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5 Die Konstitution des Alters: Der lange Weg der alten Weisen über die soziale

8.4 Ergebnisse und Auswertung

8.4.2 Qualitative Analyse

8.4.2.3 Potentiale und Ressourcen

8.4.2.3.7 Fähigkeit zum Beraten

„Nicht zuletzt gehören kommunikative und empathische Fähigkeiten des Urteilens und Rat-gebens zur Lebenserfahrung. Man sollte wissen, wem, wann und wie man seine Erfahrungen weitergeben kann“(Staudinger & Dittmann–Kohli 1992:412).

Der Grundgedanke dieses Zitates, dass die Fähigkeit des Ratgebens zur Lebenserfahrung ge-höre, war deutlich weniger Anlass zur Reflexion der Teilnehmer, als der zweite Teil, in dem die Altersforscherinnen Staudinger und Dittmann–Kohli auf das bedingende Strategiewissen des „Wenn, wann und wie“ hinweisen. Die drängende Frage bei den Älteren war dabei jedoch weniger die angesprochene Zielrichtung, sondern eher die des „ob überhaupt“, bei den Jünge-ren zusätzlich des „was und in welchem Bereich“.

Wie in allen anderen Items zu Altersfähigkeiten zeigte sich auch in diesem zunächst deutlich, dass die Entwicklung einer solchen Kompetenz im Alter kaum bezweifelt wird. Allein einer der Älteren bestreitet zunächst das Vorhandensein einer überlegenen Fähigkeit bei den Alten:

„Mit der Lebenserfahrung der Väter können die Kinder nichts mehr anfangen. Sie werden mit Techniken konfrontiert, mit denen Ältere kaum Schritt halten können. Hier ist es gerade um-gekehrt: Die Alten müssen von den Jungen lernen ...“ Anschließend jedoch fährt er einschrän-kend und sich selbst widerlegend fort: „In meinem Beruf als Redakteur ist Erfahrung sicher nützlich und hilft, Situationen besser zu beurteilen und zu bewältigen“ (Pb 11a). Höchst ge-gensätzlicher Meinung allerdings äußert sich die Gruppe der Älteren gegenüber der Kontroll-gruppe der Jungen hinsichtlich der Nutzbarkeit einer solchen, durchgehend als vorhanden

anerkannten Fähigkeit – und hier zeichnet sich ein höchst überraschendes, unerwartetes Bild ab:

In der gesamten Kontrollgruppe der Jüngeren ist es nur ein Proband, der am „Sinn“ einer Be-ratung durch Ältere zweifelt. Für eine Notwendigkeit hingegen plädieren alle anderen, fünf sogar sehr eindringlich und ausdrücklich. In Zahlen: 93% aller Jungen in dieser Untersuchung sehen eine Notwendigkeit von alterskompetenter Beratung.

Dagegen vermuten einen Beratungsbedarf Jüngerer nur fünf von den alten Probanden, für fünf bestehen höchste Zweifel, acht Ältere lehnen den „Sinn“ einer Beratertätigkeit eindeutig, ja zum Teil heftig, ab. In Zahlen: Nur 26% aller Älteren halten die Realisierung einer – als vor-handen bejahten – Beraterkompetenz für notwendig im Sinne einer Bedarfsbefriedigung.

Dieses, rein quantitative Ergebnis widerspricht allen vorwissenschaftlichen Überzeugungen:

Nicht die Älteren sind es, die den Jungen ihre Kompetenz beweisen wollen, es sind die Jun-gen, die einen Beratungsbedarf äußern, dessen Erfordernis die Alten bezweifeln.

Obwohl in Abschnitt 4.1 der sog. Kohortenaspekt zunächst als zu vernachlässigend ausge-schlossen wurde, scheint sich jetzt dieser, entsprechend der bereits in 4.1 angedeuteten Relati-vierung, nun doch als aufschlussreich zu zeigen, es kann durch ihn eine Erklärung für das zunächst unverständlich erscheinende Ergebnis gegeben werden:

„Warum spricht man über alle möglichen Probleme mit der Mama oder sogar mit der Oma am effektivsten?“ (3j) schreibt eine 25-jährige Studentin und gibt mit dem kleinen Einschub „so-gar“ den entscheidenden Hinweis: Dass von den sehr alten Bezugspersonen eine effektive Be-ratung ausgeht, ist nicht selbstverständlich, eher erstaunlich („sogar mit der Oma“). Nicht Gründe mangelnder Nähe sind dabei ausschlaggebend (dies kann gerade in diesem Fall aus-geschlossen werden), sondern tatsächlich Gründe einer unzureichenden Kompetenz: Sehr

„alte Alte“ haben nicht in gleichem Maße Beraterfähigkeiten, werden in Beratungstätigkeiten entsprechend eher abgelehnt als „junge Alte“. Bestätigende Hinweise zu dieser Annahme sind bei älteren Befragten zu finden: „Von den Besserwissereltern/ Älteren haben wir doch die Na-se voll“ (Pb 16a), schreibt ein 50-Jähriger und meint damit Na-seine Vorgänger-Generation. „Alle möglichen Trottel geben mir Ratschläge“ (15a) tadelt ein 51-Jähriger die Beratung durch Äl-tere.

Es haben die jüngeren Probanden der Kontrollgruppe eine Eltern/Älteren- Erfahrung von be-reits „modernen“, hoch individualisierten, differenziert denkenden und urteilenden Personen gemacht; sie können sich deshalb eine Beratung durch sie auch vorstellen und sogar wün-schen, da sie den eigenen Denk- und Deutungsstrukturen nicht fremd sind. Hingegen hat ihre Elterngeneration (also die meisten der hier befragten Alten) eine andere Altenerfahrung ge-macht, nämlich eine solche, die Eierdanz (1997: 219) folgendermaßen beschreibt: „Durch den umfassenden Zugriff des Faschismus auf Kinder und Jugendliche und weitgehend normierte Erziehungsstile im Elternhaus und ebensolche Lebensentwürfe nach 1945, ist die Generation der heute 60 – 75-Jährigen hinsichtlich ihrer Denk- und Verhaltensweisen relativ homogen“.

In dieser „Homogenität“ kann diese Generation nicht mehr den notwendigen Ansprüchen in-dividualisierter, enttraditionalisierter Lebensgestaltung und Lebensentwürfe der reflexiven Moderne entsprechen. Die Furcht der „neuen Alten“ (das ist eben die Elterngeneration der hier befragten jungen Kontrollgruppe), Jüngere zu beraten, resultiert aus deren eigener negati-ver Altenerfahrung – deshalb die Sorge, „Altersweisheiten zu quaken“ (Pb 5a), die Angst als

„Besserwisser“ (Pb 19a) eingeschätzt zu werden. Nicht bedenkend, dass die eigenen Denk- und Verhaltensstrukturen sich durch die gesellschaftlichen Umbrüche (Modernisierung) an-ders entwickelt haben als die der faschistisch geprägten Kohorten, befürchtet man nun, ebenso in den Ruch überholter Denk- und Deutungsmuster zu geraten.

Nunner-Winkler sieht in den 68er Jahren den entscheidenden Schnitt, der die Kohorten in zwei grundsätzlich sich in Haltungen, Überzeugungen und Lebensstil unterscheidende Grup-pen teilt: in die der in NS-Zeiten geprägten und in die der in den 68er-Jahren und danach ge-prägten. In diesen Jahren vollzog sich „ein radikaler Wertewandel in der BRD... es vollzog sich ein deutlicher Liberalisierungsschub ... postmaterielle Werte und Ansprüche stiegen; in-dividuelle Interessen gewannen vor kollektiven Vorrang ... In dieser Zeit tat sich die Kluft zwischen den Generationen auf“ (Nunner-Winkler 2000: 307). In ihrer Untersuchung zur Gleichheits-/Differenzdebatte stellt sie eine höhere Übereinstimmung der Positionen der mitt-leren und jüngsten Kohorten (sozialisationsgeprägt in den 68er Jahren und danach), hingegen eine hohe Diskrepanz dieser Positionen zu den Aussagen der ältesten Kohorte (sozialisations-geprägt in NS-Zeiten). Hinsichtlich Einstellungen und Haltungen zeigt sich dieser duale Ko-hortenaspekt gewichtiger als alle anderen (z.B. Genderaspekt).

Mit diesem Kohortenaspekt ist eng verbunden der Aspekt der Bildung:

Die Generation der in NS-Zeiten sozialisierten Eltern der hier befragten „neuen Alten“ hatten, zeit- und gesellschaftsbedingt, nicht die gleichen Bildungsvoraussetzungen, sie hatten zur Ausbildung von Reflexions- und Urteilsvermögen weniger Gelegenheit und weniger Mög-lichkeit als die heutigen Älteren. Sehr deutlich werden diese Zusammenhänge in den Worten einer 64-Jährigen, die durch die Pflege einer 86-Jährigen Mutter, nach ihren Worten „direkt von der Brut- zur Altenpflege gekommen“ war: „Meiner Ansicht nach nimmt die in der Ado-leszenz ... sicher geringe Fähigkeit zur Selbstkritik, die im Erwachsenenalter doch bei vielen Exemplaren des homo sapiens erfreulich und konziliant gestaltet werden kann, mit zuneh-mendem Alter rapide ab... Ich versuche, mich selber darauf hin zu kontrollieren, stelle dabei fest, dass ich immer überzeugter weiß, dass ich nichts weiß“ (Pb 5a).

Die geringere Fähigkeit zur Selbstkritik, die die Probandin an den sehr Alten, besonders an ih-rer Mutter, wahrnimmt, wird hier als abhängig vom Lebensalter vermutet – wäre demnach al-tersbedingt. Bereits die Eigeneinschätzung der Probandin („weiß dass ich nichts weiß“) wi-derlegt dies: Auch mit 64 Jahren hätte ihre Mutter sich so wahrscheinlich nicht beurteilt. Es ist die Generationszugehörigkeit in Verbindung mit den Bildungsvoraussetzungen, nicht aber das Lebensalter, die die Voraussetzungen schafft für die Entwicklung von beratungsnotwen-digen Eigenschaften wie Selbstkritik, Reflexionsfähigkeit und Differenzierungsvermögen. Sie sind es, die die „kommunikative und empathische Fähigkeiten“ (Eingangszitat) beeinflussen.

Die von den befragten Alten erfahrene unreflektierte „Besserwisserei“ kennen die befragten Jüngeren eher vom Hörensagen als von der Konfrontation: „Es soll ja alte Menschen geben, die mit ihrer ‚Besserwisserei getarnt als Lebenserfahrung‘ nerven, und diese immer wieder zum falschen Zeitpunkt äußern – ich habe wohl sehr viel Glück gehabt, denn die ‚Alten‘ in meinem Umfeld gehen meiner Meinung nach recht weise mit dem ‚Alterswissen‘ ...um“ (Pb 3j).

Es steht also die Nachfrage nach Beratung bei den Jüngeren in deutlichem Gegensatz zur Be-ratungsbereitschaft und -willigkeit der Älteren. Der oben zitierte Aspekt eines Älteren, dass die Alten den Jungen nichts zu raten hätten, weil die Jungen an technischem Wissen überle-gen seien, ist den Junüberle-gen bekannt – sie erwarten auch keine technische oder berufliche Bera-tung, sondern eher eine Beratung auf dem Gebiet individueller, persönlicher und zwischen-menschlicher Lebensdeutung und -systematisierung. „Ältere“, so schreibt ein 21-Jähriger,

„kennen die Lebensbedingungen, Werte und Schwierigkeiten der Jungen oftmals nicht ... den-noch sind sie sicherlich in Bezug auf das Erkennen von Charakteren und Eigenheiten von Menschen geschult und ... kompetent“ (Pb 8j). Es scheint genau dies das Gebiet zu sein, auf dem die Jüngeren sich unsicher fühlen: Der Bereich der „Ungewissheiten und Unsicherheiten des Lebens“ (P.B. Baltes), mit denen umzugehen eben die Erfahrung fehlt. „Durch die Me-dien und die geballte Aufnahme von Erlebtem von anderen Menschen können und müssen wir

uns früher Lebensfragen stellen“ (Pb 4j), schildert eine junge Frau die verwirrenden Eindrü-cke ihrer Lebenssituation und hofft wie eine andere auf Unterstützung bei der eigenen Ant-wortsuche: „Klar ist die Freundin auch ein wichtiger Gesprächspartner, aber ihr fehlt manch-mal, nennen wir es das ‚Gespür‘, besser die Erfahrung für eine Situation, in der die ‚Alten‘

durch ‚umfassenden Weit- und Rückblick‘ weiterhelfen könnten“ (Pb 3j).

Die Beratung wird nicht etwa - wie eine professionelle Beratung z.B. im medizinischen oder finanziellen Bereich - passiv als Handlungsanweisung angenommen, die dann umzusetzen ist. Im Beratungsakt sehen die Jüngeren sich durchaus als aktiver Partner, die die gebotene Erfahrung als zusätzliche neue Perspektive in ihre eigene persönliche Urteilsbildung und Ent-scheidungssuche einbeziehen: „Der Erfahrungsschatz der älteren Menschen ist ... sehr wich-tig, man versucht, herauszufinden, bzw. zu erfragen, ob sie sich selber bereits in einer ver-gleichbaren Situation befunden haben und wie sie sich dann verhalten haben. Dies benutze ich dann als Entscheidungshilfe, um evt. neue Sichtweisen der Situation zu erhalten bzw. weitere Möglichkeiten in Betracht ziehen zu können“ schreibt Pb 14j, und ein anderer berichtet: Oft

„suche ich Rat/ Hilfe bei älteren Menschen – häufig meinen Eltern – die ich einfach in man-chen Situationen für kompetent halte, um meine eigenen Überlegungen noch einmal zu berei-chern und zu überdenken“. Der hier noch bescheiden umschriebene Akt des „Bereiberei-cherns und Überdenkens“ wird bei dem Probanden 13j verdeutlicht, zugespitzt und durch die Betonung der Eigentätigkeit (eigenes Beurteilen und Selektieren) vertieft: „Ich bin sicher, dass ein jeder von der Erfahrung älterer Menschen profitieren kann. Dazu gehört natürlich die eigene Beur-teilungs- und Selektionsfähigkeit ..., um konstruktiv mit der Erfahrung und den daraus für sich selber gezogenen Schlüssen umzugehen“, schließt der junge Mann seine Überlegungen und gibt selbst den Rat, niemals „Lebenserfahrung als ultimativ anzusehen, sondern ... kritisch zu hinterfragen“. Beider Aussagen vermitteln deutlich, dass die Ratsuchenden sich ganz bewusst als Subjekt der Ratsuche und der Ratverarbeitung begreifen und betätigen.

Die Notwendigkeit eines solchen Eigenaktes in einem Beratungsvorgang verdeutlicht auch ei-ne Studentin: „Wenn ältere Menschen eiei-nen ‚Rat‘ geben, so lässt er doch genügend Platz für die eigene Interpretation. Gottseidank, oder ist das nur eine Masche, damit die Jungen nach-denken ...?... Dies sind so was wie Parallelen, man hat den Eindruck, nicht gleich zu verste-hen, in der Bibel nannte man das Gleichnisse, glaub ich. Na ja, die sind auch irgendwie zu lö-sen ...“ (Pb 5j).Tatsächlich wird hier ‚Rat‘ im eigentlichen Sinne definiert: Er kann nicht ein–

deutig sein, entspräche er doch dann nur einer Handlungsanweisung, einer Vorschrift, einer Maßregel. Der ‚Rat‘ ist offen, d.h. er benötigt zur Verwirklichung, zur „Anwendung“, den ak-tiven Reflektionsakt des ‚Be-ratenen‘, bietet allein ein Angebot, perspekak-tivenreicher und zu-gleich vernetzter zu sehen: „Ist es nicht auch ein einfacher Weg, die Erfahrung anderer, älterer Menschen zu nutzen...? Zusammenhänge werden schneller erkannt ... und damit in Betracht gezogen“(Pb 14j).

Die Erwartungen an eine Beraterkompetenz sind hoch, sie gelten nicht nur dem Akt oder den Umständen der Beratung. An die Kompetenz selbst werden hohe Maßstäbe angelegt, sie wird nicht als etwas selbstverständlich sich Entwickelndes, sondern nur als Prozess einer reflektier-ten Verarbeitung verstanden: „Wenn man das Erlebte analysiert und sammelt, kommt man be-stimmt schneller an einen Punkt, bei dem man nicht mehr so oft in Fettnäpfchen tritt und Er-fahrungen im richtigen Moment, am richtigen Ort und der richtigen Person weitergibt“ (Pb 7j), schreibt ein junger Teilnehmer, bei dem solcherlei unglückliche Fettnäpfchen-Erfahrun-gen durchzuklinFettnäpfchen-Erfahrun-gen scheinen. Und sehr deutlich äußert sich in seinen ErwartunFettnäpfchen-Erfahrun-gen ein Stu-dent: „Je größer der eigene Erfahrungsschatz – bedingt sowohl durch das eigene Umfeld als auch durch die Bereitschaft, über das eigene Umfeld hinausgehende Erfahrungen mit einzu-beziehen und aufzunehmen – umso besser die Handhabung und Beurteilungsfähigkeit von Si-tuationen, mit denen man selber oder nahestehende Personen konfrontiert werden“ (Pb 13j).

Diesen hohen Erwartungen, aber auch großen Hoffnungen an die Beraterkompetenz der Älte-ren steht ein fast geschlossener Block ablehnender und zweifelnder Stellungnahmen der

älte-ren Interviewten gegenüber: Allein fünf Probanden sind gewillt, die von allen bejahte Bera-tungskompetenz auszuüben (Pb 1a: „Ja!“, Pb 12a: „Situationen, die es erfordern, mich als äl-teren Menschen einzubringen, ... dazu bin ich bereit“, Pb 10a: „Also, was können wir tun?

Ziele zeigen, Richtungen weisen ...“, Pb 3a: „Erfahrungen weitergeben – im praktischen Le-ben ja“, Pb 6a: „... es auch dann versuchen, wenn man es selbst für angemessen hält“). Dage-gen lehnen acht Personen eine Beratungsfunktion ab, zum Teil geradezu heftig: „Im privaten Bereich werde ich mich hüten, andere zu belehren ... keinen Sinn macht (es), Ratschläge zu geben, oder sogar die eigene Lebenserfahrung anderen als Maßstab vorzusetzen“ (Pb 11a).

Mit dem Begriff des „Maßstabs“ weist dieser Ältere deutlich auf sein – so in seiner Jugend erfahrenes – Verständnis von doktrinärer, belehrender Beratung hin und muss den Beratungs-akt – so verstanden – dann auch als autoritär ablehnen. Ebenso tun dies weitere Ältere: „Ich habe kein Bedürfnis, meine sogenannten Erfahrungen anderen aufzubinden“ (5a), „Als Bes-serwisser kommt man gerade im Alter nicht weit“ (Pb 19a). Ganz deutlich wird ein 56-Jähriger: „Eigentlich habe ich gar keine Lust mehr, meine Sicht der Dinge, meinen ‚Senf‘

zum einen oder anderen zu geben, auch wenn ich zu erkennen meine, ich hätte was beizutra-gen. Es ist mir ehrlich zu anstrengend“ (Pb 17a). Dass jüngere Menschen jedoch Beratung definitiv ablehnten, wird nur zweimal vermutet bzw. behauptet – so mahnt ein 76-Jähriger sich und andere Alte: „Vorsicht vor Empfehlungen an die Jungen. Sie wollen und müssen ihren Weg selber finden“, ein anderer älterer Proband postuliert: „Junge Menschen lehnen Ratschläge von Lebenserfahreneren oftmals ab. Sie müssen ihr Urteilsvermögen... aus ande-ren Quellen lernen“ (Pb 7a). Solcherlei Ablehnung wird von fünf höchst zweifelnden Älteande-ren nicht so deutlich ausgedrückt, wohl aber ein vermutetes Desinteresse bei den Jüngeren: „Un-gefragt Rat zu geben, empfinde ich eh mehr als Einmischung, und wer fragt denn schon nach einem Rat?“ formuliert gleich als Frage Pb 17a und 7a schließt gleichfalls mit einer Gegen-frage an: „Kennen Sie Leute, die an Ihren Lebenserfahrungen interessiert sind?“. Die ganze Reaktion eines 50-Jährigen auf die Herausforderung des Fragebogenzitates („wem, wann und wie“) lautet: „Ja, das wär schön, wenn man das wüsste“. Und eine 56-Jährige beschließt den Reigen gleich prinzipiell: „Nicht wem, wann und wie ist wichtig, sondern Wissen weiterge-ben, wenn man gefragt wird“ (Pb 18a).

Zusammenfassung

Dass eine Beratungskompetenz mit zunehmendem Alter sich bei reflektierenden Perso-nen entwickelt, war für die jüngeren wie älteren Teilnehmer keine Frage, von den 33 Be-fragten wurde dies nur von einem einzigen verneint.

Fragen nach dem Sinn (ob Alterswissen überhaupt vermittelt werden solle) und Fragen nach dem Inhalt (was vermittelt werden solle) waren die zentralen Aspekte der Stellungnahmen.

Der inhaltlichen Frage näherte man sich tendenziell in der Gruppe der Älteren durch Aus-schluss (nicht rasch veraltendes Informationswissen, in dem Jüngere vermutlich bereits besser und schneller auf dem Laufenden sind, solle vermittelt werden), in der Gruppe der Jüngeren durch konkrete Bedarfsäußerungen: Verdeutlichung und Klärung von Zusammenhängen und Vernetzungen im sozialen-gesellschaftlichen, Lebenshilfe im zwischenmenschlichen Bereich, Vermittlung von Komplexität und Vielschichtigkeit bei Entscheidungen und Handlungen, zugleich auch Vermittlung von Deutungs- und Wertungskompetenzen bei unübersichtlicher Aspektenvielfalt im individuell-kognitiven Bereich.

Damit haben die Jüngeren bereits auch ihren Anteil zur Beantwortung der Frage geleistet, ob überhaupt die Beratungskompetenz von Älteren benötigt wird – und die Notwendigkeit er-klärt.

Dass dieser Bedarf nicht unbedingt auf das nötige Angebot stößt, wird in den Aussagen der Älteren quantitativ wie qualitativ deutlich: Nur fünf von 19 äußern sich überhaupt beratungs-bereit. Alle anderen zögern, leugnen eine Nachfrage oder wimmeln schlicht ab („keine Lust“,

„sollen ihre Erfahrungen selber machen“ etc.).

Aus diesen widersprüchlichen Stellungnahmen von Jüngeren und Älteren zur Beratungskom-petenz im Alter muss eine Diskussion von Aspekten gesellschaftlicher Verantwortung folgen:

Kann eine gesellschaftliche Gruppe (noch dazu in zahlenmäßiger Überlegenheit, in na-her Zukunft mit deutlicna-her Mehrheit, vgl. Abschnitt 6.1.1) einer anderen eine für die gesellschaftliche und individuelle Zukunftsbewältigung wesentliche Ressource vorent-halten? Darf eine gesellschaftsbedeutende Kompetenz allein oder überhaupt unter dem Gesichtspunkt der (vermuteten oder tatsächlichen) „Nachfrage“ definiert werden? Die-sen Fragen, nicht nur von politischer, sondern auch und vor allem von kultureller Be-deutung, ist zentraler Aspekt der folgenden Abschnitte. Die deutliche Meinung von zwei junger Probanden geben hierzu bereits klare Hinweise: Nicht in der Nachfrage beweist sich die Kompetenz des Beratungswissens, sondern im „Willen, Wissen weiterzugeben“ (Pb 1j). Als eine gesellschaftliche Pflicht sieht ein 27-Jähriger die Realisierung und Umsetzung von Beratungskompetenz, eine Pflicht, der „man sich als privilegierte Gruppe nicht ent-ziehen kann“ (Pb 13j).

8.4.3 Schlussfolgerungen und Aufriss: Alterspotentiale und ihre mögliche

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