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Diskriminierende Kundenwünsche

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 155-159)

Teil 3: Auswirkungen des Diskriminierungsverbotes auf das rechtsgeschäftliche und quasi- quasi-rechtsgeschäftliche Handeln

K. Interessen Dritter

II. Diskriminierende Kundenwünsche

Beispiele: 1. Ist die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die religiös bedingt ein Kopftuch trägt, mit der Begründung zulässig, es könne der Kundschaft ein derartiges Verhalten nicht zugemutet werden?114 2. Ist die Ablehnung eines potenziellen Gastes durch den Gastwirt gerechtfertigt, der meint, er könne seinen Gästen den Anblick einer mit Füßen essenden contergangeschädigten Frau nicht zumuten?115

In dem „Kopftuchfall“ stützte der Arbeitgeber, ein Kaufhausbetreiber, die Kündigung unter anderem darauf, Verkaufspersonal mit Kopfbedeckung sei einem Großteil der Kunden nicht zuzumuten.116 In diesem Sinne entschied die Berufungsinstanz, „[e]s könne keinem Zweifel unterliegen, daß die Bekl. im Hinblick auf den Charakter ihres Kaufhauses, dessen örtliche Lage und die Vorstellungen des ländlich-konservativ geprägten Kundenkreises mit dieser Kleiderordnung [ – vom Verkaufspersonal erwartete man Kleidung ohne auffällige, provozierende, ungewöhnliche fremdartige Akzente – ] berechtigte Interessen verfolge, denen sich die Klägerin als Arbeitnehmerin zu fügen habe.“117

Das BAG hat nicht nur Zweifel an dieser Sichtweise der Berufungsinstanz angemeldet, vielmehr die Religionsfreiheit der Kopftuch tragenden Arbeitnehmerin über die Berufsfreiheit des Unternehmers gestellt und die Kündigung für unwirksam erklärt, die aufgrund der Weigerung der Arbeitnehmerin, ohne Kopftuch zu arbeiten, erfolgt war.118 Das Gericht führte in seinem Urteil aus, das darlegungspflichtige Unternehmen hätte keine Tatsachen vorgetragen, aufgrund derer es bei einem

113 FAZ vom 08.08.2006, S. 13, unter dem Titel: „Im grauen Dunstbereich“.

114 BAG, NJW 2003, S. 1685 (1685).

115 Nickel berichtet von einem Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 27.09.1996 mit dem Titel: „Wer keine Hände zum Essen hat, ist als Gast unerwünscht“ (Nickel, Gleichheit und Differenz in der vielfältigen Republik, S.

84, Fn. 272).

116 BAG, NJW 2003, S. 1685 (1685).

117 Entscheidungsgründe der Berufungsinstanz abgedruckt in NJW 2003, S. 1685 (1685).

118 BAG, NJW 2003, S. 1685 (1685); Das BVerfG hat die daraufhin erfolgte Verfassungsbeschwerde des Arbeitgebers nicht zur Entscheidung angenommen. (BVerfG, NZA 2003, S. 959 (959)).

weiteren Einsatz der Kopftuch tragenden Arbeitnehmerin als Verkäuferin zu konkreten betrieblichen Störungen oder wirtschaftlichen Einbußen gekommen wäre.119

Mit dem Urteil hat das Gericht zum einen deutlich gemacht, daß Vorurteile der Geschäftspartner des Arbeitgebers allein eine Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen können.120 Auf der anderen Seite hat es klargestellt, daß eine „Diskriminierung“ gerechtfertigt ist, wenn die Ablehnung der Kunden so weit reicht, daß der „Diskriminierende“ finanzielle Einbußen erleidet. Fraglich ist, welchen Grad diese Einbußen erreicht haben müssen, um eine „Diskriminierung“ zu rechtfertigen.

1. Mindereinnahmen – Zumutbarer Grad der wirtschaftlichen Einbuße

Es wird vertreten, man könne von einem Arbeitgeber nicht verlangen, „daß er dem Gleichbehandlungsgebot auch dann nachkommt, wenn er dadurch den von ihm unbeeinflußbaren Erwartungen und Einstellungen seiner Geschäftspartner zuwider handeln und den Bestand seines Unternehmens nachhaltig gefährden würde“.121 Solange der Bestand des Unternehmens nicht gefährdet sei, seien vom Arbeitgeber sogar erhebliche Umsatzeinbußen hinzunehmen.122 Dies sei billig, treffe den Arbeitgeber doch das gleiche Risiko wie seine Konkurrenten, die ebenfalls dem Gleichbehandlungsgebot unterlägen.123 Außerdem wäre jede Grenzziehung zwischen gerade noch und nicht mehr hinzunehmenden wirtschaftlichen Einbußen willkürlich; ein klarer Maßstab für diese Grenzziehung sei jedenfalls nicht in Sicht.124

Diese Ansicht ist abzulehnen, kann doch ein Unternehmen nicht für gesellschaftliche (Fehl-)Entwicklungen verantwortlich gemacht und verpflichtet werden, die Folgen selbiger zu tragen.125 Natürlich tragen auch Privatunternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung. In erster Linie dienen sie jedoch dem legitimen Zweck, Gewinn zu erzielen. Diesem Umstand würde man nicht in gehörigem Maße Rechnung tragen, wenn man Privatunternehmen gewinnorientierte Entscheidungen verböte. Nimmt der Arbeitgeber nicht auch den bestqualifizierten Bewerber letztlich deshalb, weil er sich gerade durch diesen eine besonderes günstige Entwicklung seines

119 BAG, NJW 2003, S. 1685 (1687).

120 In diesem Sinne auch Richardi/Annuß, die im Rahmen des § 611 a BGB-A die Meinung vertraten, daß ein lediglich tradiertes Rollenverständnis nicht ausreicht, um die Unverzichtbarkeit der geschlechtsspezifischen Differenzierung zu begründen. (Richardi/Annuß in Staudinger, § 611 a, Rn. 54).

121 Richardi/Annuß in Staudinger, § 611 a, Rn. 54; Thüsing, RdA 2001, S. 319 (324); Richardi/Annuß sind nicht der Ansicht, die Erwartungen der Personen, mit denen der Arbeitgeber in Geschäftsbeziehung tritt, sollten eine unterschiedliche Behandlung stets rechtfertigen, wie von Thüsing behauptet. (vgl. dazu Thüsing, NJW 2003, S. 405 (406)).

122 Thüsing, RdA 2001, S. 319 (323); Diese Ansicht ist an das U.S.-amerikanische Arbeitsrecht angelehnt, das dem Arbeitgeber grundsätzlich zumutet, finanzielle Einbußen hinzunehmen, die einzig und allein auf Vorurteilen der Kunden beruhen. (Thüsing, RdA 2001, S. 319 (321)).

123 Thüsing, RdA 2001, S. 319 (323).

124 Thüsing, RdA 2001, S. 319 (323).

125 Thüsing ist vorzuhalten, daß für ihn das U.S.-amerikanische Recht das Maß aller Dinge zu sein scheint. In anderem Zusammenhang formuliert er: „ [...] und auch die Tatsache, daß auch das U.S.-amerikanische Recht nicht umhinkommt, hier Ausnahmen zu machen, legt es nahe, dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Differenzierung zu geben.“ (Thüsing, RdA 2001, S. 319 (324)).

Unternehmens, eine besonders hohe Rendite erhofft? Von niemandem wird bestritten, daß die Qualifikation ein sachlicher Unterscheidungsgrund ist.

Zudem ist das Argument, der Arbeitgeber trage das gleiche Risiko wie seine Konkurrenten, nicht stichhaltig. Richtig ist nur, daß formal alle das gleiche Risiko tragen, tatsächlich sich dieses potenzielle Risiko aber unterschiedlich auswirkt. Der Betreiber einer Szenekneipe, in der sich vornehmlich ausländerfeindlich eingestellte Personen treffen, ist sicherlich stärker von der Pflicht zur Einstellung auch schwarzer Kellner betroffen, als die alternative Studentenkneipe, in der regelmäßig Reggaepartys veranstaltet werden. Das in einer konservativen Gegend gelegene Kaufhaus ist sicherlich von dem Verbot der Kündigung einer kopftuchtragenden Verkäuferin stärker betroffen als das in Berlin-Kreuzberg oder Frankfurt am Main gelegene.

Auch das Argument, jede Grenzziehung zwischen gerade noch und nicht mehr hinzunehmenden wirtschaftlichen Einbußen sei willkürlich, ein klarer Maßstab für diese Grenzziehung jedenfalls nicht in Sicht, kann keine Begründung dafür sein, daß Unternehmen auch erhebliche Umsatzeinbußen hinzunehmen haben. Das BAG hat entschieden, daß wirtschaftliche Einbußen eine

„Diskriminierung“ rechtfertigen können. Eine bestimmte Höhe dieser Einbußen, gar erhebliche Umsatzeinbußen, scheint das Gericht damit nicht zu verlangen.

Die hier vertretene Sichtweise führt praktisch nicht dazu, daß auch gänzlich zu vernachlässigende Mindereinnahmen eine „Diskriminierung“ rechtfertigen. Das BAG verlangt nämlich, daß der

„Diskriminierende“ konkret darlegt, daß es zu wirtschaftlichen Einbußen gekommen ist bzw. eine reale Gefahr besteht, daß es zu solchen Einbußen kommen wird.126 Dieser Nachweis wird bei ganz unerheblichen Einbußen nicht zu führen sein.127 Außerdem wird das Unternehmen selbst wirtschaftliche Verluste erst ab einer bestimmten Höhe wahrnehmen.

2. Nichtbeachtung des diskriminierenden Kundenwunsches nicht sanktionierbar

In Übertragung der soeben angestellten Überlegungen kann für den zweiten Beispielsfall formuliert werden, daß der Gastwirt grundsätzlich verpflichtet ist, behinderte Menschen zu bedienen, solange er keine wirtschaftlichen Verluste dadurch erleidet, daß andere Gäste sein Lokal infolgedessen meiden und er durch deren Ausbleiben nachweislich wirtschaftliche Verluste erleidet.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang folgendes: Wenn der Gastwirt grundsätzlich verpflichtet sein soll, behinderte Menschen zu bedienen, dann kann ihm natürlich andererseits dieses Verhalten nicht zum Vorwurf gemacht werden. Den Gästen, die sich durch die Anwesenheit des Behinderten gestört fühlen, Schadensersatzansprüche gegenüber dem Gastwirt zuzusprechen, wäre fatal. Die

126 BAG, NJW 2003, S. 1685 (1687); Grundrechte sollen nicht durch bloßen Verdacht beiseite gestellt werden können.

(BAG, NJW 2003, S. 1685 (1687); Böckenförde, NJW 2001, S. 723 (728)).

127 Wann eine wirtschaftliche Einbuße unerheblich ist, hängt natürlich von der Größe des jeweiligen Unternehmens ab.

Was für eine große Bank „peanuts“ sind, kann für ein mittelständisches Unternehmen bereits eine erhebliche Umsatzeinbuße darstellen.

Rechtsprechung hat den „Geschädigten“ in derartigen Situationen gleichwohl Schadensersatzansprüche zuerkannt. So wurde entschieden, die Anwesenheit von Behinderten in einem Hotel könne ein Mangel des Reisevertrages sein, da eine Gruppe von Schwerbehinderten bei empfindsamen Menschen eine Beeinträchtigung des Urlaubsgenusses zumindest dann darstellen könne, wenn der Reisende dem Anblick der Behinderten nicht ausweichen kann.128 Auch wurde einem Anspruch auf Minderung des Reisepreises mit der Begründung stattgegeben, der ekelerregende Anblick von Schwerstbehinderten, die gefüttert werden müssen, habe dem Kläger den unbeschwerten Genuß der Mahlzeit unmöglich gemacht.129

Im Sinne der hier vertretenen Ansicht wird gesagt, aufgrund des Art. 3 III 2 GG130 sei das Maß auch zivilrechtlich gebotener gegenseitiger Rücksichtnahme und Toleranz gegenüber behinderten Menschen grundsätzlich neu und anders zu bestimmen.131 „Als schadensersatzfähige Beeinträchtigung des Reisegenusses wird man deshalb die Nähe von Menschen mit Behinderungen angesichts der ausdrücklichen Wertentscheidung des Art. 3 III 2 zukünftig grundsätzlich nicht mehr qualifizieren dürfen und auch die schwierige Abwägung zum beidseitig zumutbaren nachbarschaftlichen Interessenausgleich gem. § 906 BGB hat deutlicher als bisher zu berücksichtigen, daß etwa „unharmonische“ Geräusche der Kommunikation geistig Schwerbehinderter nicht den gewohnten Kategorien des Immissionsschutzrechts („Lästigkeitsfaktor“) zuzuordnen sind.“132

3. Mehreinnahmen

Fraglich ist schließlich, wie der umgekehrte Fall zu beurteilen ist, bei dem der Träger eines bestimmten Merkmals dem Unternehmen nachweislich Einnahmen verschafft, die derjenige, der nicht Träger dieses Merkmals ist, nicht zu erreichen vermag.

Beispiel: In einer Bar, in der sich vornehmlich männliche Gäste aufhalten, nimmt weibliche Bedienung in der Regel mehr Geld ein als männliche.

Nachgewiesen wurde bislang, daß finanzielle Verluste diskriminierungsrelevantes Verhalten zu rechtfertigen vermögen. Kann im Gegenzug auch die Aussicht auf Mehreinnahmen derartiges Verhalten rechtfertigen? Diese Frage muß bejaht werden, stehen doch Mehreinnahmen auf der

128 LG Frankfurt, NJW 1980, S. 1169 (1169 f.).

129 AG Flensburg, NJW 1993, S. 272 (272).

130 Art. 3 III 2 GG lautet: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“.

131 Osterloh in Sachs, Art. 3, Rn. 307.

132 Osterloh in Sachs, Art. 3, Rn. 307.

einen Seite Mindereinnahmen auf der anderen gegenüber.133 Das eine ist Kehrseite des anderen. In dem Beispielsfall könnte man deshalb auch sagen, daß die Kneipe durch den Einsatz von männlichen Servierern finanzielle Verluste erleidet.

Freilich gilt wie bei Stewardessen, daß es nicht Hauptaufgabe von Serviererinnen ist, anziehend auf ihre Gäste zu wirken. Sie sollen in erster Linie Bestellungen aufnehmen und selbige ausführen. Im Unterschied zu jenem Fall wirken sich die weiblichen Reize von Serviererinnen regelmäßig positiv auf die Geschäftsbilanz einer Bar aus. Dies muß Beachtung bei der Beantwortung der Frage nach der Hauptaufgabe von Serviererinnen finden. Unter Berücksichtigung dessen kann behauptet werden, daß die konkrete Arbeit einer Serviererin dem Hauptziel dient, möglichst viel Geld zu erwirtschaften. Das ist ein legitimes Ziel eines jeden Kneipiers, eines jeden Unternehmers.

Wenn man dieses Ziel aber anerkennt, muß man dem Kneipier das Recht einräumen, diejenigen Bewerber auszusuchen, die dieses Ziel am besten erreichen können.134 Wenn, was wenig wahrscheinlich ist, sich die Fluggäste ihre Flüge nach dem Geschlecht der Flugbegleiter aussuchen sollten, wenn das Geschlecht selbiger also zu einem finanziellen Faktor werden sollte, dann wäre auch in diesem Bereich die Wahl der Flugbegleiter nach dem Geschlecht als zulässig einzustufen.135

„Unterschiedliche Absatzzahlen müssen den überzeugen, der natürliche Unterschiede nicht mehr versteht.“136

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 155-159)