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Grundsatz des freien Auswahlermessens

Im Dokument Das Diskriminierungsverbot im Zivilrecht (Seite 145-149)

Teil 3: Auswirkungen des Diskriminierungsverbotes auf das rechtsgeschäftliche und quasi- quasi-rechtsgeschäftliche Handeln

H. Zusammentreffen der Träger von Diskriminierungsmerkmalen

I. Grundsatz des freien Auswahlermessens

Dagegen könnte der Grundsatz des freien Auswahlermessens sprechen. Der Arbeitgeber soll nach deutschem Recht grundsätzlich nicht zu sachbezogenen Entscheidungen zwischen mehreren Bewerbern verpflichtet sein.66 Nicht einmal die Begründung: „Die Nase gefällt uns nicht!“ löse arbeitsrechtliche Konsequenzen aus.67 Eine Ausnahme soll insoweit allerdings § 611 a BGB-A gebildet haben.68Dasselbe dürfte nunmehr in bezug auf das Diskriminierungsverbot des § 7 I AGG vertreten werden. Fraglich ist, ob es sich bei dieser Norm tatsächlich um eine Ausnahme vom Grundsatz des freien Auswahlermessens handelt.

1. Einschränkung durch das Diskriminierungsverbot?

Wenn sich ein Mann und eine Frau für eine Stelle bewerben, für die ein bestimmtes Geschlecht keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne des § 8 I AGG darstellt, dann muß der Arbeitgeber den Mann (oder umgekehrt die Frau) auch mit der Begründung

63 Braun, JuS 2002, S. 424 (424).

64 Vergleiche dazu etwa § 11 AGG.

65 Auf dieses Problem weist auch Adomeit hin. (Adomeit, NJW 2002, S. 1622 (1623)).

66 Waas, ZIP 2000, S. 2151 (2153); vgl. insofern auch eine Stellungnahme der EU-Kommission, die sich auf Anfrage des EU-Parlaments dahingehend geäußert hat, EU-Unternehmen dürften bereits in Stellenanzeigen Raucher explizit aus dem Bewerberkreis ausschließen (FAZ vom 08.08.2006, S. 13, unter dem Titel: „Im grauen Dunstbereich“).

67 Adomeit, NJW 1997, S. 2295 (2296).

68 Waas, ZIP 2000, S. 2151 (2153 und Fn. 23).

auswählen können, er wolle einen Mann bzw. eine Frau. Andernfalls würde er sowohl in dem einen wie in dem anderen Fall diskriminieren, da Anknüpfungspunkt für die Entscheidung des Arbeitgebers schließlich niemals das Geschlecht sein darf.

Erlaubte man dem Arbeitgeber in einer solchen Situation nicht ausnahmsweise, den Mann (die Frau) zu wählen, gerade weil er ein Mann (sie eine Frau) ist, dann käme als rechtmäßiges Alternativverhalten nur noch die Nichteinstellung beider Bewerber in Betracht.69 Die Wahl des jeweils anderen wäre jedenfalls kein rechtmäßiges Alternativverhalten.

Von einem Arbeitgeber kann nicht verlangt werden, in einer solchen Pattsituation beide Bewerber nicht einzustellen. Andernfalls könnte die groteske Situation entstehen, daß er wiederholte Male ausschreiben muß, um letztlich einen Arbeitnehmer einzustellen.

Im Rahmen der Beantwortung der Frage, ob § 7 I AGG den Grundsatz des freien Auswahlermessens einschränkt, muß aber auch folgendes berücksichtigt werden: Das Geschlecht oder, wie im Ausgangsfall, die Staatsangehörigkeit bzw. ethnische Herkunft zum Anknüpfungspunkt einer Auswahlentscheidung zu machen kann nur dann akzeptiert werden, wenn sich die Bewerber um den Vertrag allein durch das jeweilige Merkmal unterscheiden. Dem Arbeitgeber darf deshalb beispielsweise nicht verwehrt werden, einen Arbeitnehmer einzustellen, bei dem er aufgrund dessen Jugend davon ausgeht, daß dieser leistungsfähiger als ein gleichqualifizierter älterer Kollege ist, selbst wenn objektive Anhaltspunkte hierfür fehlen.70

Wenn demgegenüber der Arbeitgeber die Bewerberin nicht einstellt, weil sie eine Frau ist, obwohl sie besser qualifiziert ist als ihr männlicher Konkurrent, dann ist es ein bestimmtes Geschlecht, das durch die Maßnahme ausgegrenzt werden soll. Der Arbeitgeber steht in einer solchen Situation eigentlich nicht vor der „Qual der Wahl“. Man verlangt hier von ihm nichts Unmögliches, wenn man ihn dazu verpflichtet, seine Entscheidung unabhängig vom Geschlecht des Bewerbers zu treffen.

An dieser Stelle kann somit die Feststellung getroffen werden, daß § 7 I AGG den Grundsatz des freien Auswahlermessens nicht unberührt läßt. Das gleiche gilt insbesondere auch für die Antidiskriminierungsrichtlinien.71

2. „Wie“ der Einschränkung

69 Darauf weist Herrmann hin. (Herrmann, ZfA 1996, S. 19 (29)).

70 A. A. aber Thüsing, NZA 2001, S. 1061 (1063); Thüsing läßt offen, wann sich der Arbeitgeber in einer solchen Situation richtig verhielte.

71 Waas meint in diesem Zusammenhang, „daß sich [...] weitreichende Wirkungen der Richtlinie [2000/43/EG] nicht ausschließen lassen.“ (Waas, ZIP 2000, S. 2151 (2153)); Bauer vertritt demgegenüber die Ansicht, daß trotz der Richtlinie 2000/78/EG der Grundsatz des freien Auswahlermessens auch künftig aufrechterhalten werden müsse.

(Bauer, NJW 2001, S. 2672 (2673)).

Nachdem die Frage des „Ob“ beantwortet ist, bleibt zu klären, wie weit Antidiskriminierungsrecht den Grundsatz des freien Auswahlermessens einzuschränken vermag.

Zu diesem Zweck sei an dieser Stelle noch einmal an die Rechtsprechung des EuGH zur Zulässigkeit von Geschlechter-Quotenregelungen erinnert. Das Gericht hat entschieden, daß europäisches Recht einer nationalen Regelung entgegensteht, „nach der ein Bewerber des unterrepräsentierten Geschlechts um eine Stelle im Staatsdienst, der hinreichende Qualifikationen für diese Stelle besitzt, vor einem Bewerber des anderen Geschlechts, der [aufgrund besserer Qualifikation] sonst ausgewählt worden wäre, auszuwählen ist, [...].“72 Das Gericht hält dagegen eine Regelung mit europäischem Recht für vereinbar, „nach der ein Bewerber des unterrepräsentierten Geschlechts einem Bewerber des anderen Geschlechts vorgezogen werden kann, wenn die Verdienste der Bewerber als gleichwertig oder fast gleichwertig anzusehen sind, [...], sofern die Bewerbungen Gegenstand einer objektiven Beurteilung sind, bei der die besondere persönliche Lage aller Bewerber berücksichtigt wird.“73

Die genannten Kriterien könnten auch für die an dieser Stelle diskutierte Fallkonstellation maßgeblich sein, stellt sich doch auch hier im Kern die Frage, wann die unmittelbare Anknüpfung an ein bestimmtes Merkmal zulässig sein soll.

Wenn zwei Bewerber gleichqualifiziert sind, dann muß der Arbeitgeber seine Entscheidung auf das verbleibende Diskriminierungsmerkmal stützen können. Oder sollte man von ihm tatsächlich verlangen, eine Münze zu werfen oder das Los entscheiden zu lassen? Wohl nicht.

Freilich werden sich zwei Bewerber nie wie eineiige Zwillinge gleichen. Schon die Tatsache, daß die Bewerber an unterschiedlichen Universitäten studiert haben, könnte die Ungleichwertigkeit begründen. Deshalb ist es richtig, daß der EuGH annähernde Gleichwertigkeit ausreichen läßt.74 Von dem zeitgemäßen, sozialbewußten Arbeitgeber, der den (Fort-)Bestand und die Leistungsfähigkeit seines Unternehmens anstrebt,75 wird man verlangen können, daß er die Grenze zwischen (fast) gleichwertig und ungleichwertig zu ziehen vermag.76

Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob der Arbeitgeber bei der Prüfung der Gleichwertigkeit der Qualifikationen die besondere persönliche Lage der Bewerber berücksichtigen muß. Der Beantwortung dieser Frage soll das folgende Beispiel dienen: Verzögerungen beim Abschluß der Ausbildung aufgrund der Betreuung von Kindern können bei Männern wie Frauen auftreten. De facto betreffen solche Verzögerungen aber in erster Linie Frauen.77 Dem Arbeitgeber sollte aus diesem Grund nicht verwehrt sein, eine solche Verzögerung nicht negativ in die

72 EuGH, NJW 2000, S. 2653 (2656, Rn. 56).

73 EuGH, NJW 2000, S. 2653 (2656, Rn. 62).

74 Vergleiche auch Schiek: „[...] die Qualifikation ist ein schwer faßbarer Begriff.“ (Schiek, BB 1998, S. 586 (587)).

75 Putzo in Palandt, § 611 a, Rn. 12.

76 Thüsing ist indes der Ansicht, daß eine sinnvolle Grenze zwischen fast gleichwertig und ungleichwertig nicht gezogen werden kann. (Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (416)).

77 Beispiel bei EuGH, NJW 2000, S. 2653 (2656, Rn. 47).

Gleichwertigkeitsprüfung einfließen zu lassen. Es muß ihm mit anderen Worten gestattet sein, in einem Fall, in dem es zu einer derartigen Verzögerung seitens der Bewerberin gekommen ist, bei dem Bewerber hingegen nicht, gleichwohl die Gleichwertigkeit beider Bewerber zu bejahen. Dies läßt sich mit den Zielen, die Antidiskriminierungsmaßnahmen verfolgen, begründen. Selbige wollen nicht nur formelle Gleichheit schaffen, sondern streben, wo erforderlich, auch materielle Gleichheit an.78

Der Arbeitgeber ist sogar mittelbar verpflichtet, die besondere persönlichen Lage der Bewerber zu berücksichtigen, kann er sich doch bei deren Nichtbeachtung dem Vorwurf aussetzen, mittelbar zu diskriminieren. Eine mittelbare Diskriminierung soll z. B. dann gegeben sein, wenn Altershöchstgrenzen für die Einstellung festgelegt werden, die von Frauen wegen des zeitweiligen Ausscheidens aus dem Beruf zum Zwecke der Kinderbetreuung häufiger überschritten werden.79

II. § 15 II 2 AGG

Fraglich ist, ob im Arbeitsrecht § 15 II 2 AGG dem hier gewonnenen Ergebnis entgegensteht, wonach der Arbeitgeber in der beschriebenen Pattsituation seine Entscheidung auf das Geschlecht stützen kann. Gemäß § 15 II AGG kann der oder die Beschäftigte

„[w]egen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, [...] eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.

Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.“

In der hier diskutierten Fallkonstellation wäre der jeweils benachteiligte Bewerber, d. h. der Mann oder die Frau, auch dann nicht zwangsläufig eingestellt worden, wenn der Arbeitgeber seine Auswahl nicht auf das Geschlecht gestützt, selbige vielmehr der Münze – Kopf oder Zahl? –, d. h.

dem Zufall überlassen hätte. § 15 II 2 AGG scheint damit in dieser Fallkonstellation einschlägig zu sein. Fraglich ist, ob die Norm tatsächlich in dieser Weise interpretiert werden kann.

Der EuGH hat entschieden, daß auch der Bewerber einen Schaden erleidet, dessen Bewerbung aufgrund seines Geschlechts schon keine Berücksichtigung gefunden hat, auch wenn er sowieso nicht eingestellt worden wäre.80 In dem von dem Gericht entschiedenen Fall, in dem geschlechtsspezifisch ausgeschrieben worden war: „Für unseren Vertrieb suchen wir eine versierte

78 EuGH, NJW 2000, S. 2653 (2656, Rn. 48).

79 BAG, NZA 1986, S. 739 (740).

80 EuGH, DB 1997, S. 983 (984).

Assistentin der Vertriebsleitung.“, hatten sich zwei Männer beworben, von denen der eine bei diskriminierungsfreiem Verhalten eingestellt worden wäre.81

Anders als in der hier besprochenen Fallkonstellation, wurde in jenem Fall zum Zeitpunkt der Ausschreibung allein aufgrund des Geschlechts unterschieden. Der sachliche Grund der besseren Qualifikation eines der Bewerber war zu diesem Zeitpunkt noch kein Unterscheidungsmerkmal.

Entsprechend den Vorgaben des EuGH wurde auch § 611 a III BGB-A interpretiert, der in Umsetzung der in jenem Urteil enthaltenen Vorgaben neu ins BGB eingeführt worden war82 und eine dem § 15 II AGG entsprechende Regelung enthielt.83 Es wurde vertreten, § 611 a III BGB-A betreffe diejenigen Fälle, in denen der Bewerber zwar wegen seines Geschlechts nicht in die Auswahl für den Arbeitsplatz gelangt ist, aber die Stelle sowieso nicht erhalten hätte.84 § 611 a III BGB-A setze nur voraus, daß der Bewerber bei der Auswahl geschlechtsbezogen nicht berücksichtigt wurde, nicht aber, daß er nur deswegen nicht eingestellt worden ist.85

§ 15 II 2 AGG meint demnach nicht die hier diskutierten Fälle, in denen sich der Arbeitgeber in der beschriebenen Entscheidungsnot befindet und seine Entscheidung deshalb zulässigerweise auf das Geschlecht stützen kann. Das Problem, „welche Ansprüche z. B. zwei gleich qualifizierte Klägerinnen haben, denen ein gleich qualifizierter Konkurrent vorgezogen wurde“, und die alle drei

„in der engeren Auswahl waren“, muß demnach nicht gelöst werden, weil insofern kein Problem besteht.86 Zumindest eine unmittelbare Diskriminierung liegt in einer derartigen Situation nicht vor.

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