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9 Bestimmung der kulturellen Relevanz von Alterspotentialen

11.3 Entwicklung und Verwirklichung spezifischer kultureller Altersrollen

11.3.1 Spezifische kulturelle Altersrollen im aktiv-produktiven Bereich

11.3.1.3 Der kulturelle Förderer und Unterstützer: Treiben und Zügeln

Vermutlich neben der Rolle des Künstlers die älteste kulturelle Rolle in der Geschichte – der Mäzen: Förderer und Unterstützer der Künstler und der Künste, der Kulturschaffenden und der Kultur. Benannt wurde diese Rolle des kulturellen Förderers nach dem reichen Römer Gaius Maecenas (70 – 8 v.Chr.), der unter anderen den Schriftstellern Horaz, Properz und Virgil ein sorgenfreies Dasein ermöglichte, indem er sie finanziell unterhielt. Von ihm leitet sich das Verständnis des Mäzenatentums als eine uneigennützige kulturelle Förderung ab. Ob und wie weit diese historische Rolle auf der Grundlage altersspezifischer kultureller Kompe-tenzen neu und sinnvoll zu beleben ist, soll untersucht werden.

Zunächst scheint diese Rolle weniger an Potentiale des Alters gebunden als vielmehr an ein entsprechendes finanzielles Kapital – doch auch in dieser Hinsicht bieten die „neuen Alten“

(vgl. Abschnitt 6.1.3) oft nicht die schlechtesten Voraussetzungen für eine solche kulturför-dernde Rolle – zumal die sonstigen familienunterhaltenden Verpflichtungen aus jüngeren Jah-ren nicht mehr oder nicht mehr in dem Maße bestehen. Für Stephan (1994) bietet dieses fi-nanzielle Alterskapital ein Argument, endlich mit der Mär der zu tragenden Alterslast durch die Jüngeren Schluss zu machen, denn es sind „nicht die Alten, die von den Jüngeren durch-gefüttert werden müssen, sondern umgekehrt. Ihnen stehen zum Geldausgeben (nicht nur für die Kinder und Enkel) die immensen Vermögen zur Verfügung, die sie in den Jahren des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswachstums aufgehäuft haben: 650 Milliarden DM Geld-vermögen, 725 Milliarden belastungsfreie GrundGeld-vermögen, 350 Milliarden DM aus fälligen Lebensversicherungen – das macht ein Volumen von insgesamt 1,7 Billionen DM“ (Stephan 1994: 132).

Obwohl nicht allein finanzielle Mittel bereitwillig und großzügig an die Nachfolgegeneration vermittelt werden (so schreibt der 86-jährige Pb 8a von „Zuwendung, Bereitstellung von Zeit und Mitteln, bei Bedarf auch Rat für Kinder und Enkelkinder“), lässt sich doch ein Generatio-nenfluss im finanziellen Bereich gesamtgesellschaftlich am deutlichsten nachweisen (vgl.

Kohli, Mayer, Rosenmayr).

Rosenmayr leitet aus diesen Befunden zunächst eine hohe familiäre Tragbereitschaft ab, warnt jedoch, die familiäre Empathie zugleich auch als eine gesellschaftlich abgesicherte an-zunehmen. Aus der Erfahrung kulturellen Unverständnisses der Generationen als Folge des Nationalsozialismus (nach Halbwachs „Das kollektive Gedächtnis“) stellt Rosenmayr fest:

„Das soziale Gedächtnis realisierte sich zunehmend außerhalb der Familie, was die kulturelle und politische Differenz zwischen den Generationen ... verstärkte“ (a.a.O. S. 21). Rosenmayr fordert, nicht nur eine familiäre sondern vermehrt eine sozialpolitisch notwendige außerfami-liäre, gesellschaftliche Güterverteilung (als Sach- und Dienstleistungen) außerhalb der Fami-lien vorzunehmen: „Die Alten werden sich an der gesellschaftlichen Wertschöpfung durch Hilfe (für die Jüngeren) ... beteiligen müssen. Für die Alten wird es dabei notwendig, ... an-teilnehmende Rollen auch außerhalb der Familie“ zu erkennen und zu erfüllen.

Doch unterscheidet sich die familiale finanzielle Förderung und Unterstützungsbereitschaft der Älteren außer in der Familiengebundenheit von dem eingangs zitierten gesellschaftlich

orientierten Mäzenatentum noch in zwei weiteren Punkten: Sie ist nicht kulturell definiert, wäre also, wenn überhaupt, eher eine karitative denn eine kulturelle Altersrolle, und sie zeichnet sich nicht unbedingt durch die per Definition für ein Mäzenatentum erforderliche Selbstlosigkeit aus:

„Das familiale Hilfe- und Transfergeschehen wird sowohl durch Gedanken der Liebe, der So-lidarität, aber auch des Tauschs, unterschiedlichen Vorstellungen der Reziprozität (direkt, ver-zögert, generalisiert, intergenerationell) und Aspekte der Anerkennung, Bindung und Macht beeinflusst“ (BMFSFuJ 2001: 224). Noch deutlicher äußert sich die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zu diesem Bericht über familiäre Unterstützung: „Sie sind in den seltensten Fällen einseitig gestaltet, sondern lassen eine gewisse ... Reziprozität zwischen den Leistun-gen der Generationen ... erkennen. So leistet die ältere sehr häufig materielle Unterstützung ...

, während die jüngere ... instrumentelle Hilfe und emotionalen Zuspruch gibt“ (BMFSFuJ 2001: 38). Entsprechend laufen denn auch die Angebote dieser finanziellen Unterstützungspo-tentiale der Älteren offen ausgesprochen als „Austauschprozesse“ bei Tews (1996) und Kohli/

Künemund (2000). Unter dieser Voraussetzung der „Gegenseitigkeit“, der „Reziprozität“, der

„Austauschprozesse“ entsprechen sie nicht den „mäzenatischen Tugenden“, wie sie einer För-derung nach der sog. „reinen“ Mäzenaten-Definition erfordert: „Mäzenatentum – System ei-ner altruistischen Förderung vornehmlich kultureller und sozialer Aufgaben. Idealtypisch ist das Mäzenatentum zu unterscheiden vom Sponsoring, weil es nicht auf eine Gegenleistung, sondern auf eine selbstlose Förderung gemeinnütziger Zwecke ausgerichtet ist“ (Heinrichs/

Klein 1996: 209). Im Unterschied zum Mäzenatentum als gemeinnützige (uneigennützige) kulturelle Förderung entspricht nach diese Differenzierung der familiale Finanztransfer mit seinem erwarteten Interesse an einer Gegenleistung eher einem Sponsoring. Stehen üblicher-weise unternehmerische Interessen hinter Sponsortätigkeiten (z.B. Imagepflege, Standortvor-teil, Kundenpflege, Mitarbeitermotivation), so sind es im familialen Bereich persönliche Inte-ressen an einem offenen oder nicht ausgesprochenen ideellen oder materiellen Gegenwert.

Und doch:

„Ob die Motive des Maecenas vor gut 2000 Jahren wirklich so uneigennützig waren, läßt sich heute nicht mehr beantworten“ (Zimmermann/Vermeulen 1993:2). Ebenso wenig wie die Fra-ge, ob ein Mäzenatentum heute denn tatsächlich immer auch als restlos altruistisch zu be-zeichnen ist oder nicht doch das anscheinend selbstlose Handeln von persönlichen Interessen bereits motiviert ist oder sein kann. Ebenso wenig wie die Frage auch, ob Sponsoring nicht auch durch inhaltliches Interesse geleitet sein kann und wenigstens gelegentlich auf Gegen-leistung verzichtet. So sind in der Literatur bereits verbale Kombinationsformen wie „mäze-natisches Sponsoring“ (Meincke) anzutreffen um Grenzbereiche zu verdeutlichen. Auf die ab-grenzende Diskussion sei an dieser Stelle auch nur deshalb eingegangen, weil sie im weiteren Verlauf einen kulturpolitisch interessanten Stellenwert für die altersspezifische kulturelle Rol-le des Förderers spieRol-len wird. Festgehalten werden soll, dass es sich bei der familiaRol-len Unter-stützerrolle nicht um eine Mäzenatenrolle handelt. Doch sind durch sie vorhandene Unterstüt-zungspotentiale bei Älteren nachweislich: Es sind finanziellen Mitteln vorhanden und auch die Bereitschaft, diese nicht für sich zu behalten, sondern für Andere und Anderes einzuset-zen.

Warum nun gerade Altersqualitäten im Sinne erworbener Weisheitsqualitäten für die kulturel-le Mäzenatenrolkulturel-le förderlich sein könnten – dazu findet man Hinweise in den Worten des Künstlers und Unternehmensberaters Weidemann: „Der Herr Mäzenas (ein einflußreicher Römer, kurz vor der Zeitrechnung) verfügte ... über drei hervorstechende Merkmale, von de-nen man heute meist nur zwei beieinander findet: Er war sehr reich, hochgebildet und verfüg-te über viel Zeit. Heuverfüg-te trifft man immer nur zwei von diesen Eigenschafverfüg-ten, also gelegentlich Reiche, die gebildet sind, aber nicht über Zeit verfügen, oder Gebildete, die über Zeit verfü-gen, aber kein Geld haben, oder Reiche, die viel Zeit haben, aber Mangelerscheinungen in der

Bildung..., die heute ... in einer Art Mischkalkulation risikolose Entscheidungen treffen. Je-derzeit wird ein ausgebleichtes Fertiges lieber genommen, als der Versuch gemacht, das Miß-lingen zu wagen“ (Weidemann 1993: 16).

Neben der bereits breit ausgeführten Notwendigkeit guter finanzieller Voraussetzungen wer-den hier als neue und als wesentliche Qualitäten der Mäzenatenrolle Bildung und Zeit aufge-führt. Sie sind gleichermaßen notwendig, um das Förderziel zu erreichen, das bei Weidemann mit der Wendung „das Misslingen zu wagen“ beschrieben wird. Es wird zunächst auf das Ziel der kulturellen Förderrolle eingegangen, zu dessen kompetenter Umsetzung sich die Voraus-setzungen des Rollenträgers zwangsläufig ergeben.

Ziel der kulturellen Förderung, das wird in den Worten Weidemanns sehr deutlich, darf nicht nur oder sogar keinesfalls die „risikolose“, die anerkannte und akzeptierte Kunst sein, die sich

„ausgebleicht“ als bereits seit langem bekannt, zugänglich und gutgeheißen darstellt, als ein Endprodukt von bereits Gedachtem und „Fertigem“. Die „risikolose Entscheidung“ wäre eine Entscheidung für eine Kunst, in der riskante Möglichkeiten nicht (mehr) enthalten sind. In ihr sind geringe Chancen zu neuen Perspektiven gegeben, mit ihr können kaum Ansätze zu alter-nativen Denkmöglichkeiten oder Lösungsangeboten gegeben werden. Die Entscheidung für eine solche Kunst mag konsensträchtig, konfliktfrei und damit risikolos sich darstellen – ein kulturelles Ziel im Sinne einer Blickpunktvermehrung kann es nicht sein. Eine risikolose Ent-scheidung zu treffen hieße für die mäzenatische, potentiell kulturfördernde Rolle: einen Bei-trag zu leisten nicht zu einer kulturellen Förderung sondern eher kontraproduktiv zu einem Akt der Affirmation und der Diskurshemmung. Wo das „Mißlingen zu wagen“ entfällt, was zwangsläufig zum Noch-Nicht-Erprobten gehört, entfallen auch die Möglichkeiten der kon-fliktträchtigen Auseinandersetzung, ohne die der diskursive Prozess einer kulturellen Ent-wicklung stagniert. Es werden vorgegebene Deutungskompetenzen akzeptiert und, insofern risikolos, weder weiterentwickelt noch in Frage gestellt.

Wird aber, wie es u.a. im Abschnitt 11.1 erarbeitet wurde, die Kultur als ein „polyphoner, stets umstrittener und komplexer Prozess der Konstruktion von sozio-kulturellen Bedeutungen und Identitäten“ (Hörnig) verstanden, so erkennt und versteht man damit zugleich die Verant-wortung, die in der kulturellen Rolle dessen liegt, der die Möglichkeiten der Förderung be-sitzt.

Auf der einen Seite verwirklicht sich mit dieser Rolle in ganz besonderem Maße eine selbst-bestimmte, bürgerschaftliche kulturelle Mitgestaltung an der „Kunst als soziale Skulptur“

(Beuys). Im Gegensatz zu einer öffentlichen Förderung (z.B. durch das Land) besteht für den privaten Förderer keine Verpflichtung zu einer „gerechten“ oder „verhältnismäßigen“ Zuwen-dungstaktik. Der Rolleninhaber kann und wird seine Unterstützungspotentiale so wirksam werden lassen, so einsetzen, wie es ihm richtig erscheint, wie er sein kulturelles Umfeld mit-gestalten möchte. Auf der anderen Seite wird der kulturelle Förderer Schwierigkeiten haben, eine Kunst, einen Stil, eine Richtung zu fördern, die ihm Unbehagen bereitet, die ihm unbe-quem ist. Denn es ist „einfacher und für viele genußreicher, sich mit tradierten Kunstformen und Kunstinhalten zu beschäftigen. Die Auseinandersetzung mit dem Experiment, der Avant-garde und der Normabweichung kann zwar reizvoll sein, ist aber meist auch etwas mühsam.

Es kommt hinzu, daß alternative Kunstrichtungen häufig nicht nur in ihren formalen Präsenta-tionen, sondern auch in ihren inhaltlichen Darstellungen provozieren und zur Auseinanderset-zung reizen“ (Späth/ Gönnenwein 1990: 12).

Es ist dies der Moment, wo spezifische kulturelle Alterskompetenzen in besonderem Maße wirksam werden könnten. Der kulturelle Förderer muss sich bewusst sein, dass er mit dem Akt der favorisierten Förderung Schwerpunkte setzt – in dem Moment, wo er bestimmte kul-turelle Stile und Ausdrucksformen unterstützt, vernachlässigt er andere, bremst und zügelt diese. Mit einer mäzenatischen Zuweisung - ob diese nun finanziell, sächlich (z.B. durch zur

Verfügungsstellung von Räumlichkeiten, von Know-How, von Ausstellungsmöglichkeiten) oder fachlich ist (Pb 17a bietet an: „Ich habe die Kontakte, das nötige Hintergrundwissen und die Einwirkungsmöglichkeiten“) - werden einerseits den Unterstützten Wege gebahnt, werden Entwicklungen gefördert und Persönlichkeiten aufgebaut, zugleich wird durch die Nicht-För-derung auf der anderen Seite blockiert, gehemmt, gezügelt und gebremst. Der Mäzen muss er-kennen, dass mit der Finanzierung einer anscheinend privaten, individuellen Vorliebe zu-gleich eine kulturpolitische Entscheidung mit gefällt wird. Er muss seine Person als mitge-staltendes Element der Gesellschaft erkennen können, muss sich als Subjekt der kulturellen Entwicklung begreifen, sich der inhaltlichen, kultur- und kunstpolitischen Bedeutung einer, seiner nur scheinbar individuellen Bewertung bewusst sein. Für eine solche bewusste (durch-aus auch finanzielle) Be-Wertung eines Förderinhaltes braucht er, wenn er sie denn tatsäch-lich bewusst und nicht nur „idiosynkratisch“ (Ammann) vornehmen will, neben Kenntnissen, Informationen und Einsichten in mögliche Zusammenhänge und Hintergründe, also neben

„Bildung“ auch noch den Bedingungsfaktor „Zeit“ in zweifacher Hinsicht: in „gelebter“ Zeit als Grundlage der historischen Erfahrungs- und Wissensansammlung, und in subjektiv be-stimmbarer, selbstbestimmt verfügbarer Zeit als Möglichkeit der Verarbeitung, der Reflekti-on, des Sich-Entziehens um darüber zu einer gleichzeitig fundierten wie distanzierten Urteils-findung und Bedeutungsbestimmung zu gelangen.

Nach Habermas „Theorie des kommunikativen Handelns“ (1981) beschreiben Bauer et al.

(1997) diese verfügbare Zeit (im Gegensatz zur Zeit der ‚systemischen Reproduktion‘ der be-zahlten und verpflichtenden Arbeitszeit) als „soziale Zeit für symbolische Reproduktion“ (S.

22), die „für die Versorgung mit rational gültigem Wissen ... und für die Entwicklung von Sprach- und Handlungskompetenz benötigt wird“ (a.a.O.) Es ist die Zeit subjektiver Gestal-tung von „Lebenswelt nach den strukturellen Komponenten Kultur..., Gesellschaft ... und Per-sönlichkeit“ (S.24). Nach Bauer et al. ist es zwar eine „empirische Frage“, welche dieser Komponenten der Einzelne sich schwerpunktmäßig widmet, jedoch keine Frage dürfte es sein, dass, mit dem Rückzug aus der „systemischen Reproduktion“ bezahlter und (z.B. famili-al) verpflichtender Arbeitszeit, im Alter die „soziale Zeit für symbolische Reproduktion“ in höherem Maß beansprucht werden kann und zur Verfügung steht.

Neben „Bildung“ war diese Art der „Zeit“ genau der Faktor, den Weidemann (s.o.) von einem kulturellen Unterstützer fordert - nicht nur Geld allein, über das sich üblicherweise im allge-meinen Verständnis das Mäzenatentum definiert, sondern gleich dreifaches „Kapital“ wird vom Unterstützer verlangt: Er muss die finanziellen und bildungsmäßigen „Ressourcen“, gleichzeitig aber auch genügend subjektiv strukturierbare „soziale Zeit“ zur Gestaltung von Lebenswelt vorweisen können. Erst in der Kombination aller dieser drei Güter entspräche er dem Maecenatus, wie Weidemann ihn sich historisch zusammenschaut: Er war „sehr reich, hochgebildet und verfügte über viel Zeit“. Die Erfüllung dieser drei Voraussetzungen ist vor-nehmlich im Alter möglich, die gleichzeitige Erfüllung aller drei Voraussetzung ist in jungen Jahren nur unter extrem günstigen Bedingungen möglich, bildet eine seltene Ausnahme. Es kann diese mäzenatische Rolle also vornehmlich als eine altersspezifische Rolle wahrgenom-men werden. Es ist der Vorteil des Alters, neben guten materiellen Ressourcen (s.o., vgl. Ab-schnitt 6.1.3) auch über das Kapital von „sozialer Zeit“ und über das Kapital von in vielen Jahren gesammelter und reflektierter Bildung und Erfahrung zu verfügen. Mit diesen Voraus-setzungen erst ist es möglich, auch pragmatisch kompetent in einem „precise cut“, mit einem begründbaren Urteil, eine (finanzielle, sächliche, persönliche) Förderentscheidung zu treffen.

Diese Entscheidung dient der „Blickpunktvermehrung“ im kulturpolitischen Diskurs eher als eine Entscheidung, zu der Voraussetzungen fehlen, die sich an andere „Vorgaben“ halten muss und als eine affirmative Entscheidung keine neuen Gesichtspunkte, keine Auseinander-setzung ermöglicht. Eine aufgrund altersspezifischer VorausAuseinander-setzungen getroffene Entschei-dung wird entsprechend keine „risikolose“ sein, sondern gefällt werden für „das Progressive, die Avantgarde“ (Pb 19a), für das „kulturelle Abenteuer“ (Pb 16a), für die „experimentelle

Seite der Kultur“ (Pb 18a), oder, wie es in der Kunstkonzeption des Landes Baden-Württemberg formuliert wird, für „Widerspruch, Opposition, Gegenmodell, radikales Infrage-stellen“ (Späth/ Gönnenwein 1990: 10). Fehlt jedoch eine der drei Erfüllungsvoraussetzungen für diese Rolle („reich“, „hochgebildet“, „Zeitverfügbarkeit“), sind also, wie Weidemann be-klagt, „heute immer nur“ zwei Voraussetzungen vorhanden, so ist die Möglichkeit einer ein-seitigen, eindeutigen, damit armen kulturellen Schwerpunktsetzung gegeben. Erst mit der Kombination aller drei Faktoren kann sich die Rolle als eine altersadäquate erweisen: in der (Er-) Kenntnis scheinbar gegebener, scheinbar objektiver kultureller Werte und in deren re-flektierender Überschreitung, in der Zusammenschau des historisch Entwickelten und künftig Möglichen, im Erkennen neuer und anderer Deutungsmöglichkeiten sogenannter Wirklichkeit – und schließlich in der so begründeten, entschiedenden Setzung von Förderschwerpunkten.

Eine solche kulturfördernde Mäzenatenrolle wäre eine altersspezifische im originären Sinne, denn in ihr verwirklicht sich die generative Aufgabe der Alten „aufgrund ihrer reichen Kennt-nis und Erfahrung mit dem Gewesenen und Bestehenden eine stabile Basis für die Exploration der Jungen bereitzustellen“ (Staudinger 1996: 357) auf dem Felde der Kultur. Wenn sie dazu noch ihre Rolle als im reinen Sinne mäzenatisch vermitteln kann, wenn sie also verdeutlichen kann, dass sie auf Gegenleistung und möglicherweise resultierende Gefühle von Abhängigkeit verzichtet, ja, solche ablehnt, dann entspricht sie der Forderung von Carl Amery zur Grün-dung einer neuen Kultur durch die Alten: „Eine Kultur von fähigen und rüstigen Menschen, die einsatzwillig, großzügig und phantasievoll eine Art von Jugendleistung erbringt. Eine Kul-tur, in der generöse Stiftungen und Schenkungen, klug und warmherzig platziert, die Nachrü-ckenden vom drüNachrü-ckenden Gefühl der Abhängigkeit befreien“ (Amery 2000:32).

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