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Tendenz als Anknüpfungspunkt

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 178-181)

Teil 3: Auswirkungen des Diskriminierungsverbotes auf das rechtsgeschäftliche und quasi- quasi-rechtsgeschäftliche Handeln

L. Zusammentreffen von Diskriminierungsmerkmalen in einer Person

II. Tendenz als Anknüpfungspunkt

Gemäß Art. 4 II 2 Richtlinie 2000/78/EG rechtfertigt eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion oder Weltanschauung „keine Diskriminierung aus einem anderen Grund.“ Diese Formulierung läßt sich sinnvoll nur in der Weise interpretieren, daß mit „Ungleichbehandlung

209 So Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (408).

210 Vergleiche dazu Teil 2, Prüfungspunkt C. IV.

211 Das Verhältnis des Art. 4 II Richtlinie 2000/78/EG zum Tendenzschutz im deutschen Arbeitsrecht beschreibt Thüsing wie folgt: „Dieser Rechtfertigungsgrund dürfte sich 1 : 1 mit den Kriterien des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts decken, [...].“ (Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (408)).

212 Hervorhebung durch den Verfasser; In Konsequenz der Ausführungen zu den §§ 8 I und 3 II AGG – vgl. dazu Teil 2, Prüfungspunkt C. VII. 2. – stellen die Merkmale „rechtmäßig“ und „gerechtfertigt“ in Art. 4 II Richtlinie 2000/78/EG die objektive Grenze der „Wesentlichmachung“ durch den Tendenzbetrieb dar.

aufgrund der Religion oder Weltanschauung“ jede Ungleichbehandlung aufgrund des Status einer bestimmten Religionszugehörigkeit bzw. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Weltanschauung gemeint ist. Angesichts des Art. 4 II 2 Richtlinie 2000/78/EG soll im folgenden unterschieden werden zwischen Fällen, bei denen eine bestimmte Tendenzzugehörigkeit Anknüpfungspunkt für die „diskriminierende“ Entscheidung ist, und solchen, bei denen aufgrund eines anderen Merkmals

„diskriminiert“ wird.

1. Kernbereich der Tätigkeit des Tendenzbetriebes

Beispiel: Kündigung wegen Austritts aus der Religionsgemeinschaft213

Niemand wird bestreiten, daß von einem Pfarrer verlangt werden kann, daß er Mitglied der Glaubensgemeinschaft ist, deren Werte er predigen soll. Der Grund für dieses eindeutige Ergebnis ist in der Tatsache zu suchen, daß die Predigt den Kernbereich kirchlicher Tätigkeit überhaupt betrifft. Allgemein läßt sich formulieren, daß jeder Tendenzbetrieb im Kernbereich seiner tendenzrelevanten Tätigkeit verlangen kann, daß ihn Menschen repräsentieren, die seine Tendenz, in welcher Form auch immer, vertreten.

Im Kernbereich des Tendenzbetriebes werden Handlungen religiöser oder weltanschaulicher Art vorgenommen, die in ihrer konkreten Ausprägung von einem „Nicht-Tendenzbetrieb“ nicht durchgeführt werden, Handlungen also, die gerade das Wesen des Tendenzbetriebes ausmachen.

Das gilt etwa für die Predigt in der Kirche sowie für alle Tätigkeiten in einem Presseunternehmen, die den konkreten Inhalt der Zeitung prägen.

2. Randbereich der Tätigkeit des Tendenzbetriebes

In dem Beispielsfall war es nicht der Pfarrer, dem gekündigt worden war, sondern ein kaufmännischer Angestellter in einem von einer Ordensgemeinschaft der katholischen Kirche betriebenen Jugendwohnheim.214 Man wird behaupten können, daß die Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten in einem Jugendwohnheim nicht den Kernbereich kirchlichen Handelns berührt. Der Angestellte wird im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses keine Tätigkeiten ausgeführt haben, die ein konfessionsloser kaufmännischer Angestellter in einem nichtkirchlichen Jugendwohnheim nicht auch durchgeführt hätte.

Der Auftrag der Kirche erfaßt zwar nicht nur den Bereich des Glaubens und des Gottesdienstes, sondern erstreckt sich beispielsweise auch auf das karitative Wirken.215 Dennoch dürfte die

213 BVerfG, NJW 1986, S. 367 (367).

214 BVerfG, NJW 1986, S. 367 (367).

215 BVerfG, NJW 1986, S. 367 (367).

Unterteilung in Kern- und Randbereich kirchlichen Handelns zulässig sein. Fraglich ist, ob Tendenzbetriebe auch im Randbereich „diskriminierende“ Entscheidungen auf die Religion oder Weltanschauung stützen können.

Das BVerfG hat in dem Beispielsfall implizit die Rechtmäßigkeit der aufgrund des Kirchenaustritts erfolgten Kündigung bejaht: „Der Kirchenaustritt verträgt sich aus der Sicht der Kirche weder mit ihrer Glaubwürdigkeit noch mit der von ih[r] geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien.“216 Eine personenbedingte Kündigung soll deshalb allein schon dann gerechtfertigt sein können, wenn der Arbeitnehmer eine abweichende Tendenz vertritt.217 Es läßt sich behaupten, daß derjenige, der aus der Kirche austritt, nicht mehr die Werte dieser Kirche, mithin eine abweichende Tendenz vertritt. Der Kirchenaustritt kann als äußeres Zeichen innerer Abkehr von der Religionsgemeinschaft gewertet werden. Ist unter diesem Gesichtspunkt die Kündigung des kaufmännischen Angestellten in dem Beispielsfall gerechtfertigt oder bestehen Bedenken gegenüber der Entscheidung des BVerfG?

a) Keine Privilegierung gegenüber dem „Nicht-Tendenzbetrieb“

Bedenken resultieren daraus, daß der nichtkirchliche Arbeitgeber – also der „Nicht-Tendenzbetrieb“

– den Kirchenaustritt seines kaufmännischen Angestellten nicht zum Anlaß einer Kündigung desselben nehmen dürfte; selbst dann nicht, wenn auch er religiös motiviert handeln würde. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum die (katholische) Kirche in einem Bereich, der den Kernbereich ihres religiösen Handelns nicht betrifft, Andersdenkende per se ablehnen können sollte, der „Normalbürger“ bzw. das tendenzlose Unternehmen dagegen nicht. Die Begründung des BVerfG, der Kirchenaustritt vertrage sich aus der Sicht der Kirche weder mit ihrer Glaubwürdigkeit noch mit der von ihr geforderten vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien,218 vermag deshalb nicht zu überzeugen.

b) Tendenzträgerschaft

Der Tendenzbetrieb sollte von dem Arbeitnehmer, der im Randbereich beschäftigt ist, die Trägerschaft eines bestimmten Statusmerkmals nur dann verlangen können, wenn der Arbeitnehmer Tendenzträger ist, also unmittelbar an der geistig-ideellen Zielsetzung des Betriebs – der Tendenz – mitwirkt.219

216 BVerfG, NJW 1986, S. 367 (369).

217 Ascheid in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 1 KSchG, Rn. 269.

218 BVerfG, NJW 1986, S. 367 (369).

219 Junker, Grundkurs Arbeitsrecht, Rn. 665.

Beispiel: Der ADG-Entwurf des Bundesjustizministeriums hält es beispielsweise für sachlich begründet, wenn eine Kirchengemeinde für ihren Kindergarten nur Betreuerinnen einstellt, die ihrer Religionsgemeinschaft angehören, weil sie den Kindergarten als Teil ihrer Verkündung betrachtet.220

Ein konfessioneller Kindergarten muß von seinen Betreuerinnen verlangen können, daß sie Angehörige der entsprechenden Religionsgemeinschaft sind, wenn man davon ausgeht, daß sie den Kindern bereits die Werte der Kirche vermitteln sollen.

Die Ausführungen zum Tendenzschutz im Randbereich der Tätigkeit des Tendenzbetriebes können zu folgender Feststellung zusammengefaßt werden: Soweit ein Arbeitnehmer kein Tendenzträger ist – dies ist für den kaufmännischen Angestellten des Ausgangsfalls anzunehmen –, sollte dem Tendenzbetrieb, wie jedem „normalen“ Unternehmen, grundsätzlich untersagt sein, von diesem einen bestimmten Status, beispielsweise die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft zu verlangen.

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 178-181)