6 KONTAKTE, BERATUNG UND SOZIALES KLIMA
6.4 Soziales Klima und Anonymität
Neben Kontakten und Betreuung spielen die Beziehungen zwischen Studierenden und zu Lehrenden ein große Rolle im Erleben der Studiensituation. Sie bestimmen das soziale Klima. Zusammen mit der erfahrenen Ano-nymität bilden sie die Grundlage für die emp-fundene Integration an der Hochschule.
Soziales Klima hat sich deutlich verbessert Das soziale Klima an den Hochschulen hat sich in den letzten 20 Jahren stark verbessert.
An Universitäten und Fachhochschulen hat die empfundene Konkurrenz unter den Stu-dierenden nachgelassen, gleichzeitig werden die Beziehungen zwischen Studierenden und Lehrenden als besser erlebt.
Von Konkurrenz untereinander berichtet im WS 2006/07 jeweils ein Fünftel der Studie-renden an beiden Hochschularten, wobei nur jeweils halb so viele darin ein besonderes Merkmal ihres Faches sehen (vgl. Tabelle 92).
In den 80er Jahren hielt ein Drittel der Studierenden Konkurrenz für charakteris-tisch. Bis Anfang der 90er Jahre stieg dieser Anteil an Universitäten auf fast zwei Fünftel an. Mit der Einbeziehung der neuen Länder ist dann bis ins neue Jahrtausend hinein ein deutlicher Rückgang festzustellen. Erst in jüngster Zeit erleben die Studierenden Kon-kurrenz wieder tendenziell häufiger.
Bessere Beziehungen an Fachhochschulen Gute Beziehungen zu Lehrenden erfahren die Studierenden an Fachhochschulen häufiger als an Universitäten. Für 68% an Fachhoch-
Tabelle 92
Soziales Klima: Beziehungen zwischen Studierenden und zu Lehrenden an Universitäten und Fachhochschulen (1983 – 2007)
(Skala von 0 = überhaupt nicht bis 6 = sehr stark, Angaben in Prozent für Kategorien: 4 = eher, 5-6 = stark) Früheres Bundesgebiet Deutschland
Universitäten 1983 1985 1987 1990 1993 1995 1998 2001 2004 2007 Konkurrenz eher 12 13 15 15 12 11 11 11 10 11 unter Stu- stark 23 24 23 24 17 18 15 14 11 12 dierenden zus. 35 37 38 39 29 29 26 25 21 23 gute Bezie- eher 16 15 15 15 17 17 20 21 25 26 hungen zu stark 15 14 13 12 17 19 24 24 27 30 Lehrenden zus. 31 29 28 27 34 36 44 45 52 56 Fachhochschulen
Konkurrenz eher 13 13 14 13 12 12 11 9 11 11 unter Stu- stark 19 21 19 18 13 13 13 10 9 10 dierenden zus. 32 34 33 31 25 25 24 19 20 21 gute Bezie- eher 20 20 23 20 24 24 24 24 23 24 hungen zu stark 23 22 21 23 23 28 36 38 41 44 Lehrenden zus. 43 42 44 43 47 52 60 62 64 68 Quelle: Studierendensurvey 1983- 2007, AG Hochschulforschung, Universität Konstanz.
schulen gegenüber 56% an Universitäten sind im WS 2006/07 gute Beziehungen ein Kenn-zeichen des Studienfaches.
Bereits in den 80er Jahren berichteten die Studierenden an Fachhochschulen häufiger von guten Beziehungen zu Lehrenden als an Universitäten. Seiher haben sich an beiden Hochschularten die Beziehungen in etwa gleich starkem Umfang verbessert, so dass die Unterschiede insgesamt erhalten blieben (vgl.
Tabelle 92).
Schlechtes soziales Klima in der Rechtswissenschaft
In den einzelnen Fächergruppen erleben die Studierenden das soziale Klima sehr unter-schiedlich. Am ungünstigsten stellt es sich für die Studierenden in der Rechtswissenschaft dar: Nur ein Drittel erlebt gute Beziehungen
zu Lehrenden, und mehr als jeder Zweite nimmt Konkurrenz wahr (vgl. Tabelle 93).
Ein vergleichsweise wenig gutes soziales Klima erleben an Universitäten auch die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften und der Medizin. Gute Beziehungen zu Leh-renden sind eher rar, nur rund zwei Fünftel erleben sie. Gleichzeitig berichten viele Stu-dierende von größerer Konkurrenz unterein-ander, in der Medizin noch häufiger als in den Wirtschaftswissenschaften.
Deutlich besser ist die Situation in den an-deren Fächergruppen der Universitäten. Je-weils etwa drei Fünftel erleben gute Beziehun-gen zu ihren Lehrenden und weniger als ein Fünftel berichtet von interner Konkurrenz.
Das beste Klima besteht an Fachhochschu-len in den Sozialwissenschaften. Jedoch sind die Unterschiede zwischen den Fächergrup-
Tabelle 93
Soziales Klimas in den Fächergruppen (WS 2006/07)
(Skala von 0 = überhaupt nicht bis 6 = sehr stark; Mittelwerte und Angaben in Prozent für Kategorien: 4 = eher, 5-6 = stark)
Universitäten Fachhochschulen
Kult. Soz. Rechts- Wirt. Medi- Nat. Ing. Soz. Wirt. Ing.
wiss. wiss. wiss. wiss. zin wiss. wiss. wiss. wiss. wiss.
gute Beziehungen zu Lehrenden
eher 25 27 18 25 26 27 27 23 24 24
stark 39 29 14 16 16 34 34 54 42 40
zusammen 64 56 32 41 42 61 61 77 68 64
Mittelwerte 3,9 3,6 2,6 3,0 3,1 3,8 3,8 4,4 4,1 3,9 Konkurrenz
unter Studierenden
eher 9 9 16 15 16 8 12 8 14 11
stark 8 7 41 18 28 7 7 8 12 10
zusammen 17 16 57 33 42 15 19 16 26 21
Mittelwerte 1,9 1,9 3,7 2,7 3,2 1,9 2,0 1,9 2,4 2,2 Quelle: Studierendensurvey 1983-2004, AG Hochschulforschung, Universität Konstanz.
pen geringer als an Universitäten. Auch in den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften sind gute Beziehungen zu Lehrenden häufi-ger vorhanden als an Universitäten. Konkur-renz untereinander erfahren sie seltener als ihre jeweiligen Fachkommilitonen an Univer-sitäten (vgl. Tabelle 93).
Konkurrenz hat in der Rechtswissenschaft wieder zugenommen
Eine tendenzielle Zunahme der empfundenen Konkurrenz unter den Studierenden ist in allen Fächergruppen an Universitäten und Fachhochschulen zu beobachten. Seit dem WS 2003/04 hat sie dabei mit acht Prozent-punkten in der Rechtswissenschaft sowie mit fünf Prozentpunkten in den Sozialwissen-schaften an Fachhochschulen am stärksten zugenommen.
Anonymität an der Hochschule Das Empfinden von Anonymität geht mit mangelnder Integration einher. Häufige Kontakte zu Studierenden und Lehrenden können solche Gefühle vermindern, Überfül-lung kann sie verstärken. Problematisch wird das Anonymitätsempfinden von Studieren-den, wenn es sich zu einer Belastung auswei-tet und sich negativ auf die Bewältigung des Studiums auswirkt.
Anonymitätsempfindungen können un-terschiedliche Ausdrucksformen annehmen:
• wenn Studierende nicht genügend An-sprechpartner an der Hochschule finden;
• wenn sie das Gefühl haben, dass nur ihre Leistung im Studium zählt;
• wenn sie meinen, dass es niemandem auffallen würde, wenn sie eine Woche lang fehlen würden.
Mehr Anonymität an Universitäten Alle drei Anonymitätsempfindungen sind an den Hochschulen verbreitet. An Universitäten treten sie aber häufiger auf als an Fachhoch-schulen (vgl. Tabelle 94).
Am häufigsten berichten die Studieren-den von dem Gefühl der Entpersonalisierung, wenn nur die Leistung zählt und die Persön-lichkeit in den Hintergrund tritt. Drei von fünf Studierenden an Universitäten und knapp die Hälfte an Fachhochschulen erleben diese Form der Anonymität häufiger.
An zweiter Stelle folgt für Studierende ein Gefühl der Gleichgültigkeit und des Desinte-resses seitens der Hochschule. Zwei Fünftel an Universitäten und ein Drittel an Fachhoch-schulen sind der Ansicht, dass ihre Abwesen-heit niemandem auffallen würde.
Seltener haben die Studierenden den Ein-druck, über zu wenig Ansprechpartner bei Problemen an der Hochschule zu verfügen.
Jeder Dritte an Universitäten und jeder Vierte an Fachhochschulen berichten von diesen Defiziten.
Tabelle 94
Anonymitätsempfinden der Studierenden an Universitäten und Fachhochschulen (1995 - 2007) (Skala von 0 = trifft überhaupt nicht zu bis 6 = trifft voll und ganz zu; Angaben in Prozent für Kategorien: 0-1 = überhaupt nicht, 2 = eher nicht, 4 = eher, 5-6 = stark)
Universitäten 1995 1998 2001 2004 2007
genügend Ansprechpartner bei Problemen
eher nicht 17 19 20 18 17
überhaupt nicht 19 22 18 17 16
Zusammen 36 41 38 35 33
Gefühl, nur Leistung ist gefragt
eher 17 19 19 20 20
stark 44 46 41 40 39
Zusammen 61 65 60 60 59
Abwesenheit würde niemandem auffallen
eher 8 9 9 9 9
stark 40 38 39 37 32
Zusammen 48 47 48 46 41
Fachhochschulen
genügend Ansprechpartner bei Problemen
eher nicht 17 16 17 16 12
überhaupt nicht 14 18 14 13 11
Zusammen 31 32 31 29 23
Gefühl, nur Leistung ist gefragt
eher 19 18 19 17 18
stark 39 41 32 30 28
Zusammen 58 59 51 47 46
Abwesenheit würde niemandem auffallen
eher 9 8 8 9 9
stark 26 25 26 29 24
Zusammen 35 33 34 38 33
Quelle: Studierendensurvey 1983-2007, AG Hochschulforschung, Universität Konstanz.
Leichte Abnahme der Anonymität Alle drei Anonymitätsempfindungen haben sich in den letzten Jahren vermindert, an den Fachhochschulen stärker als an den Universi-täten. Die Verbesserungen sind aber erst im neuen Jahrtausend zu beobachten, während über die 80er und 90er Jahre hinweg kaum Veränderungen auftraten.
An den Universitäten haben sich die Kon-taktdefizite und das Gefühl der Gleichgültig-keit vermindert, während die Leistungsfokus-sierung nahezu unverändert fort besteht.
An den Fachhochschulen sind vor allem die Kommunikationsdefizite und das Gefühl der Entpersonalisierung geringer geworden, während das Gefühl der Gleichgültigkeit geblieben ist (vgl. Tabelle 94).
Studentinnen empfinden häufiger Isolation, aber weniger Entpersonalisierung
Studentinnen finden seltener Ansprechpart-ner bei Problemen im Studium als männliche Studierende, vor allem an den Universitäten:
• 38% gegenüber 28% vermissen Ansprech-partner (an Fachhochschulen: 24% zu 22%).
Zwar fühlen sich seit den 90er Jahren auch die Studentinnen weniger isoliert, doch fällt die Verbesserung geringer aus als bei den Studen-ten. Vergleichsweise seltener haben die Studentinnen dagegen das Gefühl, dass nur ihre Leistung gefragt sei, vor allem an den Fachhochschulen:
• 39% gegenüber 52% haben ein starkes Gefühl der Entpersonalisierung (an Uni-versitäten: 58% zu 61%).
Diese Leistungsfokussierung hat in den letz-ten 12 Jahren für die Studentinnen
nachgelas-sen, dagegen ist bei den männlichen Studen-ten an UniversitäStuden-ten dieser Eindruck nahezu konstant geblieben.
Unterschiedliche Erfahrungen in den Fächergruppen
In fast allen Fächergruppen bildet sich jeweils die gleiche Rangreihe über die drei Anonymi-tätsarten heraus: Am häufigsten berichten die Studierenden von der reinen Leistungsorien-tierung, dann von der Gleichgültigkeit und jeweils am seltensten von zu wenigen An-sprechpartnern (vgl. Abbildung 30).
Nur in der Medizin überragen die Kom-munikationsdefizite das Gefühl der Gleichgül-tigkeit, und zwar sehr deutlich: 39% berichten von nicht genügend Ansprechpartnern, aber nur 27% erleben die Hochschule ihrer Präsenz gegenüber als gleichgültig.
Größter Leistungsfokus in der Medizin Besonders große Unterschiede treten zwi-schen den Fächergruppen bei der Leistungs-fokussierung auf. Am häufigsten erleben diesen Aspekt die Studierenden in der Medi-zin: drei von vier Studierenden dieser Fach-richtung haben das Gefühl, dass nur ihre Leistung zählt.
Nur etwas weniger Studierende (71%) tei-len diese Empfindung in den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seltener ist sie dagegen in den Natur- und Ingenieurwis-senschaften. Am wenigsten kommt sie in den Kultur- und Sozialwissenschaften vor, obwohl auch dort die Hälfte der Studierenden den Eindruck hat, dass nur ihre Leistung gefragt sei.
Abbildung 30
Aspekte der Anonymität nach Fächergruppen (WS 2006/07)
(Skala von 0 = trifft überhaupt nicht zu bis 6 = trifft voll und ganz zu; Angaben in Prozent für Kategorien: 0-2 = trifft nicht zu, 4 -6 = trifft zu)
Ingenieurwiss.
Wirtschaftswiss.
Sozialwiss.
Ingenieurwiss.
Naturwiss.
Medizin Wirtschaftswiss.
Rechtswiss.
Sozialwiss.
Kulturwiss.
FACHHOCHSCHULEN UNIVERSITÄTEN
KalliGRAPHIK 32
35 34
40 31 27
51 49
50 44
53 49 31
60 58
75 71 71 52
50
24 24 23
24 26
39 37
47 36
34
Abwesenheit fällt nicht auf (trifft zu) nur die Leistung zählt (trifft zu) genügend Ansprechpartner (trifft nicht zu)
Quelle: Studierendensurvey 1983-2007, AG Hochschulforschung, Universität Konstanz.
An den Fachhochschulen erlebt rund die Hälfte der Studierenden in den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften das Gefühl der Entpersonalisierung, dass im Studium nur ihre Leistung zählt. Weit weniger sind es in den Sozialwissenschaften, wo etwa ein Drittel der Studierenden diesen Eindruck bestätigt (vgl. Abbildung 30).
Größte Kommunikationsdefizite in der Rechtswissenschaft
Von Kommunikationsdefiziten berichten am häufigsten die Studierenden der Rechtswis-senschaft: Fast jeder zweite hat zu wenig Ansprechpartner an der Hochschule, wenn es zu Problemen im Studium kommt.
Weit geringer trifft dies in den Natur- und Ingenieurwissenschaften zu. Nur jeder vierte Studierende erlebt diese Form der Anonymi-tät. Ähnlich viele Studierende sind es an Fach-hochschulen, die solche fehlende Kommuni-kation feststellen (vgl. Abbildung 30).
Das Gefühl, dass die eigene Abwesenheit niemandem auffallen würde, erleben am häufigsten die Studierenden der Rechtswis-senschaft, der Wirtschafts- und der Sozialwis-senschaften an den Universitäten: Jeder zwei-te Studierende kennt dieses Gefühl von Gleichgültigkeit. Seltener ist es in den Natur-wissenschaften (31%) und in der Medizin (27%).
Gegenüber 2004 haben sich zwei auffälli-ge Veränderunauffälli-gen erauffälli-geben: In der Rechtswis-senschaft (von 60% auf 49%) und in den Sozial-wissenschaften an Fachhochschulen (von 49%
auf 34%) haben weniger Studierende diesen Eindruck der Gleichgültigkeit.
Überfüllung erhöht Anonymität Anonymität lässt sich nicht nur auf ein schlechtes soziales Klima reduzieren; ebenso bedeutsam ist die Überfüllung von Lehrveran-staltungen. Wird die Überfüllung an der Hochschule zur Belastung, erhöht sich die Anonymität (vgl. Tabelle 95).
Tabelle 95
Belastung durch Überfüllung und Anonymi-tät (WS 2006/07)
(Skala von 0 = trifft überhaupt nicht zu bis 6 = trifft stark zu; An-gaben in Prozent für Kategorien: 0-2 = trifft nicht zu, 4-6 = trifft zu; und 0-2 = nicht belastet, 3-4 = etwas, 5-6 = stark belastet) Belastung durch Überfüllung
nicht etwas stark
Universitäten nicht genügend
Ansprechpartner 24 39 54 nur Leistung ist
gefragt 55 61 70
Abwesenheit fällt
nicht auf 34 46 59 Fachhochschulen
nicht genügend
Ansprechpartner 20 26 50 nur Leistung ist
gefragt 43 48 61
Abwesenheit fällt
nicht auf 30 35 51 Quelle: Studierendensurvey 1983-2007, AG
Hochschulfor-schung, Universität Konstanz.
Die Zunahme von Anonymität ist bereits deutlich erkennbar, wenn die Belastung gering ist. An Universitäten lässt schon eine teilweise Belastung die Anonymität stark ansteigen. Nimmt die Belastung stärkere Ausmaße an, dann nehmen Anonymitätsge-fühle nochmals sprunghaft zu, auch an den Fachhochschulen.