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Sonstiges Merkmal als Anknüpfungspunkt

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 181-184)

Teil 3: Auswirkungen des Diskriminierungsverbotes auf das rechtsgeschäftliche und quasi- quasi-rechtsgeschäftliche Handeln

L. Zusammentreffen von Diskriminierungsmerkmalen in einer Person

III. Sonstiges Merkmal als Anknüpfungspunkt

Art. 4 II 2 Richtlinie 2000/78/EG bestimmt, daß eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion oder Weltanschauung im Tendenzbetrieb keine Diskriminierung aus einem anderen Grund rechtfertigt.

1. Kernbereich der Tätigkeit des Tendenzbetriebes

Die Bestimmung in Art. 4 II 2 scheint auf den ersten Blick unmißverständlich formuliert und von ihrer Intention nachvollziehbar zu sein. Warum sollte Tendenzbetrieben gestattet sein, Entscheidungen auf andere Merkmale als ihre Tendenz zu stützen? Privilegierte man sie dann nicht gegenüber „normalen“ Unternehmen in einer nicht zu rechtfertigenden Weise?

Beispiel: Ist es der katholischen Kirche aufgrund dieser Norm in Zukunft untersagt, Frauen für das Priesteramt abzulehnen, oder ließe sich dies mit dem Hinweis verneinen, die Kirche unterscheide hier unmittelbar aufgrund der Religion und nur mittelbar aufgrund des Geschlechts?

Das Beispiel zeigt, daß der auf den ersten Blick zweckmäßige Art. 4 II 2 problematische Fragen aufwirft. Sollte der Gesetzgeber tatsächlich beabsichtigt haben, durch diese Norm Kernbestandteile des Selbstverständnisses einer Religionsgemeinschaft zu berühren und neu zu regeln? Sollte es einer Religionsgemeinschaft tatsächlich verwert sein, ausschließlich männliche Priester zu

220 Entwurfsbegründung, S. 49 (http://www.lsvd.de/antidiskriminierung/adgzivil02. html).

tolerieren? Würde man damit nicht das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften untergraben?

Zunächst ist festzuhalten, daß nicht gesagt werden kann, in dem Beispielsfall werde unmittelbar aufgrund der Religion und nur mittelbar aufgrund des Geschlechts unterschieden. Die Formulierung

„keine Diskriminierung aus einem anderen Grund“ in Art. 4 II 2 Richtlinie 2000/78/EG läßt sich, wie bereits erwähnt, sinnvoll nur in der Weise interpretieren, daß mit „Ungleichbehandlung aufgrund der Religion oder Weltanschauung“ jede Ungleichbehandlung aufgrund des Status einer bestimmten Religionszugehörigkeit bzw. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Weltanschauung gemeint ist. Andernfalls machte die Bestimmung in Art. 4 II 2 keinen Sinn.

Ist nun aber die unmittelbare Anknüpfung an das Geschlecht in dem Beispielsfall zulässig? Um diese Frage beantworten zu können, ist folgendes zu beachten: Wesentlich für jede Religionsgemeinschaft ist u.a. das Element des Irrationalen, der Glaube an etwas, das sich nicht nachweisen läßt und was unter Umständen jeder Logik entbehrt. Ist nun aber die Freiheit des Glaubens und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen grundrechtlich geschützt, muß es einen Bereich geben, in dem dieses Unlogische, Irrationale (auch in Gemeinschaft) ohne staatliche Kontrolle ausgelebt werden kann.

Zumindest im Kernbereich kirchlichen Handelns muß es der Kirche gestattet sein, auch aufgrund eines anderen Merkmals, wie beispielsweise dem Geschlecht, unterscheiden zu können, soweit dies nachgewiesenermaßen ihrem Selbstverständnis entspricht. Vor diesem Hintergrund ist der Ausschluß weiblicher Bewerber für das Priesteramt in der katholische Kirche als zulässig zu betrachten.221

Gleiches dürfte für homosexuelle Bewerber für das Priesteramt gelten. In diesem Zusammenhang ist entschieden worden, daß eine gesteigerte Loyalitätspflicht von unmittelbaren Tendenzträgern, d.

h. von solchen Personen verlangt werden kann, „die den Verkündungsauftrag der Kirche unmittelbar zu erfüllen haben.“222

2. Randbereich der Tätigkeit des Tendenzbetriebes

Im Randbereich der Tätigkeit des Tendenzbetriebes muß etwas anderes gelten, will man Art. 4 II 2 Richtlinie 2000/78/EG nicht vollständig entwerten. Aber nicht nur dieser formale Gesichtspunkt zwingt zu einem solchen Schluß. Er ist auch sachlich geboten. Gestattete man beispielsweise kirchlich betriebenen Krankenhäusern, homosexuelle Ärzte oder Ärztinnen abzulehnen, ließe sich

221 Sich auf § 611 a BGB-A beziehend meint Thüsing, in diesem Fall sei das männliche Geschlecht tatsächlich unverzichtbar. (Thüsing, RdA 2001, S. 319 (322)).

222 ArbG Lörrach, ArbuR 1993, S. 151 (153).

nicht mehr rechtfertigen, daß tendenzlose Arbeitgeber an ein diesbezügliches Diskriminierungsverbot gebunden sind. Hat nicht auch der tendenzlose Arbeitgeber unter Umständen Vorbehalte gegenüber homosexuellen Arbeitnehmern oder Arbeitnehmerinnen? Soll er nicht dennoch grundsätzlich verpflichtet sein, (Einstellungs-)Entscheidungen nicht vom Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein dieses Merkmals abhängig zu machen?

Das BAG hat die in einem „Nicht-Tendenzbetrieb“ aufgrund der Homosexualität des Arbeitnehmers erfolgte Kündigung in der Probezeit als treuwidrig i.S.d. § 242 BGB eingestuft.223 Im Gegensatz dazu und im Widerspruch zu dem hier propagierten Gleichlauf von Tendenzbetrieb und tendenzlosem Unternehmen hat das Gericht die im außerdienstlichen Bereich praktizierte homosexuelle Neigung eines im Dienst des Diakonischen Werkes einer evangelischen Landeskirche stehenden, im Bereich der Konfliktberatung eingesetzten Arbeitnehmers als grundsätzlich geeigneten Kündigungsgrund angesehen, sofern der Arbeitnehmer zuvor erfolglos abgemahnt wurde.224 Das BAG hat zudem für zulässig erachtet, einer bei einem katholischen Missionsgymnasium beschäftigten katholischen Lehrerin aus personenbedingten Gründen i.S.d. § 1 II KSchG ordentlich zu kündigen, wenn diese einen geschiedenen Mann heiratet.225

Diese tendenzbetriebsfreundliche Rechtsprechung des BAG hält den Anforderungen, die Art. 4 II 2 Richtlinie 2000/78/EG stellt, nicht stand.226 Zudem ist sie sachlich in zweifacher Hinsicht nicht haltbar. Zum einen bevorzugt sie, wie bereits erwähnt, Tendenzbetriebe gegenüber Nicht-Tendenzbetrieben in ungerechtfertigter Weise. In diesem Zusammenhang sei noch einmal an den bereits mehrfach erwähnten „Kopftuchfall“ erinnert. Dort hat das BAG entschieden, das Tragen eines – islamischen – Kopftuchs rechtfertige regelmäßig noch nicht die ordentliche Kündigung einer Verkäuferin in einem Kaufhaus aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen nach § 1 II KSchG.227

Die Rechtsprechung des BAG ist auch und vor allem deshalb kritikwürdig, weil sie die Rechte der

„Diskriminierten“ nicht in gehöriger Weise berücksichtigt. In diesem Sinne wird vertreten, im Fall

223 BAG, NZA 1994, S. 1080 (1082); Andere halten eine derartige Kündigung für sittenwidrig i. S. d. § 138 I BGB. (v.

Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz, § 13, Rn. 64); Die Berufungsinstanz hatte demgegenüber die Ansicht vertreten, die wegen dieser abartigen Anlage des Geschlechtstriebes – gemeint war die Homosexualität – erfolgte Kündigung sei von einem verständlichen und vertretbaren Motiv getragen gewesen. Es widerspräche keineswegs dem Anstandsgefühl aller Billig- und Gerechtdenkenden, persönlichen und geschäftlichen Umgang mit homosexuellen Personen zu meiden und bestehende Kontakte zu ihnen abzubrechen. (wesentliche Gründe des Urteils des LAG München abgedruckt in NZA 1994, S. 1080 (1080)); In einem ähnlich gelagerten Fall hat das ArbG Lörrach festgestellt, die Weigerung der Aufnahme eines Vorpraktikanten in ein Ausbildungsverhältnis allein aufgrund der homosexuellen Veranlagung des Bewerbers verstoße gegen Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung, wie dem allgemeinen Willkürverbot des Art. 3 I GG, den guten Sitten gem. § 138 BGB sowie dem

„ordre public“ gem. Art. 6 EGBGB. (ArbG Lörrach, ArbuR 1993, S. 151 (152)).

224 BAG, AP Nr. 15 zu Art. 140 GG, Bl. 1169 (Leitsatz); a. A. v. Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz, § 1, Rn. 258.

225 BAG NJW 1985, S. 1855 (1855, 1. Leitsatz).

226 A. A. im „Homosexuellenfall“ wohl Thüsing: „Durch Art. 4 II der Richtlinie ist den Religionsgemeinschaften jedoch ein weitgehender Freiraum geschaffen worden, der die Vorgaben des kirchlichen Arbeitgebers auch weiterhin als zulässig erscheinen läßt.“ (Thüsing, NZA 2001, S. 1061 (1062)).

227 BAG, NJW 2003, S. 1685 (1685, Leitsatz).

des Verbots homosexueller Handlungen im außerdienstlichen Bereich klafften kirchliche und staatliche Ordnung in einer Weise auseinander, die die Nichtanwendung der betreffenden Normen wegen Verstoßes gegen den ordre public (Art. 6 EGBGB) rechtfertigten.228 Besonders perfide erscheint in diesem Fall das Erfordernis der Abmahnung, geht doch das Gericht scheinbar davon aus, der Homosexuelle könne von heute auf morgen zur „Normalität“ wechseln.

Gegen den ordre public verstoße auch das Verbot der Wiederverheiratung bzw. der Heirat mit einem Geschiedenen.229 In diesen Fällen komme erschwerend hinzu, daß sich ein Staat, der sich dem besonderen Schutz von Ehe und Familie verpflichtet fühlt, widersprüchlich verhielte, wenn er solchen Kündigungen Wirksamkeit verleihen würde.230

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