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Resümee – Unsachliche Behandlung rechtswidrig

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 101-107)

Teil 2: Diskriminierung – Begriffsbestimmung

C. Rechtswidrigkeit des diskriminierungsrelevanten Verhaltens

VI. Diskriminierungsmerkmal als subjektive Anforderung

3. Resümee – Unsachliche Behandlung rechtswidrig

Die Definitionen in den §§ 3 II und 8 I AGG erinnern an den aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz,303 wonach ein Grundrechtseingriff durch die öffentliche Gewalt geeignet, erforderlich und angemessen sein muß.304

Es wurde vorgeschlagen, bei der Umsetzung des Art. 2 II lit. b Richtlinie 2000/43/EG – der eine dem § 3 II AGG vergleichbare Regelung enthält – das Unverzichtbarkeitserfordernis des § 611 a I 2 BGB-A entsprechend heranzuziehen, da die Formulierung der Richtlinie „so allgemein und unbestimmt [sei], daß ihr klare Kriterien für erlaubte Ausnahmen kaum entnommen werden können.“305

Gemäß § 611 a I 2 BGB-A war

„[e]ine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts [...] zulässig, soweit [...] ein bestimmtes Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für diese Tätigkeit [war].“306

Es ist falsch zu glauben, § 611 a I 2 BGB-A sei durch sein Unverzichtbarkeitserfordernis in dem beschriebenen Sinne klarer formuliert gewesen.

Insofern kann zunächst festgehalten werden, daß das Unverzichtbarkeitsmerkmal des § 611 a I 2 BGB-A nicht nur Fälle objektiver und rechtlicher Unverzichtbarkeit erfassen sollte, wie es der Begriff „unverzichtbar“ auf den ersten Blick nahe legen mag.307 Die Begriffswahl wurde aus diesem Grunde als mißglückt bezeichnet.308 Letztlich sollte auch im Rahmen des § 611 a I 2 BGB-A wertend zu entscheiden sein, ob ein bestimmtes Unternehmerinteresse als ausreichend gewichtig anzusehen sei, um das Gleichbehandlungsinteresse des Arbeitnehmers zurückzudrängen.309

303 Nickel trifft diese Feststellung in bezug auf Art. 2 II lit. b Richtlinie 2000/43/EG, der eine dem § 3 II AGG vergleichbare Regelung enthält. (Nickel, NJW 2001, S. 2668 (2671)).

304 Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 83.

305 Nickel, NJW 2001, S. 2668 (2671); a.A. Thüsing, NZA 2001, S. 1061 (1062).

306 Hervorhebung durch den Verfasser.

307 Vergleiche dazu die in der Entwurfsbegründung zu § 611 a BGB-A genannten Beispiele (BT-Druck. 8/3317, S. 9);

Mitteilung der Regierung der BRD an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, RdA 1988, S. 36 (36);

vgl. auch Eich, der meinte, § 611 a BGB-A verlange keine Notwendigkeit (Unverzichtbarkeit) im naturwissenschaftlichen Sinne. (Eich, NJW 1980, S. 2329 (2331)).

308 Thüsing, RdA 2001, S. 319 (322); Richardi/Annuß in Staudinger, § 611 a, Rn. 52; Schlachter in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 611 a, Rn. 22; Eich hat die Auffassung vertreten, daß der Begriff „notwendig“

angebrachter und im Sinne einer einheitlichen juristischen Terminologie korrekter gewesen wäre. (Eich, NJW 1980, S. 2329 (2331)); Eich folgend Söllner in MüKo (2. Auflage), § 611 a, Rn. 13;

Auch formale Gründe wurden gegen die Bezeichnung „unverzichtbar“ ins Feld geführt: Sie entspräche nicht der üblichen bürgerlich-rechtlichen Terminologie, da unter „Verzicht“ üblicherweise die Aufgabe einer bestimmten Rechtsposition verstanden werde. (Richardi/Annuß in Staudinger, § 611 a, Rn. 52).

309 Richardi/Annuß in Staudinger, § 611 a, Rn. 53; vgl. auch Müller-Glöge: „Gefordert ist eine wertende Entscheidung, die letztendlich von den Gerichten für Arbeitssachen wahrgenommen wird.“ (Müller-Glöge in MüKo, § 611 a, Rn.

42).

Die Frage, wo die objektive Grenze der dem „Diskriminierten“ dadurch eingeräumten Möglichkeit der „Unverzichtbarmachung“ eines bestimmten Geschlechts genau verlaufen sollte, wurde dabei unterschiedlich beantwortet. Einen sachlichen Grund schienen diejenigen genügen zu lassen, die die Meinung vertraten, jede plausible Argumentation müsse zur Unverzichtbarkeit führen.310 In diesem Sinne vertraten andere die Ansicht, mit dem Tatbestandsmerkmal der Unverzichtbarkeit sei eine bestimmte Fallgruppe eines sachlichen Grundes angesprochen, deren Besonderheit darin bestehe, daß der sachliche Grund an der Art der ausbedungenen Tätigkeit zu messen sei.311 In diese Richtung schien auch das BAG zu tendieren, wenn es in einem Fall feststellte, „ein sachlicher Differenzierungsgrund [liegt] vor, weil aufgrund der Praxisnotwendigkeiten die Eigenschaften als Frau für den Bekl. und nach seinem unbestrittenen Sachvortrag auch für seine Patienten/innen unverzichtbare Voraussetzung des Arbeitsverhältnisses war.“312 In einem anderen Urteil des Gerichts heißt es, „ein Verstoß gegen § 611 a BGB[-A] liege nicht vor, wenn die unterschiedliche Behandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern durch sachliche Gründe gerechtfertigt werden.“313 Desweiteren wurde behauptet, ein sachlicher Grund allein genüge in der Regel nicht,314 was den Umkehrschluß zuläßt, daß nach dieser Ansicht zumindest ausnahmsweise ein solcher ausreichen sollte.315

Auf der anderen Seite wurde die Auffassung vertreten, zur Unverzichtbarkeit bedürfe es mehr als bloß eines sachlichen Grundes.316 In scheinbarem Widerspruch zu seiner soeben zitierten Rechtsprechung hat dies in einem späteren Urteil auch das BAG festgestellt.317

Die angestellten Überlegungen führen zu der Erkenntnis, daß es sinnvoll gewesen wäre, die Richtlinienvorgaben durch Einführung des Begriffs „sachlicher Grund“ umzusetzen. Dies ist teilweise auch geschehen. So ist gem. § 20 I 1 AGG eine Verletzung des zivilrechtlichen Benachteiligungsverbots nicht gegeben,

„wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt.“ 318

310 Adomeit, DB 1980, S. 2388 (2388).

311 Eich, NJW 1980, S. 2329 (2331).

312 BAG, NZA 1991, S. 719 (723).

313 BAG, NZA 1993, S. 933 (934).

314 Putzo in Palandt, § 611 a, Rn. 12.

315 Auch Lorenz scheint das Unverzichtbarkeitserfordernis als sachlichen Grund verstanden zu haben, wenn er sagte, das Differenzierungsgebot sei sonstigen sachlichen Gründen nicht zugänglich. (Lorenz, DB 1980, S. 1745 (1745));

Unabhängig von § 611 a BGB-A scheint auch Baer „lediglich“ einen sachlichen Grund zu verlangen: „Wer an

„Schwarze“ nicht vermieten will, weil sie „schwarz“ sind, wird von der Rechtsordnung nicht geadelt. Sachliche Rechtfertigungen sind hier kaum denkbar: Die „Reinhaltung“ der Wohngegend ist auch rassistisch, wenn Menschen angeblich vor Übergriffen geschützt werden sollen („Sie passen da nicht hin“). Wer umgekehrt an mißhandelte Frauen vermietet, kann dies sachlich rechtfertigen, da deren Situation objektiv kompensatorische Maßnahmen erforderlich macht.“ (Baer, ZRP 2002, S. 290 (293 mit Fn. 33)).

316 Thüsing, RdA 2001, S. 319 (320); Schlechtriem in Jauernig, §§ 611 a, 611 b, Rn. 3.

317 BAG, NZA 1999, S. 371 (372).

318 Ausführliche Darstellung des § 20 AGG unter Teil 4, Prüfungspunkt B. I. 4. a).

Zum einen ist das Erfordernis der wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung in § 8 I AGG bedeutungslos neben dem in der Bestimmung außerdem statuierten Erfordernis: „[...] sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.“

Zum anderen haben die Ausführungen zu § 611 a I 2 BGB-A gezeigt, daß gerade der Begriff

„unverzichtbar“ nur scheinbar eindeutig weil wertungsfrei war; daß unter ihn Fälle subsumiert wurden, die von seiner eigentlichen Wortbedeutung weit entfernt waren.319 Dasselbe gilt natürlich auch für den nunmehr in § 8 I AGG enthaltenen Begriff der wesentlichen und entscheidenden berufliche Anforderung.

Es kann schließlich behauptet werden, daß der Begriff der wesentlichen und entscheidenden Anforderung gegenüber dem des sachlichen Grundes keineswegs die „enger gefaßte Klausel“320 darstellt, so daß die Einführung des Begriffs „sachlicher Grund“ nicht zu einer Absenkung des Schutzniveaus gegenüber dem Erfordernis der wesentlichen und entscheidenden Anforderung führen muß, wie dies teilweise hinsichtlich des Unverzichtbarkeitserfordernisses in § 611 a I 2 BGB-A behauptet wurde.321 Denn nicht nur das Erfordernis der wesentlichen und entscheidenden Anforderung ist im Lichte des Diskriminierungsverbotes auszulegen.322 Auch die Frage nach dem Vorliegen eines sachlichen Grundes ist mit Blick auf das Diskriminierungsverbot zu beantworten.

Das entscheidende Argument ist insofern, daß der auslegungsfähige und -bedürftige Begriff

„sachlicher Grund“ im Sinne der Antidiskriminierungsmaßnahmen, die im Zivilrecht Drittwirkung entfalten – das gilt beispielsweise für die Antidiskriminierungsrichtlinien –, auszulegen ist.323 Wenn nun aber beide Begriffe geeignet sind, die gleichen Anforderungen an die Rechtfertigung diskriminierungsrelevanten Verhaltens zu stellen, ist der Begriff „sachlicher Grund“ dem Begriff

„wesentliche und entscheidende [...] Anforderung“ vorzuziehen, verdeutlicht er als auslegungsbedürftiger Rechtsbegriff doch, daß die Rechtfertigung diskriminierungsrelevanten Verhaltens letztlich immer eine einzelfallabhängige Abwägungsentscheidung bleibt.324

319 Insofern war es falsch, wenn Nickel behauptete, § 611 a BGB-A enthalte keine unbestimmten Rechtsbegriffe, an die eine Einwirkung der Grundrechte anknüpfen könnte. (Nickel, Gleichheit und Differenz in der vielfältigen Republik, S. 121).

320 So Nickel in bezug auf das Unverzichtbarkeitserfordernis in § 611 a I 2 BGB-A (Nickel, NJW 2001, S. 2668 (2671)).

321 Wiedemann/Thüsing, DB 2002, S. 463 (468); BAG: „Eine unverzichtbare Voraussetzung [...] stellt erheblich höhere Anforderungen an das Gewicht des die Ungleichbehandlung rechtfertigenden Umstandes als ein sachlicher Grund, [...].“ (BAG, NZA 1999, S. 371 (372)).

322 So das BAG hinsichtlich des Unverzichtbarkeitserfordernisses in § 611 a I 2 BGB-A: “[…] denn das Geschlecht ist nur dann unverzichtbar, wenn ein Angehöriger des jeweils anderen Geschlechts die vertragsgemäße Leistung nicht erbringen könnte und dieses Unvermögen auf Gründen beruht, die ihrerseits der gesetzlichen Wertentscheidung der Gleichberechtigung beider Geschlechter genügen.“ (BAG, NZA 1999, S. 371 (372); Hervorhebungen durch den Verfasser).

323 Zu den Auswirkungen der untersuchten Antidiskriminierungsmaßnahmen auf das Privatrechtsverhältnis vgl. Teil 4, Prüfungspunkt A. I.

324 Vergleiche dazu Teil 3, Prüfungspunkt A.

Im Zusammenhang mit den soeben angestellten Überlegungen ist hinzuweisen auf die unterschiedlichen Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit den Anforderungen an die Rechtfertigung diskriminierungsrelevanten Verhaltens in den §§ 8-10 und 20 AGG. Sie reichen von

„sachlicher Grund“ in § 20 über „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung [...], sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen“ in § 8 I und „gerechtfertigte berufliche Anforderung“ in § 9 I bis zu „objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt“, soweit die „Mittel zur Erreichung dieses Ziels [...] angemessen und erforderlich“ in

§ 10 Satz 1 und 2. Dieser gesetzestechnische Wirrwarr ist, wie nachgewiesen wurde, nicht erforderlich. Der Begriff des sachlichen Grundes ist aufgrund seiner Flexibilität geeignet, auf die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls in adäquater Weise zu reagieren.

Mit Blick auf die (nach Inkrafttreten des AGG theoretische) Frage der gesetzestechnischen Umsetzung des Diskriminierungsverbotes ist darauf hinzuweisen, daß der Begriff „sachlicher Grund“ einen Rechtfertigungsgrund darstellt. Vor dem Hintergrund des hier vertretenen Konzepts, wonach diskriminierungsrelevantes Verhalten grundsätzlich nicht dessen Rechtswidrigkeit indiziert,325 müßte – um den Unterschied zwischen Rechtswidrigkeit und Rechtfertigungsgrund deutlich zu machen – die Gesetzesformulierung auf den Begriff „sachlicher Grund“ verzichten und stattdessen den der „unsachlichen Behandlung“ gebrauchen.

VII. Zusammenfassung

Ausgangspunkt für die im Rahmen des Prüfungspunktes „Rechtswidrigkeit des diskriminierungsrelevanten Verhaltens“ gemachten Ausführungen war die Feststellung, daß die bis dahin angestellten Überlegungen zum Diskriminierungsbegriff etwaige Interessen des

„Diskriminierenden“ völlig unberücksichtigt gelassen hatten. Die vor diesem Hintergrund angestellten Überlegungen führten zu folgenden Erkenntnissen: Ein dem Schutz des

„Diskriminierten“ dienendes zivilrechtliches Diskriminierungsverbot greift in das grundrechtlich geschützte Recht des „Diskriminierenden“ auf privatautonomes Handeln ein und erzeugt damit ein Spannungsverhältnis, das es durch Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien zu lösen gilt. Der (inter-)nationale Gesetzgeber hat zu diesem Zweck bestimmt, daß eine „Diskriminierung“

unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt ist bzw. eine Ungleichbehandlung keine Diskriminierung darstellt.

Die folgenden Überlegungen beschäftigten sich mit der Beantwortung der Frage, wann diskriminierungsrelevantes Verhalten rechtswidrig ist. Zu diesem Zweck wurde untersucht, unter welchen Voraussetzungen diskriminierungsrelevantes Verhalten nach § 8 I AGG gerechtfertigt ist

325 Vergleiche dazu Teil 2, Prüfungspunkt C. III.

bzw. im Sinne der Antidiskriminierungsrichtlinien keine Diskriminierung darstellt. Dabei wurde zunächst auf den in diesem Zusammenhang in den genannten Rechtsquellen verwendeten Begriff der „wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung“ eingegangen und festgestellt, daß

„wesentlich und entscheidend“ im Sinne dieser Rechtsquellen ist, was „unverzichtbar“ im Sinne des

§ 611 a I 2 BGB-A war, und vice versa. Für die Beantwortung der Frage, wann diskriminierungsrelevantes Verhalten nach § 8 I AGG gerechtfertigt ist bzw. im Sinne der Antidiskriminierungsrichtlinien keine Diskriminierung darstellt, konnte so die umfangreiche Rechtsprechung und Kommentierung zu § 611 a I 2 BGB-A fruchtbar gemacht werden. Diesen Vorüberlegungen schlossen sich folgende Erkenntnisse an:

Ein bestimmtes Geschlecht ist „wesentlich und entscheidend“ im Sinne des § 8 I AGG, wenn die in Rede stehende Tätigkeit naturwissenschaftlich bedingt nur von einem Geschlecht ausgeübt werden kann (objektive Anforderung). Dasselbe gilt für alle Diskriminierungsmerkmale und sämtliche denkbaren Rechtsverhältnisse. Die Richtlinie 2000/43/EG, die hinsichtlich des von ihr geschützten Merkmals außerhalb des Arbeitsrechts ein absolutes Diskriminierungsverbot statuiert – das geschützte Merkmal in diesem Bereich also niemals „wesentlich und entscheidend“ im Sinne des Art. 4 besagter Richtlinie sein kann, diskriminierungsrelevantes Verhalten außerhalb des Arbeitrechts folglich stets rechtswidrig sein soll – ist deshalb zu kritisieren.

Ein bestimmtes Geschlecht ist auch dann wesentlich und entscheidend im Sinne des § 8 I AGG, wenn es für die Durchführung einer Tätigkeit gesetzlich vorgeschrieben ist (rechtliche Anforderung). Beispielhaft können insofern Beschäftigungsverbote sowie Fördermaßnahmen in Form von Quotenregelungen genannt werden. Im Zusammenhang mit letzteren wurde in einem Exkurs der Frage nachgegangen, ob sich eine derartige „positive Diskriminierung“ – die nicht geförderte Gruppe wird durch eine Quotenregelung benachteiligt – überhaupt in ein Diskriminierungsschutzkonzept eingliedern läßt. Für die Beantwortung dieser Frage war es erforderlich, sich die Ziele von Diskriminierungsschutzmaßnahmen zu vergegenwärtigen. Diese Untersuchung, die auch europarechtliche Vorgaben berücksichtigte, führte zu den folgenden Erkenntnissen: Positive Diskriminierung kommt als ultima ratio immer nur dann in Betracht, wenn sich das gewünschte Ergebnis – Teilhabe statt Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Leben – nicht schon durch die bloße Gewährung des Anspruchs auf formale Gleichbehandlung realisieren läßt.

Die Gewährung des Anspruchs auf formale Gleichbehandlung im Wege der Statuierung eines bloßen Diskriminierungsverbotes wird bei einem Großteil der Diskriminierungsmerkmale dieses Ergebnis bewirken. Soweit Quotenregelungen nötig sind, müssen selbige grundsätzlich als relative Quoten ausgestaltet sein. Absolute Quoten lassen sich im Privatrechtsverkehr nur ausnahmsweise rechtfertigen – etwa im Arbeitsrecht für das Merkmal „Schwerbehinderung“. Vor der Einführung von Quotenregelungen ist zu prüfen, ob die angestrebte Teilhabe der benachteiligten Gruppe nicht

eventuell dadurch erreicht werden kann, daß Fördermaßnahmen getroffen werden, die – wie etwa die Rampe für den Rollstuhlfahrer – nicht zu positiver Diskriminierung führen.

Als Beispiele rechtlicher Unverzichtbarkeit können auch einige sozialstaatlich motivierte Regelungen des deutschen Arbeitsrechts genannt werden, die den Arbeitgeber verpflichten oder ihm gestatten, das Alter des Arbeitnehmers zum Anknüpfungspunkt bestimmter Entscheidungen zu machen. Obwohl dem Grunde nach europarechtlich legitimiert, war auch hier der Frage nachzugehen, wie sich derartige Maßnahmen in ein Diskriminierungsschutzkonzept eingliedern lassen. Folgende Feststellungen wurden insofern getroffen: „Diskriminierung“, die aufgrund sozialer Gesichtspunkte vorgeschrieben ist bzw. für zulässig erklärt wird, verfolgt letztlich dasselbe, was Diskriminierungsschutz erreichen möchte. Beide Institute können also funktional vergleichbar eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang wurde noch einmal daran erinnert, daß Diskriminierungsschutz seinerseits nicht beschränkt ist auf das Gebot formeller Gleichbehandlung.

Schließlich wurde festgestellt, daß beide Institute stets im Lichte des jeweils anderen betrachtet werden müssen.

Die Ausführungen zur rechtlichen Unverzichtbarkeit schlossen mit Überlegungen zu möglichen Konsequenzen des Verstoßes einer nationalen Regelung gegen höherrangigeres Recht, speziell gegen die Antidiskriminierungsrichtlinien. Es wurde festgestellt, daß eine Richtlinienvorschrift in einem nationalen Gerichtsverfahren nicht als Rechtsgrundlage der Entscheidung fungieren kann, daß dem nationalen Richter aber unbenommen ist, richtlinienwidriges nationales Recht nicht anzuwenden.

Die Tatsache, daß gem. § 8 I AGG das jeweilige Diskriminierungsmerkmal nur dann eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung bzw. Voraussetzung darstellt, „[...] sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist [...]“, führte zu der Erkenntnis, daß nach dieser Bestimmung letztlich wertend zu entscheiden ist, ob ein bestimmtes Unternehmerinteresse als ausreichend gewichtig anzusehen ist, um das Gleichbehandlungsinteresse des Arbeitnehmers zurückzudrängen; daß das Merkmal der wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung i. S. d. § 8 I AGG also nicht beschränkt ist auf die wenigen Fälle objektiver und rechtlicher Anforderung, bei denen die Frage der Rechtfertigung völlig wertungsfrei beantwortet werden kann. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis wurden folgende Feststellungen getroffen: Dem Arbeitgeber steht es grundsätzlich frei, etwa ein bestimmtes Geschlecht für die in Rede stehende Tätigkeit für wesentlich und entscheidend zu erklären – subjektive Anforderung.

Diese „Wesentlich- und Entscheidendmachung“ ist objektiv begrenzt durch die Begriffe

„rechtmäßiger Zweck“ und „angemessene Anforderung“, wobei hinter ersterem die Notwendigkeit sachlicher Rechtfertigung steht, während der zweite ein Hinweis auf die – auch im Rahmen des § 3 II AGG – notwendige „Zweck-Mittel-Relation“ sein dürfte.

Die zur subjektiven Anforderung angestellten Überlegungen führten schließlich zu der Erkenntnis, daß es sinnvoll gewesen wäre, die Richtlinienvorgaben hinsichtlich der Frage der Rechtswidrigkeit diskriminierungsrelevanten Verhaltens durch Einführung des Begriffs „unsachlich“ umzusetzen, wie in § 20 I 1 AGG durch Einführung des Rechtfertigungsgrundes „sachlicher Grund“ teilweise geschehen. In diesem Zusammenhang wurde nachgewiesen, daß die Verwendung der Formulierung

„unsachlich“ nicht zu einer Absenkung des durch § 8 I AGG gewährten und von den Antidiskriminierungsrichtlinien geforderten Schutzniveaus führt. Der Begriff „unsachlich“ wurde schließlich für vorzugswürdig erklärt, weil er als auslegungsbedürftiger Rechtsbegriff im Gegensatz zu den Begriffen „wesentlich und entscheidend“ unmißverständlich verdeutlicht, daß die Frage der Rechtswidrigkeit diskriminierungsrelevanten Verhaltens eine einzelfallabhängige Abwägungsentscheidung ist.

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 101-107)