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5 Die Konstitution des Alters: Der lange Weg der alten Weisen über die soziale

8.4 Ergebnisse und Auswertung

8.4.2 Qualitative Analyse

8.4.2.2 Variablen der Biografisierung und der kulturrelevanten Potentiale

Zwei wesentliche Persönlichkeitsstrukturen lassen sich aus den Reaktionen auf die vorgege-benen Zitate unterscheiden: Es gibt einen geringeren Anteil von 10 Personen, deren inhaltli-che Aussagen sich (größtenteils oder alle) durch große Klarheit, Eindeutigkeit, Überzeugtheit und Pragmatismus auszeichnen. In dieser Gruppe befinden sich mehr ältere als jüngere Perso-nen (7 Ältere gegenüber 3 Jüngeren, das sind 36,8 Prozent aller Älteren gegenüber 21,4 Pro-zent aller Jüngeren). Den größeren Anteil mit 23 Personen bildet die zweite Gruppe, deren inhaltliche Aussagen großteils (oder alle) von zweifelnden, vorsichtigen Abwägungen, Ambi-valenzen und Unsicherheiten, aber auch durch Sarkasmus und Zynismus gekennzeichnet sind.

In dieser Gruppe ist der Anteil der Jüngeren verhältnismäßig etwas höher (11 Jüngere gegen-über 12 Älteren, das sind 78,6 Prozent aller Jüngeren gegengegen-über 63,2 Prozent aller Älteren ).

Bereits sprachlich sind diese beiden Gruppen voneinander deutlich zu unterscheiden:

Die Kommentare der ersten Gruppe (Pb 1a, 3a, 4a, 6a, 8a, 10a, 11a, 6j, 2j, 11j) stehen in kla-ren Aussagesätzen, häufig mit nachdrücklichem Ausrufezeichen versehen, sind häufig kurz und bündig durch Worte der Zustimmung oder Ablehnung („ja“, „nein“, „nicht“, „doch“), oder durch Begriffe der Entschiedenheit („sicher“, „unbedingt“, „deutlich“, „natürlich“,

„wirklich“, „absolut“) gekennzeichnet. Gelegentlich erfolgen entschiedene Belehrungen („...ist für mich eine Leerformel“, „Sie werden Verständnis dafür haben, dass dieser Satz...“,

„Also bitte! Fragen Sie doch mal einen Rentner...“ [Pb 8a, 11a]) oder scheinbar endgültige Beweisführungen („Wenn nicht... dann...“, „... sonst hätte ... versagt“ [Pb 11a]). Definitive Aussagen wie „Macht für mich keinen/ wenig Sinn“ werden dreimal (Pb 4a, 6a, 11a) getrof-fen, „halte es für überflüssig“ ebenfalls (Pb 4a, 8a,11a). Begriffe, die scheinbar apodiktisch Gültigkeit ausdrücken („einfach“, „problemlos“, „perfekt“) tauchen mehrfach auf.

Sprachlich ganz anders drückt sich die zweite Gruppe aus: Hier dominieren Sätze in der Mög-lichkeitsform („könnte“, „sollte“, „wäre“), Adjektive vorsichtigen Vermutens („denkbar“,

„vorstellbar“, „anzunehmen“). Einschränkende Konjunktionen („vielleicht“, „,möglicherwei-se“, „vorausgesetzt“, „unter Umständen“, „nicht unbedingt“, „wenn“, „einerseits ... anderer-seits...“) und Vermutungen ausdrückende Füllwörter („eher“, „wohl“, „schon“) ziehen sich durchgehend durch diese Interviewbögen. Unzählige Male erscheint das Hilfsverb „kann“

(häufig betont, hervorgehoben durch gesperrte Schreibweise), Nomen werden durch vorsich-tige Einschränkungen der Allgemeingültigkeit beraubt („eine Art Resignation“, „sogenannte

Wirklichkeit“, „relative Souveränität“). Häufig wird gleich in Gegenfragen (Pb 1j, 3j, 4j, 14j, 5a, 7a, 12a, 16a) oder Selbstfragen wie „frage mich“ oder „stelle mir selbst die Frage“ (3j, 5j, 7j, 2a, 9a,17a) geantwortet. In fast allen Bögen dieser zweiten Gruppe werden Begriffe rela-tivierend in Anführungszeichen gesetzt („Kulturbezug“, „Lebenserfahrung“, „Werte“, „Ge-spür“, „Mode“, „negativ“, „kreativ“, „Rat“ – die Reihe ließe sich fortsetzen) – ein Satzzei-chen, das so, als relativierendes Zeichen in der ersten Gruppe nicht vorkommt. Immer wieder wird auch auf die Subjektivität der eigenen Aussage hingewiesen (Pb 13a: „Von meiner Per-son ausgehend ...“, Pb 12a: „Für mich selber ...“, Pb 14a, 2a: „... habe ich ganz persönlich ...“, Pb 13j: „m.E.“, Pb 5a: „...mir mein subjektives Urteil ganz ungeniert erlaube ...“, Pb 15a: „In meiner ganzen Subjektivität ...“, Pb 16a: „bei mir!“, Pb 17a: „Ich für mich ...“).

Die sprachliche Entschiedenheit in der ersten Gruppe transportiert und verdeutlicht in gleicher Weise wie die sprachlichen Relativierungen, Einschränkungen, Differenzierun-gen in der zweiten Gruppe nicht nur inhaltlich unterschiedliche DeutunDifferenzierun-gen, sondern vermittelt bereits auf der Ebene der sprachlichen Formulierung einen Zusammenhang mit unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen. Er lässt sich über die vier persönlich-keitsbezogenen Schilderungen im zweiten Teil des Interviews verfolgen:

Während die erste Gruppe auch biografisch schwerpunktmäßig logische, klare Struktu-ren aufweist, zielstrebig einen eigen- oder außengesetzten Plan verfolgt oder verfolgt hat, sind die Biografien der zweiten Gruppe von Offenheit, Variabilität, Widersprüchen, Umbrüchen und Krisen gekennzeichnet.

Die Frage nach einer erwarteten oder erfolgten Erfüllung des Lebensplanes wird in der ersten Gruppe zweimal mit einem definitiven „Ja“ beantwortet (Pb 1a, 6a), eine frühere Planfestle-gung bestätigt (Pb 8a: „Meine berufliche Entscheidung und Orientierung wurde schon in der Schulzeit getroffen“). Geradezu übererfüllt erscheint der Lebensplan zweier Personen (Pb 3a:

„Entwurf weit übertroffen“, Pb 10a: „Ausmaß nicht träumen lassen“). Zwar von Schwierig-keiten, jedoch erfolgreicher Erfüllung sprechen zwei Probanden (Pb 11a: „Es war ein langer und mühevoller Weg“, Pb 6a: „Nach Beseitigung immer wieder neuer Hindernisse“), vom

„Kampf“ um die Erfüllung spricht eine Person (Pb 4a). Auch ein Dreißigjähriger der Kon-trollgruppe ist sich der künftigen Planerfüllung sicher (Pb 11j) und bei einer Dreiundzwanzig-jährigen sind „die Eckpfeiler gesetzt“ (Pb 6j).

In der zweite Gruppe reagierten die Älteren zum Teil amüsiert auf die Frage, ob sich der eins-tige Lebensplan rückblickend erfüllt habe: „Da kann doch wohl keiner mit ‚ja‘ antworten“, so eine 62-Jährige (Pb 5a), „natürlich nicht!“ ein 60-Jähriger (Pb 19a). Der Großteil (Pb 2a, 5a, 7a, 9a, 13a, 14a, 16a, 17a) gab an, gar keinen Plan gehabt zu haben („Eigenartigerweise“, wundert sich ein 51-Jähriger (Pb 2a) selbst, „zum Glück“ (Pb 15a) und „zum Glück nicht!“

(Pb 18a) freuen sich zwei Ältere) oder versteht den Lebensplan als ein Dauerprojekt (z.B. Pb 12a). Die Bitte um eine Reflexion des Lebensplanes ließ die höchsten Rückschlüsse auf die Biografisierung dieser Gruppe der Älteren zu: Von der „Undurchschaubarkeit des Lebens“

und „Lebenschaos“ (Pb 7a) ist die Rede, von „radikalem Wandel“ (Pb 12a), von „gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen“, „gewaltigen Umbrüchen“, „Widersprüchen“ (Pb 9a),

„Tod“ (Pb 8a), „Krisen“ (Pb 16a), „Rückzug“ (Pb 17a) und von „völlig aus der verheißungs-vollen Laufbahn geraten“ (Pb 5a).

Auch bei den Jüngeren der zweiten Gruppe zeichnet sich eine negative Einstellung gegenüber Lebensplan, gar gegenüber Erfüllungshoffnung ab: Es wird eine Nicht-Erfüllung (Pb 5j, 2j), es werden mehrmalige Änderungen (Pb 7j) bereits vermutet, es werden Planfixierungen ganz abgelehnt (Pb 8j, 13j, 14j), höchstens eine Realisierung abgeänderter Pläne für möglich gehal-ten ((Pb 10j) oder die Veränderung gleich zum Planungsprinzip selbst gemacht (Pb 9j: „kein Alltagstrott“). Zwei der Jüngeren wäre die Vorstellung einer Planverfolgung oder -erfüllung

gar Schreckbild: „Das wäre arg schlimm, wenn ich jetzt schon wüsste, was ich in 20 Jahren mache“ (Pb 12j), „Ich weigere mich ... , mein Leben zu ver-planen“ (Pb 4j).

Der Verdacht einer hohen Korrelation von ungebrochenen, „linearen“ (Pb 6j) Biografien zu klar definierten Zielen und energischer Zielverfolgung auf der einen Seite, von Brüchen in der Biografie zu Unsicherheiten, Infragestellen von Zielvorstellungen und erhöhter Flexibilität in der Zielverfolgung scheint sich zu bestätigen.

Homolog zeichnet sich ein Zusammenhang zwischen Biografie und kulturellen Vorstel-lungen, Aktivitäten und Motivationen ab:

Die Personen der klar strukturierenden, planmäßig lebenszieldefinierenden und eindeutige Aussagen bevorzugenden Gruppe, im Folgenden weiter als Gruppe 1 bezeichnet, weisen eine deutliche Nähe zum „Hochkulturschema“ (Schulze) auf, einem kulturellen Zugang also, der sich eher den Künsten verpflichtet fühlt und einen hierarchisch strukturierten Bildungskanon als zuverlässige Orientierungsbasis vorweisen kann - und zwar sowohl die Älteren (Pb 1a, 3a, 4a, 6a, 8a, 10a, 11a) als auch die Jüngeren (Pb 2j, 6j, 11j) in dieser Gruppe. Dies betrifft zu-nächst das allgemeine Kulturverständnis, das sich der Hochkulturszene im Erleben, in Vor-stellungen und Wünschen verpflichtet fühlt. Es werden vor allem die traditionellen Künste als kulturelle Interessens- und Aktivitätsgebiete angeführt: „Klavierspielen“, „Musik“, „Jazz“, bei den Jüngeren, „Chor“, „Theaterabonnement“, „Musik hören“, „Konzerte“, „Geschichte“, „Ar-chitektur“, „Sprachen“, „Kunst“, „Ausstellungen“, „Lesungen“, „Ballett“, „Kultur- und Bil-dungsreisen“ bei den Älteren).

Zwar tauchen diese Bereiche durchaus auch in der Gruppe 2 der eher abwägend fragenden, mehrperspektivisch reflektierenden Personen auf (Pb 2a, 8a, .9a, 5a, 7a, 12a. 13a. 14a, 15a, 16a, 17a, 18a, 19a, 1j, 3j, 4j, 5j, 7j, 8j, 10j, 12j, 13j, 14j, im Folgenden weiter als Gruppe 2 bezeichnet), doch werden hier sehr viel weitere Bereiche des kulturellen Interesses zusätzlich und eher angesprochen. Bei den Älteren sind dies beispielsweise: „Hinwendung zu nahem und fernen Zeitgeschehen“, „Happenings und Actions“ (Pb 19a), „multikultureller Austausch“

(Pb 18a), „Fremdartigkeit und psychische Anstrengungen ausloten“ (Pb 7a), „berufspolitische und wissenschaftliche Arbeit“, „Stadtentwicklungsaufgaben“ (Pb 17a), „den Lauf der Zeit sowohl verkraften als auch beeinflussen“, „mit Computergrafik experimentieren“ (Pb 5a),

„Engagement für gemeinwohlorientierte Arbeit“, „Organisation kultureller Veranstaltungen“

(Pb 9a), „gesellschaftliche Prozesse mitgestalten“ (Pb 12a), die „kulturelle Vielfalt erfahren“

(Pb 14a), „Erleben und Neukennenlernen vielerlei kultureller Aspekte“ (Pb 13j), „Lust am kulturellen Abenteuer“ (Pb 16a). Bei den Jüngeren wird angeführt: „offen zu sein/ zu bleiben“

(Pb 10j, 9j, 4j), “(Literatur-, Kunst-, Medien-) Wissenschaften“ (Pb 3j), „Frauenfragen“ (Pb 1j), „Werte und Ziele anderer Länder mit denen meines Heimatlandes vergleichen“ (Pb 14j),

„kulturelle Angebote gestalten und erweitern“ (Pb 4j), „Kinofilm“, „Nachtlokale“ (Pb 5j),

„Kommunikation“ (Pb 7j, 5j,8j, 1j), „gutes Essen mit Freunden“ (Pb 8j), „Kulturpolitik“ (Pb 12j).

Diese sehr viel breiter gestreuten, weiteren kulturellen Präferenzen der Gruppe 2 entsprechen exakt dem von Schulze beschriebenem „Spannungsschema“. Durch die damit in dieser Grup-pe feststellbare Gleichzeitigkeit von Hochkulturschema und Spannungsschema läge der Schluss nahe, es könne sich bei Gruppe 2 schlicht um das sog. „Selbstverwirklichungsmilieu“

handeln (Schulze). Dem widerspricht jedoch die Altersstruktur (s.u.: Zusammenfassung).

Ebenfalls sehr eng verknüpft mit einer biografischen Grundstruktur sind Haltungen und Ein-stellungen in den kulturellen Feldern des Lernens und der Bildung. Sinn und Motivation wird hierzu in der Gruppe 1 vorwiegend zielorientiert und funktionell definiert (z.B. „Ausfeilen“,

„Beherrschen von Techniken“ (Pb 2j), „fachgebundenes Weiterarbeiten“ (Pb 6a), „fit bleiben“

(Pb 11a) und die Möglichkeiten zur Erreichung solcher gesetzten Ziele werden gesehen in

„konsequentem Glauben an die eigenen Überzeugungen“ (Pb 11j), „Leistungsbereitschaft“,

„Willen, das Ziel unbedingt zu erreichen“, „Strapazen in Kauf zu nehmen“, und der „Bereit-schaft, bis an die Leistungsgrenzen zu gehen“ (Pb 11a). Eine andere Sichtweise dominiert in der Gruppe 2. Hier werden Inhalte von Bildung und Lernen eher gesehen in „der Auseinan-dersetzung mit anderen Kulturen“ (Pb 10j), als „ein anderer Umgang mit Kultur“ (Pb 16a), als

„Utopien einordnen“ (Pb 1j), im „globalem Denken“ (9j), der „Erweiterung des kulturellen Horizontes“ (Pb 4j, 13j, 13a), „Weiterentwicklung“ (4j, 5j), „reden und diskutieren mit intel-ligenten, interessanten Leuten“ (Pb 17a), „input und feedback zu eigenem Schaffen zu be-kommen“ (Pb 5j, 12a), „mehr wissen“ (Pb 8j), „Auswahlmöglichkeiten erweitern“ (Pb 13j), darin, „eine Bandbreite weiter an die sog. Wirklichkeit zu kommen“ (Pb 5a). Diesen Zielen näher zukommen dient „Offenheit“ (10j, 9j, 5j), „Empathie“ (Pb 16a), „beobachten, verarbei-ten“ (Pb 9j), „Engagement“ (4j), „verändern, dagegenhalverarbei-ten“ (Pb 17a), „Kreativität“ (4j), und

„Flexibilität (1j, 4j, 12j), „Kontaktbereitschaft“ (Pb 17a), „Kontakt und Erfahrung mit nicht mehr lebenden Personen durch Bücherlesen“ (Pb 13j) und „Wissbegier“ (Pb 14j).

Bildhaft gesehen könnte die Haltung gegenüber Bildung und Lernen in der Gruppe 1 als vorwärtsgerichteter Pfeil, der sich linear auf ein bestimmtes Ziel hin bewegt, beschrie-ben werden, während in der Gruppe 2 sich eher ein Bild von mehrdimensional gerichte-ten Pfeilen anbietet: Nicht nur nach vorn, auch rückwärts, in die Tiefe und Höhe weisen die Richtungen, sie sind eher durch vielfältige Suchbewegungen als durch eine bestimm-te Zielorientierung zu beschreiben.

Zusammenfassung

Zusammenfassend soll festgehalten werden: Tendenziell entspricht die Neigung zu polyvalen-tem, reflexivem Urteilen und Argumentieren einer wechselhaften, zieloffenen, flexiblen Le-bensplanung und einem eher unruhigen, breitgefächerten, vielfältigen kulturellen Verständnis und Verhalten. Die Neigung zu eindeutigem und sicherem Urteilen und Aussagen entspricht eher klaren, linearen Zielvorstellungen in der Lebensplanung und einem konzen-

trierten, spezialisierten und konsequenten kulturellen Verständnis und Verhalten.

Zu schlicht und deshalb falsch wäre es jedoch, in diesen jeweiligen Tendenzen reine Typen und einen monokausalen Begründungs- oder Erklärungszusammenhang zu vermuten. Zu fra-gen wäre eher, ob beiden Faktoren eine gemeinsame Ursache zugrunde läge, die biografische Entwürfe und Haltungen in eben diese abhängige Konstellation bringen könnte. Dies jedoch weiter zu verfolgen, würde hier zu weit führen.

Festgehalten werden darf allerdings, dass die Art zu Reflektieren und zu Urteilen eher in engem Zusammenhang mit und in Abhängigkeit von gestalteter oder angestrebter Biografie stehen als dass sie eine Bedingung allein „des“ Alters darstellen. Da von der Bildungs- und Sozialstruktur hier alle Probanden vergleichbar sind, sich soziodemografisch also nur durch das Kriterium Alter unterscheiden, müssten die festzustellenden kulturell un-terschiedlichen Tendenzen (Hochkulturschema, Spannungsschema) den beiden unterschiedli-chen Altersgruppierungen zuzuordnen sein, d.h. in der Gruppe der Älteren müssten statistisch deutlich mehr Probanden dem Hochkulturschema zugeneigt sein, in der Gruppe der Jüngeren müssten es deutlich mehr Probanden sein, die dem Spannungsschema zuneigen. Dies ist je-doch nicht der Fall.

Die deutliche Altersgrenze, wie sie Schulze (1992: 279) noch zwischen Niveaumilieu (über 40 Jahre, gebildet und dem Hochkulturschema zugeneigt) und dem Selbstverwirklichungsmi-lieu (unter 40 Jahre, gebildet und dem Spannungs- sowie Hochkulturschema zugeneigt) in sei-ner nunmehr auch zehn Jahre alten Untersuchung feststellt, lässt sich weder hinsichtlich der Probanden der Untersuchungsgruppe noch hinsichtlich der Kontrollgruppe für die vorliegende Untersuchung aufrechterhalten.

Zwar finden sich in der Gruppe 1 verhältnismäßig wie absolut mehr Ältere denn jüngere Pro-banden der Kontrollgruppe und in der Gruppe 2 verhältnismäßig mehr jüngere der

Kontroll-gruppe denn Ältere der UntersuchungsKontroll-gruppe, doch ist dies eher auf die zunehmenden Mög-lichkeiten einer selbstgewählten Biografisierung der letzten Jahre zurückzuführen als auf das Lebensalter selbst:

Für die Personen der Altersgruppe der unter Vierzigjährigen bestanden und bestehen in der sogenannten Moderne und Postmoderne unvergleichlich höhere Chancen zu einer „Bastelbio-grafie“ mit einer unendlichen Breite von Optionsmöglichkeiten. Unter diesem Gesichtspunkt ist der relativ hohe Anteil Jüngerer in der Gruppe 2 folgerichtig als Zeichen moderner Biogra-fisierung und Individualisierung zu sehen. Gleichzeitig kann unter diesem Aspekt der zwar re-lativ geringere („nur“ 12 Ältere gegenüber 11 Jüngeren bei einer größeren Grundmenge von 19 Älteren gegenüber einer geringeren von 14 Jüngeren), doch absolut gemessen hohe Anteil (12 von insgesamt 19) Älterer in Gruppe 2 als ein Hinweis auf Flexibilität und Stärke des kul-turellen Denkens bei diesen Älteren gedeutet werden: Der Modernisierungsprozess als ein Prozess der „Individualisierung und Diversifizierung von Lebenslagen und Lebensstilen“

(Beck 1986: 122) hat reflektierende Ältere nicht nur ergriffen bzw. „erreicht“, sondern wurde ja von ihnen wesentlich mitgestaltet. Er ist also Element ihrer Biografie, obwohl sie nicht wie die Jüngeren damit selbstverständlich aufgewachsen und so im Umgang mit vielfältigen kul-turellen Optionsmöglichkeiten geprägt worden sind.

Es erfolgte die Lösung aus den verbindlichen traditionellen kulturellen Denk- und Verhaltens-mustern des nach Schulze hier zu vermutenden Niveaumilieus in dieser Gruppe der privile-gierten Älteren mit hoher Signifikanz: 12 von 19 Älteren entsprechen nicht mehr den konser-vativen bildungsbürgerlichen Kategorien, sondern weisen Zeichen eines individualisierten, pluralisierten kulturellen Lebensstiles auf.

Die tendenziellen Aussagemöglichkeiten spiegeln sich in den im Anhang (Abschnitt 14) dar-gestellten Tabellen zu Haltungen und Neigungen der Probanden, wie sie in den Stellungnah-men zu den einzelnen Items deutlich wurden. Sie lassen die erarbeiteten Differenzierungen und Schwerpunkte in den unterschiedlichen Vorstellungen der beiden Gruppen erkennen und weisen auf den dargestellten Zusammenhang mit der angestrebten oder gestalteten Biografie hin.

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