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Diskriminierungsverbot im Rahmen letztwilliger Verfügungen?

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 117-121)

Teil 2: Diskriminierung – Begriffsbestimmung

D. Sachlicher Geltungsbereich des Diskriminierungsverbotes

IV. Entgeltlichkeit – Betrachtungen am Beispiel letztwilliger Verfügungen

2. Diskriminierungsverbot im Rahmen letztwilliger Verfügungen?

Nachdem geklärt wurde, daß sich Diskriminierungsschutz auch im Rahmen letztwilliger Verfügungen nicht auf einzelne Merkmale beschränken läßt, ist die Frage zu beantworten, ob letztwillige Verfügungen überhaupt am Maßstab eines Diskriminierungsverbotes gemessen werden sollten. Folgende Überlegungen könnten dagegen sprechen:

a) Sozialpflicht des Erblassers

Gemäß Art. 14 I 1 GG sind Eigentum und Erbrecht gewährleistet. Gemäß Art. 14 II GG verpflichtet Eigentum. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Diese Norm beauftragt den Gesetzgeber, wo geboten, dem Eigentümer die im Interesse Dritter und der Allgemeinheit gebotenen Schranken zu setzen.375 Bedürfe etwa ein Dritter der Nutzung des Eigentumsobjekts zu seiner Freiheitssicherung und verantwortlichen Lebensgestaltung, umfasse das grundgesetzliche Gebot einer am Gemeinwohl orientierten Nutzung die Pflicht zur Rücksichtnahme auf den Dritten.376 Art. 14 II GG erwähnt das Erbrecht nicht. Daraus ließe sich schlußfolgern, im Erbrecht und somit auch im Rahmen letztwilliger Verfügungen bestünden keine

370 Mikat in Festschrift für Nipperdey, Band I, S. 595 f.

371 Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, S. 304 f.

372 Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, S. 304 f.; Mikat: „Die Aufzählung in Absatz 3 ist zwar abschließend; daraus folgt aber nicht, daß eine Differenzierung nach dort nicht genannten Merkmalen zulässig sein müßte. Insoweit kommt vielmehr Art. 3 Abs. 1 GG wieder zur Anwendung. Abs. 3 ist eine historisch zu erklärende Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes [...].“ (Mikat in Festschrift für Nipperdey, Band I, S. 595).

373 Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, S. 305.

374 Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, S. 303 f.

375 Jarass in Jarrass/Pieroth, Art. 14, Rn. 1.

376 Jarass in Jarrass/Pieroth, Art. 14, Rn. 42.

Rücksichtnahmepflichten des Erblassers gegenüber Dritten. Ganz überwiegend wird indes angenommen, daß eine Sozialpflicht auch im Erbrecht besteht.377

b) Rechtmäßiges Alternativverhalten

Ist nun aber dieser Sozialpflicht nicht auch dann genüge getan, wenn in „diskriminierender“ Weise vererbt wird? Durch die letztwillige Verfügung wird schließlich jemand begünstigt, wenn auch nicht der „Diskriminierte“. Hinzu kommt, daß dem Erblasser aus der letztwilligen Verfügung keine (materiellen) Vorteile erwachsen. Das gleiche gilt im übrigen für Schenkungen und Stipendien.378

Beispiel: Eine in Deutschland lebende islamische Familie bietet per Inserat einer anderen islamischen Familie ihre gebrauchte Küche und ihr Schlafzimmer als Geschenk an.379

Sollte man in dem Beispielsfall der Familie mit Sanktionen drohen, obwohl sie aus rein altruistischen Motiven heraus gehandelt hat? Die Familienmitglieder hätten als Eigentümer der Einrichtungsgegenstände selbige zerstören können. Aus diesem Verhalten wären für sie keine negativen Konsequenzen erwachsen. Soll man die Familie dafür „bestrafen“, daß sie, selbst wenn man ihr Motiv als fragwürdig einstufen sollte, durch die Schenkung der Allgemeinheit letztlich einen Dienst erweisen will?

Natürlich läßt sich in gleicher Weise beispielsweise bei Arbeitsverträgen argumentieren. Auch hier handelt der Arbeitgeber bereits dann gemeinnützig, wenn er überhaupt jemanden einstellt. So wird das Diskriminierungsverbot in der Einstellungssituation teilweise mit der Begründung kritisiert, es gäbe hier ein rechtmäßiges Alternativverhalten – gemeint ist die Einstellung des vom Arbeitgeber nicht diskriminierten Bewerbers.380 Das Argument, Erblasser und Schenker erfüllten auch bei diskriminierenden Entscheidungen ihre gem. Art. 14 II GG bestehende Sozialpflicht, hilft also nur bedingt weiter.

c) Nachweis des Erblassermotivs

Gegen die Ansicht, Diskriminierungsschutz auf den Bereich letztwilliger Verfügungen zu erstrecken, spricht indes folgendes Argument. Wenn der Erblasser seine Motivation für die Wahl

377 Bryde in von Münch/Kunig, Art. 14, Rn. 47; Berkemann in Umbach/Clemens, Art. 14, Rn. 721; Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 14, Rn. 95; Brox, Erbrecht, Rn. 27; Papier in Maunz/Dürig, Art. 14, Rn. 297.

378 Cremer stellt die Verwandtschaft zwischen Schenkungen und Verfügungen von Todes wegen fest, indem er sagt, daß bei Schenkungen an eine außereheliche Geliebte oder einen außerehelichen Geliebten im Hinblick auf eine mögliche Sittenwidrigkeit die gleichen Gesichtspunkte zu prüfen seien wie bei einer Zuwendung von Todes wegen.

(Cremer in Staudinger, § 516, Rn. 11).

379 Beispiel bei Säcker, ZRP 2002, S. 286 (288).

380 Adomeit, DB 1980, S. 2388 (2388).

der Erben bzw. den Grund dafür, warum bestimmte Personen nicht erben sollen, in seiner letztwilligen Verfügung nicht angibt, entsteht ein Beweisproblem, denn derjenige, „der die Gründe für seine Ungleichbehandlung an sich gleichstehender Personen im Testament in erster Linie und oft sogar als einziger kennt, ist [...] im Zeitpunkt, in dem es auf den Beweis der rechtfertigenden Gründe ankäme, tot.“381 Die durch die Antidiskriminierungsrichtlinien vorgesehene Beweiserleichterung für den „Diskriminierten“382 könnte in diesem Fall unter Umständen ins Leere laufen. Dies allein vermag den Ausschluß der Geltung des Diskriminierungsverbotes im Rahmen letztwilliger Verfügungen natürlich nicht zu rechtfertigen, würden doch verdeckte Diskriminierungen andernfalls regelrecht belohnt. Außerdem sind beweisrechtliche und materiellrechtliche Ebene grundsätzlich strikt voneinander zu trennen.

d) Pflichtteilsrecht contra Diskriminierungsschutz

Den Diskriminierungsschutz auf letztwillige Verfügungen zu erstrecken hieße, sich in Widerspruch zum Pflichtteilsrecht zu setzen. Gemäß § 2303 BGB steht bestimmten Personen, den Pflichtteilsberechtigten, eine Mindestbeteiligung am Nachlaß des Erblassers auch dann zu, wenn sie durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen wurden.383 Auch dies spricht gegen die Statuierung eines Diskriminierungsverbotes im Rahmen letztwilliger Verfügungen.

e) Recht auf willkürliche Entscheidung oder Diskriminierungsschutz

Ein weiteres Argument spricht gegen die Gewährung von Diskriminierungsschutz in diesem Bereich. Wenn behauptet wird, die Testierfreiheit erlaube dem Erblasser willkürliches Handeln,384 dann müßte er seiner Entscheidung a maiore ad minus auch mißbilligenswerte Gründe zugrunde legen können. In diesem Sinne wird vertreten, § 138 BGB solle nur den Eintritt mißbilligter

381 Otte in Staudinger, Vorbem zu §§ 2064 ff., Rn. 147 a; Das Problem erkennen auch Mikat und Thielmann. (Mikat in Festschrift für Nipperdey, Band I, S. 601; Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, S. 309 ).

382 Gemäß Art. 8 I Richtlinie 2000/43/EG ergreifen die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihrem nationalen Gerichtswesen die erforderlichen Maßnahmen, „[...] um zu gewährleisten, daß immer dann, wenn Personen, die sich durch die Nichtanwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für verletzt halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, daß keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.“ (vgl. auch Art. 10 I RL 2000/78/EG sowie Art. 9 I RL 2004/113/EG); Eine entsprechende Regelung enthält die Richtlinie 76/207/EWG nicht. Jedoch besteht gem. Art. 4 I Richtlinie 97/80/EG über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – Abl. EG 1998 Nr. L 14, S. 6 ff. – auch im Anwendungsbereich dieser Richtlinie die in den genannten Richtlinien enthaltene Beweislastverteilung.

383 Daß neben dem Pflichtteilsrecht weitere Schranken der Testierfreiheit in Form der §§ 134, 138 BGB in Betracht kommen, sich Pflichtteilsrecht und Diskriminierungsschutz somit nicht zwingend gegenseitig ausschließen, stellt indes der BGH fest. (BGH, JZ 1999, S. 514 (515)) Das Gericht hebt aber gleichzeitig hervor, daß vor dem Hintergrund des Pflichtteilsrechts eine Ungleichbehandlung der Kinder grundsätzlich unbedenklich ist. (BGH, JZ 1999, S. 514 (515 f.)).

384 Otte in Staudinger, Vorbem zu §§ 2064 ff., Rn. 154; BGH: „Selbst wenn der Erblasser eine willkürliche Differenzierung vornimmt, kann dies Ausdruck seiner Testierfreiheit sein.“ (BGH, JZ 1999, S. 514 (515)).

Rechtswirkungen verhindern, nicht aber den Erblasser wegen seiner zu mißbilligenden Gesinnung bestrafen.385 Wenn jemand nicht verpflichtet sein soll, sein Verhalten zu begründen,386 dann muß dies auch dann gelten, wenn die Vermutung diskriminierenden Verhaltens nahe liegt. Andernfalls bestünde eben doch eine Begründungspflicht und damit gerade kein Recht zu willkürlichem Verhalten. Die Erforschung des Erblasserwillens hat deshalb zu unterbleiben, wenn diesem das Recht zu willkürlichem Handeln eingeräumt wird.387 Das Recht auf Willkür läßt sich mit einem gleichzeitig bestehenden Diskriminierungsverbot nicht vereinbaren. Das eine steht zu dem anderen in einem „Entweder-Oder-Verhältnis“. Entweder man gewährt dem einzelnen das Recht, willkürliche Entscheidungen zu treffen, und zwar ohne eng begrenzte Ausnahmefälle,388 oder man statuiert ein Diskriminierungsverbot.389

3. Resümee

Ein zwingender Grund für oder gegen die Geltung des Diskriminierungsverbots in den Fällen unentgeltlicher Zuwendungen läßt sich nicht finden. Die Ausführungen haben jedoch gezeigt, daß vieles dafür spricht, im Falle (wirtschaftlich) rein altruistischen Verhaltens kein Diskriminierungsverbot aufzustellen. Daß diese Ansicht vom Ergebnis her billigenswert ist, zeigt folgendes: Es dürfte wenig wahrscheinlich sein, daß in dem letzten Beispielsfall jemand Klage erheben wird, weil sich das Schenkungsangebot in dem Inserat ausschließlich an islamische Familien richtete. Das Inserat wird Andersgläubige nicht empören, weil sie sich durch selbiges nicht ausgeschlossen fühlen werden. Niemand wird bei einem derartigen Inserat ernsthaft davon ausgehen, es bestehe eine Anwartschaft auf die unentgeltliche Zuwendung.390 Deshalb wird sich auch das Gefühl, diskriminiert zu sein, nicht einstellen.

Ganz anders liegt der Fall beispielsweise, wenn dem Chinesen, Türken oder Schwarzafrikaner untersagt wird, ein bestimmtes Lokal zu betreten. Die angesprochenen Personen werden sich diskriminiert fühlen, ist es doch Wesen eines Lokalbetriebs, Menschen egal welcher Coleur zu bewirten. Die Zurückgewiesenen erwarten in einem solchen Fall berechtigterweise, bewirtet zu

385 Schlüter, Erbrecht, § 23, I 2 e, S. 135.

386 Im Rahmen letztwilliger Verfügungen bedeutet das Recht zu willkürlicher Entscheidung, daß der Erblasser niemandem Rechenschaft über die Gründe seiner Verfügung ablegen muß. (Otte in Staudinger, Vorbem zu §§ 2064 – 2086, Rn. 145; von Lübtow, Erbrecht, 1. Halbband, S. 308 f.).

387 Nach Mikat ist es dagegen Aufgabe des Tatrichters, die Motive des Erblassers zu ergründen. (Mikat in Festschrift für Nipperdey, Band I, S. 603).

388 Von „eng begrenzten Ausnahmefällen“ spricht indes der BGH. (BGH, JZ 1999, S. 514 (516)).

389 Das gleiche Problem stellt sich im Arbeitsrecht bei der Frage, ob der Arbeitgeber außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) ein Recht zu willkürlicher Kündigung hat. (vgl. dazu Teil 2, Prüfungspunkt D.

VI. 3.).

390 Im Falle letztwilliger Verfügungen stellt sich dies etwas anders dar. Dort werden sich nahe Angehörige zurückgesetzt fühlen, wenn sie nicht bedacht werden. Mikat bejaht die Erberwartung gesetzlicher Erben. Nur bei ihnen komme überhaupt eine Diskriminierung in Betracht. (Mikat in Festschrift für Nipperdey, Band I, S. 600);

a.A.: Bryde: Das Recht, Erbe zu werden, sei bis zum Erbfall regelmäßig bloße Hoffnung und deshalb von Art. 14 I GG nicht geschützt. (Bryde in von Münch/Kunig, Art. 14, Rn. 45).

werden. Gleiches gilt etwa für die geschlechtsbezogene Ausschreibung im Falle einer Tätigkeit, die von beiden Geschlechtern ausgeübt werden kann.

Im Falle letztwilliger Verfügungen tritt noch ein verschärfender Umstand hinzu. Während die islamische Familie in dem Beispielsfall an die Öffentlichkeit tritt, indem sie das Inserat aufgibt, ist das Merkmal der Öffentlichkeit im Fall letztwilliger Verfügungen von Todes wegen nicht gegeben.

Hier ließe sich allenfalls argumentieren, eine auf bestimmte Personen beschränkte „Quasi-Öffentlichkeit“ sei durch deren Erberwartung gegeben.

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 117-121)