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Diskriminierungsverbot und Sozialstaatsprinzip

Teil 2: Diskriminierung – Begriffsbestimmung

C. Rechtswidrigkeit des diskriminierungsrelevanten Verhaltens

V. Diskriminierungsmerkmal als rechtliche Anforderung

3. Diskriminierungsverbot und Sozialstaatsprinzip

Es gibt im deutschen Arbeitsrecht eine Reihe von Regelungen, die den Arbeitgeber verpflichten oder ihm gestatten, das Alter des Arbeitnehmers zum Anknüpfungspunkt von Entscheidungen zu machen.

Als Beispiel für eine verpflichtende Regelung kann die „Sozialauswahl“ des § 1 III 1 KSchG angeführt werden. Gemäß dieser Norm ist unter mehreren Arbeitnehmern zunächst demjenigen betriebsbedingt zu kündigen, der eine Kündigung unter sozialen Gesichtspunkten am ehesten verkraften kann,265 was im Regelfall zur Kündigung des jüngeren Arbeitnehmers führt.

Im Gegensatz dazu gibt es Bereiche, in denen dem Arbeitgeber gestattet ist, das Alter zum Anknüpfungspunkt von Entscheidungen zu machen. So können im Bereich von Sozialplanabfindungen i.S.d. § 112 BetrVG rentennahe Arbeitnehmer, die durch den baldigen Bezug einer Rente und vorhergehendem Arbeitslosengeld in gewissem Umfang wirtschaftlich abgesichert sind, von Sozialplanleistungen ausgeschlossen werden.266

Gemäß § 41 S. 2 SGB VI ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer möglich, „die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses [des]

Arbeitnehmers ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht“, in dem der Arbeitnehmer ein Alter erreicht hat, das zur Beziehung von Altersrente berechtigt. Auch ist eine Kündigung bei Erreichen des Rentenalters möglich, wenn der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt ein gesetzliches

264 Das gelte beispielsweise für das Merkmal der sexuellen Identität. (Wiedemann/Thüsing, Der Betrieb 2002, S. 463 (468)).

265 Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, S. 374.

266 Das BAG hat festgestellt, daß eine derartige Regelung nicht gegen § 75 BetrVG und insbesondere den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt. (BAG, NZA 1997, S. 165 (166)); Bauer, NJW 2001, S.

2672 (2673).

Altersruhegeld beanspruchen kann und die Kündigung erfolgt, um einen vernünftigen Altersaufbau der Belegschaft zu erreichen und Aufstiegschancen innerhalb des Unternehmens zu eröffnen.267

§ 14 III Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) gestattet dem Arbeitgeber schließlich in Ausnahme des § 14 I TzBfG mit Arbeitnehmern, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, befristete Arbeitsverträge auch dann abzuschließen, wenn für die Befristung kein sachlicher Grund vorliegt.

Zu beachten ist, daß durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt268 vom 23.12.2002 – besser bekannt als „Hartz I“ –, § 14 III TzBfG dergestalt modifiziert worden war, daß bis zum 31.12.2006 an die Stelle des 58. Lebensjahres das 52. Lebensjahr trat.

Schreibt der Gesetzgeber dem Arbeitgeber zwingend vor, das Alter zum Anknüpfungspunkt einer Entscheidung zu machen, so ist die daraufhin durch den Arbeitgeber vorgenommene Ungleichbehandlung aufgrund rechtlicher Unverzichtbarkeit gerechtfertigt.

Das gleiche gilt im Ergebnis auch für die Fälle, bei denen dem Arbeitgeber gestattet ist, nach dem Alter zu unterscheiden, auch wenn hier streng genommen nicht von rechtlicher Unverzichtbarkeit gesprochen werden kann. Entscheidend ist, daß dem Arbeitgeber auch in einem solchen Fall nicht der Vorwurf einer Diskriminierung gemacht werden kann, wenn er von den ihm eingeräumten Befugnissen Gebrauch macht.

Wie bereits bei den Fördermaßnahmen stellt sich auch hier die Frage, inwieweit sich die genannten Bestimmungen in ein Antidiskriminierungskonzept eingliedern lassen. Für ihre Beantwortung erlangt Art. 6 Richtlinie 2000/78/EG eine besondere Bedeutung. Gemäß seines Absatzes 1 Satz 1

„[...] können die Mitgliedstaaten vorsehen, daß Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.“

Es wird vertreten, die Sozialauswahl des § 1 III 1 KSchG sei, wenn nicht durch Art. 6 gerechtfertigt – aus dem Wortlaut der Richtlinie geht nämlich nicht hervor, wer die geschützten Arbeitnehmer sind: „die älteren, die jüngeren oder beide?“269 –, gleichwohl als Fördermaßnahme i.S.d. Art. 7 zulässig.270

267 Von Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz, § 1, Rn. 194.

268 BGBl. 2002 I, S. 4607 ff.

269 Thüsing, NZA 2001, S. 1061 (1064); Auch Bauer weist darauf hin, daß über ein Alter auch der jüngere Arbeitnehmer verfügt, ist jedoch der Ansicht, Richtlinie 2000/78/EG wolle in erster Linie verhindern, daß ältere Arbeitnehmer aufgrund ihres Alters benachteiligt werden. § 1 III KSchG sei deshalb mit Art. 3 I lit. c vereinbar.

(Bauer, NJW 2001, S. 2672 (2673)) Art. 3 I lit. c Richtlinie 2000/78/EG bestimmt, daß der Geltungsbereich der

Auch habe die übliche Praxis, rentennahe Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen auszunehmen, mit Diskriminierung nichts zu tun, sondern entspringe vielmehr der ohne weiteres nachvollziehbaren Erkenntnis, ein Sozialplantopf sei nach sozialen Kriterien zu verteilen.271

Im Zusammenhang mit den Altersgrenzen im Sinne des § 41 S. 2 SGB VI besteht die Auffassung, jeder Arbeitgeber habe ein berechtigtes Interesse an einer vernünftigen Altersstruktur seiner Belegschaft.272 Auch bestehe ein Allgemeininteresse an einer solchen Regelung, könne es doch nicht sein, daß der Eintritt jüngerer Menschen in den Arbeitsmarkt unnötig erschwert wird, was eintreten würde, wenn einerseits Altersgrenzen nicht mehr zulässig wären und andererseits der allgemeine Kündigungsschutz nach dem KSchG weiterhin „open end“ bliebe.273 Gestützt wird diese Ansicht durch Art. 6 I 2 lit. a Richtlinie 2000/78/EG, wonach Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters dann keine Diskriminierung darstellen, wenn sie „die berufliche Eingliederung von Jugendlichen bezwecken“.

In bezug auf § 14 III TzBfG wird vertreten, die Norm solle in Zukunft Bestand haben, falle sie doch in den Anwendungsbereich des Art. 6 I Richtlinie 2000/78/EG.274 § 14 III TzBfG bezwecke die Erhöhung der Einstellungschancen älterer Arbeitnehmer, die auf dem Arbeitsmarkt überwiegend schlechtere Chancen als jüngere Arbeitssuchende hätten.275 Teilweise wird die Norm indes abgelehnt.276 Nach § 14 III TzBfG sind beliebig viele Kettenarbeitsverhältnisse zulässig, was, überspitzt formuliert, dazu führen könne, daß der einzelne sein Arbeitsleben als Tagelöhner beenden muß.277 Außerdem lasse sich die Regelung nicht mit der Richtlinie 1999/70/EG zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge278 vom 28.06.1999 vereinbaren, „die bei Kettenarbeitsverhältnissen entweder einen sachlichen Grund oder eine Höchstdauer oder eine Höchstzahl der Verlängerungen vorschreibt.“279 In einem Rechtsstreit vor dem EuGH hat der zuständige Generalanwalt die Ansicht vertreten, zumindest die Herabsetzung der Altersgrenze vom 58. auf das 52. Lebensjahr in § 14 III TzBfG verstoße gegen die Richtlinie 2000/78/EG.280

Richtlinie “die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts“ umfaßt.

270 Thüsing, NZA 2001, S. 1061 (1064); im Ergebnis ebenso Bauer, der in diesem Zusammenhang allerdings weder Art. 6 noch Art. 7 der Richtlinie erwähnt. (Bauer, NJW 2001, S. 2672 (2673)); Teilweise wird indes befürchtet, die Antidiskriminierungsrichtlinien könnten bewirken, daß „bei betriebsbedingten Kündigungen das Kriterium Alter (neben Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichtigkeit) bei der Sozialauswahl entfallen“ muß. (Sattar zitiert das Vorstandsmitglied der IG-Metall Oberhofer in FAZ vom 16.11.2006, S. 4, unter dem Titel: „„Auf falschem Bein

275 Preis/Gotthardt, DB 2000, S. 2065 (2072); Bauer, NJW 2001, S. 2672 (2673).

276 Däubler, ZIP 2000, S. 1961 (1967); Däubler, ZIP 2001, S. 217 (224).

277 Däubler, ZIP 2000, S. 1961 (1967).

278 Abl. EG 1999, Nr. L 175, S. 43 ff.

279 Däubler, ZIP 2000, S. 1961 (1967).

280 FAZ vom 01.07.2005, S. 11 unter dem Titel: „„Hartz-Gesetz verstößt gegen EU-Recht““.

Anzumerken bleibt, daß für die Zulässigkeit einer Regelung, die an das Alter anknüpft, die Tatsache sprechen kann, daß in ihren Anwendungsbereich grundsätzlich jeder Mensch fallen kann – zudem teilweise lediglich temporär281 –, da sich das Alter eines jeden Menschen ändert. Vor diesem Hintergrund ist etwa eine Regelung zu betrachten, die die Unkündbarkeit vom Erreichen eines bestimmten Alters und einer bestimmten Betriebszugehörigkeit abhängig macht.282

Um ein Verständnis dafür zu erlangen, in welchem Verhältnis die genannten Bestimmungen auf der einen Seite und das Verbot der Diskriminierung auf der anderen zueinander stehen, ist die Erkenntnis entscheidend, daß die Antidiskriminierungsrichtlinien eng an der anglo-amerikanischen Tradition des generellen Diskriminierungsverbots angelehnt sind.283 In den USA erfülle aufgrund der dort schwach ausgeprägten kollektiven Systeme der sozialen Sicherung und des Fehlens arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften für den Arbeitnehmer, wie beispielsweise dem Kündigungsschutz, das generelle Diskriminierungsverbot in hohem Maße die Funktion des sozialen Schutzes desselben.284

Im Gegensatz dazu bestünden in Deutschland und den meisten EU-Mitgliedstaaten sehr hoch entwickelte Systeme der kollektiven sozialen Sicherung, was unter anderem dazu geführt habe, daß Personen nach sozialen Kriterien unterschiedlich behandelt werden (z.B. Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen).285

Es wird vertreten, beide Institute könnten funktional vergleichbar eingesetzt werden und zu einer vergleichbaren Beschränkung der Flexibilität des Arbeitsverhältnisses führen.286 Ungleichbehandlungen, die aufgrund sozialer Gesichtspunkte vorgeschrieben sind bzw. für zulässig erklärt werden, verfolgen letztlich dasselbe, was Diskriminierungsschutz erreichen möchte. Bereits im Rahmen der Ausführungen zu den Fördermaßnahmen wurde festgestellt, daß Diskriminierungsschutz seinerseits nicht beschränkt ist auf das Gebot der formellen Gleichbehandlung.

Erklärte man mit Blick auf ein etwaig bestehendes Diskriminierungsverbot Regelungen für nichtig, die Ungleichbehandlungen aufgrund sozialer Gesichtspunkte vorschreiben bzw. für zulässig erklären, schaffte man etwas ab, „was gestern noch als soziale Errungenschaft gefeiert wurde“.287

281 „Allerdings ist die Besonderheit zu bedenken, daß eine Grundrechtsbeeinträchtigung durch Mindestaltersgrenzen in der Regel nur vorrübergehend ist.“ (Nussberger, JZ 2002, S. 524 (526)).

282 Gemäß § 10 Satz 3 Nr. 7 AGG ist eine derartige Regelung zulässig, „soweit dadurch nicht der Kündigungsschutz anderer Beschäftigter im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 des Kündigungsschutzgesetzes grob fehlerhaft gemindert wird“.

283 Hornung-Draus, Arbeitgeber 2000, S. 14 (15).

284 Hornung-Draus, Arbeitgeber 2000, S. 14 (15).

285 Hornung-Draus, Arbeitgeber 2000, S. 14 (15).

286 Thüsing, NZA 2001, S. 1061 (1061).

287 Hornung-Draus, Arbeitgeber 2000, S. 14 (15).

Dem steht, wie das Beispiel des § 14 III TzBfG gezeigt hat, nicht entgegen, daß beide Institute im Lichte des jeweils anderen betrachtet werden müssen.288