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Nachschieben von sachlichen Gründen

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 171-176)

Teil 3: Auswirkungen des Diskriminierungsverbotes auf das rechtsgeschäftliche und quasi- quasi-rechtsgeschäftliche Handeln

L. Zusammentreffen von Diskriminierungsmerkmalen in einer Person

IV. Nachschieben von sachlichen Gründen

Beispiel: Eine Bewerberin, die die formellen Voraussetzungen der Ausschreibung erfüllt, wird mit der Begründung nicht zum Vorstellungsgespräch geladen, die ausgeschriebene Tätigkeit sei für eine Frau nicht geeignet. In der Gerichtsverhandlung behauptet der Arbeitgeber, die zum Vorstellungsgespräch geladenen Bewerber seien der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Qualifikation oder Berufserfahrung weit überlegen gewesen, was objektiv zutrifft.184

In dem vom BVerfG entschiedenen Fall behauptete der Arbeitgeber, er habe die Ablehnung der Bewerberin mit deren Geschlecht begründet, weil er ihr die Aussichtslosigkeit ihrer Bewerbung möglichst schonend beibringen wollte.185

Die Wahrheit dieser Aussage unterstellt, ist das Vorliegen einer Diskriminierung in diesem Fall zu verneinen. Der Arbeitgeber stützte seine Entscheidung darüber, wen er zum Vorstellungsgespräch lädt, unter dieser Prämisse eben nicht auf das Geschlecht, sondern auf Qualifikation und Berufserfahrung der Bewerber.

Handelt es sich bei der Begründung des Arbeitgebers dagegen um eine Schutzbehauptung, hat er die Ablehnung der Bewerberin also einzig und allein auf deren Geschlecht gestützt, dann ist das Vorliegen einer Diskriminierung zweifelsfrei zu bejahen.

1. Beweisrechtliches Problem

Der Beispielsfall bereitet demnach materiellrechtlich keine Probleme. Problematisch ist er insofern, als unklar ist, ob die Begründung des Arbeitgebers der Wahrheit entspricht oder ob sie nur dem Ziel diente, dessen diskriminierendes Verhalten zu „rechtfertigen“. Fraglich ist, wie mit dieser Unklarheit prozessual umzugehen ist.

Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang § 22 AGG. Die Bestimmung lautet wie folgt:

„Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, daß kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.“

184 BVerfGE 89, S. 276 (279 f.).

185 BVerfGE 89, S. 276 (280).

In dem Beispielsfall ist es zweifelsfrei zu einer Beweislastumkehr im Sinne des § 22 AGG gekommen.186 Der Arbeitgeber hat zu seiner Verteidigung vorgebracht, die gegebene Begründung für die Ablehnung der Bewerberin sei ungeschickt und unzutreffend gewesen und zum „Beweis“

angeführt, er habe allein Bewerber zum Vorstellungsgespräch geladen und letztlich auch eingestellt, die hinsichtlich ihrer Qualifikation oder Berufserfahrung der abgelehnten Bewerberin weit überlegen gewesen seien.187 Genügt der Arbeitgeber seiner Erklärungspflicht durch dieses Vorbringen?

2. Voraussetzungen zulässigen Nachschiebens sachlicher Gründe

Das BVerfG verlangte im Rahmen des § 611 a I 3 BGB-A, der eine dem § 22 AGG vergleichbare Beweislastregelung enthielt,188 vom Arbeitgeber eine besondere Rechtfertigung für das Nachschieben sachlicher Gründe zu einem späteren Zeitpunkt, da es befürchtete, daß sich dieser anderenfalls in nahezu jedem Fall im Sinne des § 611 a I 3 BGB-A entlasten könne und der gerichtlichen Durchsetzung des Diskriminierungsverbots damit ein praktisch unüberwindliches Hindernis entgegengesetzt sei.189 Die Entlastung durch nachträgliche Angabe eines sachlichen Grundes bereite dem Arbeitgeber deshalb so geringe Schwierigkeiten, weil er die Anforderungen an die Qualifikation für eine bestimmte Stelle grundsätzlich nach seinem Belieben festlegen dürfe.190 Das Gericht qualifizierte einen nachträglich vorgebrachten Grund für die Bevorzugung eines Bewerbers des anderen Geschlechts deshalb nur dann als „sachlich“ im Sinne des § 611 a I 3 BGB-A, „wenn besondere Umstände erkennen [ließen], daß der Arbeitgeber diesen Grund nicht nur vorgeschoben [hatte].“191 Das sollte beispielsweise dann der Fall sein, wenn sich während des Einstellungsverfahrens die Aufgabenstellung und damit die Anforderungen an die Qualifikation des Einzustellenden geändert hatten. Denkbar sei auch – so das Gericht –, daß sich ein Arbeitnehmer bewirbt, der für die ihm zugedachte Aufgabe geradezu prädestiniert ist, mit dessen Bewerbung aber zur Zeit der Ausschreibung vernünftigerweise nicht gerechnet werden konnte.192

Es kann davon ausgegangen werden, daß das BVerfG an den nunmehr dem AGG unterworfenen Arbeitgeber die gleichen Anforderungen stellt.

186 So auch das BVerfG (BVerfGE 89, S. 276 (289); Beachte, daß der Entscheidung des Gerichts die alte Rechtslage zugrunde liegt. § 611 a I 3 BGB-A enthielt eine dem § 22 AGG vergleichbare Beweislastregelung. (Vergleiche dazu Teil 4, Prüfungspunkt C. III. 1.).

187 BVerfGE 89, S. 276 (280).

188 Vergleiche dazu Teil 4, Prüfungspunkt C. III. 1.

189 BVerfGE 89, S. 276 (289).

190 BVerfGE 89, S. 276 (289); vgl. auch Schiek: „Teilt der Arbeitgeber die Auswahlkriterien im nachhinein mit, so ist es durchaus möglich, daß sie nunmehr auf den tatsächlich ausgewählten Bewerber „passen“.“ (Schiek, BB 1998, S.

586 (586)).

191 BVerfGE 89, S. 276 (290).

192 BVerfGE 89, S. 276 (290).

3. Keine Offenlegungspflicht der Entscheidungsgründe

Beachtet werden muß, daß das BVerfG seine Ausführungen zum „Nachschieben sachlicher Gründe“ auf Fälle bezieht, bei denen der „Diskriminierte“ Tatsachen vorgetragen (und gegebenenfalls bewiesen) hat, die eine Diskriminierung vermuten lassen. In einem solchen Fall soll der bloße Nachweis eines unzweifelhaft vorliegenden sachlichen Grundes – in dem Beispielsfall die Qualifikation und Berufserfahrung – nicht ausreichen, um die glaubhaft gemachte Diskriminierung zu entkräften. Im Kern sagt das Gericht damit – zu recht –, daß ein solcher Nachweis allein noch kein Beweis dafür ist, daß in Wirklichkeit nicht doch der unsachliche Grund – das Geschlecht – conditio sine qua non für die Entscheidung gewesen ist.193

Beispiel: Der Arbeitgeber entscheidet sich für den im Vergleich zur Mitbewerberin objektiv schlechter qualifizierten Bewerber, weil dieser ihm sympathischer ist. Die abgewiesene Bewerberin klagt vor Gericht, weil sie sich aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert fühlt.

Sympathie kann ein Grund sein, jemanden einzustellen; Antipathie, jemanden abzulehnen. Dem Arbeitgeber ist gestattet, den minderqualifizierten Bewerber dem besserqualifizierten vorziehen, weil ersterer ihm sympathischer ist.194 Die Bewerberin löst die Beweislastumkehr des § 22 AGG nicht allein durch Verweis auf die geringere Qualifikation des eingestellten Bewerbers aus,195 und zwar auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber erstmals im Prozeß den sachlichen Grund „Sympathie“

für seine Auswahlentscheidung angibt. Die Rechtsprechung des BVerfG zum Nachschieben von sachlichen Gründen darf nicht in der Weise (fehl-)interpretiert werden, die erstmalige Nennung eines sachlichen Grundes im Prozeß verpflichte den Arbeitgeber stets dazu, dieses Verhalten im Sinne besagter Rechtsprechung besonders zu rechtfertigen. Dem ist nicht so: Bereits „§ 611 a Abs.

1 Satz 3 macht[e] deutlich, daß der Arbeitgeber nicht verpflichtet [war], dem unberücksichtigt gebliebenen Bewerber seine Auswahlgründe mitzuteilen.“196 Durch das Inkrafttreten des AGG ist es insofern nicht zu einer Änderung der Rechtslage gekommen.197

Der Arbeitgeber schiebt also keinen sachlichen Grund im Sinne der erwähnten Rechtsprechung des BVerfG nach, wenn er erstmals im Prozeß die Einstellung des Bewerbers damit begründet, dieser sei ihm im Bewerbungsgespräch sympathischer gewesen als die besserqualifizierte Bewerberin. Er

193 Richardi/Annuß: „Ein Nachschieben objektiv vorliegender, subjektiv jedoch nicht maßgeblicher Rechtfertigungsgründe genügt daher nicht.“ (Richardi/Annuß in Staudinger, § 611 a, Rn. 104); Müller-Glöge: „Ein

„Nachschieben“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG liegt nur vor, wenn objektiv geeignete Auswahlgründe bei der Entscheidung tatsächlich unberücksichtigt blieben, aber im Streit um die Verletzung von § 611 a [BGB-A]

„entdeckt“ und nachträglich vorgebracht werden.“ (Müller-Glöge in MüKo, § 611 a, Rn. 85).

194 Buchner in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1, § 39, Rn. 74; Raab, RdA 1995, S. 36 (38); Müller-Glöge in MüKo, § 611 a, Rn. 23; Wiese, JuS 1990, S. 357 (360).

195 Vergleiche dazu Teil 4, Prüfungspunkt C. III. 1. f).

196 Müller-Glöge in MüKo, § 611 a, Rn. 83; in diesem Sinne auch Richardi/Annuß in Staudinger, § 611 a, Rn. 104.

197 Die Einführung einer derartigen Begründungspflicht ist angesichts der Schutzinteressen des „Diskriminierten“ in Betracht zu ziehen.

muß deshalb nicht beweisen, daß ausschlaggebendes Auswahlkriterium die besondere Zuneigung zu dem eingestellten Bewerber gewesen ist.198

V. Zusammenfassung

Die im Rahmen des Prüfungspunktes „Zusammentreffen von Diskriminierungsmerkmalen in einer Person“ getroffenen Feststellungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Jeder Mensch ist Träger einer Vielzahl von Diskriminierungsmerkmalen, die im Rahmen einer diskriminierungsrelevanten Maßnahme unbewußt oder bewußt zusammentreffen können.

Ein unbewußtes Zusammentreffen von Diskriminierungsmerkmalen ist etwa gegeben, wenn ein Mann aufgrund besseren Zeugnisses, nicht aufgrund seines Geschlechts, für die gleiche Tätigkeit eine höhere Vergütung erhält als die Frau. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß das absolute Verbot der Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts nicht zu einem Recht auf gleichen Lohn für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit führt. Nicht auf das Geschlecht bezogene, sachliche Gründe vermögen eine unterschiedliche Behandlung stets zu rechtfertigen. Ob die Entscheidung auf das eine oder andere Diskriminierungsmerkmal gestützt wurde, ihr also ein sachlicher oder unsachlicher Grund zugrunde liegt, ist nicht immer einfach zu beantworten. Das gilt etwa dann, wenn der Vermieter den chinesischen Interessenten mit der Begründung ablehnt, Chinesen würden ihre Vertragspflichten regelmäßig nicht erfüllen.

Ein bewußtes Zusammentreffen von Diskriminierungsmerkmalen liegt vor, wenn der Diskriminierende seiner benachteiligenden Ungleichbehandlung mehrere Diskriminierungsmerkmale zugrunde legt. Allein die Tatsache, daß sich in dem Motivbündel auch ein unsachlicher Grund befindet – der Arbeitgeber etwa entscheidet sich nicht für die Frau, weil sie eine geringere Qualifikation hat als der Mann und weil sie eine Frau ist – führt nicht dazu, daß die diskriminierungsrelevante Entscheidung rechtswidrig ist. Eine Diskriminierung ist in einem solchen Fall nur dann gegeben, wenn der unsachliche Grund kausal für die Entscheidung war. Das diskriminierende Motiv für sich ist nicht sanktionswürdig, solange es nicht in belästigender Weise geäußert wird. So diskriminiert der deutsche Arbeitgeber nicht schon dadurch, daß er auf deutsche Arbeitnehmer schwört.

Diskriminierungsmerkmale treffen zeitlich versetzt zusammen, wenn beispielsweise der Arbeitgeber, der eine Stelle geschlechtsspezifisch ausgeschrieben hat, letztlich zur Grundlage seiner Einstellungsentscheidung die Qualifikation der Bewerber macht. In einem solchen Fall stellt sich die Frage nach dem Vorliegen einer Diskriminierung auch für die durch die geschlechtsspezifische Ausschreibung benachteiligten Männer bzw. Frauen, die schlechter qualifiziert sind als der

198 Vergleiche dazu Teil 4, Prüfungspunkt C. III. 1. f).

eingestellte Bewerber. Stellenausschreibung und Einstellung stellen nämlich zwei unabhängig voneinander zu betrachtende diskriminierungsrelevante Entscheidungen dar.

Trägt der „Diskriminierte“ Tatsachen vor, die eine Diskriminierung im Sinne des § 22 AGG vermuten lassen, vermag sich der „Diskriminierende“ – sofern diese Tatsachen unstreitig oder bewiesen sind – nicht bereits durch den Nachweis eines objektiv vorliegenden sachlichen Grundes, den er erstmals im Prozeß angibt, zu entlasten. Ein auf diese Weise nachträglich vorgebrachter Grund war nach der Rechtsprechung des BVerfG zu § 611 a I 3 BGB-A, der eine dem § 22 AGG vergleichbare Beweislastregelung enthielt, nur dann als „sachlich“ im Sinne dieser Norm zu qualifizieren, wenn besondere Umstände erkennen ließen, daß der Arbeitgeber diesen Grund nicht nur vorgeschoben hatte. Diese Rechtsprechung muß im Rahmen des § 22 AGG fortbestehen, da sich der Arbeitgeber andernfalls (vermutlich) in nahezu jedem Fall im Sinne des § 22 AGG entlasten könnte, darf er doch grundsätzlich die Anforderungen an die Qualifikation für eine bestimmte Stelle nach seinem Belieben festlegen. Beachtet werden muß, daß die in § 22 AGG geregelte Beweislastumkehr, infolge derer für nachgeschobene sachliche Gründe besondere Begründungsanforderungen bestehen, nicht allein durch die Tatsache eintritt, daß der Arbeitgeber im Prozeß erstmals den (sachlichen) Grund seiner Auswahlentscheidung angibt. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, dem unberücksichtigt gebliebenen Bewerber seine Auswahlgründe mitzuteilen.

Allein die Tatsache, daß der Arbeitgeber seine Auswahlentscheidung erst im Prozeß beispielsweise damit begründet, ihm sei der Bewerber sympathischer gewesen als die Bewerberin, führt deshalb nicht dazu, daß er diese Behauptung beweisen müßte.

M. Tendenzschutz

Im Rahmen der Frage nach den Auswirkungen des Diskriminierungsverbotes auf das (quasi-)rechtsgeschäftliche Handeln ist auf das Spannungsverhältnis zwischen Diskriminierungsschutz auf der einen und Tendenzschutz auf der anderen Seite einzugehen. In diesem Zusammenhang ist zunächst der Begriff des Tendenzbetriebes zu klären. Gemäß Art. 118 I BetrVG handelt es sich dabei um einen Betrieb, der unmittelbar und überwiegend

„1. politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder

2. Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes Anwendung findet, [dient]“.

Eine Besonderheit von Tendenzbetrieben soll darin bestehen, daß über den maßgebenden

„Tendenzinhalt“ der Tendenzbetrieb entscheidet.199 Daraus folge, daß nicht die Natur der Arbeit und das Leistungsvermögen des Arbeitnehmers – also objektive, der Definitionsmacht des Arbeitgebers entzogene Maßstäbe – die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung begründen, sondern die Lehre des Arbeitgebers – also von diesem selbst gesetzte Kriterien.200

An anderer Stelle wurde festgestellt, daß auch „Nicht-Tendenzbetriebe“ Diskriminierungsmerkmale für wesentlich und entscheidend erklären können, daß diese „Wesentlich- und Entscheidendmachung“ aber objektiv begrenzt ist.

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 171-176)