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Gleichbehandlung Behinderter

Maßnahmen, die allein dem Schutz vor Diskriminierung aufgrund einer Behinderung dienen, existieren im Gegensatz zu den bereits erwähnten Merkmalen Geschlecht und Rasse bzw. ethnische Herkunft auf völkerrechtlicher Ebene nicht. Gleichwohl verdeutlichen einzelne völkerrechtliche Maßnahmen, daß auch das Unterscheidungsmerkmal Behinderung im Kampf gegen Diskriminierung eine besondere Stellung einnimmt.

So verpflichtet die Europäische Sozialcharta die Vertragsparteien in Art. 15 Nr. 2

„geeignete Maßnahmen zu treffen für die Vermittlung Behinderter auf Arbeitsplätze, namentlich [...] durch Maßnahmen, die den Arbeitgebern einen Anreiz zur Einstellung von Behinderten bieten.“

Die Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer verfolgt gem. ihres Titels I Nr. 26 neben der beruflichen auch die soziale Eingliederung behinderter Menschen. Gemäß Art. 25 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

„[...] anerkennt und achtet [die Union] den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft.“

Zu beachten ist, daß Art. 25 keinen besonderen Gleichheitssatz enthält, sondern lediglich eine Aufgaben- und Zielbestimmung darstellt.109

Besondere Erwähnung verdient an dieser Stelle die Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf110 vom 27.11.2000, die wie die bereits erwähnte Richtlinie 2000/43/EG auf Grundlage des Art. 13 EGV erlassen worden ist.111 Sie bezweckt gem. ihres Art. 1 unter anderem die Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund einer Behinderung.

Ein Verbot der Diskriminierung behinderter Menschen enthält auch die deutsche Verfassung.

Gemäß Art. 3 III 2 GG „[darf n]iemand [...] wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

109 Kingreen in Calliess/Ruffert, Art. 6 EUV, Rn. 173.

110 Abl. EG 2000 Nr. L 303, S. 16 ff.

111 Streinz in Streinz, Art. 13 EGV, Rn. 21.

Fraglich ist auch hier, ob die Norm den Staat verpflichtet, vor Diskriminierung durch Private zu schützen. Art. 3 III 2 GG statuiert im Gegensatz zu Art. 3 III 1 GG kein Bevorzugungsverbot.

Dadurch soll Art. 3 III 2 GG ein Stück in Richtung des Art. 3 II GG rücken.112 Ganz überwiegend wird dennoch vertreten, daß Art. 3 III 2 GG den Staat zumindest nicht zu gesetzgeberischen Maßnahmen verpflichtet.113

Mit der Einfügung des am 01.07.2001 in Kraft getreten § 81 II des neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX) beabsichtigte der Gesetzgeber die Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG in bezug auf das Unterscheidungsmerkmal Behinderung.114 Gemäß § 81 II 1 SGB IX

„[dürfen] Arbeitgeber [...] schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen.“115

In den folgenden Sätzen, die das Benachteiligungsverbot des Satzes 1 konkretisieren, enthielt § 81 II SGB IX in seiner ursprünglichen Fassung Bestimmungen, die dem § 611 a BGB-A nachgebildet waren. Die Kommentierung und Rechtsprechung zum Verbot der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts sei aus diesem Grund nahezu vollständig auf das einer Behinderung übertragbar gewesen.116

Durch Art. 3 X des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung117 wurde § 81 II 2 SGB IX wie folgt neu gefaßt:

„Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.“118

112 Heun in Dreier, Band I, Art. 3, Rn. 134.

113 Osterloh argumentiert, es fehle an einer dem Art. 3 II 2 GG entsprechenden Formulierung (Osterloh in Sachs, Art.

3, Rn. 307); Auch Starck verneint eine Verpflichtung des Privatgesetzgebers, wenn er formuliert, dieser könne Normen schaffen, die eine Gleichbehandlung Behinderter im Privatrechtsverkehr verlangen. (Starck in von Mangoldt/Klein/Starck, Band 1, Art. 3 Abs. 3, Rn. 388) Eine differnzierte Ansicht vertritt Casper, der dem Art. 3 III 2 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip ein objektiv-rechtliches Optimierungsgebot entnimmt, durch das insbesondere dem Gesetzgeber aufgegeben werde, den Unterschied zwischen behinderten und nichtbehinderten Personen möglichst zu beseitigen und auf eine Integration der Behinderten in die Gesellschaft hinzuwirken ohne jedoch ein unmittelbares subjektives Teilhaberecht des Behinderten auf konkrete staatliche Leistungen zu statuieren. (Casper, EuGRZ 2000, S. 135 (139 f.) Ähnlich formuliert es auch Frowein: „Eine Ausschaltung der Benachteiligung wegen Behinderung ist ganz offenbar nur dann ein sinnvolles und erreichbares Ziel, wenn damit nicht nur das Verhältnis zu dem Staat und seinen Organen gemeint ist, sondern ein allgemeines Prinzip ausgedrückt wird, dessen Förderung Sache des Staates ist. (Frowein in Festschrift für Hans F. Zacher, S. 157 (159)) Auch Jarass betont, Art. 3 III 2 GG verlange die Förderung Behinderter bzw. den Abbau von Benachteiligungen in der Gesellschaft, ohne jedoch eine Verpflichtung des Staates, Behinderte im Privatrechtsverkehr vor Diskriminierung zu schützen, zu konstatieren. (Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 131) Ebenso sieht Scholz in Art. 3 III 2 GG einen Auftrag an den Gesetzgeber zur Abwehr von Diskriminierungen Behinderter, der jedoch nicht so weit gehe, daß der Gesetzgeber zum Erlaß eines Gleichstellungsgesetzes für Behinderte sowie anderer Leistungen und Begünstigungen verpflichtet ist, da es in dessen pflichtgemäßem Ermessen stehe, auf welche Weise er das nunmehr ausdrücklich verankerte Benachteiligungsverbot für Behinderte konkret umsetzt. (Scholz in Maunz/Dürig, Band I, Art. 3 Abs. 3, Rn. 174 f.).

114 Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, Rn. 165 a.

115 Wann ein Mensch schwerbehindert im Sinne des § 81 II SGB IX ist, ergibt sich aus § 2 II, III SGB IX.

116 Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, § 81, Rn. 11.

117 BGBl. 2006 I, S. 1897 ff.

118 Beachte in diesem Zusammenhang die Übergangsvorschrift des § 33 I AGG, die laut Entwurfsbegründung auch für Benachteiligungen nach § 81 II SGB IX gelten soll. (Entwurfsbegründung, BT-Druck. 16/1780, S. 53).

Grund für die Verweisung ins AGG bildet die Tatsache, daß nunmehr dieses Gesetz, wie bereits erwähnt, in den §§ 7 und 19 Benachteiligungsverbote innerhalb und außerhalb von Beschäftigung und Beruf statuiert. Unzulässig sind dabei – in Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG – unter anderem Benachteiligungen „wegen [...] einer Behinderung“.

Besondere Erwähnung verdient § 81 IV SGB IX, der den Arbeitgeber zu bestimmten Fördermaßnahmen zugunsten Behinderter, wie z.B. der behindertengerechten Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitstätten (Nr. 4), verpflichtet. Eine ähnliche Norm enthält auch die Richtlinie 2000/78/EG. Gemäß ihres Art. 5 muß

„[...] der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen [ergreifen], um den Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten. Diese Belastung ist nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch geltende Maßnahmen im Rahmen der Behindertenpolitik des Mitgliedstaates ausreichend kompensiert wird.“

Art. 5 der Richtlinie und § 81 IV SGB IX deuten an, daß es im Falle des Unterscheidungsmerkmals Behinderung nicht ausreicht, ein bestimmtes (diskriminierendes) Verhalten zu verbieten.

Erforderlich ist vielmehr, daß zunächst die Möglichkeit der Teilnahme Behinderter am gesellschaftlichen Leben gesichert wird.

Diesem Umstand versucht das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG)119 vom 27.04.2002 durch Regelungen über die sog.

Barrierefreiheit Rechnung zu tragen.120 Unmittelbare Bedeutung erlangt das BGG für die vorliegende Arbeit jedoch nicht, da es sich nicht an Privatpersonen richtet, selbige mithin nicht verpflichtet.

Der Diskriminierungsschutz reicht nicht soweit, daß der Behinderte einen Einstellungsanspruch hätte. § 15 VI AGG schließt einen derartigen Anspruch explizit aus. Zu beachten ist jedoch, daß Unternehmen einer bestimmten Größe gem. § 71 SGB IX einen gewissen Prozentsatz an Arbeitsplätzen schwerbehinderten Menschen zur Verfügung stellen müssen. Aus dieser Verpflichtung folgt aber kein Recht des einzelnen auf Einstellung, da die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers lediglich im Verhältnis zum Staat besteht.121

119 BGBl. 2002, I 1, S. 1468 ff.

120 Gemäß § 4 BGG sind barrierefrei „[...] bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“.

121 Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß, § 71, Rn. 3; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, § 71, Rn. 3;

Gewarnt wird deshalb vor einer Fehlinterpretation des § 81 III sowie des § 81 IV 1 Nr. 1. Die Bestimmungen

Gemäß § 81 II 1 Nr. 1 SGB IX darf ein Schwerbehinderter unter anderem bei einer Kündigung nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Zudem gewährt § 85 SGB IX besagtem Personenkreis besonderen Kündigungsschutz. Gemäß dieser Norm bedarf

„[d]ie [ordentliche] Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber [...]

der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.“

Gleiches gilt gem. § 91 I i.V.m. § 85 SGB IX auch für die außerordentliche Kündigung. Wie im Falle des § 9 MuSchG dürfte die Vorschrift nicht allein den Schutz vor Diskriminierung, sondern vor allem bezwecken, vor Ausspruch der Kündigung die besonderen Schutzinteressen Schwerbehinderter zu berücksichtigen und Kündigungen, die mit dem Schutzzweck des Gesetzes unvereinbar sind, zu vermeiden.122