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Unbegrenzte Anzahl potenzieller Diskriminierungsmerkmale

Teil 2: Diskriminierung – Begriffsbestimmung

A. Diskriminierungsrelevantes Verhalten

IV. Unbegrenzte Anzahl potenzieller Diskriminierungsmerkmale

Die bisherigen Ausführungen führen zu der Erkenntnis und gleichlautenden These, daß es zumindest potenziell unendlich viele Merkmale gibt, aufgrund derer diskriminiert werden kann. Es ist schlechterdings kein Merkmal denkbar, bei dem sich nicht Fälle bilden ließen, die man als Diskriminierung einstufen müßte.

Die Mehrzahl der diskutierten internationalen wie nationalen Antidiskriminierungsmaßnahmen sind demgegenüber auf den Schutz bestimmter Merkmale beschränkt. Diesem Ansatz folgend wurde bis zum Inkrafttreten des AGG immer wieder gefordert, der deutsche Gesetzgeber solle sich bei der

128 Zu diesen Begriffen vgl. Säcker, ZRP 2002, S. 286 (289).

129 So auch Säcker, ZRP 2002, S. 286 (289).

130 BAG, NJW 2003, S. 1685 (1687).

131 BAG, NJW 2003, S. 1685 (1687).

Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien an die Vorgaben der Richtlinien halten, selbige in bezug auf die Diskriminierungsmerkmale nicht „übererfüllen“.132

Im Gegensatz dazu und im Einklang mit der hier aufgestellten These wird teilweise gerade die Beschränkung des Diskriminierungsschutzes auf bestimmte Merkmale kritisiert. Der europäische Gesetzgeber taste sich in „legislativer Kasuistik“ von einem zum anderen Diskriminierungsverbot vor, ohne die Begrenztheit dieses selektiven Ansatzes zu überwinden.133 Denn solange man sich auf eine Liste unzulässiger Diskriminierungsmerkmale beschränke, werde es immer auch sachfremde Diskriminierungen geben, die zulässig bleiben:134 „Ein Farbiger, ein Türke, ein Homosexueller, ein Behinderter und eine Familie mit drei Kindern bewerben sich um eine Wohnung. Wen darf der Vermieter ablehnen, ohne gegen das ADG zu verstoßen? Nur die Familie mit den Kindern.“135 Es wird zudem darauf hingewiesen, daß eine Beschränkung des Diskriminierungsschutzes auf bestimmte Merkmale den geltenden Diskriminierungsschutz im deutschen Recht verkürzen würde, erfaßten die Generalklauseln des Zivilrechts doch alle denkbaren Benachteiligungen, und hier vor allem auch die sachfremden: „auch wenn keine Diskriminierung nach Geschlecht, Rasse, Religion etc. vorliegt, kann eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vorliegen, wenn einem Bewerber/einer Bewerberin die zu vermietende Wohnung versagt wird, z. B. weil dem Vermieter die Haarfarbe, Kleidung, der Name des Bewerbers nicht paßt.“136 In diesem Zusammenhang und um auf den soeben erwähnten Beispielsfall zurückzukommen ist darauf hinzuweisen, daß im geltenden Recht Ansätze eines Diskriminierungsschutzes aufgrund des Merkmals „Person mit Kind“ nachweisbar sind. So soll die Verpflichtung zur Kinderlosigkeit im Mietvertrag sittenwidrig und damit nichtig sein.137

132 So z.B. Säcker, ZRP 2002, S. 286 (288 f.); von Michaelis in FAZ vom 25.02.2005, S. 49 unter dem Titel: „Was sagen Sie zum geplanten Antidiskriminierungsgesetz?“.

133 Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (415); In bezug auf die Diskriminierungsmerkmale wurde die Richtlinie 76/207/EWG durch die Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG erweitert, Richtlinie 2000/43/EG ihrerseits durch die Richtlinie 2004/113/EG.

134 Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (414); Thielmann hat schon 1973 im Zusammenhang mit der Frage der Sittenwidrigkeit von Verfügungen von Todes wegen festgestellt, daß eine Begrenzung des Diskriminierungsverbots auf die Merkmale des Art. 3 III GG unmöglich sei. (Thielmann, Sittenwidrige Verfügungen von Todes wegen, S. 304);

Wiese hat im Zusammenhang mit § 611 a BGB darauf hingewiesen: „Die Fixierung auf das Problem angemessener Sanktionen im Falle geschlechtsspeziefischer Benachteiligung bei der Einstellung, [...], läßt auch unberücksichtigt, daß die Nichteinstellung aus anderen Gründen durchaus diskriminierender sein kann. [...] Daran wird deutlich, daß

§ 611 a BGB eine durch die EG-Richtlinie veranlaßte Sonderregelung ist, die aus politischen Erwägungen vordringlich erschien, zugleich aber eine Privilegierung einer wegen des Geschlechts nicht erfolgten Einstellung bedeutet, ohne daß möglicherweise ungleich gravierendere Benachteiligungen und damit die Einheit der Rechtsordnung beachtet worden wäre.“ (Wiese, JuS 1990, S. 357 (359)).

135 Dieses Beispiel bildet Braun im Zusammenhang mit dem ADG-Entwurf des Bundesjustizministeriums vom 10.12.2001. (Braun, JuS 2002, S. 424 (424)).

136 Von Koppenfels bezieht ihre Kritik auf den Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums vom 10.12.2001 (von Koppenfels, WM 2002, S. 1489 (1495)).

137 Heinrichs in Palandt, § 138, Rn. 92; Das BVerfG hat entschieden, daß der Gesetzgeber nicht nur im Bereich des Arbeitsrechts, sondern auch in anderen Bereichen des Privatrechts Regelungen mit besonderer Rücksicht auf Familien mit Kindern zu erwägen habe, so etwa das Verbot einer Kündigung von Mietverträgen über Wohnraum wegen der Aufnahme eines neugeborenen Kindes. (BVerfGE 88, S. 203 (260)); Das Zentrum für Arbeitsrecht und Arbeitsbeziehungen (ZAAR) beklagt, daß den besonderen Bedürfnissen von Eltern nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird: „Ob in Gesetzen, Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen: Quer durch das Arbeitsrecht sei die

1. „Entstehung“ neuer Diskriminierungsmerkmale

Die einzelnen Diskriminierungsmerkmale sind nicht naturgegeben, sondern beruhen auf gesellschaftlicher Wahl.138 Daraus folgt, daß Diskriminierungsmerkmale infolge gesellschaftlichen Wandels neu „entstehen“ können. Beispielhaft kann insofern das Merkmal „Raucher“ genannt werden. Die Europäische Kommission hat sich auf Anfrage einer schottischen Abgeordneten des Europäischen Parlaments dahingehend geäußert, EU-Unternehmen dürften in Stellenanzeigen Raucher explizit aus dem Bewerberkreis ausschließen.139 Der Grund für die Anfrage war die Stellenanzeige eines irischen Callcenterbetreibers, „der diese mit dem Zusatz „Raucher müssen sich gar nicht erst bewerben“ eingeschränkt hatte.“140 Das Unternehmen begründete den grundsätzlichen Ausschluß der Raucher damit, diese machten mehr Pausen als Nichtraucher, seinen öfter krank und zudem nicht so intelligent wie jene. Letzteres zeige sich daran, daß sie die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen mißachteten.141 Die Kritiker eines Diskriminierungsschutzgesetzes haben die Stellungnahme der EU-Kommission genutzt, um in diesem Zusammenhang – zu recht – auf den willkürlichen Charakter der Antidiskriminierungsrichtlinien im Hinblick auf den Kreis der von ihnen geschützten Diskriminierungsmerkmale hinzuweisen.142 Kritikwürdig ist die EU-Kommission besonders deshalb, weil sie in keiner Weise zwischen dem Statusmerkmal „Raucher“ und dem Verhaltensmerkmal „Rauchen“ unterscheidet. Warum nun aber die Religion und damit auch und vor allem das Statusmerkmal „Religionszugehörigkeit“ diskriminierungsschutzwürdig sein soll, das Statusmerkmal „Raucher“ dagegen nicht, ist nicht nachvollziehbar. Es fragt sich in der Tat, ob es der Kommission um Diskriminierungsschutz oder vielmehr darum geht, „ihr „politisch korrektes“

Weltbild in der EU zu verankern.“ 143

2. „Merkmalsbezogenes Merkmal“

Im Arbeitsrecht wird die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft von der Rechtsprechung als unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts eingestuft und in der Regel für unzulässig erklärt.144

Gemäß Art. 2 VI Richtlinie 76/207/EWG145 können die Mitgliedstaaten vorsehen,

Benachteiligung von Eltern oder zumindest eine Gleichgültigkeit gegenüber ihren Bedürfnissen erkennbar.“ (FAZ vom 16.11.2006, S. 13, unter dem Titel: „Väter und Mütter als Verlierer des Arbeitsrechts“).

138 In diesem Sinne auch Thüsing, wenn sagt: „Die Gründe eines besonderen Diskriminierungsschutzes sind nicht naturrechtlich vorgegeben, sondern beruhen auf gesellschaftlicher Wahl.“ (Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (414)).

139 FAZ vom 08.08.2006, S. 13, unter dem Titel: „Im grauen Dunstbereich“.

140 FAZ vom 08.08.2006, S. 13, unter dem Titel: „Im grauen Dunstbereich“.

141 FAZ vom 08.08.2006, S. 13, unter dem Titel: „Im grauen Dunstbereich“.

142 FAZ vom 08.08.2006, S. 11, unter dem Titel: „Verbotene Raucher“.

143 FAZ vom 08.08.2006, S. 11, unter dem Titel: „Verbotene Raucher“.

144 EuGH, NZA 1991, S. 171 (172, Rn. 12); BAG, NZA 1993, S. 257 (257, Leitsatz).

„daß eine Ungleichbehandlung wegen eines geschlechtsbezogenen Merkmals keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal [...] eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, [...].“146

Es ist anzunehmen, daß der Richtliniengesetzgeber bei der Formulierung „wegen eines geschlechtsbezogenen Merkmals“ in Art. 2 VI Richtlinie 76/207/EWG und der damit einhergehenden Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes an die angesprochene Problematik gedacht hat und im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zur Benachteiligung Schwangerer lösen wollte.147

In diesem Zusammenhang ist auf den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien vom 16.12.2004148 hinzuweisen, der in § 8 III ADG-E folgende Bestimmung enthält:

„Die Absätze 1 und 2 gelten auch für eine unterschiedliche Behandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem in § 1 genannten Grund steht.“

Weder die vom Bundestag am 17.06.2005 verabschiedete Fassung dieses ADG-Entwurfs (ADG-E-2005)149 noch das am 18.08.2006 in Kraft getretene AGG enthalten eine dem § 8 III ADG-E-2004 vergleichbare Bestimmung. Dies ist insofern begrüßenswert, als Merkmale im Sinne des § 8 III ADG-E-2004 – Merkmale im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsmerkmal „Geschlecht“

sollten Schwanger- und Mutterschaft sein150 – eigene Diskriminierungsmerkmale darstellen. Dehnt man den Katalog der Diskriminierungsmerkmale entsprechend aus, bedarf es einer § 8 III ADG-E-2004 vergleichbaren Bestimmung nicht. Diese Konsequenz zieht jedoch weder der ADG-E-2005 noch das AGG. Die Merkmalskataloge der §§ 1 E-2005, 1 AGG sind mit dem des § 1 ADG-E-2004 identisch. Insofern ist die Streichung des § 8 III ADG-ADG-E-2004 zu kritisieren.

Insbesondere enthält § 1 AGG kein Diskriminierungsmerkmal „Schwangerschaft“. Im Sinne der eingangs erwähnten Rechtsprechung und mit Blick auf Art. 2 VI Richtlinie 76/207/EWG bestimmt

§ 3 I 2 AGG jedoch, daß

145 In ihrer durch die Richtlinie 2002/73/EG geänderten Fassung.

146 Hervorhebung durch den Verfasser; Art. 4 Richtlinie 2000/43/EG enthält eine ähnliche Formulierung: „[...]

aufgrund eines mit der Rasse oder ethnischen Herkunft zusammenhängenden Merkmals [...]“; ebenso Art. 4 I Richtlinie 2000/78/EG: „[...] daß eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artilel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, [...]“.

147 A.A. wohl Thüsing, der im Zusammenhang mit Art. 4 Richtlinie 2000/43/EG die Ansicht vertritt, die Formulierung

„[...] aufgrund eines mit der Rasse oder ethnischen Herkunft zusammenhängenden Merkmals [...]“ betreffe Fälle mittelbarer Diskriminierung. (Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (401)) Einer solchen Sichtweise steht Art. 2 II lit. b der Richtlinie entgegen, der für Fälle mittelbarer Diskriminierung einen eigenen Rechtfertigungsmaßstab statuiert.

148 BT-Druck. 15/4538.

149 BR-Druck. 445/05.

150 Entwurfsbegründung, BT-Druck. 15/4538, S. 32.

„[e]ine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts [...] in bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 [ – d. h. im Rahmen von Beschäftigung und Beruf – ] auch im Falle einer ungünstigen Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor[liegt].“151

Dem Ergebnis mag man folgen. Die Begründung dieses Ergebnisses ist indes fragwürdig.

Zumindest dann, wenn sich um eine Arbeitsstelle ausschließlich Frauen bewerben, kann die Benachteiligung einer Schwangeren schwerlich damit begründet werden, sie sei aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt worden.152 Im Rahmen des § 611 a BGB-A wurde deshalb vorgeschlagen: „Soweit eine Benachteiligung von Schwangeren beim Zugang zu einer Beschäftigung verhindert werden soll, wäre eine Ergänzung des § 611 a um ein ausdrückliches Verbot der Benachteiligung wegen einer Schwangerschaft [...] der adäquate Weg.“153 Gleiches gilt für das Merkmal der sexuellen Identität, das in Art. 3 III GG nicht genannt ist.154 Benachteiligungen von Hetero-, Bi- oder Transsexuellen knüpfen nicht an das Geschlecht an,155 wie teilweise behauptet wird,156 so daß Art. 3 II, III 1 GG in diesen Fällen nicht einschlägig ist. § 1 AGG unterscheidet insofern auch konsequenterweise zwischen den Diskriminierungsmerkmalen

„Geschlecht“ und „sexuelle Identität“.

3. Geschützte Merkmale im Rahmen des Allgemeinen Gleichheitssatzes

Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen kann gesagt werden, daß Opfer hierarchisiert werden, wenn man den Diskriminierungsschutz auf einzelne Merkmale beschränkt.157 „Wer einzelne Gruppen herausgreift und sie unter einen Gleichheitsschutz stellt, den er anderen nicht gewährt, trifft eine Ungleichbehandlung, für die Gründe nicht immer zu finden sind.“158 In den USA gebe es deshalb Stimmen, die einen Kündigungsschutz nicht vom Diskriminierungsschutz her begründen wollen, sondern allgemein einen arbeitsbezogenen, sachlichen Grund verlangen.159 Auch in Frankreich bemerke man, daß das Diskriminierungsverbot des Code du Travail um immer mehr Diskriminierungsmerkmale erweitert werde und daß es sinnvoller wäre, der Gesetzgeber entschiede

151 Eine entsprechende Regelung enthält auch § 3 I 2 ADG-E-2005.

152 So treffend BAG, NZA 1986, S. 739 (740); zustimmend Söllner in MüKo (2. Auflage), § 611 a, Rn. 8; Der EuGH hat indes anders entschieden. (EuGH, NZA 1991, S. 171 (172, Rn. 17); Das BAG hat daraufhin seine Rechtsprechung in NZA 1986, S. 739 (740) aufgegeben. (BAG, NZA 1993, S. 257 (257, Leitsatz); NZA 1993, S.

933 (934)).

153 Raab in Soergel, § 611 a, Rn. 27.

154 Vergleiche aber Art. 10 II BerlVerf; Art. 12 II BrandenbVerf; Art. 2 III ThürVerf.

155 Auch der EuGH subsumiert „Diskriminierungen“ aufgrund der sexuellen Orientierung nicht unter das in Art. 141 EGV sowie der Richtlinie 75/117/EWG enthaltene Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. (EuGH, Rs. C-249/96, Slg. 1998 I 2, S. 621 (651 f., Rn. 47 u. 50)).

156 So Baer, ZRP 2002, S. 290 (292, Fn. 22).

157 Baer, ZRP 2002, S. 290 (294).

158 Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (414).

159 Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (414 f.).

sich stattdessen dafür, einen allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz einzuführen.160

Der Vorteil eines Konzepts, das Diskriminierungsschutz nicht auf bestimmte Merkmale beschränkt, besteht auch darin, daß der „Diskriminierende“ dann das Diskriminierungsverbot nicht so leicht umgehen könnte, indem er seine Entscheidung auf ein Merkmal stützt, daß vom Diskriminierungsverbot nicht umfaßt ist. Schließlich ist niemand „[...] nur Mann oder nur behindert, sondern männlich, heterosexuell, christlich usw. Niemand ist nur Frau, niemand nur schwul, niemand nur Christ.“161

Das AGG erkennt diese Gefahr nicht, beschränkt es den Diskriminierungsschutz doch auf bestimmte Merkmale (vgl. § 1 AGG). Auch i. R. d. § 611 a BGB-A stellte sich das Problem der Umgehung des Diskriminierungsverbotes durch Berufung auf ein nichtgeschütztes Merkmal, statuierte die Norm Diskriminierungsschutz doch nur bzgl. des Merkmals „Geschlecht“. In diesem Zusammenhang muß allerdings auf § 611 a I 3 BGB-A hingewiesen werden, der wie folgt lautete:

„Wenn im Streitfall der Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, daß nicht auf das Geschlecht bezogene, sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen oder das Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für die auszuübende Tätigkeit ist.“

Die Gefahr der Umgehung des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts wurde hier dadurch begrenzt, daß selbst dann, wenn das Geschlecht für die unterschiedliche Behandlung irrelevant war, ein sachlicher Grund vorliegen mußte, um selbige zu rechtfertigen.

Eine dem § 611 a I 3 BGB-A vergleichbare Regelung enthält das AGG nicht (vgl. insofern § 22 AGG).162

Wenn man davon ausgeht, daß unter Sachkriterien solche Kriterien zu verstehen sind, die einen Bezug zu Tätigkeit oder Betrieb aufweisen,163 dann dürfte ein sachlicher Grund beispielsweise dann nicht gegeben gewesen sein, wenn ein Arbeitgeber, dem das Geschlecht seiner Arbeitnehmer egal war, grundsätzlich keine Homosexuellen einstellen wollte.

4. Geschützte Merkmale im Rahmen des § 611 a BGB-A

160 Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (415).

161 Baer, ZRP 2002, S. 290 (294).

162 Die Entwurfsfassung des § 22 AGG enthielt dagegen eine dem § 611 a I 3 BGB-A nachgebildete Regelung.

(Entwurfsbegründung, BT-Druck. 16/1780, S. 47).

163 So Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (27).

An diese Feststellung knüpft die verblüffende Frage an, ob § 611 a BGB-A damit nicht auch vor Benachteiligungen aufgrund anderer Merkmale schützte. Dies bejahend wurde vertreten, § 611 a BGB-A, der die Umsetzung der Richtlinie 76/207/EWG und damit Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bezweckte, schieße durch die Regelung in Absatz 1 Satz 3 BGB über sein eigentliches Ziel hinaus.164 § 611 a I BGB-A verbiete nicht nur, nach dem Geschlecht zu differenzieren, sondern gebiete zudem, die Bewerber bei Vertragsanbahnung nur nach Sachgesichtspunkten zu beurteilen und schließlich auch auszuwählen.165 Deshalb sei § 611 a BGB-A nicht weniger als „Zivilrecht gewordener BGB-Art. 3 GG“166 und, speziell die Einstellungssituation betrachtet, „Zivilrecht gewordener Art. 33 II GG“.167 Selbst bei homogener Bewerberlage, d. h.

dann, wenn sich auf eine Stelle nur Frauen oder nur Männer bewerben, soll der Arbeitgeber verpflichtet gewesen sein, nach Sachgesichtspunkten zu entscheiden. Begründet wurde dies damit, es sei kein vernünftiger Grund erkennbar, warum im Fall heterogener Bewerberlage nach Sachkriterien entschieden werden muß, im Fall homogener Bewerberlage aber nicht.168

Für den Anhänger des Konzepts, wonach kein Merkmal denkbar ist, aufgrund dessen nicht diskriminiert werden kann, klingt es verlockend, § 611 a BGB-A als Zivilrecht gewordenen Art. 3 GG zu betrachten. Eine solche Sichtweise ist indes mit dem Wortlaut der Norm nur bedingt vereinbar. § 611 a I 3 BGB-A war eine Beweislastregelung, die voraussetzte, daß „der Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen“. Nur wenn diese Bedingung erfüllt war, sollte der Arbeitgeber beweisen müssen,

„daß nicht auf das Geschlecht bezogene, sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen“. Fühlte sich der Arbeitnehmer beispielsweise ob seiner sexuellen Identität diskriminiert, konnte er seine Klage nicht auf § 611 a BGB-A stützen.169 § 611 a BGB-A schützte vor Diskriminierungen aufgrund anderer Merkmale als dem Geschlecht nur dann, wenn eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts glaubhaft gemacht worden war.170

Das BAG interpretierte § 611 a I 3 BGB-A noch enger, indem es behauptete, durch das Merkmal

„sachlicher Grund“ sei die mittelbare Diskriminierung angesprochen.171 Ein derartiges Verständnis

164 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (28).

165 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (27).

166 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (21).

167 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (29); Art. 33 II GG lautet: „Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.“.

168 Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (30).

169 Unmittelbaren Schutz sollten andere Merkmale als das Geschlecht auf andere Weise erlangen, etwa durch Art. 3 III GG. (Buchner in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1, § 39, Rn. 82 - 86); vgl. auch Müller-Glöge:

„Das Verbot des Abs. 1 Satz 1 erlaubt aber keinen Umkehrschluß. Der Arbeitgeber ist nicht frei, aus anderen als geschlechtsbezogenen Gründen jede Differenzierung vorzunehmen. Vielmehr unterliegt er vielfältigen Bindungen.

Einschränkungen können sich aus anderen Normen und insbesondere dem arbeitrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben.“ (Müller-Glöge in MüKo, § 611 a, Rn. 23).

170 Darauf weist auch Buchner hin: „Die Vorschrift beläßt dem Arbeitgeber keineswegs nur die Möglichkeit einer unterschiedlichen Behandlung, die aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist. Erst die Beweislastregelung des § 611 a I [3] BGB kann praktisch eine entsprechende Beschränkung bewirken.“ (Buchner in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1, § 39, Rn. 72 f.).

171 BAG, NZA 1999, S. 371 (372); ebenso Richardi/Annuß in Staudinger, § 611 a, Rn. 57 u. 97.

des § 611 a I 3 BGB-A führt zu der Konsequenz, daß der Arbeitgeber sein diskriminierungsrelevantes Verhalten durch Angabe jedweden unsachlichen Grundes rechtfertigen konnte, solange dieser Grund nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts führte.172 Eine solche Interpretation ergibt sich jedoch weder aus dem Wortlaut der Bestimmung noch kann dem Gesetzgeber eine derartige Intention unterstellt werden.173

5. Geschützte Merkmale im Rahmen der mittelbaren Diskriminierung

Auch das Institut der mittelbaren Diskriminierung führt zu einem Diskriminierungsschutz, wo er von der jeweiligen Antidiskriminierungsmaßnahme nicht primär bezweckt ist. Das Verhalten des mittelbar „Diskriminierenden“ hat einen doppelten Charakter. Er behandelt gleich in bezug auf das von der jeweiligen Maßnahme geschützte Diskriminierungsmerkmal und im selben Moment ungleich bezüglich eines Merkmals, das durch selbige nicht geschützt ist. Der Arbeitgeber, der Teilzeitbeschäftigte geringer vergütet als Vollzeitbeschäftigte, knüpft unmittelbar nicht an das Merkmal „Geschlecht“ an. Bezüglich dieses Merkmals behandelt er gleich. Das Merkmal „teil- bzw. vollzeitbeschäftigt“ macht er dagegen zum Anknüpfungspunkt einer unterschiedlichen Behandlung. Bezüglich dieses Merkmals behandelt er ungleich. Der EuGH hat diese Vergütungspraxis als mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts eingestuft, da Teilzeitarbeit nach wie vor eine Domäne der Frau sei.

Problematisch an dieser Rechtsprechung ist, daß sie dem teilzeitbeschäftigten Mann, der in gleicher Weise wie seine teilzeitbeschäftigte Kollegin von einer derartigen Vergütungspraxis betroffen ist, keinen Diskriminierungsschutz bietet. Ein solcher ließe sich nur dadurch realisieren, daß man das Merkmal „teil- bzw. vollzeitbeschäftigt“ als Diskriminierungsmerkmal qualifiziert. § 4 I TzBfG beschreitet diesen Weg.

Anzumerken ist, daß das Institut der mittelbaren Diskriminierung durch eine Ausweitung möglicher Diskriminierungsmerkmale zwar an Bedeutung verlieren, aber nicht überflüssig würde, da sich im Einzelfall die Unsachlichkeit einer diskriminierungsrelevanten Maßnahme gerade daraus ergeben kann, daß sie eine bestimmte Personengruppe überproportional belastet.

6. Offener Merkmalskatalog

All die genannten Argumente bekräftigen die Überzeugung, daß Diskriminierungsschutz nicht auf bestimmte Merkmale beschränkt sein darf. Wenn nun aber „unendlich“ viele

172 In diesem Sinne Müller-Glöge in MüKo, § 611 a, Rn. 23.

173 Vergleiche zu letzterem die Entwurfsbegründung zu § 611 a BGB-A (BT-Druck. 8/3317, S. 9).

Diskriminierungsmerkmale denkbar sind, stellt sich die Frage, wie diesem Umstand gesetzestechnisch Rechnung getragen werden kann.

Sinnvoll wäre es, einen offenen Merkmalskatalog zum Bestandteil eines Antidiskriminierungsgesetzes zu machen, würde ein solcher doch, ohne abschließend zu sein, zeigen, daß es bestimmte Diskriminierungsmerkmale gibt, deren Schutz besonders dringlich ist.

Als Beispiel für einen solchen offenen Merkmalskatalog kann Art. 21 der Charta der Grundrechte angeführt werden: „Diskriminierungen, insbesondere wegen [...] sind verboten“.174 Art. 3 III GG enthält eine ähnliche Formulierung zwar nicht, jedoch ist umstritten, ob dessen Merkmalskatalog abschließend ist.175 Selbst wenn man den abschließenden Charakter des Art. 3 III GG bejaht,176 folgt daraus nicht, daß eine Differenzierung nach dort nicht genannten Merkmalen zulässig ist.

Insoweit komme vielmehr Art. 3 Abs. 1 GG wieder zur Anwendung.177 Art. 3 III GG sei lediglich eine historisch zu erklärende Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes.178

Daß den Focus der Betrachtungen zum Diskriminierungsschutz ganz bestimmte Merkmale bilden, liegt auf der Hand. Das haben bereits die Betrachtungen zu den (inter-)nationalen Antidiskriminierungsmaßnahmen gezeigt. Es ist indes nicht nachvollziehbar, daß bestimmte Merkmale aus den Betrachtungen ausgeschlossen werden sollen, weil diesbezüglich die Gefahr einer bloß symbolischen Gesetzgebung bestehe.179 Ein Gesetz verliert nicht an Schlagkraft, weil der selten bzw. nur theoretisch vorkommende Fall unter selbiges ebenso subsumiert werden kann, wie der regelmäßig vorkommende.