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4.2 Das Lumiar-Projekt: ein klientenorientierter Beratungsdienst

4.2.2 Die Praxis im Feld

Ansiedlungsprojekte können in Pará Gebiete mit einer Bevölkerung sein, die schon 50 Jahre auf ihrer Betriebsfläche wohnt, oder Gebiete, die erst kürzlich besetzt wurden. Die Felderfahrung dieser Fallstudie basiert im wesentlichen auf der Arbeit in drei Ansiedlungsprojekten an der Transamazônica, Surubim in Medicilândia (238.000 ha, 1.200 Familien, 6 Lumiar-Berater), Rio do Peixe in Uruará (30.000 ha, 340 Familien194, 4 Berater) und Rio Arataú in Pacajá (72.000 ha, Kapazität für 720 Familien, 4 Berater), die ab Mitte der 70er Jahre und zu Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts besetzt wurden. Surubim, das größte Gebiet, erstreckt sich über etwa 50 km parallel zur Transamazônica, von der es durch das offizielle Kolonisierungsgebiet getrennt ist, ein Band von etwa 15 km. Das Ansiedlungsprojekt ist in 12 Stichstraßen von mehr als 50 km Länge unterteilt, wobei die einzige Verbindung zwischen ihnen die Transamazônica ist. Die Berater mußten also bis zu 25 km auf der Transamazônica und weitere 15 km auf den schlechteren Stichstraßen zurücklegen, bis sie ihr Einsatzgebiet in einer mittleren Entfernung von 38 km von der Stadt erreichten.195

Das Lumiar-Projekt wurde als "Dezentralisierung in zentralisierter Form" (OLIVEIRA, M.M.

1997,51)196 implementiert, lediglich auf nationaler Ebene mit den Bauernorganisationen aus-gehandelt, so daß die Ansiedler davon keine Kenntnis hatten und nicht auf das Vorhaben vorbereitet waren. Trotz des enormen Fortschritts, den die Verhandlung des Lumiar-Projektes mit CONTAG und MST bedeutete, zeigte sich die Schwierigkeit der Kommunikation

194 Von diesen 340 Familien wohnten nur 100 auf ihren Betrieben, da die Flächen weder demarkiert, noch zugänglich waren, 250 waren bereits in die Liste der Begünstigten aufgenommen, ein Formalisierungsprozeß von INCRA, der normalerweise länger dauert. Aufgrund der geringen landwirtschaftlichen Eignung eines Teils der Fläche von Rio do Peixe, wurden später etwa 70 Familien von INCRA in ein anderes Ansiedlungsgebiet des Munizips transferiert.

195 Die größten Entfernungen waren etwa 90 km, wobei das letzte Stück im Kanu zurückgelegt werden mußte.

196 Viele Autoren benutzen den Begriff Dezentralisation nicht nur, um die Delegierung von Aufgaben an andere staatliche Einrichtungen zu beschreiben, sondern weiten ihn auf andere Prozesse aus, einschließlich der Auslagerung (Tertiarisierung), was der Fall bei Lumiar war.

zwischen den verschiedenen Ebenen der Organisationen der Bauern in einem Land von der Größe Brasiliens.

Die ersten Schritte des Lumiar-Projektes, die Auswahl der Ansiedlungsprojekte und der Assoziationen, geschah infolgedessen ohne Kontrolle durch die Organisationen.197 In drei der vier Munizipien an der Transamazônica traten in der Anfangsphase des Projektes aufgrund fehlender Berücksichtigung der Auswahlkriterien und infolge politischer Interessen erhebliche Probleme auf. Aufgrund der Überlastung der Repräsentanten der FETAGRI, deren wenige bezahlte Direktoren für eine nicht zu bewältigende Menge an Aufgaben zuständig waren198, kam es nicht zu der vorgesehenen Begleitung durch die Bauernorganisationen bei den Entscheidungen in der CEPRO und den Eignungsprüfungen der Ansiedlungsgebiete vor Ort.

Die Partizipation der Bauern über ihre Assoziationen bei der Ausführung des Projektes war ebenfalls komplex. Selbst die Arbeit mit Assoziationen, die mit dem STR verbunden waren und ähnliche politische Orientierung hatten, erforderte eine spezielle Aufmerksamkeit. In Medicilândia beispielsweise wurde bei der Implementierung des Lumiar-Projektes im August 1997 eine einzige Assoziation als Vertretung der Bauern des Ansiedlungsgebietes von INCRA anerkannt. Bei der feierlichen Vertragsunterzeichnung zur Aufnahme der Dienste der Lokalequipe des Surubim-Gebietes zeigten die Präsidenten zweier anderer bereits existierender Assoziationen deutlich ihre Unzufriedenheit mit dieser Bevorzugung. Die Organisation der Bauern nahm nach der Implementierung des Lumiar-Projektes signifikant zu. Ein Jahr später waren bereits 12 Organisationen innerhalb des Gebietes tätig, wobei es durch die Aufteilung in Stichstraßen kaum zu Gebietsüberschneidungen kam. Mehrere Versammlungen wurde auf Initiative des STR und des MPST durchgeführt, um zu einem gemeinsamen Vorgehen der Assoziationen bezüglich der Projektbegleitung zu gelangen. Das Lumiar-Projekt verpflichtete sich, im gesamten Ansiedlungsgebiet zu arbeiten und einen Arbeitsplan für alle Stichstraßen (etwa 1.200 Familien) zu erstellen.

Die Lumiar-Berater hatten in ihrer Mehrheit nur geringe Berufserfahrung. Einige der erfahreneren Berater hatten ihre Kenntnisse im Rahmen des Technologietransfers in der traditionellen Beratung (staatliche Dienste, Präfekturen) gewonnen. Einige wenige hatten an der Ausbildung des NEAF teilgenommen.199. Obwohl die Kenntnis der bäuerlichen Landwirtschaft ein wesentliches Auswahlkriterien war, brachten nur wenige Fachkräfte die nötige Ausbildung und Erfahrung für das Projekt mit.

Die erste Aufgabe der Lokalequipen war die Erarbeitung einer Diagnose der bäuerlichen Landwirtschaft, eines Entwicklungsplanes für das Ansiedlungsgebiet sowie die Abstimmung ihres Arbeitsplanes mit den Bauern. Als Methode wurde die "Analyse und Diagnose von Agrarsystemen" (GARCIA FILHO 1999; DUFUMIER 1996) ausgewählt, wobei die Teilnahme eines Teils der Berater an einem 10-tägigen Trainingskurs in dieser Methode unter Leitung

197 Nach dem Projektvorschlag sollte der Prozeß von unten seitens der Organisationen der Ansiedler mit den Vorschlägen für die Trägerorganisationen und die Berater beginnen. Tatsächlich mußte man jedoch von einem dialektischen Prozeß ausgehen, da Lumiar nur in einem Teil der Ansiedlergebiete eingerichtet werden sollte und die Umsetzung unter Zeitdruck erfolgte, was eine Vorbereitung der Ansiedler fast ausschloß.

198 Die Aufgaben der Direktoren reichen von der Lösung von Landkonflikten, der Begleitung von Morden an ihren Führern, den Verhandlungen mit Behörden, der Problemlösung im Bereich der Agrarkredite, Mobilisierung für politische Forderungen, etc.

199 Der einjährige Spezialisierungskurs in Bäuerlicher Landwirtschaft und Nachhaltiger Entwicklung (DAZ) sah die Erarbeitung der Aufgaben für die einzelnen Diszipline in 4 Momenten des Jahres während etwa dreiwöchiger Aufenthalte in bäuerlichen Familien in Pará vor.

von Marc Dufumier (INA-PG, Paris) im Rahmen des Abkommens FAO / INCRA sowie die Orientierung durch den externen Supervisor ausschlaggebend waren. Die Methode wurde mit Elementen des Kurses ITOG200 und der Partizipativen Kurzuntersuchung (PRA) angereichert.

Die einzelnen Schritte waren: Analyse von Sekundärdaten, Landschaftsanalyse, historische Interviews, Zonierung, Charakterisisierung, ökonomische Analyse, Modellierung der Betriebssysteme, Marktstudie und Institutionenanalyse. Das Ergebnis war die Erstellung eines Entwicklungsplanes für das Ansiedlungsgebiet und die Erarbeitung von kurzfristigen Vorschlägen für die Entwicklung der bäuerlichen Landwirtschaft, die keine über die Vertragszeit des Lumiar-Projektes hinausgehende Erwartungen wecken sollten. In dieser Etappe befragten die Berater die Bauern, um Informationen zu sammeln, ihre Meinung zu hören und ihre Sichtweise kennenzulernen (Partizipation durch Rat, nach PRETTY 1994; zitiert nach: PRETTY & VOLOUHÊ 1997,49).

Während der Untersuchung wurden verschiedene Versammlungen mit Männern, Frauen und Jugendlichen durchgeführt und Vorschläge für jede Gruppe in dem Ansiedlungsgebiet diskutiert. Die Bauern wurden in die verschiedenen Typen, die bei der Diagnose identifiziert wurden, unterteilt, um differenzierte, an ihre Kapazität angepaßte Vorschläge zu erarbeiten.

Eine Mehrheit ordnete sich zunächst in die Kategorie der "Kapitallosen" ein, da sie sich so höhere Chancen für die Gewährung einer Finanzierung versprachen. Die Equipe von Medicilândia, die als erste eingestellt worden war und daher eine Pilotfunktion hatte, verzichtete darauf, die von ihr erarbeitete Diagnose und ihre eigenen Fachkenntnisse in die Diskussion einzubringen und akzeptierte einfach eine "Vorschlagsliste" der Ansiedler für die Nutzung der erwarteten Kreditprojekte. Die schriftliche Erstellung der Diagnose verzögerte sich erheblich, da die Berater nicht gelernt hatten, Berichte zu schreiben, und weil sie die Arbeit im Feld bevorzugten. Es kam soweit, daß einige der Supervisoren die Berichte und Tabellen für die Berater erstellten, um innerhalb des vorgesehenen Zeitrahmens zu bleiben.201 Einer der problematischsten Punkte der alltäglichen Arbeit der Equipen war die Vermischung der Kontrolle der Bauern im Rahmen der Kreditprojekte mit der Beratungstätigkeit. Dies führte zu Schwierigkeiten beim Aufbau einer Vertrauensbeziehung und erforderte von den Beratern erhebliches Fingerspitzengefühl. Das Volumen der auf dem Spiel stehenden Mittel und das Fehlen einer rigiden externen Kontrolle erzeugt eine "Kultur der Unregelmäßigkeit", in die zahlreiche Akteure im ländlichen Raum verwickelt sind202. Die Bereitstellung der Infrastruktur (Hausbau; Straßenbau; etc.) bezieht ebenfalls erhebliche Mittel ein. Selbst wenn diese Praktiken im Detail bekannt waren, konnte das Lumiar-Projekt sie nicht denunzieren, ohne seine eigene Arbeit zu gefährden. Es war vielmehr Aufgabe der Bauernorganisationen und der offiziellen Institutionen (INCRA, Banken, Regierung) diese Praktiken zu unterbinden (was nicht ungefährlich ist; siehe Kontext). Es blieb die Herausforderung, zu gewährleisten,

200 ITOG (Investimento, Tecnologia, Organização, Gestão) war der vorherrschende Kurs für die Vorbereitung der Lumiar-Berater und wurde im Rahmen des Abkommens INCRA / PNUD (Programa das Nações Unidos pelo Desenvolvimento) angeboten. Nur gegen hartnäckigen Widerstand des Nationalen Koordination des Lumiar-Projektes ließ sich auf einhellige Anforderung der Supervisionsequipe ein Kurs nach der im Rahmen der Zusammenarbeit FAO/INCRA angebotenen Methode "Analyse und Diagnose von Agrarsystemen" durchsetzen. Auch dem Vorhaben, einen dritten Kurs durch die Supervisoren vorzubereiten und durchzuführen wurden Hiindernisse in den Weg gelegt. Auf diesen "Krieg der Methoden" gehe ich an anderer Stelle ein.

201 Obwohl dieses Vorgehen von mir nicht übernommen wurde, verging viel Zeit mit den wiederholten Korrekturen, der Berichtigung des Portugiesisch und vor allem der Struktur des Textes. Es bestand Übereinstimmung unter den Supervisoren, daß ein Kurs im Berichtschreiben Teil der Ausbildung für die Berater sein müsse.

202 Dies kann auch als ein Klima der Korruption bezeichnet werden.

daß die Lumiar-Berater sich nicht ebenfalls beteiligten, obwohl sie bereits eindeutige Angebote erhielten.