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Gesetzestechnische Umsetzung des Diskriminierungsverbotes

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 197-200)

Nachdem auf seine Auswirkungen auf das rechts- bzw. quasirechtsgeschäftliche Handeln eingegangen wurde, soll abschließend der Frage nachgegangen werden, wie sich das Diskriminierungsverbot gesetzestechnisch umsetzen läßt.

A. Notwendigkeit legislativer Maßnahmen

Angesichts der Fülle bereits bestehender Antidiskriminierungsmaßnahmen auf nationaler wie internationaler Ebene stellt sich die Vorfrage, ob in Deutschland legislativer Handlungsbedarf überhaupt besteht. Für die Beantwortung dieser Frage ist zu klären, welche Auswirkungen die angesprochenen (inter-)nationalen Antidiskriminierungsmaßnahmen auf das Privatrechtsverhältnis haben.

Die Tatsache, daß das AGG am 18.08.2006 in Kraft getreten ist, soll dabei an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben, im Rahmen dieses Prüfungspunktes mithin die Situation betrachtet werden, die sich vor dessen Inkrafttreten bot. Diese Vorgehensweise dient dem Zweck zu ergründen, ob das AGG Ergebnis eines legislativen Handlungsbedarfs ist, dessen Inkrafttreten insofern also bedeutsam war.

I. Auswirkungen der Antidiskriminierungsmaßnahmen auf das Privatrechtsverhältnis

Während teilweise, wie vor Inkrafttreten des AGG im Fall des § 611 a BGB-A, unproblematisch eine unmittelbare Bindung Privater an die jeweilige Maßnahme bzw. Norm konstatiert werden kann, fällt die Beantwortung in anderen Fällen schwer bzw. bedarf selbige näherer Ausführungen.

1. Innerstaatliche Geltung der internationalen Antidiskriminierungsmaßnahmen

In diesem Zusammenhang ist zunächst zu prüfen, ob und wie die angesprochenen internationalen Antidiskriminierungsmaßnahmen im innerstaatlichen Recht Deutschlands Geltung erlangt haben.

a) Völkerrechtliche Verträge

Die internationalen Antidiskriminierungsmaßnahmen sind von ihrer Rechtsnatur her zu einem großen Teil völkerrechtliche Verträge. Damit ein völkerrechtlicher Vertrag Geltung im innerstaatlichen Recht Deutschlands erlangt und somit Bestandteil des objektiven Rechts im

staatlichen Rechtsraum wird,1 müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Dem völkerrechtlichen Vertrag muß gem. Art. 59 II GG durch Bundesgesetz zugestimmt worden sein.2 Die Notwendigkeit einer weiteren Voraussetzung – gemeint ist das wirksame Inkrafttreten des völkerrechtlichen Vertrages auf völkerrechtlicher Ebene – hängt davon ab, in welchem Verhältnis Zustimmungsgesetz gem. Art. 59 II GG und völkerrechtlicher Vertrag zueinander stehen.

aa) Transformationstheorie

Nach der sogenannten Transformationstheorie ist das Zustimmungs- bzw. Vertragsgesetz der Transformator, der den völkerrechtlichen Vertrag bzw. die einzelne Vertragsnorm in innerstaatliches Recht umwandelt.3 Durch das Zustimmungsgesetz wird gleich lautendes innerstaatliches Recht mit der Folge gesetzt, daß sich Inkrafttreten, Wirksamkeit, Interpretation, Beendigung usw. einerseits nach Völkerrecht – dies gilt für den völkerrechtlichen Vertrag –, andererseits nach innerstaatlichem Recht – dies gilt für die in innerstaatliches Recht umgesetzten Rechtsnormen – richten.4 Nach der Transformationstheorie kommt es somit für die innerstaatliche Geltung der transformierten Regelungen eines völkerrechtlichen Vertrages nicht darauf an, ob selbiger auf völkerrechtlicher Ebene in Kraft getreten ist. Allein das Zustimmungs- bzw.

Vertragsgesetz führt dazu, daß der Inhalt des völkerrechtlichen Vertrages in der innerstaatlichen Rechtsordnung Geltung erlangt.5

bb) Inkorporations-, Adoptions-, Vollzugstheorie

Nach Inkorporations-, Adoptions- und Vollzugstheorie gilt Völkerrecht innerstaatlich, ohne seinen Charakter als Völkerrecht zu verlieren.6 Folge dieser Theorien ist u.a., daß sich das Inkrafttreten des innerstaatlich geltenden Völkerrechts nach Völkerrecht richtet.7 Nach besagten Theorien gilt demnach der Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrages innerstaatlich erst dann, wenn der völkerrechtliche Vertrag in Kraft getreten ist.

cc) Stellungnahme

1 Rojahn in v. Münch/Kunig, Band 2, Art. 59, Rn. 34.

2 BVerfGE 1, S. 396 (411); Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 59, Rn. 17; Streinz in Sachs, Art. 25, Rn. 29.

3 Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 424; Rojahn in von Münch/Kunig, Band 2, Art. 59, Rn. 33.

4 Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 424 f.

5 BVerfGE 1, S. 396 (411); Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 59, Rn. 17; Streinz in Sachs, Art. 59, Rn. 60.

6 Rojahn in von Münch/Kunig, Band 2, Art. 59, Rn. 33.

7 Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 421 und 423, der diese Aussage bzgl. der Adoptionstheorie und der Vollzugslehre trifft.

Der Wortlaut des Art. 59 II 1 GG trifft keine Aussage darüber, welcher Theorie zu folgen ist.8 Kritiker der strengen Transformationstheorie weisen darauf hin, daß sie den bestehenden Zusammenhang zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht in realitätsfremder Weise auflöse.9 Solange der völkerrechtliche Vertrag selbst nicht in Kraft getreten ist, erscheine die Vertragserfüllung durch das innerstaatliche „In-Geltung-Setzen“ der Vertragsnormen durch das Zustimmungsgesetz als ungerechtfertigte Vorleistung.10 Dieses Argument gewinnt an Stichhaltigkeit, wenn man sich den Fall konstruiert, daß – aus welchem Grund auch immer – der völkerrechtliche Vertrag niemals in Kraft tritt. Es ist nicht erklärbar, warum ein solcher Vertrag im innerstaatlichen Recht Wirkungen entfalten sollte. Sinnvollerweise wird man deshalb beides, das wirksame Inkrafttreten des völkerrechtlichen Vertrages11 wie die wirksame Zustimmung12 zu selbigem verlangen müssen, damit seine Bestimmungen innerstaatlich gelten können.13 Daß teilweise lediglich auf das Inkrafttreten des völkerrechtlichen Vertrages abgestellt wird,14 dürfte der Tatsache geschuldet sein, daß das Zustimmungsverfahren regelmäßig vor der Ratifikation des völkerrechtlichen Vertrages erfolgt.15

Soweit nichts anderes vereinbart ist, tritt ein völkerrechtlicher Vertrag durch seine Ratifikation (=

Annahme) in Kraft,16 d.h. durch Erklärung des Staates, daß er den Vertrag nunmehr als für sich verbindlich betrachte.17 In Deutschland gibt der Bundespräsident diese Erklärung ab, da er gem.

8 Rojahn in von Münch/Kunig, Band 2, Art. 59, Rn. 33.

9 Schweitzer, Staatsrecht III, Rn. 432.

10 Rojahn in von Münch/Kunig, Band 2, Art. 59, Rn. 36.

11 BVerfGE 1, S. 396 (411); Rojahn in v. Münch/Kunig, Band 2, Art. 59, Rn. 36; Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 59, Rn.

17

Die in Rede stehenden völkerrechtlichen Verträge sind in Deutschland in Kraft getreten: die UN-Charta am 18.09.1973 (BGBl. 1974 II 2, S. 1397), das Übereinkommen der ILO Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit am 08.06.1957 (BGBl. 1957 II 2, S. 1232), das Übereinkommen der ILO Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf am 15.06.1962 (BGBl.

1962 II 1, S. 819), das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung am 15. 06. 1969 (BGBl. 1969 II 2, S. 2211), der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte am 23.03.1976 (BGBl. 1976 II 2, S. 1068), der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte am 03.01.1976 (BGBl. 1976 II 1, S. 428), das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau am 09.08.1985 (BGBl. 1985 II 2, S. 1234), das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten am 01.02.1998 (BGBl. 1998 II 1, S. 57), die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten am 03.09.1953 (BGBl. 1954 II 1, S. 14), die Europäische Sozialcharta am 26.02.1965 (BGBl.

1965 II 2, S. 1122; Die revidierte Fassung der Charta von 1996 ist nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, da sie in Deutschland bislang keine Geltung erlangt hat. (Hailbronner in Graf Vitzthum, Völkerrecht, 3. Abschnitt, Rn. 279, Fn. 392)), der EG-Vertrag am 01.01.1958 (BGBl. 1958 II, S. 1; In seiner durch den Vertrag von Nizza geänderten Fassung ist er am 01.02.2003 in Kraft getreten. (BGBl. 2003 II 2, S. 1477)), der EU-Vertrag gem. Art. 52 II EUV am 01.11.1993 (Streinz, Europarecht, Rn. 40; In seiner durch den Vertrag von Nizza geänderten Fassung ist er am 01.02.2003 in Kraft getreten. (BGBl. 2003 II 2, S. 1477)).

12 Das jeweilige Zustimmungsgesetz der in Rede stehenden Verträge ist im Bundesgesetzgebungsblatt an der Stelle veröffentlicht, wo der jeweilige Vertrag abgedruckt ist. Es wird an dieser Stelle auf die insoweit bereits gemachten Angaben verwiesen.

13 So BVerfGE 1, S. 396 (411); Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 59, Rn. 17; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 431 f.; Rojahn in von Münch/Kunig, Band 2, Art. 59, Rn. 36.

14 Vergleiche z.B. Rojahn in von Münch/Kunig, Band 2, Art. 59, Rn. 36.

15 Ipsen, Völkerrecht, § 10, Rn. 17.

16 Ipsen, Völkerrecht, § 10, Rn. 29 i.V.m. Rn. 18.

17 Seidl-Hohenveldern/Stein, Völkerrecht, Rn. 218 f.; Ipsen, Völkerrecht, § 10, Rn. 18.

Art. 59 I 2 GG „im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten“ abschließt.18 Anzumerken ist, daß in völkerrechtlichen Verträgen zumeist geregelt ist, daß deren Inkrafttreten erst durch Hinterlegung einer gewissen Anzahl an Ratifikationsurkunden erfolgt.19 Bei Staaten, die den völkerrechtlichen Vertrag erst nach dessen Inkrafttreten ratifizieren, tritt der Vertrag in einem durch den Vertrag bestimmten Zeitpunkt nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde des jeweiligen Staates in Kraft.20

b) Völkergewohnheitsrecht

Gemäß Art. 25 S. 1 GG sind die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts [...] Bestandteil des Bundesrechts.“ Regeln in diesem Sinne entstammen hauptsächlich dem Völkergewohnheitsrecht,21 so daß selbiges über Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts wird.22 Das gilt auch für solche (seltenen) allgemeinen Regeln des Völkerrechts, die sich direkt an Individuen wenden und diese durch unmittelbare Berechtigung oder Verpflichtung selbst zu Völkerrechtssubjekten machen.23

c) EU-Verordnungen

Gemäß Art. 249 II 2 EGV gilt die Verordnung „unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“ Das bedeutet, daß sie mit ihrem Inkrafttreten24 Geltung in den Mitgliedstaaten erlangt, ohne daß die Legislativorgane des jeweiligen Staates diese Geltung gesondert anordnen müßten.25

d) EU-Richtlinien

Demgegenüber taucht im Schrifttum die Formulierung auf, die Richtlinie gelte erst dann, wenn die nationalen Stellen – speziell die Legislative – tätig geworden sind.26 Zu beachten ist in diesem

18 Vitzthum, Völkerrecht, 1. Abschnitt, Rn. 117.

19 So z.B. im Fall der UN-Charta, vgl. dazu Art. 110 III; Möglich sind auch andere Vereinbarungen bzgl. des Inkrafttretens. So tritt beispielsweise das Klimaschutzprotokoll von Kyoto erst dann in Kraft, wenn Länder ihm beitreten, die 1990 55 Prozent des weltweiten Kohlendioxydausstoßes verursacht haben. (FAZ vom 01.10.2004, S.

1 unter dem Titel: „Berlin und Brüssel loben Putins Kyoto-Entscheidung“).

20 Vergleiche dazu beispielhaft Art. 110 IV der UN-Charta; Die UN-Charta ist am 24. 10. 1945 für seine ursprünglichen Mitglieder in Kraft getreten (Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, S. 82), in Deutschland am 18.09.1973. (BGBl. 1974 II 2, S. 1397).

21 Streinz in Sachs, Art. 25, Rn. 32.

22 Die Frage der innerstaatlichen Geltung von Völkergewohnheitsrecht stellt sich, da an anderer Stelle darauf hingewiesen wurde, daß zu selbigem allgemeine Menschenrechte zählen, worunter z. B. auch das Recht auf Schutz vor rassistischer Diskriminierung fällt.

23 Streinz in Sachs, Art. 25, Rn. 46.

24 Ist der Tag des Inkrafttretens in der Verordnung nicht festgelegt – dies trifft auf die Verordnung 1612/68 zu –, tritt sie gem. Art. 254 I bzw. II EGV am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

25 Streinz, Europarecht, Rn. 380; Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 352.

26 Schweitzer/Hummer, Europarecht, Rn. 364.

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 197-200)