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Individuelle Vertragsgestaltung

Teil 2: Diskriminierung – Begriffsbestimmung

A. Diskriminierungsrelevantes Verhalten

II. Einseitig belastende Behandlung

1. Individuelle Vertragsgestaltung

II. Einseitig belastende Behandlung

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, daß der Diskriminierungsbegriff die benachteiligende Ungleichbehandlung von Personen erfaßt. Fraglich ist, ob auch andere Verhaltensweisen den Tatbestand der Diskriminierung erfüllen können.

1. Individuelle Vertragsgestaltung

Beispiel: Arbeitgeber untersagt einer Arbeitnehmerin das – religiös bedingte – Tragen eines Kopftuchs.

17 Dieses Problem ist zum einen in dem Entwurf eines Gesetzes gegen Rassismus und die Diskriminierung ausländischer Bürgerinnen und Bürger (Antirassismusgesetz) der PDS vom 19.05.1995 thematisiert (BT-Druck.

13/1466), zum anderen in dem Entwurf eines Gesetzes zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes des Art. 3 Grundgesetz (Gleichbehandlungsgesetz) der SPD vom 09.03.1998 (BT-Druck. 13/10081).

Beide Entwürfe sprechen zwar von mittelbarer Diskriminierung, meinen aber die Diskriminierungsdrittwirkung.

(vgl. dazu die Gesetzesbegründung des PDS-Entwurfs zu § 2, BT-Druck. 13/1466, S. 10 sowie die Gesetzesbegründung des SPD-Entwurfs zu Art. 1, § 1, BT-Druck. 13/10081, S. 11 ).

18 Aus einem Brief des Betroffenen an den Ausländerbeirat der Stadt Göttingen vom 22.11.1999.

19 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang ein Urteil des BVerfG, in dem das Gericht entschieden hat, daß der Gesetzgeber nicht nur im Bereich des Arbeitsrechts, sondern auch in anderen Bereichen des Privatrechts Regelungen mit besonderer Rücksicht auf Familien mit Kindern zu erwägen hat, so etwa das Verbot einer Kündigung von Mietverträgen über Wohnraum wegen der Aufnahme eines neugeborenen Kindes. (BVerfGE 88, S.

203 (260)).

In dem Beispielsfall könnte man das Vorliegen einer Diskriminierung mit der Begründung verneinen, der Arbeitgeber „behandle“ nur eine Person. In der Tat trifft der Arbeitgeber mit dem gegenüber der einzelnen Arbeitnehmerin ausgesprochenen Verbot und der darauf folgenden Kündigung keine Aussage darüber, ob er, vor das Problem gestellt, einem anderen Arbeitnehmer beispielsweise das Tragen der Kippa gestatten würde. Nur in diesem Fall ließe sich aber von einer Ungleichbehandlung aufgrund der Religion sprechen. Denn im Falle der verhaltensbedingten Kündigung kommt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer verhaltensbedingt kündigt, während er andere Arbeitnehmer, die sich nicht anderes verhalten, weiterbeschäftigt.20

a) Hypothetische Ungleichbehandlung

Allenfalls von einer hypothetischen Ungleichbehandlung ließe sich in dem Beispielsfall sprechen, wenn man davon ausginge, der Arbeitgeber, vor eine Entscheidung gestellt, würde andere religiöse Symbole tolerieren und demnach nicht mit Verbot und Kündigung reagieren.

Im Rahmen des Art. 141 I EGV ist umstritten, ob die Frage der Diskriminierung durch Vergleich mit einem hypothetischen Arbeitnehmer beantwortet werden kann.21 Der EuGH und Teile der Literatur lehnen dies ab.22 Man argumentiert, das Diskriminierungsverbot würde andernfalls zu einem Anspruch auf gerechte Bezahlung ausgedehnt.23

Für die Zulässigkeit des Vergleichs mit einer hypothetischen Person könnte indes Art. 2 II lit. a der Richtlinie 2000/43/EG sprechen, nach dem eine unmittelbare Diskriminierung vorliegt,

„[...] wenn eine Person [...] eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“.24

Fast wortlautgleich bestimmt § 3 I 1 AGG, daß eine unmittelbare Benachteiligung vorliegt,

„[...] wenn eine Person [...] eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.“25

20 Richardi in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1, § 14, Rn. 20.

21 Zum Meinungsstand vgl. Krebber in Calliess/Ruffert, Art. 141 EGV, Rn. 54.

22 EuGH, Rs. C-129/79, Slg. 1980 1, S. 1275 (1289, Rn. 15); Rs. C-200/91, Slg. 1994 I 4, S. 4389 (4430 f., Rn. 103);

Krebber in Calliess/Ruffert, Art. 141 EGV, Rn. 54.

23 Krebber in Calliess/Ruffert, Art. 141 EGV, Rn. 54.

24 Hervorhebung durch den Verfasser; Ähnliche Definitionen enthalten die Richtlinie 76/276/EWG in Art. 2 II 1.

Spiegelstrich, Richtlinie2000/78/EG in Art. 2 II lit. a sowie Richtlinie 2004/113/EG in Art. 2 lit.a.

In diesem Sinne ist wohl auch Rust zu verstehen, wenn er etwas nebulös formuliert, die Antwort auf die Frage nach der Zulässigkeit des Vergleichs mit einer hypothetischen Arbeitskraft dürfte künftig in der Legaldefinition der unmittelbaren Diskriminierung in der Richtlinie 2002/73/EG zu finden sein. (Rust in von der Groeben/Schwarze, Band 3, Art. 141 EGV, Rn. 439); Dazu sei angemerkt, daß die Richtlinie 2002/73/EG die Richtlinie 76/207/EWG novelliert hat.

25 Hervorhebung durch den Verfasser.

Fraglich ist, wie man die Formulierung: „erfahren würde“ verstehen muß.26 Sicherlich wird man nicht so weit gehen können, dem Arbeitgeber diskriminierendes Verhalten einfach zu unterstellen.

Eine derartige Interpretation des Tatbestandsmerkmals „erfahren würde“ wäre verfehlt.

Auch die Vertreter, die sich grundsätzlich für den Vergleich mit einem hypothetischen Arbeitnehmer aussprechen,27 verlangen „irgendwelche Indizien“, aus denen sich ergibt, daß die beschäftigten Frauen schlechter bezahlt werden als hypothetische männliche Arbeitnehmer für diese Tätigkeit vergütet würden,28 bzw. fordern die Bezugnahme auf das Entgelt, welches dem anderen Geschlecht für die gleiche Arbeit in demselben Unternehmen normalerweise gezahlt oder angeboten wird.29 Ob eine andere Person eine bessere Behandlung erfahren würde, soll somit nicht einfach unterstellt werden können, sondern sich aus konkreten Indizien ergeben müssen.

Bei genauer Betrachtung der Argumente stellt man fest, daß beide Ansichten eine Vergleichsbasis in Gestalt eines tatsächlich existierenden Arbeitnehmers fordern, egal ob dieser gleichzeitig mit dem

„diskriminierten“ Arbeitnehmer beschäftigt ist, davor oder dannach.30

Im Gegensatz zu Art. 141 I EGV wurde im Rahmen des § 612 III 1 BGB-A das Problem des hypothetischen Arbeitgebers nicht thematisiert. Die Notwendigkeit des Vergleich mit einem realen Arbeitnehmer des anderen Geschlechts wurde, so scheint es zumindest, vorausgesetzt.31

In diesem Sinne dürfte auch § 3 I 1 AGG zu interpretieren sein. Laut Entwurfsbegründung muß die unmittelbare Benachteiligung „[...] entweder noch andauern bzw. bereits abgeschlossen sein; oder aber es muß eine hinreichend konkrete Gefahr bestehen, daß eine solche Benachteiligung eintritt („erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“). Ein nur abstrakte Gefahr löst noch keine Ansprüche aus.“32

Ein Vergleich mit anderen Arbeitnehmern, aus dem das Vorliegen einer Ungleichbehandlung hätte abgeleitet werden können, war im „Kopftuchfall“ scheinbar nicht möglich. Das Bundesarbeitsgericht hat sich mit der Frage des Vorliegens einer Ungleichbehandlung in diesem Fall jedenfalls nicht beschäftigt. Sein Urteil stützte das Gericht nicht auf Art. 3 III GG, erwähnte den Artikel nicht einmal.33 Es erklärte die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung vielmehr

26 Bauer weist darauf hin, daß die Richtlinie – gemeint ist die Richtlinie 2000/78/EG – ungeklärt läßt, „[w]ie eine solche hypothetische Betrachtung in der Praxis aussehen soll“. (Bauer, NJW 2001, S. 2672 (2674)).

27 Steindorff, RdA 1988, S. 129 (132); Langenfeld, Die Gleichbehandlung von Mann und Frau im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 253 f.

28 Steindorff, RdA 1988, S. 129 (133).

29 Langenfeld, Die Gleichbehandlung von Mann und Frau im Europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 254.

30 Krebber in Calliess/Ruffert, Art. 141 EGV, Rn. 55.

31 Putzo in Palandt, § 612, Rn. 12; Hanau in Erman, § 612, Rn. 28; Raab in Soergel, Band 4/1, § 612, Rn. 55;

Richardi in Staudinger, § 612, Rn. 61.

32 Entwurfsbegründung, BT-Druck. 16/1780, S. 32.

33 BAG, NZA 2003, S. 483 ff.

deshalb für unwirksam, weil es die Religionsfreiheit der Arbeitnehmerin durch selbige verletzt sah.34

b) Resümee – Diskriminierung durch einseitig belastende Behandlung

Der „Kopftuchfall“ stellt nach den bisherigen Ausführungen keine Diskriminierung dar, weil er das Tatbestandsmerkmal der Ungleichbehandlung nicht aufweist. Gleichwohl wird er teilweise unter dem Stichwort „Diskriminierung“ diskutiert, wird er doch im Zusammenhang mit der Richtlinie 2000/78/EG erwähnt,35 die gem. ihres Art. 1 die Bekämpfung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf unter anderem aufgrund der Religion bezweckt.

Im „Kopftuchfall“ erfährt die Arbeitnehmerin eine für sie ungünstige Behandlung, weil sie Trägerin eines Merkmals ist, das der Arbeitgeber nicht toleriert. Auch die unmittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtlinien ist dadurch gekennzeichnet, daß die Trägerschaft eines Merkmals zu einer Ungleichbehandlung führt. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob die Anknüpfung an das jeweilige Merkmal rechtswidrig ist. Auch der „Kopftuchfall“ wirft damit die Frage nach dem Vorliegen einer Diskriminierung auf. Zumindest dann, wenn man davon ausgeht, daß Diskriminierungsschutz nicht nur bezweckt, das Unrecht zu vermeiden, das dadurch entsteht, daß ein an sich legitimes Verhalten durch gleichheitswidrige Unterscheidung ungerecht wird.36 Es wird deshalb vorgeschlagen, auch die einseitig belastende Behandlung einer Person als potenziell diskriminierendes Verhalten einzustufen.

Im Zusammenhang mit der hier vorgeschlagenen Problemlösung ist auf die Rechtsprechung des BGH zur Rechtmäßigkeit der Kündigung von Parteikonten hinzuweisen. Dort hat das Gericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG festgestellt: „Der Gleichheitssatz des Art. 3 I GG erschöpft sich nicht in dem Verbot einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung verschiedener Personen und Personengruppen, [die im Falle der Kündigung eines Parteikontos dann vorliegen kann, wenn das Kreditinstitut für andere Parteien Konten führt,37] sondern bringt als fundamentales Rechtsprinzip ein Willkürverbot zum Ausdruck.“38 „Das Willkürverbot ist verletzt, wenn sich bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken ein sachgerechter Grund für eine Maßnahme der öffentlichen Gewalt nicht finden läßt.“39

34 BAG, NZA 2003, S. 483 (486 f.).

35 So jedenfalls Thüsing, NJW 2003, S. 405 (406).

36 So aber Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (411); Wiedemann/Thüsing, Der Betrieb 2002, S. 463 (466).

37 In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte das Berufungsgericht nicht festgestellt, daß die Beklagte Girokonten für andere Parteien führt. Auch hatte der Kläger dies nicht geltend gemacht. (BGH, NJW 2003, S. 1658 (1659)).

38 BGH, NJW 2003, S. 1658 (1659); BVerfGE 55, S. 72 (89); 78, S. 232 (248).

39 BGH, NJW 2003, S. 1658 (1659); NJW 2004, S. 1031 (1031); BVerfGE 55, S. 72 (89 f.); 78, S. 232 (248); In einem späteren Urteil formuliert es das BVerfG enger: „Kommt als Maßstab nur das Willkürverbot in Betracht, so kann ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG erst festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist.“ (BVerfGE 99, S. 367 (389))

Die Überlegungen zu dem in Art. 3 I GG verankerten Willkürverbot haben gezeigt, daß potenziell diskriminierendes Verhalten nicht auf die Ungleichbehandlung beschränkt werden muß.