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Benachteiligende Gleichbehandlung – Mittelbare bzw. indirekte Diskriminierung

Teil 2: Diskriminierung – Begriffsbestimmung

A. Diskriminierungsrelevantes Verhalten

III. Benachteiligende Gleichbehandlung – Mittelbare bzw. indirekte Diskriminierung

Diskriminierungsrelevantes Verhalten kann auch in einer benachteiligenden Gleichbehandlung von Personen bestehen.

1. (Potenzielle) Benachteiligung

Gemäß Art. 2 II lit. b der Richtlinie 2000/43/EG

„liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einer Rasse oder ethnischen Gruppe angehören, in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn,

77 Thüsing, ZfA 2001, S. 397 (413).

78 Bauer, NJW 2001, S. 2672 (2677).

79 Entwurfsbegründung, BT-Druck. 16/1780, S. 37.

80 Vergleiche dazu Teil 4, Prüfungspunkt C. II. 1.

die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“81

Erstmals wurde die mittelbare bzw. indirekte Diskriminierung in der Richtlinie 97/80/EG über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts82 vom 15.12.1997 legaldefiniert. Gemäß Art. 2 II der Richtlinie ist eine mittelbare Diskriminierung gegeben,

„wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind angemessen und notwendig und sind durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt.“83

Die Definitionen der mittelbaren Diskriminierung in den Richtlinien, die auf den ersten Blick identisch zu sein scheinen, unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt. Während das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 97/80/EG nur durch entsprechende statistische Nachweise geführt werden kann, verzichtet die Richtlinie 2000/43/EG in Anknüpfung an die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitnehmerfreizügigkeit84 auf einen solchen Nachweis, da es nach ihr bereits ausreicht, daß „dem Anschein nach neutrale Vorschriften [...] in besonderer Weise benachteiligen können“.85

Dem Wortlaut des Art. 2 II lit. b Richtlinie 2000/43/EG entsprechend bestimmt § 3 II AGG, daß eine mittelbare Benachteiligung nach diesem Gesetz vorliegt,

„[...] wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes [ – d. h. wegen eines dort genannten Diskriminierungsmerkmals – ] gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.“

2. Überwiegende Betroffenheit

81 Ähnliche Definitionen enthalten die Richtlinie 76/207/EWG in Art. 2 II 2. Spiegelstrich, Richtlinie 2000/78/EG in Art. 2 II lit. b sowie Richtlinie 2004/113/EG in Art. 2 lit. b.

82 ABl. EG 1998 Nr. L 14, S. 6 ff.

83 Die Richtlinie hat damit die Rechtsprechung des EuGH übernommen. (Waas, ZIP 2000, S. 2151 (2152, Fn. 16); zur Rspr. des Gerichts vgl. EuGH, Rs. C-96/80, Slg. 1981 1, S. 911 (925 f., Rn. 13 u. 15); NZA 1986, S. 599 (599, 1.

Leitsatz)); Auch im deutschen Arbeitsrecht galt das Verbot mittelbarer Diskriminierung schon vor Erlaß der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG. Das BAG hat in seiner Rechtsprechung zum arbeitsrechtlichen Diskriminierungsverbot mehrfach festgestellt, daß dieses auch mittelbare Diskriminierungen erfaßt. (BAG, NJW 1992, S. 1125 (1125); NJW 1993, S. 3091 (3093)); bzgl. § 611 a BGB vgl. BAG, NZA 1993, S. 739 (740)); Das deutsche Verfassungsrecht kennt das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ebenfalls. So verbietet beispielsweise Art. 3 III 1 GG auch die mittelbare Diskriminierung. (Heun in Dreier, Band I, Art. 3, Rn. 116).

84 Coen, AuR 2000, S. 11 (11); Hornung-Draus, Arbeitgeber 2000, S. 14 (14) Anzumerken ist, daß beide Autoren die Kommissionsvorschläge thematisieren, nicht die Richtlinien als solche.; Waas, ZIP 2000, S. 2151 (2153).

85 Waas, ZIP 2000, S. 2151 (2152 f.); Hervorhebung durch den Verfasser.

Mittelbar diskriminierend ist eine Vorschrift, die formell gleich behandelt, weil sie für alle Unterworfenen der Vorschrift gleichermaßen gilt, aber tatsächlich bestimmte Gruppen stärker belastet als andere.86

Beispiele: So wurden geringere Stundensätze für Teilzeitbeschäftigte vom EuGH als mittelbare Diskriminierung eingestuft,87 da Teilzeitarbeit nach wie vor eine Domäne der Frau sei.88 Das gleiche soll für die Forderung langer Berufserfahrung in klassischen Männer- oder Frauenberufen dann gelten, wenn die Tätigkeit ohne weiteres von einem Berufsanfänger ausgeübt werden kann.89 Mittelbar benachteiligend soll auch sein, wenn die Einstellung von einer Mindestlänge oder einem Mindestgewicht abhängig gemacht wird, die Frauen kaum, Männer aber in der Regel erreichen, oder wenn Altershöchstgrenzen für die Einstellung festgelegt werden, die von Frauen wegen des zeitweiligen Ausscheidens aus dem Beruf zum Zwecke der Kinderbetreuung häufiger überschritten werden.90

Der wesentliche Unterschied zur unmittelbaren Diskriminierung soll darin bestehen, daß die mittelbare Diskriminierung kein vorsätzliches Handeln des Diskriminierenden voraussetzt.91 Der Wortlaut der Richtlinien spricht weder für noch gegen das Erfordernis vorsätzlichen Handelns im Rahmen der mittelbaren Diskriminierung.

Die Worte: „dem Anschein nach“ könnte man in der Weise interpretieren, daß der

„Diskriminierende“ diesen Anschein gerade wissentlich erzeugen muß. Fraglich ist dann aber, wie die mittelbare Diskriminierung von der verdeckten unmittelbaren Diskriminierung abgegrenzt werden kann. Der Verdeutlichung des Problems soll folgender Beispielsfall dienen: Der Verheiratetenzuschlag privater Arbeitgeber knüpft nicht unmittelbar an die sexuelle Identität des Arbeitnehmers an und wird aus diesem Grund unter dem Stichwort „mittelbare Diskriminierung“

diskutiert.92 Handelt es sich bei diesen Fällen nicht vielmehr um solche verdeckter unmittelbarer Diskriminierung? Wenn Homosexuelle nicht heiraten dürfen, trifft sie eine scheinbar neutrale Regelung nicht nur häufiger als andere, sondern schlechterdings immer. Dies weiß der Arbeitgeber, der Fahrvergünstigungen explizit nur für Ehepaare schafft.93

Gegen das Vorliegen einer verdeckten unmittelbaren Diskriminierung in besagtem Fall ließe sich vorbringen, allein das Wissen, daß sich eine Regelung ungleich auswirken wird, könne nicht ausreichen. In diesem Sinne wird vertreten, eine verdeckte Diskriminierung liege immer dann vor,

86 Nickel, Gleichheit und Differenz in der vielfältigen Republik, S. 71.

87 EuGH, Rs. C-96/80, Slg. 1981 1, S. 911 (925 f., Rn. 13 u. 15); Krebber in Calliess/Ruffert, Art. 141 EGV, Rn. 45 mit weiteren Beispielen der Rspr. des EuGH.

88 Richardi/Annuß in Staudinger, § 611 a, Rn. 45.

89 Beispiel bei Raab in Soergel, § 611 a, Rn. 24.

90 BAG, NZA 1986, S. 739 (740).

91 Nickel, Gleichheit und Differenz in der vielfältigen Republik, S. 72; Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 128; implizit auch Waas, ZIP 2000, S. 2151 (2155).

92 So Thüsing, NZA 2001, S. 1061 (1062).

93 In diesem Sinne unterscheiden Pfarr/Bertelsmann zwischen mittelbarer Diskriminierung und geschlechtsneutral formulierter Ungleichbehandlung, die im Ergebnis nur die Beschäftigten eines Geschlechts diskriminiert (verdeckte Diskriminierung). (Pfarr/Bertelsmann, Diskriminierung im Erwerbsleben, S. 113).

wenn die merkmalsneutrale Formulierung sich lediglich als Tarnversuch erweise.94 Von einem Tarnversuch kann aber nur dann gesprochen werden, wenn neben dem Wissen auch der Wille zur Ungleichbehandlung besteht. Der Arbeitgeber, der einen Verheiratetenzuschlag gewährt, kann diesen Willen haben. Es ist aber auch denkbar, daß einziges Motiv seines Handelns die Förderung der Familien seiner verheirateten Arbeitnehmer ist. Ist also der Wille das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen verdeckter unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung?

Es wird vertreten, der bloße Benachteiligungswille könne dann nicht zu einer unmittelbaren, sondern lediglich zu einer mittelbaren Diskriminierung führen, wenn es an der ausschließlichen Betroffenheit nur eines Geschlechts fehlt.95

Beispiel: Wenn der Arbeitgeber im Falle klassischer Männer- oder Frauenberufe eine lange Berufserfahrung fordert und durch diese Regelung ein Geschlecht ausschließen möchte, dann kann die Regelung durchaus auch Berufsanfänger des von ihm erwünschten Geschlechts treffen.

Von der verdeckten Diskriminierung unterscheide sich die mittelbare Diskriminierung gerade dadurch, daß bei ihr zumindest die Möglichkeit besteht, daß von der benachteiligenden Maßnahme sowohl Männer als auch Frauen erfaßt werden.96 Nach dieser Ansicht ist Abgrenzungskriterium zwischen verdeckter unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung nicht der Benachteiligungswille des „Diskriminierenden“. Eine mittelbare Diskriminierung kann demnach auch dann vorliegen, wenn der „Diskriminierende“ ungleich behandeln möchte. In diesem Sinne sind auch die Antidiskriminierungsrichtlinien zu verstehen, die das Merkmal vorsätzlichen Handelns nicht ausdrücklich zum Abgrenzungskriterium zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung machen.