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Tendenzschutz im „Nicht-Tendenzbetrieb“

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 186-189)

Teil 3: Auswirkungen des Diskriminierungsverbotes auf das rechtsgeschäftliche und quasi- quasi-rechtsgeschäftliche Handeln

L. Zusammentreffen von Diskriminierungsmerkmalen in einer Person

VI. Tendenzschutz im „Nicht-Tendenzbetrieb“

238 BGH, NJW 2003, S. 1658 f. (die „NPD“ betreffend); NJW 2004, 1031 f. (die „Republikaner“ betreffend).

239 Heinrichs in Palandt, § 242, Rn. 12.

240 BGH, NJW 2003, S. 1658 (1658, Leitsätze 2 und 3); NJW 2004, S. 1031 (1031, Leitsätze 2 und 3).

241 Darauf weist auch der BGH hin. (BGH, NJW 2004, S. 1031 (1032)).

242 Vom 16.02.2001 (BGBl. I, S. 266 ff.).

243 AG Neuss, NJW 2003, S. 3785 ff.

244 Das Gericht wies aber auch darauf hin, daß sich die Kirchengemeinde grundsätzlich ihre Vertragspartner frei aussuchen dürfe, also keinem Kontrahierungszwang – zumindest nicht in einem Fall, wie dem vorliegenden – unterliege. (AG Neuss, NJW 2003, S. 3785 (3787)).

Es hat sich gezeigt, daß ein Tendenzbetrieb „diskriminierende“ Entscheidungen oft mit seiner Eigenschaft als Betrieb, der eine bestimmte Tendenz vertritt, sachlich begründen kann.

Aus dieser Tatsache ließe sich der Umkehrschluß ziehen, der Nicht-Tendenzbetrieb könne

„diskriminierendes“ Verhalten niemals durch Verweis auf zwingende Vorgaben der eigenen Religion oder Weltanschauung rechtfertigen. Dem ist aber nicht so. Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit gestattet dem einzelnen unter bestimmten Voraussetzungen ein solches Verhalten.

Beispiele: 1. „Der Vermieter eines für eine Schlachterei geeigneten Ladenlokals lehnt es ab, das Lokal an einen Schlachtermeister zu vermieten, der auf Wunsch religiös motivierter Kunden Tiere ohne Betäubung tötet. Soll der Vermieter nunmehr gezwungen sein, das Lokal an diesen Schlachtermeister zu vermieten, weil das BVerfG das Schächten dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnet?“245 2. Der islamische Metzger lehnt es ab, Kundinnen ohne Kopftuch zu bedienen.246 3. „Eine Religionsgemeinschaft hält Homosexualität mit ihren religiösen Überzeugungen für unvereinbar und erwartet von ihren Mitgliedern „Distanz gegenüber Schwulen und Lesben“. Ein Mitglied dieser Religionsgemeinschaft lehnt es deshalb ab, einem homosexuellen Paar eine freie Wohnung zu vermieten, obgleich es den höchsten Mietzins bietet.“247 4. „Eine von der Waldorfpädagogik überzeugte Familie sucht per Anzeige für ihre auf einer Waldorfschule lernenden Kinder einen Nachhilfelehrer für die Fächer Mathematik und Englisch, der Anhänger der Anthroposophie Rudolf Steiners ist. Soll dies in Zukunft unzulässig sein?“248

Zu dem zweiten Beispielsfalls ist angemerkt worden, daß ein Verbot, Kundinnen ohne Kopftuch zu benachteiligen, nur dann den Schutzbereich des Art. 4 I GG betreffen würde, „wenn sich der Metzger auf einen Glaubenssatz berufen könnte, der es ihm verbietet, Fleisch an Frauen zu verkaufen, die kein Kopftuch tragen. [...] Er müßte ernsthaft darlegen können, daß das Betreiben einer Metzgerei nicht nur die Einhaltung bestimmter Regeln bei der Schlachtung der Tiere, sondern auch eine bestimmte Auswahl der Kundschaft erfordert.“249

Nicht vergessen werden darf, daß selbst dann, wenn dieser Nachweis erbracht wird, die Religionsfreiheit begrenzt ist, etwa durch Grundrechte Dritter. Vor diesem Hintergrund ist äußerst fraglich, ob in Deutschland unter Berufung auf die Religionsfreiheit die Möglichkeit besteht, Frauen ohne Kopftuch die Bedienung in einem Geschäft zu verweigern. Das gleiche gilt für die Ablehnung des homosexuellen Paars im dritten Beispielsfall, und zwar auch dann, wenn der

„Diskriminierende“ den Nachweis erbringt, daß die Religionsgemeinschaft, deren Mitglied er ist, von ihren Mitgliedern Distanz gegenüber Schwulen und Lesben erwartet.

245 Fragt Säcker, ZRP 2002, S. 286 (288).

246 Beispielsfall aus der AGG-Entwurfsbegründung, BT-Druck. 16/1780, S. 45.

247 Säcker, ZRP 2002, S. 286 (289).

248 Fragt Säcker, ZRP 2002, S. 286 (288).

249 AGG-Entwurfsbegründung, BT-Druck. 16/1780, S. 45.

Die Ablehnung des Schlachters dürfte dagegen von der Religions- bzw. Weltanschauungsfreiheit des Vermieters gedeckt sein. Noch eindeutiger fällt die Entscheidung im vierten Beispielsfall aus.

Hier hat die Weltanschauungsfreiheit des Bewerbers Einfluß auf das in Rede stehende Arbeitsverhältnis, konkret auf die Art und Weise, wie dieser seinen Unterricht gestaltet. Die Ablehnung eines Bewerbers, der die genannte Voraussetzung nicht erfüllt, muß demnach angesichts der Weltanschauungsfreiheit der Anbietenden gerechtfertigt sein. Um der Gefahr zu entgehen, daß die Berufung auf die eigene Religions- bzw. Weltanschauungsfreiheit bloßer Vorwand für die Ausgrenzung des Andersdenkenden ist, kann auch in diesen Fällen – wie in jedem – von den

„Diskriminierenden“ verlangt werden, daß sie ernsthaft darlegen, daß ihnen der eigene Glaube bzw.

die eigene Weltanschauung die Ausgrenzung gebieten.

VII. Zusammenfassung

Die im Rahmen des Prüfungspunktes „Tendenzschutz“ gewonnenen Erkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Auch sogenannte Tendenzbetriebe – etwa Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften – sind grundsätzlich an das Diskriminierungsverbot gebunden.

Die Überprüfung diskriminierungsrelevanter Entscheidungen von Tendenzbetrieben hat jedoch dem Selbstverständnis dieser Betriebe ein besonderes Gewicht beizumessen.

So kann der Tendenzbetrieb im Kernbereich seiner Tätigkeit von seinen Beschäftigten Tendenzzugehörigkeit verlangen – vom Pfarrer etwa, daß er Mitglied der Glaubensgemeinschaft ist, deren Werte er predigen soll. Im Randbereich seiner Tätigkeit ist dem Tendenzbetrieb dies nur dann gestattet, wenn der Arbeitnehmer Tendenzträger ist, also unmittelbar an der geistig-ideellen Zielsetzung des Betriebes – der Tendenz – mitwirkt. Das gilt etwa für Betreuerinnen eines konfessionellen Kindergartens dann, wenn bereits sie den Kindern die Werte der Kirche vermitteln sollen. Ansonsten ist der Tendenzbetrieb wie der „Nicht-Tendenzbetrieb“ zu behandeln. Gestattete man ihm, auch von Nicht-Tendenzträgern Tendenzzugehörigkeit zu verlangen, privilegierte man ihn gegenüber dem „Nicht-Tendenzbetrieb“ in einer nicht zu rechtfertigenden Weise.

Im Kernbereich seiner Tätigkeit ist es dem Tendenzbetrieb gestattet, auch aufgrund eines anderen Merkmals als der Tendenz zu unterscheiden, soweit dies nachgewiesenermaßen seinem Selbstverständnis entspricht. So ist etwa der Ausschluß weiblicher Bewerber für das Priesteramt in der katholischen Kirche als zulässig zu betrachten. Im Randbereich seiner Tätigkeit ist der Tendenzbetrieb wie der „Nicht-Tendenzbetrieb“ zu behandeln; und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer Tendenzträger ist oder nicht.

In jedem Fall kann der Tendenzbetrieb von seinen Arbeitnehmern tendenzdefensives Verhalten verlangen. Tendenzaggressiv verhält sich etwa der in einem katholischen Krankenhaus beschäftigte Arzt, der öffentlich für den legalen Schwangerschaftsabbruch eintritt.

Die Frage nach möglichem Tendenzschutz kann sich auch außerhalb des Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnisses stellen – etwa bei konfessionell gebundenen Studentenwohnheimen, die vom Wohnungssuchenden eine bestimmte Religionszugehörigkeit verlangen. Die für das Arbeitsrecht entwickelten Abwägungskriterien gelten auch hier.

Schließlich ist der Tendenzschutz nicht auf den Tendenzbetrieb beschränkt. Auch diskriminierungsrelevante Entscheidungen des Nichttendenzbetriebes lassen sich im Einzelfall mit dessen Religions- bzw. Weltanschauungsfreiheit rechtfertigen. So ist es Eltern etwa gestattet, von dem Nachhilfelehrer zu verlangen, daß er Anhänger der Weltanschauung ist, die er den Kindern vermitteln soll bzw. die Voraussetzung für die von ihnen gewünschte Unterrichtsgestaltung ist.

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 186-189)