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Vorfeld des Vertragsschlusses

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 109-113)

Teil 2: Diskriminierung – Begriffsbestimmung

D. Sachlicher Geltungsbereich des Diskriminierungsverbotes

II. Vorfeld des Vertragsschlusses

331 Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, S. 108.

332 Richardi in Staudinger, § 611, Rn. 252.

333 Richardi in Staudinger, § 611, Rn. 252.

334 BAG, NZA 2003, S. 483 (485 ff.).

335 BAG, NZA 2003, S. 483 (487).

Die Antidiskriminierungsrichtlinien bezwecken Diskriminierungsschutz bereits im Vorfeld des Vertragsschlusses. So erstreckt die Richtlinie 2000/43/EG den sachlichen Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots gem. Art. 3 I lit. a auf „die Bedingungen [...] für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit“ und gem. lit. h auf „den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen“.

Die bisherigen Beispielsfälle haben gezeigt, daß besonders häufig im Vorfeld des Vertragsschlusses diskriminiert wird, in einem Stadium also, in dem ein Vertrag noch nicht geschlossen worden ist.

Grund dafür dürfte unter anderem sein, daß sich die potenziellen Vertragsparteien zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennen, sich ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen noch nicht aufbauen konnte und eventuell bestehende Vorurteile noch nicht abgebaut werden konnten. In diesem Vertragsstadium zählt der „erste Eindruck“, der unter Umständen ein völlig falsches Bild von dem Gegenüber vermittelt. Zu recht wird darauf hingewiesen, daß die Entscheidung, mit dem einen Interessenten den Vertrag zu schließen, mit dem anderen hingegen nicht, „immer von persönlichen Vorlieben und Abneigungen, Vorurteilen und Animositäten, Illusionen und Schreckhaftigkeiten bestimmt“ ist.336

1. Merkmalsneutrale Ausschreibung

Bereits bei einer Stellenausschreibung, die sich explizit nur an Menschen mit bestimmten Merkmalen richtet, stellt sich die Frage nach dem Vorliegen einer Diskriminierung. Praktische Relevanz hat sie im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischen Ausschreibungen erlangt.337

Gemäß § 11 AGG darf ein Arbeitsplatz

„[...] nicht unter Verstoß gegen [ das Diskriminierungsverbot des ] § 7 Abs. 1 ausgeschrieben werden.“

Bereits vor Inkrafttreten des AGG enthielt § 611 b BGB-A eine Regelung über die Zulässigkeit geschlechtsspezifischer Ausschreibung. Gemäß dieser Norm durfte der Arbeitgeber

„einen Arbeitsplatz weder öffentlich noch innerhalb des Betriebs nur für Männer oder nur für Frauen ausschreiben, es sei denn, daß ein Fall des § 611 a Abs. 1 Satz 2 [vorlag].“

§ 611 b BGB-A wurde teilweise als eine wertungsmäßig mißratene Regelung angesehen, die nicht länger bestehen, geschweige denn noch weiter ausgedehnt werden sollte. Durch § 611 b BGB-A werde der Ausbietende geradezu verpflichtet, über seine Absichten zu täuschen. Nach klassischem

336 Adomeit, NJW 2002, S. 1622 (1623).

337 Von einem solchen Fall berichtet Tornau in Frankfurter Rundschau vom 06.02.2004, S. 16 unter dem Titel: „Der diskriminierte Mann“.

Zivilrecht solle aber gerade enttäuschtes Vertrauen zu Schadensersatz aus vorvertraglichem Schuldverhältnis führen.338

Diese Ansicht war und ist auch nach neuem Recht nicht begründet, denn die Pflicht zu neutraler Ausschreibung ist nicht eine bloße Formalie, die gar nicht das Ziel hat, diskriminierten Personen tatsächlich die Chance auf einen Arbeitsplatz zu eröffnen.

Nicht übersehen werden darf in diesem Zusammenhang, daß die Verpflichtung zu geschlechtsneutraler Ausschreibung nur in begrenztem Umfang in der Lage ist, die Einstellungschancen des unerwünschten Geschlechts zu erhöhen. Auf eine Stellenanzeige bewirbt sich für gewöhnlich eine Vielzahl von Interessenten. Die Verpflichtung zu geschlechtsneutraler Ausschreibung führt zwar dazu, daß sich sowohl Männer als auch Frauen bewerben. Sie vermag indes nicht bewirken, daß der Arbeitgeber zwischen mehreren Bewerbern nicht seinen Präferenzen gemäß den Bewerber bzw. die Bewerberin einstellt.339

Gleichwohl ist es sinnvoll, den Arbeitgeber zu geschlechtsneutraler Ausschreibung zu verpflichten.

Es ist möglich, daß dieser sich trotz bestehender Vorbehalte im Einzelfall für den Bewerber mit dem unerwünschten Geschlecht entscheidet, etwa weil dieser durch seine Bewerbung überzeugt hat oder der einzige Bewerber ist.

Soll das Diskriminierungsverbot auch das Vorfeld des Vertragsschlusses umfassen, ist es außerdem geradezu denknotwendig, ein Verbot geschlechtsspezifischer Ausschreibung zu statuieren, könnte doch andernfalls das Diskriminierungsverbot in diesem Bereich auf einfache Weise umgangen werden.

Eine merkmalsspezifische Ausschreibung ist immer dann zulässig, wenn sie nicht zu einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 I AGG führt. Die Rechtfertigung der merkmalsspezifischen Ausschreibung i. S. d. § 11 AGG unterliegt damit den gleichen Anforderungen, die für die Nichteinstellung des Trägers eines der in § 1 AGG genannten Diskriminierungsmerkmale gelten.340 Übertragen auf das im Rahmen dieser Arbeit verfolgte Diskriminierungsschutzkonzept läßt sich formulieren, daß eine merkmalsspezifische Ausschreibung immer dann zulässig ist, wenn auch der Vertragsschluß aufgrund des jeweiligen Merkmals abgelehnt werden könnte.

2. Merkmalsneutrale Bewerbungsunterlagen

338 Adomeit, NJW 2002, S. 1622 (1622).

339 Vergleiche dazu die Ausführungen zu dem Problem des „Zusammentreffens der Träger von Diskriminierungsmerkmalen“ unter Teil 3, Prüfungspunkt H.

340 Insofern kann auf die bereits gemachten Ausführungen zur „Rechtswidrigkeit des diskriminierungsrelevanten Verhaltens“ verwiesen werden. (vgl. Teil 2, Prüfungspunkt C.).

In den USA ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, in Bewerbungsunterlagen Angaben zu verlangen, aus denen Alter, Religionszugehörigkeit, Geschlecht oder eine etwaige Behinderung hervorgehen.341 Wie schon bei der merkmalsneutralen Ausschreibung gilt auch hier, daß merkmalsneutrale Bewerbungsunterlagen nur begrenzt in der Lage sind, die Einstellungschancen von Menschen zu erhöhen, die Träger eines unerwünschten Merkmals sind. In der Mehrzahl der Fälle erlangt der Arbeitgeber spätestens im Bewerbungsgespräch von dem Merkmal Kenntnis, das der Bewerber in seinen Unterlagen nicht angeben müßte. Neutrale Bewerbungsunterlagen können deshalb regelmäßig nicht bewirken, daß der Arbeitgeber zwischen mehreren Bewerbern nicht seinen Präferenzen gemäß den Bewerber mit den erwünschten Merkmalen einstellt.342 Denkbar ist allerdings wieder, daß sich der Arbeitgeber trotz bestehender Vorbehalte im Einzelfall für den Bewerber mit dem unerwünschten Merkmal entscheidet: „[...] er hätte, bis auf die Farbe, die ihm anstößig war, schwören mögen, daß er nie etwas Schöneres gesehen.“343

Wesentliche Bedeutung kann das Verbot merkmalsspezifischer Bewerbungsunterlagen bei Merkmalen erlangen, die nach außen nicht unbedingt erkannt werden können. Zu denken ist dabei etwa an die Schwangerschaft, die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder die sexuelle Identität des Bewerbers.

Zusammenfassend läßt sich wiederum formulieren, daß merkmalsspezifische Bewerbungsunterlagen insoweit zulässig sind, als auch die Ablehnung aufgrund des jeweiligen Merkmals gerechtfertigt wäre.

3. Fragerecht

Das gleiche gilt für das „Fragerecht des Arbeitgebers“: Die Frage des Arbeitgebers nach dem Vorhanden- bzw. Nichtvorhandensein eines bestimmten Merkmals ist immer dann zulässig, wenn auch die Ablehnung des Vertragsschlusses mit dem Bewerber aufgrund eben dieses Merkmals sachlich begründet wäre.344

In diesem Sinne hat das BAG entschieden, daß bei der Einstellung die Frage nach dem Vorliegen einer bestimmten Tatsache zulässig ist, wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage für das Arbeitsverhältnis hat.345 Beantwortet der Bewerber die gestellte Frage falsch, kommt eine Anfechtung des geschlossenen

341 Bauer, NJW 2001, S. 2672 (2673).

342 Vergleiche dazu die Ausführungen zu dem Problem des „Zusammentreffens der Träger von Diskriminierungsmerkmalen“ unter Teil 3, Prüfungspunkt H.

343 Aus der Novelle „Die Verlobung in St. Domingo“ von Heinrich von Kleist.

344 In diesem Sinne auch Thüsing: „Wo eine Rechtfertigung nicht gegeben ist, hat der Arbeitgeber wie bereits jetzt beim Geschlecht auch beim Alter ein „Recht zur Lüge“. (Thüsing, NZA 2001, S. 1061 (1064)).

345 BAG, NJW 1991, S. 2723 (2723).

Vertrages wegen arglistiger Täuschung gem. § 123 BGB nur dann in Betracht, wenn die Frage zulässigerweise gestellt worden war.346

Die Überlegungen zum Fragerecht des Arbeitgebers lassen sich auf sämtliche Schuldverhältnisse übertragen, in denen ein Verbot der Diskriminierung besteht.

Daß der Bewerber im Bewerbungsgespräch die Trägerschaft des nachgefragten Merkmals verneint, führt nicht dazu, daß er sich nach Vertragsschluß nicht auf das Vorhandensein eben dieses Merkmals berufen könnte. Grund dafür ist die Tatsache, daß Arbeitgeber und Bewerber die Vertragsverhandlungen nicht auf gleicher Augenhöhe führen.347 Deshalb verwirkt letzterer dadurch, daß er von seinem „Recht zur Lüge“ Gebrauch macht und sich nicht schon bei Vertragsschluß durch Individualvereinbarung Sonderrechte einräumen läßt, nicht seinen unter Umständen bestehenden Anspruch auf Gewährung derartiger Sonderrechte, denn seine „[...] geringe Verhandlungsstärke macht es ihm praktisch unmöglich, für den Arbeitgeber ungünstige Nebenbedingungen zu vereinbaren.“348

Die folgenden Ausführungen dienen dem Ziel zu ergründen, welche Rechtsgeschäfte vom sachlichen Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots umfaßt sein sollen.

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 109-113)