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Vorurteile und Generalisierungen

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 141-144)

Teil 3: Auswirkungen des Diskriminierungsverbotes auf das rechtsgeschäftliche und quasi- quasi-rechtsgeschäftliche Handeln

F. Vorurteile und Generalisierungen

„In Andorra lebte ein junger Mann, den man für einen Juden hielt. [...] er wußte, er spürte, was alle wortlos dachten; er prüfte sich, ob es wirklich so war, daß er stets an das Geld denke, er prüfte sich, bis er entdeckte, daß es stimmt, es war so, in der Tat, er dachte stets an das Geld.

[...] Bis es sich eines Tages zeigt, was er selber nicht hat wissen können, der Verstorbene: daß er ein Findelkind gewesen, dessen Eltern man später entdeckt hat, ein Andorraner wie unsereiner – [...]. Die Andorraner aber, sooft sie in den Spiegel blickten, sahen mit Entsetzen, daß sie selber die Züge des Judas tragen, jeder von ihnen.“47

Vorurteile und Generalisierungen bezüglich etwaiger Eigenschaften und Fähigkeiten von Trägern bestimmter Merkmale vermögen diskriminierungsrelevantes Verhalten grundsätzlich nicht zu rechtfertigen. So ist beispielsweise bei Tätigkeiten, die körperlich anstrengend sind, der grundsätzliche Ausschluß von Frauen mit dem Argument, sie verfügten über eine geringere physische Leistungsfähigkeit, unzulässig.48 Im Gegenzug dazu ist nicht einzusehen, warum

41 Entwurfsbegründung, BT-Druck. 16/1780, S. 37; Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, ist der Arbeitgeber gem.

dieser Norm verpflichtet, „[...] die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes [ – d. h. wegen eines dort genannten Diskriminierungsmerkmals – ] zu treffen. Der Schutz umfaßt auch vorbeugende Maßnahmen.“

42 Raab in Soergel, § 611 a, Rn. 37.

43 Für eine entsprechende Erweiterung des BeSchuG-A, das – wie bereits erwähnt – in § 2 I eine dem § 12 I AGG vergleichbare Bestimmung enthielt, war Schlachter. (Schlachter in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 190, § 1 BeSchuG, Rn. 3).

44 Weiss, ArbuR Sonderheft 1979, S. 28 (30).

45 Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 230, § 626, Rn. 162.

46 Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 230, § 626, Rn. 162.

47 Aus der Novelle „Der andorranische Jude“ von Max Frisch.

48 LAG Köln, NZA-RR 2001, S. 232 (232, Leitsatz); Raab in Soergel, § 611 a, Rn. 35; Eckert in Hk-BGB, § 611 a, Rn. 2.

Vorgesetzten grundsätzlich das Recht eingeräumt werden sollte, ausschließlich Sekretärinnen statt Sekretäre einzustellen.49 In der Entwurfsbegründung zum AGG heißt es schließlich: „Eine beispielsweise auf Xenophobie beruhende pauschale Angst vor „dem Islam“ oder „den Juden“ kann daher eine Ungleichbehandlung nach dem Merkmal der Religion nicht rechtfertigen.“50

Vorurteile und Generalisierungen stellen vor allem dann keinen sachlichen Grund dar, wenn sie nicht vertragsbezogen sind. Der Chefin eines Ladenbetriebes in jedem Fall zu erlauben, Männer zurückzuweisen, weil sie durch bittere Lebenserfahrung männerfeindlich geworden ist, erscheint daher beispielsweise äußerst fragwürdig.51 In diesem Sinne wird vertreten, Sym- und Antipathie seien nur insofern zulässige Auswahlkriterien, „sofern ihre Berücksichtigung nicht gegen spezielle Diskriminierungsverbote verstößt. So wäre es etwa mit Art. 3 Abs. 3 GG unvereinbar, wenn der Arbeitgeber den Bewerber wegen seiner Hautfarbe ablehnen könnte, selbst wenn er glaubt, wegen seiner Antipathien gegen Menschen fremder Herkunft mit einer solchen Person nicht zusammenarbeiten zu können.“52

G. (Vorwerfbare) Störung des Vertragsverhältnisses

Beispiel: Kann der muslimische Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber verlangen, daß dieser ihm eine dreiminütige Freistellung von der Arbeit gewährt, um täglich sein Morgengebet verrichten zu können?53

Zunächst kann festgehalten werden, daß ein allgemeiner Vorrang von Gewissensentscheidungen gegenüber Vertragspflichten nicht besteht.54 In diesem Sinne hat das erkennende Gericht in dem Beispielsfall entschieden, daß der Arbeitgeber zwar verpflichtet ist, „im zumutbaren Umfang durch betriebliche Organisationsmaßnahmen die Religionsausübung durch den [Arbeitnehmer] zu gewährleisten“, daß er aber andererseits „auch im Hinblick auf den Schutz des Art. 4 II GG nicht verpflichtet [ist], Betriebsablaufstörungen hinzunehmen, damit der [Arbeitnehmer] seine Gebetspausen einhalten kann. Insoweit hat die Vertragstreue Vorrang.“55

Diesem Urteil kann uneingeschränkt gefolgt werden. Das Gericht hat entschieden, daß der Arbeitgeber betriebliche Organisationsmaßnahmen treffen muß, um die Religionsausübung seiner Arbeitnehmer zu gewährleisten. Dies kann nicht bedeuten, daß sich der Betriebsablauf grundsätzlich nach den individuellen Ansprüchen des einzelnen Arbeitnehmers richten müßte.

49 So aber Eich, NJW 1980, S. 2329 (2331); ebenso Wiese: „Warum sollte ein(e) Unternehmer(in) nicht sein (ihr) Vorzimmer stets mit einer Sekretärin besetzen und sich von einem Mann als Chauffeur fahren lassen dürfen?“

(Wiese, JuS 1990, S. 357 (360)); dagegen Söllner in MüKo, § 611 a, Rn. 16; Thüsing, RdA 2001, S. 319 (323).

50 Entwurfsbegründung, BT-Druck. 16/1780, S. 44.

51 So aber Adomeit, DB 1980, S. 2388 (2388).

52 Raab, RdA 1995, S. 36 (38); ebenso Buchner in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1, § 39, Rn. 74;

Müller-Glöge in MüKo, § 611 a, Rn. 23; a. A.: Wiese, JuS 1990, S. 357 (359).

53 LAG Hamm, NJW 2002, S. 1970 ff.

54 Heinrichs in Palandt, § 242, Rn. 8.

55 LAG Hamm, NJW 2002, S. 1970 (1972).

Zugeständnisse eines jeden Arbeitnehmers bzgl. Ort, Zeit sowie Art und Weise der Erfüllung der geschuldeten Pflichten aus dem Arbeitsvertrag sind gerade, aber nicht nur in großen Betrieben mit automatisiertem Arbeitsablauf notwendig, um überhaupt einen geregelten, für alle Arbeitnehmer akzeptablen Betriebsablauf sicherstellen zu können.

Besondere Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß es sich bei den begehrten Gebetspausen um religiös bedingtes Verhalten des Arbeitnehmers handelt. Der Status

„Muslim“ wird durch das Verbot der Gebetspausen nicht berührt.

Damit der Arbeitgeber sein Direktionsrecht nicht mißbraucht, wird zu recht verlangt, daß er es ausüben muß, um einen ungestörten Betriebsablauf zu gewährleisten.

Im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Arbeitgebers, in zumutbarem Umfang durch betriebliche Organisationsmaßnahmen die Religionsausübung durch den Arbeitnehmer zu gewährleisten, ist zu erwähnen, daß dann, wenn sich ein Arbeitnehmer aufgrund einer Gewissensentscheidung nicht in der Lage sieht, die ihm zugewiesene Arbeit zu verrichten, eine personenbedingte Kündigung gem. § 1 II 1 KSchG nur dann gerechtfertigt sein soll, wenn für den betreffenden Arbeitnehmer eine andere Beschäftigungsmöglichkeit nicht besteht.56

Beispiel: „Aber auch der Personalchef im Großbetrieb könnte denken (besser nicht sagen): Abteilungsleiter X ist misogyn, mit weibl. Angestellten kann er nachgewiesenermaßen (Fall 1, Fall 2 ...) nicht zusammenarbeiten, also kommt nur ein männlicher Bewerber in Frage. Oder umgekehrt: er ist ein Casanova felliniesken Ausmaßes, also ist im Interesse

sachlicher Betriebsatmosphäre besser ein Mann einzustellen, fast schon Fürsorgepflicht gegenüber den Bewerberinnen, sie dem nicht auszusetzen.“57

Zwar hat das BAG festgestellt, daß nachweisliche Störungen des Betriebsklimas sogar Kündigungen von Personen mit bestimmten Merkmalen rechtfertigen können.58 Dies kann aber nicht dazu führen, daß sich der Arbeitgeber seiner Verantwortung, in seinem Betrieb eine für alle Arbeitnehmer akzeptable, belästigungsfreie Atmosphäre zu schaffen, dadurch entledigt, daß er Bewerber mit bestimmten Merkmalen von vornherein nicht einstellt, weil er davon ausgeht, daß es zwischen den bisherigen Arbeitnehmern und eben diesen Bewerbern zu Störungen der Betriebsatmosphäre kommen wird.

In dem vom BAG entschiedenen Fall war es die Arbeitnehmerin, die durch ihr Verhalten die Kündigung verursacht hatte. Demgegenüber wird in den soeben genannten Beispielsfällen die Nichteinstellung mit einem zu erwartenden Verhalten Dritter, nicht des Bewerbers, gerechtfertigt.

Die Bewerberinnen sollen die Konsequenzen dafür tragen, daß ihre männlichen Kollegen sie meiden bzw. belästigen würden. Besonders sarkastisch auch vor dem Hintergrund hoher

56 Von Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz, § 1, Rn. 213.

57 Beispiel bei Adomeit, DB 1980, S. 2388 (2388).

58 BAG, NJW 2003, S. 1685 (1687).

Arbeitslosigkeit erscheint es, daß die Nichteinstellung der Bewerberinnen als Fürsorgepflicht deklariert wird.

Im Grundsatz muß gelten, daß nur bei vorwerfbarer Störung des Betriebsklimas und damit des Vertragsverhältnisses diskriminierungsrelevantes Verhalten gerechtfertigt sein kann.59 In den Beispielsfällen wäre die Ablehnung von Bewerberinnen unter Angabe der dort genannten Gründe unzulässig.60 Das Geschlecht ist ein unbeeinflußbares Diskriminierungsmerkmal. Wie bereits an anderer Stelle festgestellt, resultiert die besondere Schutzwürdigkeit unbeeinflußbarer Diskriminierungsmerkmale gerade daraus, daß ihr Vorhanden- bzw. Nichtvorhandensein durch ihre Träger nicht beeinflußt werden kann. Daraus ergibt sich wiederum die Konsequenz, daß dem Träger eines derartigen Merkmals dessen Trägerschaft nicht vorgeworfen werden kann. Diesem unberechtigten Vorwurf wären aber die Bewerberinnen in dem Beispielsfall ausgesetzt, wenn sie nicht eingestellt würden, weil Abteilungsleiter X ein Frauenfeind bzw. Casanova felliniesken Ausmaßes ist.

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 141-144)