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Bewußtes Zusammentreffen – Motivbündel

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 165-169)

Teil 3: Auswirkungen des Diskriminierungsverbotes auf das rechtsgeschäftliche und quasi- quasi-rechtsgeschäftliche Handeln

L. Zusammentreffen von Diskriminierungsmerkmalen in einer Person

II. Bewußtes Zusammentreffen – Motivbündel

Diskriminierungsmerkmale treffen häufig in der Form zusammen, daß der „Diskriminierende“ seine Entscheidung bewußt auf mehrere Merkmale stützt. Der Arbeitgeber beispielsweise wird in den meisten Fällen seine Auswahl eben nicht nur von der Qualifikation der Bewerber abhängig machen.

Fraglich ist das Vorliegen einer Diskriminierung in diesen Fällen, wenn die Entscheidung des

„Diskriminierenden“ teils auf sachlichen, teils auf unsachlichen Gründen beruht.

Beispiele: 1. Für eine körperlich anstrengende Tätigkeit bewerben sich eine Frau und ein Mann. Die Frau ist schlechter qualifiziert als der Mann. Der Arbeitgeber lehnt die Frau mit der Begründung ab, sie sei schlechter qualifiziert.

Außerdem stelle er sowieso lieber einen Mann für die körperlich anstrengende Arbeit ein. 2. Der Arbeitgeber stellt die besserqualifizierte Frau ein, weil sie über bessere Zeugnisse verfügt und er Frauen für Sekretärstätigkeiten lieber einstellt. 3. Die Chefin eines Ladenbetriebs entscheidet sich für die Bewerberin, weil diese besser qualifiziert ist als der Bewerber und sie sowieso lieber Frauen einstellt, weil sie durch bittere Lebenserfahrung männerfeindlich geworden ist.

159 Schiek spricht in diesem Zusammenhang von Askription. (Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 27).

160 BAG, NJW 2003, S. 1685 (1687).

161 ArbG Braunschweig, NZA-RR 1999, S. 192 (192, Leitsatz).

162 So aber Braun, der seine Ausführungen auf den ADG-Entwurf des Bundesjustizministeriums vom 10.12.2001 bezieht (Braun, JuS 2002, S. 424 (424)).

In all den genannten Beispielsfällen ist die geringere Qualifikation des jeweiligen Bewerbers sachlicher Grund dafür, diesen nicht einzustellen. Das jeweils zusätzlich genannte Motiv ist dagegen unsachlich. Bei Tätigkeiten, die körperlich anstrengend sind, ist der grundsätzliche Ausschluß von Frauen mit dem Argument, sie verfügten über eine geringere physische Leistungsfähigkeit, unzulässig.163 Auch ist nicht einzusehen, warum Vorgesetzten grundsätzlich das Recht eingeräumt werden sollte, ausschließlich Sekretärinnen statt Sekretäre einzustellen.164 Der Chefin eines Ladenbetriebes in jedem Fall zu erlauben, Männer zurückzuweisen, weil sie durch bittere Lebenserfahrung männerfeindlich geworden ist, erscheint äußerst fragwürdig.165

Das BVerfG dürfte in derartigen Fällen das Vorliegen einer Diskriminierung – auch nach Inkrafttreten des AGG – bejahen: „Soll die Beachtung des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbots auch für den Arbeitgeber bei Einstellungsentscheidungen verbindlich gemacht werden – und darin liegt der Sinn des § 611 a Abs. 1 BGB[-A] –, so muß es diesem verwehrt sein, das Geschlecht eines Bewerbers bei seiner Entscheidung überhaupt zu dessen Lasten zu berücksichtigen. Das ist aber bereits dann der Fall, wenn in dem Motivbündel, das seine Entscheidung beeinflußt hat, das Geschlecht des abgewiesenen Bewerbers als negatives oder das andere Geschlecht als positives Kriterium enthalten ist.“166

Diese Rechtsprechung ist zu kritisieren, verlangt sie doch vom Arbeitgeber, daß er nicht sieht, „was gespielt wird vor seinen Augen,“ die Bewerber also nicht mehr als Mann und Frau wahrnimmt. Das ist aber nicht möglich. Das Geschlecht des Bewerbers dürfte, wenn nicht in jedem, so doch in den meisten Fällen, bei denen sich beide Geschlechter bewerben, Einfluß auf die Auswahlentscheidung haben. Wenn nicht bewußt, so doch zumindest unbewußt. Wenn nicht in entscheidendem Maße, so doch zumindest zu einem geringen Prozentsatz. Nicht selten dürfte in einer solchen Situation ein sexuelles Motiv – also ein irrationales und zugleich unkontrollierbares Gefühl – und damit letztlich das Geschlecht die Auswahlentscheidung mitbeeinflussen:

„Finden Männer Frauen immer noch so bezaubernd, wenn Sex keine Rolle mehr spielt? Findet irgend jemand irgendeinen anderen, ganz gleich, welchen Geschlechts, so bezaubernd, wenn Sex zwischen den beiden keine Rolle spielt? Von wem sonst ist man so bezaubert? Von niemandem.“167

Wenn es unmöglich ist, Menschen als geschlechtslose Wesen wahrzunehmen, kann vom Arbeitgeber nicht verlangt werden, daß er seine Entscheidung völlig unbeeinflußt vom Geschlecht der Bewerber trifft.

163 LAG Köln, NZA-RR 2001, S. 232 (232, Leitsatz); Raab in Soergel, § 611 a, Rn. 35; Eckert in Hk-BGB, § 611 a, Rn. 2.

164 So aber Eich, NJW 1980, S. 2329 (2331); dagegen Söllner in MüKo, § 611 a, Rn. 16.

165 So aber Adomeit, DB 1980, S. 2388 (2388).

166 BVerfGE 89, S. 276 (289).

167 Aus dem Roman „Das sterbende Tier“ von Philip Roth.

1. Kausalität des (un-)sachlichen Grundes für die Entscheidung

Das Vorliegen einer Diskriminierung sollte deshalb immer nur dann bejaht werden, wenn der unsachliche Grund kausal für die Entscheidung des „Diskriminierenden“ war.168 In den Beispielsfällen war das Geschlecht der abgelehnten Bewerber nicht conditio sine qua non für ihre Nichteinstellung. Aufgrund ihrer geringeren Qualifikation wären sie sowieso nicht eingestellt worden. Damit kann die Anknüpfung an ihr Geschlecht hinweggedacht werden, ohne daß ihre Ablehnung entfiele.

Beispiel: Für eine körperlich anstrengende Tätigkeit bewerben sich eine Frau und ein Mann. Die Frau ist besser qualifiziert als der Mann. Der Arbeitgeber entscheidet sich für die Frau, weil sie besser qualifiziert ist als der Mann, obwohl er eigentlich lieber einen Mann für diese Tätigkeit ausgewählt hätte, weil er glaubt, daß Männer für diese Tätigkeit grundsätzlich besser geeignet sind als Frauen, und weil Männer nicht durch Schwangerschaft ausfallen können.

Wenn dem Arbeitgeber verwehrt sein soll, bei seiner Auswahlentscheidung das Geschlecht des Bewerbers zu dessen Lasten zu berücksichtigen, dann müßte in dem Beispielsfall nach der Rechtsprechung des BVerfG dem Arbeitgeber diskriminierendes Verhalten bescheinigt werden, obwohl er die „diskriminierte“ Bewerberin eingestellt hat.

Der Arbeitgeber hat in seine Entscheidung die Tatsache (negativ) einfließen lassen, daß der bestqualifizierte Bewerber eine Frau ist. Gleichwohl hat er die Frau eingestellt, weil ihn letztlich deren bessere Qualifizierung überzeugt hat. Das Merkmal „Qualifikation“ hat in diesem Fall das unerwünschte Merkmal „Geschlecht“ wettgemacht.

Der Beispielsfall verdeutlicht, daß es letztlich immer ein bestimmtes Merkmal ist, daß den Ausschlag für die endgültige Entscheidung gibt. Entweder bildet der unsachliche Grund das Zünglein an der Waage, oder eben nicht.

Sollte man das Vorliegen einer Diskriminierung in dem Beispielsfall dennoch bejahen, stellte sich die Frage nach möglichen Ansprüchen der eingestellten Frau.

2. Keine Sanktionierung des diskriminierenden Motivs

Es bedarf keiner Erklärung dafür, daß es unsinnig wäre, der Arbeitnehmerin einen Einstellungsanspruch zu gewähren. Sie wurde schließlich eingestellt. Auch in den Ausgangsfällen

168 In diesem Sinne wird darauf hingewiesen, der EuGH stelle für einen Verstoß gegen die Richtlinie 76/207/EWG darauf ab, „daß der „wesentliche Grund“ für die Verweigerung der Einstellung ein auf das Geschlecht bezogener ist.“ (Zimmer, NJW 1994, S. 1203 (1204)).

scheidet ein derartiger Anspruch aus, da auch bei ihnen jeweils ein sachlicher Grund dafür vorliegt, den abgelehnten Bewerber nicht einzustellen.

Zu denken ist in den Ausgangsfällen sowie der Abwandlung an die Gewährung eines Schadensersatzanspruchs. In diesem Zusammenhang sei noch einmal daran erinnert, daß Diskriminierungsschutzmaßnahmen das Ziel verfolgen zu verhindern, daß Menschen vom gesellschaftlichen Leben aufgrund der Tatsache ausgeschlossen werden, daß sie Träger bestimmter Merkmale sind. In der Abwandlung ist es zu einem derartigen Ausschluß trotz der unsachlichen Vorbehalte des Arbeitgebers gegenüber Frauen nicht gekommen. Gewährte man der Frau in diesem Fall einen Schadensersatzanspruch, sanktionierte man ein bestimmtes, von der Rechtsordnung nicht toleriertes Motiv, schriebe ein zivilistischer Tugendkatalog169 dem Bürger mithin eine für richtig befundene Tugend vor. Das kann und darf nicht Aufgabe von Antidiskriminierungsrecht, von Recht im allgemeinen sein. „Von Interesse ist ausschließlich, was getan und bewirkt wird. [...]

Entsprechend verbietet die Rechtsordnung auch nicht Gedanken oder Meinungen, sondern Taten, eventuell auch verbales Tun, wenn es tatsächlich verletzende Folgen zeitigt.“170

In den Ausgangsfällen ist es tatsächlich zum Ausschluß des „Diskriminierten“ gekommen, so daß sich die Frage eines möglichen Schadensersatzanspruchs in diesen Fällen neu stellt.

Der in der Abwandlung konstruierte Fall hat deutlich gemacht, daß Motive allein nicht sanktioniert werden dürfen. Genau das würde aber gemacht, gewährte man in den Ausgangsfällen Schadensersatzansprüche einzig und allein aufgrund der Tatsache, daß der Arbeitgeber einen unsachlichen Grund angegeben hat. Seiner Entscheidung letztlich zugrunde gelegt hat er nämlich nicht das Geschlecht der Bewerber, sondern deren Qualifikation.

Wie die Abwandlung gezeigt hat, ist für den Arbeitgeber, der Frauen bzw. Männer grundsätzlich nicht einstellen möchte, ein bestimmtes Geschlecht entweder so wesentlich, daß er seine Entscheidung gerade auf dieses Merkmal stützt, oder es ist ihm ein anderes Merkmal (Qualifikation) derart wichtig, daß er dafür auch das an sich ungeliebte Geschlecht in Kauf nimmt.

In den Beispielsfällen war letztlich allein die Qualifikation der Bewerber ausschlaggebend für die Entscheidung des Arbeitgebers, nicht das Geschlecht.

Der Arbeitgeber der Beispielsfälle muß von dem intoleranten Arbeitgeber unterschieden werden, der etwa geschlechtsspezifisch ausschreibt. Jener möchte Bewerber eines bestimmten Geschlechts in keinem Fall einstellen. Dieser hingegen präferiert zwar auch ein bestimmtes Geschlecht, ist aber im Gegensatz zu jenem grundsätzlich bereit, seine persönliche „zweite Wahl“ einzustellen.

169 So Säcker, ZRP 2002, S. 286 (288).

170 Baer, ZRP 2002, S. 290 (294).

Der Begriff der Toleranz würde mißbraucht, wenn Menschen unter seiner Flagge gezwungen wären, real existierende Unterschiede zu leugnen; wenn ihnen Affektion dort aufgezwungen würde, wo sie sie tatsächlich nicht empfinden.

Ein Schadensersatzanspruch kann somit nicht allein deshalb gewährt werden, weil der Arbeitgeber Vorbehalte einem bestimmten Geschlecht gegenüber hat und diese Vorbehalte auch äußert. Die bloße Nennung eines unsachlichen Grundes begründet keine Diskriminierung, die sanktioniert werden müßte.

Denkbar ist jedoch, daß die Art und Weise der Äußerung seiner Vorbehalte den Arbeitgeber schadensersatzpflichtig werden läßt; dann nämlich, wenn sie belästigenden Charakter hat.171 Diskriminierungsschutz bezweckt eben auch den Schutz vor „verbale[m] Tun, wenn es tatsächlich verletzende Folgen zeitigt.“172 Nicht die bloße Nennung eines unsachlichen Grundes, sondern deren Art und Weise kann diskriminierenden Charakter haben. Wenn der Arbeitgeber dem abgewiesenen Bewerber eingesteht, er bevorzuge Männer für körperlich anstrengende Tätigkeiten, Frauen für die Sekretärstätigkeit oder generell Frauen aufgrund leidvoller persönlicher Lebenserfahrung, dann wird der abgewiesene Bewerber dadurch nicht belästigt. Auch in dem besonders sensiblen Bereich der Diskriminierung aufgrund der Rasse und Staatsangehörigkeit können geäußerte Vorbehalte nicht per se als Diskriminierung eingestuft werden. Sollte beispielsweise der deutsche Arbeitgeber nicht auf deutsche Arbeitnehmer schwören dürfen?

So sehr der Verfasser gegen Diskriminierung auch innerhalb von Privatrechtsbeziehungen ist, so entschieden ist er gegen eine „„political correctness“, die viele von vornherein entmutigt, an einer kontroversen Diskussion mit eigenen Überlegungen teilzunehmen.“173 Korrektheit ist eine Tugend, politische Korrektheit pure Heuchelei, die erschreckende Früchte hervorzubringen vermag.174

Deshalb sollte es in den Ausgangsfällen auch nicht zur Umkehr der Beweislast i. S. d. § 22 AGG175 kommen, da Arbeitgebern andernfalls tatsächlich geraten werden müßte, „im Auswahlverfahren jede wie auch immer geartete Bezugnahme auf das Geschlecht, die etwa in der Frage nach einer Schwangerschaft liegen kann, zu vermeiden.“176

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 165-169)