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In der Ethnographie ist der Forscher das prinzipielle Instrument bei der Erhebung und Auswertung der Daten, auch wenn er das Mittel der Triangulation wählt. Im Prinzip arbeitet er allein. In der Aktionsforschung hat er ebenfalls eine hervorragende Rolle, die noch dadurch

verstärkt wird, daß er einer der Akteure im Veränderungsprozeß ist. Es ist jedoch vorgesehen, die Ergebnisse mit den anderen Akteuren zu besprechen, was auch die Problematisierung der eigenen Rolle erleichtern kann.

Bei beiden Projekten habe ich sowohl die Beobachterrolle als auch eine Rolle als

"gestaltender Akteur" eingenommen. Der Zugang in den beiden Projekten war durch meine Rolle als assozierter Forscher61 des LAET beziehungsweise Supervisor (vorgeschlagen vom MPST) geregelt. Während ich in dem ersten Projekt (Forschung über Mechanisierung) diese Rolle mit anderen Kollegen teilte und häufig nicht an "vorderster Front" stand, war dies im zweiten Projekt (Lumiar) weniger möglich. Besonders in den Momenten der Anleitung und des Monitoring war ich häufig Moderator, Fazilitator und teilweise Vorgesetzter in einer Person, was die Rolle des Forschers und Beobachters zwangsläufig einschränkte.

Die Verknüpfung der Rolle als teilnehmender Beobachter, die an sich schon die Frage nach der Geltungsbegründung (FLICK 1999,239-253) der Forschung aufwirft, mit der Rolle des

"gestaltenden Akteurs" mit eigenen Zielen und Interessen in der Interaktion, wirft besondere Probleme auf (vgl. SEITHEL 1990,298-321). Diese Kategorie des aktiven Gestalters ist in der Literatur nicht vorgesehen (LAMNEK 1995b,263; FLICK 1999,153). Die Auswahl und Darstellung der Erfahrungen, ihre Bewertung und die Schlußfolgerungen sind nicht diejenigen eines wenig beteiligten Beobachters in einer "einfachen Rolle", die LAMNEK

(1995b,266) empfiehlt, sondern ich beobachte, beschreibe und interpretiere meine eigene Interaktionen mit den übrigen Akteuren. Dies muß zwangsläufig zu einer einseitigen Ausrichtung führen, die besonders dann auftreten kann, wenn es darum geht, die eigenen Aktivitäten, die eigene Bedeutung oder die eigenen Ansichten darzustellen. Auch die Bewertung der Aktivitäten von Kollegen, zu denen man ja eine stärkere Beziehung hat, ist davon beeinflußt.

Das Engagement als "gestaltender Akteur" während der Arbeit wurde durch einige Fakten ge-mildert, die das Element "Distanz" verstärkten. Die Tatsache, als Ausländer in einer fremden Region zu arbeiten und nicht in der Region zu wohnen, sondern in der Hauptstadt des Bundesstaates, war sicher von Vorteil. Teilweise hatten die Vertreter der Bauern größeres Vertrauen zu den Ausländern, weil sie nicht als politische Konkurrenten angesehen wurden.

Auch die Tatsache "nur" assozierter Forscher von LAET zu sein, minderte die Identifikation mit den Positionen und Handlungen der Institution.

Verschiedene Vorkehrungen können zur Reduzierung der möglichen Verzerrungen getroffen werden. Von den klassischen Methoden der Geltungsbegründung kam lediglich die Validität (Gültigkeit) in Betracht, da die "Wiederholbarkeit der Ergebnisse mit den gleichen Mitteln"

(Reliabilität oder Zuverlässigkeit) bei aktionsbestimmten sozialen Situationen, in der die Akteure sich während der Aktion verändern, nicht möglich ist. Auch LIU (1997,195) stellt fest, daß die Wiederholbarkeit der Entwicklungen und identischer Verhaltensweisen keine pertinente Frage ist, da jedes Individuum seine Originalität zeigen und in den Prozeß eingreifen kann (vgl. KIRK & MÜLLER 1986; zitiert nach: FLICK 1999,243). Dies gilt auch für die Verwendung von Kontrollgruppen.

61 Das LAET unterschied deutlich zwischen "permanenten" und "assozierten" Forschern. Erstere wohnten vor Ort in Altamira und hatten vollen Zugang zu Informationen, nahmen regelmäßig an Versammlungen teil (intern, mit MPST sowie im größeren Rahmen mit den Bauern) und stimmten über die Entscheidungen des LAET ab. Letztere hatten häufig Schwierigkeiten, an Informationen zu gelangen (besonders in der Krise der Partnerschaft) und nahmen wegen ihrer sonstigen Verpflichtungen wesentlich weniger an den Versammlungen teil.

In der Validität qualitativer Forschung geht es um die Frage, inwieweit die "Konstruktionen des Forschers in den Konstruktionen derjenigen, die er untersucht hat, begründet sind ... und inwieweit für andere diese Begründetheit nachvollziehbar wird" (FLICK 1999,244). Es können im wesentlichen vier mögliche Ansatzpunkte für eine Geltungsbegründung unterschieden werden, die sich teilweise überschneiden. Dabei geht es um das Zustandekommen der Daten einerseits und die Darstellung und Bewertung andererseits.

Ein erster Ansatz versucht die Qualität der Datenerhebung zu erhöhen. Generell wird für die vorgestellten Methoden die Bedeutung der Fähigkeiten des Forschers betont. Bei der qualitativen Forschung, in die der Forscher offen bezüglich der angetroffenen Situation hineingeht und Hypothesen erst aufgrund der untersuchten sozialen Sachverhalte formuliert, wird eine "generelle Forschungshaltung" bei ihm vorausgesetzt. Er fängt nicht beim Nichts an (CASABIANCA & ALBALADEJO 1997,23). MALINOWSKI (1973,26) fordert, daß er über die neuesten Studien Bescheid weiß und sich von ihnen in seinen Prinzipien und Zielsetzungen inspirieren läßt. Auf die Qualität der Datenerhebung zielt ein Teil der von WOLCOTT (1990;

zitiert nach: FLICK 1999,247) vorgeschlagenen neun Punkte, die allerdings etwas repetitiv erscheinen. In ihnen (Punkte 1-3, 9) wird unter anderem gefordert, daß der Forscher möglichst viel zuhört, möglichst früh zu schreiben beginnt und möglichst genaue Aufzeichnungen macht. Auch die Vermeidung der von LAMNEK (1995b,266) erwähnten Fehlerquellen, wie zu frühe Wertung oder Unvertrautheit mit der Gruppenkultur, zielen in diese Richtung. Für die Erhöhung der Glaubwürdigkeit qualitativer Forschung, Daten und Ereignisse geben LINCOLN & GUBA (1985; zitiert nach: FLICK 1999,252) fünf Strategien an, von denen der Vorschlag, die Datenqualität durch eine längere, ausdauernde Beobachtung zu verbessern, unter den ersten Ansatz fällt.

Der zweite Ansatz verlangt eine möglichst hohe Transparenz bei der Datenerhebung.

Demnach ist die wesentliche Aufgabe, die "... Forschungsobjekte möglichst weitgehend zu verstehen, ... und das Verstandene anderen mitzuteilen und für sie überprüfbar zu machen"

(GERDES & WOLFFERSDORFF-EHLERT 1974; zitiert nach: LAMNEK 1995a,246). Ansätze, um die Qualität der Aufzeichnungen zu verbessern, streben die Möglichkeit der Überprüfung der

"Feldnotizen" durch einen anderen Interpreten an, speziell hinsichtlich der bereits von MALINOWSKI (1973,21) geforderten Unterscheidung zwischen Begriffen der Beobachteten und der Interpretation der Beobachter. Es geht um die Verläßlichkeit der Daten und Vorgehensweisen. Die prozedurale Validität bietet Ansatzpunkte für diese Art der Geltungsbegründung. Folgende der neun Punkten von Wolcott streben vor allem die Transparenz über den Forschungsprozeß an (Punkte 4-6): das Schreiben in möglichst vollständiger und offener Form, die dem Leser so viel an Daten mitliefert, daß er seine eigenen Schlüsse ziehen kann und die des Forschers nachvollziehen kann (FLICK 1999,243, 247).

Ein dritter Ansatz ist die Triangulation (vgl. Kap. 2.1.6), die auch von LINCOLN & GUBA

vorgeschlagen wird, die sie um die Forderung nach "peer debriefing"62 erweitern. Darüber hinaus empfehlen sie die Analyse abweichender Fälle und "Member checks", worunter sie die kommunikative Validierung von Daten und Interpretationen mit den Mitgliedern der untersuchten Felder verstehen (vgl. FLICK 1999,245). Wolcott kommt zu ähnlichen Vorschlägen, indem er empfiehlt, daß der Forscher im Feld oder bei seinen Kollegen Feedback zu seinen Ergebnissen und Darstellungen suchen soll (Punkt 7).

62 Regelmäßige Besprechung mit nicht an der Forschung beteiligten Personen, um eigene blinde Flecke aufzudecken sowie Arbeitshypothesen und Ergebnisse zu überprüfen (FLICK 1999,252).

Ein vierter entscheidender Ansatz ist die Angemessenheit und Überprüfung der Interpretation (vgl. LINCOLN & GUBA 1985; zitiert nach: FLICK 1999,252). Die kommunikative Validierung kann dabei ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.

Um die durch die Doppelrolle des Forschers und Gestalters möglichen Verzerrungen zu reduzieren wurden verschiedene Vorkehrungen getroffen, unter denen die Triangulation, vor allem in der Form der Methoden-Triangulation, den größten Stellenwert hatte (dritter Ansatz).

Gemeinsame Berichte oder Dokumente der Beteiligten, beispielsweise zusammen mit Kollegen veröffentlichte Artikel, ermöglichten in beiden Projekten die Abstimmung der Beobachtungen mit den Wahrnehmungen und Interpretationen anderer Beteiligter. Im ersten Fallbeispiel konnte auch auf zahlreiche Berichte, Artikel und Dissertationen (Grad des Masters und Doktors) von Kollegen zurückgegriffen werden. Auch eigene Aufzeichnungen von Momenten, in denen ich keine aktive Rolle übernommen hatte (z.B. bei einem konfliktiven Treffen zwischen LAET und MPST im Moment der Krise), oder von Ereignissen, an denen ich nicht direkt beteiligt war (Erzählung durch Teilnehmer) erlauben einen Abgleich hinsichtlich der beobachteten Tendenzen. Im Fall des Beratungsprojektes war der Rückgriff auf andere Daten schwerer, da die professionellen Teilnehmer, also die Berater, Schwierigkeiten hatten, Berichte zu verfassen, die darüber hinaus das Forschungsthema wenig reflektieren. Auch die Supervisoren hatten nur ein geringes Interesse an dem Thema, das formal gesehen sogar unsere gemeinsame Aufgabe war63. Die Berichte beschränkten sich auf die im Projekt durchgeführten Maßnahmen oder die Probleme von Lumiar und reflektierten wenig die Interaktion zwischen den Akteuren und die Problematik der Arbeit als Supervisor. Dies ist zum Teil auch durch die Vorsicht zu erklären, die sich aus der exponierten Stellung und der permanenten Infragestellung des neuen Ansatzes auf den verschiedensten institutionellen Ebenen ergab, die sogar gelegentlich den offenen Austausch untereinander behinderte.

Das peer debriefing spielte in beiden Projekten eine Rolle, hatte aber eine wesentlich stärkere Bedeutung im zweiten Fall (Lumiar). Der Austausch erfolgte vor allem mit den Kollegen der Forschung über Mechanisierung, einzelnen Supervisoren, den Beratern und verschiedenen Vertretern der Bauern auf lokaler, regionaler und bundesstaatlicher Ebene.

Das Feedback im Sinne kommunikativer Validierung (FLICK 1999,245) wurde durch vertiefte Interviews mit Einzelpersonen, auch nach Abschluß der Untersuchungsphase, hergestellt. Der Austausch mit den Bauern "an der Basis" war stärker in der Forschungsarbeit über die Mechanisierung, sowohl in der Erhebungsphase als auch während der gemeinsamen Ent-wicklungsarbeit, trat dagegen im Rahmen des Lumiar-Projektes wegen der starken Arbeitsbelastung durch die Betreuung der Beraterequipen und der Mitwirkung beim Aufbau und der Leitung des Projektes auf der Ebene des Bundesstaates in den Hintergrund. Auch während zahlreicher Versammlungen mit den kompletten Equipen (Supervision, Forscher, Berater) oder größeren Gruppen von Bauern gab es Rückmeldungen über die Interaktion zwischen den Beteiligten.

Die Tatsache, daß es sich bei der vorliegenden Arbeit um zwei Fälle mit unterschiedlichem Schwerpunkt, aber in gleicher sozialer Umgebung, zum Teil mit den gleichen Akteuren und mit gleichem Ziel handelt, der Förderung der ländlichen und bäuerlichen Entwicklung, bedeutet eine Daten-Triangulation, die der Strategie des theoretischen Sampling nahekommt.

Der Forderung nach Analyse abweichender Beispiele wurde durch Befragung über die

63 Die Bezahlung der externen Supervisoren erfolgte in Form eines Forschungsstipendiums, das eine Evaluierung der Leistung der Lumiarequipen sowie eine Auswertung der Erfahrungen mit partizipativen Methoden vorsah.

Erfahrungen mit anderen Partnerschaften, zwischen Beratern und einer Organisation der sozialen Bewegung im Rahmen des Lumiar-Projektes im Nordosten von Pará64 sowie zwischen Forschern von LASAT und Bauern der FATA im Raum Marabá, entsprochen, um die Erkenntnisse über die Form der Bündnisse abzusichern und zu einer systematischeren Bewertung der beobachteten Fakten zu gelangen.

Die Bemühungen um die Qualität der Datenerhebung (erster Ansatz) konzentrierten sich auf die umfangreiche Mitschrift während der beobachteten Situationen sowie das Zuhören, soweit dem nicht die eigene Rolle als "aktiver Akteur" entgegenstand (vgl. Kap. 2.2). Die Gefahr zu früher Wertung oder Unvertrautheit mit der Gruppenkultur, dürften durch den langen Zeitraum der Arbeit in der Region verringert worden sein.

Die bereits erwähnte kommunikative Validierung wurde auch zur Überprüfung der Ange-messenheit der Interpretation benutzt (vierter Ansatz). Zur Validierung von Daten und Interpretationen wurden daher vertiefende Befragungen und anschließende gemeinsame Erörterung über ihre Sichtweise mit Mitgliedern des untersuchten Feldes, vor allem nach Abschluß der Feldforschung, durchgeführt. Gemeinsame Berichte oder Artikel mit Kollegen in beiden Projekten ergänzten die eigenen Beobachtungen und erlaubten eine Bestätigung oder Korrektur der gewonnenen Erkenntnisse. Auch die Rückmeldung auf eigene Veröffent-lichungen und Diskussionstexte sowie die Texte von Kollegen ermöglichen, andere Sicht-weisen wahrzunehmen.

Im Vergleich zu den Gesprächen, den vertiefenden Befragungen und anderen Maßnahmen der Triangulation, die zum Teil bereits eine Rückmeldung über die eigene Interpretation liefern, halte ich die Anstrengungen zur Erhöhung der Transparenz der Datenerfassung (zweiter Ansatz) für diese Arbeit für wenig relevant und die Überprüfung der "Feldnotizen" für wenig praktikabel. Wer wird sich die Mühe machen, diese Daten außer bei äußerst wichtigen oder spektakulären Fällen zu überprüfen. Hinzu kommt, daß letztendlich niemand den Forscher dabei überwachen kann, ob er auch wirklich beobachtet, was er aufschreibt.65 Daher sollte man ihm die Verantwortung für das, was er schreibt und interpretiert überlassen und den Text als Dokument ansehen. "Der Text tritt dabei an die Stelle des Untersuchten. ... Kontrolle darüber, was und wieviel vom ursprünglich interessierenden Gegenstand ... letztlich der Text noch enthält und wiedergibt, ist nur schwer zu gewinnen" (FLICK 1999,43-44). Der Text stellt schließlich die neue Realität dar. Er hat als Dokument seinen Wert, auch ohne die vorangegangene Untersuchung näher zu betrachten.

Hinzu kommt, daß bei den konfliktiven Themen der Untersuchung eine Transparenz hinsichtlich der erfaßten Daten auch die Arbeit gefährden kann. Daher habe ich gelegentlich für den Fall, daß mein Tagebuch etwa offen liegenbleiben würde, meine Notizen, die auch in Portugiesisch kaum für andere lesbar waren, in Deutsch verfaßt. Manche Tatbestände bedürfen auch einer Aufbereitung (Kürzung von Einzelheiten, Entfernung von Namen oder anderer Charakteristika), ehe sie veröffentlicht werden können.

Wie bereits im Fall der Triangulation (Kap. 2.1.6) erwähnt, gibt es jedoch keine Garantie, daß die Ergebnisse und Schlußfolgerungen wirklich ein unverzerrtes Bild der sozialen Wirklichkeit zeichnen. Auf dem Weg dahin, kommt es meines Erachtens wesentlich mehr auf die Interpretation an, die trotz aller Bemühungen um die Anwendung angemessener Methoden zu einem großen Teil ein intuitiver Schritt ist und sich nur teilweise auf die

64 Der Träger des Lumiar-Projektes im Nordosten von Pará war ab etwa 1998 die Fundação Sócio-Ambiental do Nordeste Paraense (FANEP).

65 Auch die quantitativen Erhebungen sind gegenüber diesen Problemen nicht gefeit.

aufgezeichneten Daten stützt. Entsprechend wenig ist dieser kreative Schritt in der Literatur behandelt. Interpretationen entstehen bereits während der Arbeit, beeinflussen die Forschungsfragen und bleiben trotz aller Versuche zu ihrer Validierung in der Verantwortung des Forschers, der sich schließlich mit der Darstellung seiner Arbeit der Rückmeldung und der Kritik der Anderen stellt.

3 Partizipation und Partnerschaft in den Ansätzen

von Forschung und Beratung