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3.2 Von der Verbreitung zur Beratung

3.2.3 Das Diffusionsmodell

Trotz der Unterschiede der Ansätze werden hier mehrere Modelle zusammengefaßt, die eine wesentliche Zielsetzung gemeinsam haben: die Verbreitung bestimmter Überzeugungen oder Technologien, wobei die Überredung der Bauern ein wesentliches Mittel ist. Unter diesem Gesichtspunkt fasse ich das klassische Modell, das innovative Diffusionsmodell und das Technologietransfer-Modell der brasilianischen Beratung zusammen.

Die erste Frage in der Beratung war nach RÖLING (1988,22): Wie kann ich sie dahin bringen, wohin ich sie haben will? Beratung wurde als ein einfaches Werkzeug der Intervention gesehen, das im Beispiel von RÖLING (1988,23) Wissens- und Motivationspfeile auf die Zielgruppe abschießt und so Kenntnis transferiert. Zu diesem Zeitpunkt ihrer Entwicklung war die Beratung ausschließlich bemüht, die angewandten Methoden zu verbessern.

In einem zweiten Schritt lautete die Frage dann (RÖLING 1988,23): Warum machen sie nicht, was ich von ihnen will? Warum weigern sich die Personen trotz der Überzeugung des Entwicklungsagenten, daß sie aus dem Angebot Nutzen ziehen werden? Für viele Berater, Forscher und Spezialisten ist die Botschaft der Beratung nicht hinterfragbar. Wenn die

84 Carl Rogers spricht von Veränderung von Verhaltensweisen und Einstellungen fehlangepaßter Personen in der Psychotherapie. Seine Erkenntnisse wurden jedoch auch in die Beratungspraxis in anderen Zusammenhängen übertragen.

Botschaft nicht in der Lage ist, das freiwillige Verhalten der Bevölkerung zu verändern, ist das Evaluierungsergebnis, daß die Bevölkerung im Unrecht ist. Diese Denkweise ist sehr häufig bei Ärzten, Agrarforschern und anderen Berufsgruppen anzutreffen, die an das Paradigma des Technologietransfers glauben.

Viele Sozialwissenschaftler arbeiteten daher an der Frage: Warum widersetzen sie sich der Veränderung? Tradition, Fatalismus, Mangel an Ambitionen und Interesse waren die häufigsten Erklärungen von seiten der Forschung und Beratung, und diese Erklärungsmuster werden teilweise bis heute benutzt85. Fehlendes Verständnis für die Reproduktionsstrategien der Bauern seitens der Berater verbindet sich mit der Vorstellung von der Homogenität der ländlichen Bevölkerung. Die Innovation wird als gleich bedeutend für alle Teile des sozialen Systems angesehen, zum Beispiel in der Strategie des Kontakt-Farmer-Ansatzes (progressive farmer strategy).

Bei dieser Strategie bedient sich die Beratung direkter Kontakte mit fortschrittlichen Bauern oder, wie im innovativen Diffusionsmodell, mit ländlichen Führungspersönlichkeiten, um die Einwirkung der Berater zu erleichtern (SILVA 1992,123; FONSECA 1985,132-136). Diese wiederum sollen die Neuerungen unter den übrigen Bauern verbreiten, wobei man von der Annahme einer weitgehend homogenen Gesellschaft ausgeht. Trotz einer bestehenden Homogenität aufgrund gleicher Ausgangsbedingungen hinsichtlich der Böden, der Anbaukulturen, der Preise für Agrarprodukte, um nur einige Beispiele zu nennen, zeigen einige Bauern jedoch mehr unternehmerische Denkweisen und sind offener für das Risiko als andere. Sie sind die ersten, die die Bedeutung einer neuen Idee erkennen und sie übernehmen.

Die Vorstellung, die dem Modell des Diffusionsprozesses zugrunde liegt, daß die gesamte Zielgruppe in der Folgezeit die Innovation übernimmt, zuerst die Neuerer (die alle Risiken auf sich nehmen), dann die frühen Übernehmer (die das Beispiel geben), anschließend die frühe Mehrheit, die späte Mehrheit und schließlich die Nachzügler und als letzte, je nach Modell, die Widerstrebenden (die sich am längsten weigern, die Änderung zu übernehmen) (ALBRECHT 1992a; ROGERS 1995,268-280), erwies sich in vielen Fällen als falsch. Die Tatsache, daß die Ersten eine bestimmte Technologie übernehmen, kann die Übernahme durch die Letzten verhindern, beispielsweise wenn der Markt schon gesättigt ist und den Letzten keine Möglichkeit mehr bietet, eine bestimmte Investition gewinnbringend einzusetzen, oder wenn sie nur mit einer Mindestmenge an Kapital implementiert werden kann (vgl. RÖLING 1988,66-77).

Diese Beschränkungen wurden erst ab Anfang der 70er Jahre überwunden mit der Einführung des Konzeptes der Zielgruppe und damit der Anerkennung der sozialen und ökonomischen Heterogenität im ländlichen Raum, was zur Entwicklung der Typologie landwirtschaftlicher Betriebe und der Übernahme des Systemansatzes, zunächst im Bereich der Agrarforschung, führte. Auch die Vorstellungen von der fehlenden Risikobereitschaft wichen einer differenzierenden Betrachtungsweise, in der die Möglichkeiten, Risiken einzugehen in die Analyse einbezogen wurden, zum Beispiel vorhandenes Kapital und die Bedeutung der persönlichen Kommunikationskontakte (ALBRECHT 1992a,22). Dies hatte auch Auswirkungen auf die Einschätzung der Bedeutung des Faktors Information, prinzipieller Ansatzpunkt der Beratung. Diese Erkenntnisse haben jedoch bis heute wenig Eingang in die Ausbildung der brasilianischen Agraringenieure und Agrartechniker gefunden.

85 Vgl. STARKEY (1990) über 30 Jahre Ablehnung der Polykultoren (Geräteträger) für Zugtieranspannung durch die Bauern oder PIMENTEL et al. (1992) über das Scheitern der Einführung der Zugtieranspannung mit Büffeln im Nordosten von Pará.

Das Diffusionsmodell versteht Forschung und Beratung als unterschiedliche, von einander getrennte Aktivitäten, die durch den Prozeß des Technologietransfers miteinander verknüpft werden (vgl. MARTINS, A.C.S. 1996). Die Forschung soll neue Kenntnisse schaffen, die dann von der Beratung an die Bauern weiter vermittelt werden. Der Akteur, der für eine Phase dieses Prozesses verantwortlich ist, trägt keine Verantwortung in der folgenden Phase. Die Initiative geht von den Wissenschaftlern, den Forschern in der angewandten Forschung und den Beratern aus, wohingegen sich der "Empfänger", der Bauer, vorwiegend passiv verhält;

sein Wissen hat keine Bedeutung in diesem Modell, er wird nicht einmal konsultiert (vgl.

RÖLING 1994b,280; BAUER 1996,60-61; STARKEY 1990). Die Grundlage dieser Trennung liegt in der Vorstellung von der Landbevölkerung, die nicht angemessen lebt und arbeitet aufgrund von Mangel an Informationen, Ambitionen und Interesse. Das Modell geht von der Annahme aus, daß der Bauer unangemessene Praktiken bei der Administration seines Betriebes anwendet und daß der Berater mehr als er von der landwirtschaftlichen Produktion versteht. Die Worte eines Beraters der FAO, von FONSECA (1985,35) zitiert, charakterisieren diese Einstellung: "In einer traditionellen ländlichen Gesellschaft kann der technische Fortschritt nur von Quellen außerhalb der Comunidade kommen ... Und die Personen, die wissen, was besser für die Bauern ist, sind die Wissenschaftler und die Berater ...".

Eine andere Annahme dieses Modelles ist die Idee von der linearen Kommunikation, von den Internationalen Agrarforschungszentren zu den nationalen Zentren, wo das Wissen adaptiert wird, von dort an die Spezialisten bestimmter Technologien, die das Wissen in Empfehlungen für die Berater übersetzen, die den Inhalt wiederum an fortschrittliche Bauern weitergeben.

Diese Idee korrespondiert mit den ersten Kommunikationsmodellen aus der Zeit vor der Entdeckung des Feedbacks. Wissen wurde als transportfähiges Gut angesehen und nicht als integraler Teil eines sozialen Prozesses. RÖLING (1988,32) erklärt den Unterschied zwischen Wissen und Information: Information kann weitergegeben werden, während Wissen eine inhärente Funktion des Gehirns ist. ALBRECHT (1990; zitiert nach: BAUER 1996,56) betont, daß Wissen nur dann eine Handlungsorientierung geben kann, wenn es eingebettet ist in einen schon vorhandenen Wisssensbestand, in das Weltbild, das das Individuum bereits hat.

Als eines der Verbreitungsmodelle, das in vielen Ländern umgesetzt wurde, soll hier das Training & Visit System (T&V) der Weltbank vorgestellt werden.

Kasten 5: Das Training & Visit System der Weltbank

Das Training & Visit System (T&V) der Weltbank wurde in der Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts entwickelt und als Vorbedingung für Projekte der Bank in vielen Ländern der 'Dritten Welt' eingeführt. Anlaß für seine Entstehung war die negative Evaluierung eines Bewässerungsprojektes in der Türkei, das sehr viele Mittel erhalten hatte.

Die wesentlichen Prinzipien des T&V sind: alle Aktivitäten der Beratung in einer Region werden zusammengefaßt in einem einzigen Dienst; der Dienst hat ausschließlich Beratungsfunktion und übernimmt weder hoheitliche oder administrative Aufgaben (Überwachung), noch Aufgaben wie statistische Erhebungen (beispielsweise in Verbindung mit der Steuererhebung) oder Versorgung mit Betriebsmitteln; die Beratung konzentriert sich auf die wichtigsten Kulturen und wenige, aber bedeutende mit ihnen verbundene Praktiken;

die Arbeit wird über 'Kontaktbauern' verwirklicht (etwa 10% der Zielgruppe auf 8 Gruppen von 4 bis 15 Personen verteilt), die als Beispiel für die übrigen Mitglieder der Zielgruppe dienen; der Dienst hält engen Kontakt zur Forschung über Spezialisten, die auch für das Training der Berater verantwortlich sind; die Berater werden in regelmäßigem Rhythmus von 14 Tagen weitergebildet, wobei der Inhalt auf die Notwendigkeiten der jeweiligen Jahreszeit

zentriert ist, also Aussaatmethoden während der Aussaatzeit; die Tage der Feldbesuche, die im voraus festgelegt sind, sollen ebenfalls im Rhythmus von 14 Tagen stattfinden, wobei 8 Tage für die Besuche vorgesehen sind, 2 für das Training und 2 für außerordentliche Besuche oder administrative Zwecke. Die Bildung von 'Forschungs- und Beratungskomitees' hat die Funktion, bessere Praktiken zu entwickeln, Versuche unter Praxisbedingungen zusammen mit den Bauern durchzuführen und die Berater für die Verbreitung der Empfehlungen zu schulen, wobei die Spezialisten Schlüsselelement bei der Planung und Ausführung der Experimente im Betrieb sind (BAUER 1996,53-55; ALBRECHT 1992b).

Die Kritik an diesem Modell, das im Prinzip mit leichten Modifikationen dem Kontakt-Farmer-Ansatz und dem Technologietransfer-Modell folgt, wurde von ALBRECHT

(1992b,132; vgl. BAUER 1996,53-61) folgendermaßen zusammengefaßt: Der Ansatz des 'Kontaktbauern' funktioniert nicht wie vorgesehen: die Auswahl ist problematisch, speziell wenn schon eine signifikative soziale Differenzierung existiert, und die Kenntnisse werden nicht an den Rest der Zielgruppe weitergegeben, was zu einer stärkeren Segregation zwischen Bauern mit und ohne Kontakt führt. Der regelmäßige Besuch in Regionen mit schwierigem Zugang und verstreuten Betrieben ist kompliziert und teuer, zudem häufig unangemessen, weil er nicht die Fluktuation der Arbeit des Bauern berücksichtigt und nicht immer Neuigkeiten zu verbreiten hat, zum Beispiel in der Trockenzeit. Aus diesem Grund nehmen die Bauern nur sporadisch teil. Die Berater fühlen sich in dem rigiden System der Besuche gefangen und kontrolliert, was wiederum die Bildung von partnerschaftlichen Beziehungen zu den Bauern erschwert. Das Modell mit seiner rigiden Hierarchie (integraler Teil des Vorschlags) ist höchst anfällig in Bezug auf das Funktionieren einer angewandten und verfügbaren Forschung, die die 'Versorgung' mit angepaßten Lösungen garantiert, sowie auf Haushaltsbeschränkungen wegen seiner organisatorischen Anforderungen. Es gibt nur wenige Spezialisten, die in Beratungsmethoden und Pädagogik vorbereitet sind, um die Berater auszubilden und auf ihre Bedürfnisse und Schwierigkeiten einzugehen.

Wieder sind es die hohen Funktionäre in den Büros, die über den Inhalt der Beratung entscheiden und nicht die Bauern (Angebotsorientierung). Es scheint keine spezielle Arbeit mit Frauen oder Jugendlichen zu existieren. ALBRECHT kritisiert auch die Idee, daß das Wissen wie ein transportables Gut behandelt werden kann, das zum Beispiel auf einer Datenbank gespeichert werden kann, um es an anderem Ort für die Benutzung zu Verfügung zu stellen.

Die Bank selbst begann nach 20 Jahren T&V den Ansatz zu überdenken und neue Prinzipien ('governing principle)') zu definieren (vgl. 3.4.1.1). In verschiedenen Ländern wurden auch Adaptionen des Modells verwirklicht, so von NAGEL et. al. (1983; zitiert nach:

ALBRECHT 1992b,135).

3.2.4 Modelle der Beeinflussung mit nicht-linearer Kommunikation