließlich wurde der vorgesehene Haushalt empfindlich gekürzt, was jedoch nicht nur auf die Instabilität des Finanzwesens auf Weltniveau Ende 1998 und Anfang 1999 zurückzuführen war.215

Die Zunahme der Probleme bestätigten die Befürchtung, daß sich die Bundesregierung von dem Projekt zurückziehen werde. Noch überraschender als seine Implementation wurde dann die Auflösung des Lumiar-Projektes (am 18.06.00) ohne vorherige Information der Beteiligten während einer Konfrontation zwischen Bundesregierung und MST beschlossen.

Diese Maßnahme wurde vor dem Hintergrund verschiedener Konflikte getroffen, war jedoch auch Folge einer Veränderung der Bundespolitik hinsichtlich der bäuerlichen Landwirtschaft.

Bis zur Redaktion dieser Arbeit (Februar 2002) wurde jedoch keine Entscheidung über die Zukunft der Landwirtschaftlichen Beratung getroffen, sondern die Erwartung durch immer neue "vorläufige" Diskussionspapiere am Leben gehalten. Eine zukünftige Lösung dürfte eher der Situation nach der Auflösung des Lumiar-Projektes ähneln, als der komplexen Struktur, die das Projekt während seines Funktionierens kennzeichnete. Diese Thematik und einige der Hintergründe werden im Kapitel 5.4 behandelt.

212 Wenig mehr als ein Jahr nach den ersten Einstellungen in Pará. In einigen anderen Bundesstaaten war die Einstellung etwas früher erfolgt.

213 Später wurde sie durch den Kredit des Nationalen Programmes zur Stärkung der bäuerlichen Landwirtschaft (Programa Nacional de Fortalecimento da Agricultura Familiar - PRONAF) zu anderen Konditionen ersetzt.

214 Die Zentralisierung der Finanzierung der Supervisoren und Spezialisten in Brasília über eine Stiftung der Universidade de Brasília (UnB) für die Verwaltung von Projektmitteln, die die Mittel von INCRA über mehrere Vermittlungsinstitutionen erhielt, von denen jede ihre Verwaltungskosten einbehielt, führte zu zahlreichen Problemen (Verlust von Dokumenten und Berichten, erhebliche Verspätung bei der Bezahlung).

215 Die brasilianische Währung erfuhr im Zeitraum vom 11. bis 26.01.99 eine Abwertung um 35,6%

(ALMANAQUE 1999,23).

5 Elemente der Partnerschaft