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Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bayerischen Lebensmittelstelle

III. Eine Kriegskarriere an der Heimatfront (1914–1918)

2. Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bayerischen Lebensmittelstelle

Zunächst bot aber nicht die im Krieg eingeschränkte Tätigkeit der landwirtschaftlichen Interessenvertretungen, sondern die sich immer weiter ausdehnende Kriegsernährungswirtschaft gute Karriereaussichten für einen faktisch kriegsdienstuntauglichen Volkswirt und Statistiker. Am 1. September 1916 trat Horlacher als

„wissenschaftlicher Hilfsarbeiter“ in den Dienst der im Januar 1916 eingerichteten Bayerischen Lebensmittelstelle über75. Bisher wurde der offen zu Tage tretende Nahrungsmittelmangel lediglich als preispolitisch zu lösendes Problem betrachtet, was zur Errichtung der Landespreisprüfungsstelle geführt hatte. Ausgehend von der auch von Horlacher propagierten Möglichkeit zur ernährungswirtschaftlichen Autarkie wurden Preise festgesetzt, welche Produktionsanreize für die Erzeuger schaffen sollten, ohne die Interessen der Verbraucher zu belasten. Mittlerweile hatte sich jedoch die Einsicht durchgesetzt, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln nicht durch preispolitische Maßnahmen allein zu sichern war, da es sich dabei nicht nur um ein Verteilungsproblem, sondern um einen echten Mangel handelte. Im Frühsommer 1916 war es bereits zu Ernährungsunruhen in München gekommen76. Bereits seit 1915 waren deshalb in Bayern so genannte

Kriegswirtschaftsstellen (Landesgetreidestelle, Fleischversorgungsstelle, Landesfuttermittelstelle, Fettstelle)77 errichtet worden, welche zur Verwaltung des Mangels

die Verteilung der Nahrungsmittel innerhalb Bayerns und die Regelung der Ausfuhr von Nahrungsmitteln aus Bayern durchzuführen hatten. Zur Bewirtschaftung der von diesen Kriegswirtschaftsstellen noch nicht erfassten Nahrungsmittel wurde die Bayerische Lebensmittelstelle geschaffen78. Damit wollte das bayerische Innenministerium den direkten Kontakt zwischen den Kommunalverbänden als der untersten Stufe der Ernährungsverwaltung79 und den Reichszentralstellen der Kriegswirtschaft unterbinden und über die ernährungswirtschaftliche Kompetenz Bayerns wachen80. Horlacher zählte zum juristischen Personal der Verwaltungsabteilung der Bayerischen Lebensmittelstelle. Diese verstand sich als administrative „staatliche Zentralstelle für Lebensmittelversorgung für das ganze Königreich“. Sie hatte die Verteilung der von der kaufmännisch geleiteten Geschäftsabteilung der Bayerischen Lebensmittelstelle beschafften „Gegenstände des notwendigen Lebensbedarfs“ zu kontrollieren, sobald diese aufgrund ihrer Knappheit nicht mehr dem freien Handel überlassen werden sollten. Im Gegensatz zur

75 BayHStA, Statistisches Landesamt 111, Statistisches Landesamt an MInn, 12. September 1916.

76 StadtA München, Ernährungsamt 138, Stadtmagistrat München an MInn, 28. Juni 1916.

77 Zu den bayerischen Kriegswirtschaftsstellen vgl. SOLLEDER, Kriegsstellen, 153–188; VOLKERT, Ernährung, 278–282; ferner SCHUMACHER, Land, 33–84; SKALWEIT, Kriegsernährungswirtschaft, 135.

78 Zur Bayerischen Lebensmittelstelle vgl. SOLLEDER, Kriegsstellen, 178–181.

79 Zu den Kommunalverbänden vgl. SKALWEIT, Kriegsernährungswirtschaft, 146–163.

80 SOLLEDER, Kriegsstellen, 155 und 157f.

Landespreisprüfungsstelle konnte die Bayerische Lebensmittelstelle Vorschriften über die Preisgestaltung machen und war auch befugt, Vorräte zu enteignen. Dadurch sollte der schlecht funktionierende Ausgleich zwischen ländlichen Überschuss- und städtischen Mangelgebieten verbessert und ein „Wettbewerb aller gegen alle“ verhindert werden81.

Bevor Horlacher in den Dienst der Bayerischen Lebensmittelstelle wechselte, hatte sich deren Leiter – der landwirtschaftlich stark interessierte Verwaltungsjurist Dr. Emil Tischer (1873–1938)82 – im Sommer 1916 darüber beklagt, dass „gewandtes, ohne weiteres verwendbares Personal“ wegen der zahlreichen Einberufungen kaum zu erhalten sei83. In dieser Situation musste ihm der kriegsuntaugliche Horlacher, der sich während seiner Tätigkeit für die Landespreisprüfungsstelle zum ernährungswirtschaftlichen Experten entwickelt hatte, sehr gelegen kommen. Horlacher wurde von Zahn im Abgangszeugnis bescheinigt, dass er die ihm übertragenen Arbeiten „mit anerkennenswerter Gründlichkeit, Zuverlässigkeit und Raschheit erledigte“ sowie „ein reiches Maß an Wissen und einen scharfen gesunden Blick für die einschlägigen volkswirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse“ bekundet habe84. Dabei erfüllte er mit seinen Untersuchungen im autarkistischen Geiste die propagandistischen Erwartungen, die von regierungsamtlicher Seite in ihn gesetzt wurden. Horlachers Veröffentlichungen wurden von der offiziellen Kriegspublizistik deshalb wohlwollend aufgenommen85. Wie begehrt Horlachers Dienste bei der Bayerischen Lebensmittelstelle waren, drückte sich darin aus, dass er einer der bestbezahlten Mitarbeiter war86. Abgesehen von der Bezahlung wurde Horlachers berufliche Stellung noch dadurch aufgewertet, dass er die Bayerische Lebensmittelstelle im Beirat der Landespreisprüfungsstelle vertrat87, in dem er bisher der Protokollführer war. Horlachers Einsatz für die staatliche Lebensmittelverwaltung hatte mittlerweile auch öffentliche

81 StadtA München, Ernährungsamt 138, Bericht des Vorstandes der Verwaltungsabteilung der Bayerischen Lebensmittelstelle, 9. Juli 1916.

82 Bayerischer Staatsbeamter, geboren am 9. März 1873, Promotion zum Dr. oec. publ., am 9. März 1896 Eintritt in die bayerische Staatsverwaltung, am 1. Oktober 1902 Bezirksamtsassessor in Viechtach, als tüchtiger Beamter bewertet, 1. Mai 1911 Bezirksamtmann von Ingolstadt, entwickelte bereits vor dem Ersten Weltkrieg Interesse an der Landwirtschaft, 1. Februar 1916 Vorstand der Verwaltungsabteilung der bayerischen Lebensmittelstelle, 1. Mai 1916 Regierungsrat im bayerischen Innenministerium, 1. März 1918 Oberregierungsrat im Innenministerium, 1. September 1919 Wechsel ins bayerische Landwirtschaftsministerium, 1. April 1920 Ministerialrat im Landwirtschaftsministerium, später bayerischer Gesandter in Stuttgart, Versetzung in den Ruhestand nach der Auflösung der bayerischen Gesandtschaft in Stuttgart am 1. Juni 1933, gestorben 1938. Zu Tischer vgl. BayHStA, ML 2972, Personalakt Emil Tischer;

BayHStA, RStH 9363, Entwurf der Entlassungsurkunde für Dr. Emil Tischer, undatiert.

83 StadtA München, Ernährungsamt 138, Bericht des Vorstandes der Verwaltungsabteilung der Bayerischen Lebensmittelstelle, 9. Juli 1916.

84 BayHStA, Statistisches Landesamt 111, Zeugnis für Michael Horlacher, 31. August 1916.

85 Eine wohlwollende Rezension von Horlachers Studie Die Lebensmittelteuerung im Ausland erschien im Reichs-Arbeitsblatt 14 (1916), 655–659, das von der Abteilung für Arbeiterstatistik des Kaiserlichen Statistischen Amtes herausgegeben wurde.

86 Horlacher verdiente 3.000 Mark jährlich. Sein Nachfolger als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter bekam nur 1.800 Mark (BayHStA, Bayerische Lebensmittelstelle 2, Personalverzeichnis der Verwaltungsabteilung der Bayerischen Lebensmittelstelle, undatiert).

87 BayHStA, MInn 72623, Sitzung des Beirats der Landespreisprüfungsstelle am 16. September 1916.

Anerkennung gefunden. Am 22. August 1916 hatte ihm König Ludwig III. von Bayern (1845–1921) das König-Ludwig-Kreuz88 verliehen. Der kriegsdienstuntaugliche Horlacher hatte bewiesen, dass er sich „während dieses Krieges durch dienstliche oder freiwillige Tätigkeit in der Heimat besondere Verdienste um das Heer oder um die allgemeine Wohlfahrt des Landes erworben“ hatte, wie es in der standardisierten Verleihungsurkunde hieß89. Der Wert dieser Auszeichnung ist zwar nicht allzu hoch anzuschlagen, da das König-Ludwig-Kreuz als „Massendekoration“90 galt. Gerade deshalb ist es jedoch geeignet, Horlachers subalterne Funktion in der Durchhalteparolen produzierenden Maschinerie der offiziellen Kriegspublizistik zu veranschaulichen.

Horlachers Aufgabe bestand auch in der Bayerischen Lebensmittelstelle wieder darin, statistische Erhebungen durchzuführen und deren Ergebnisse zu publizieren. Gegenüber in- und ausländischen Kritikern sollte Horlacher die Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft nachweisen und eine funktionierende deutsche Lebensmittelverwaltung vorstellen. Dabei stützte sich Horlacher etwa in seiner Untersuchung Die Leistungsfähigkeit Deutschlands und seiner Hauptgegner auf dem Gebiete der Landwirtschaft auf Erntestatistiken, deren überhöhte Schätzungen bereits von Zeitgenossen kritisiert wurden91. Dadurch kam Horlacher zu dem gewünschten Bild einer besonders leistungsfähigen Landwirtschaft als Grundlage einer autarkistischen Ernährungspolitik. Das Deutsche Reich war bei Kriegsbeginn trotz der nicht zu leugnenden enormen Produktionssteigerungen aber weit von der ernährungswirtschaftlichen Autarkie entfernt92. Im Gegensatz zur Vorkriegszeit hatte die Landwirtschaft während des Ersten Weltkrieges aber zusätzlich mit einem zunehmenden Mangel an Arbeitskräften, Zugtieren, Arbeitsgeräten und Düngemitteln fertig zu werden93. Die Folge war eine sinkende Produktivität. Während des Krieges betrug der energetische Selbstversorgungsgrad tatsächlich nur 72 Prozent94. Während die Kriegsernährungswirtschaft lediglich in der Lage war, den Mangel zu verwalten, täuschte sich Horlacher selbst und wiegte sich im „schönen Traum einer hinlänglichen

88 Das Ordenszeichen war ein schwarzes Kreuz aus Bronze, das ovale Mittelstück zeigte auf der Vorderseite das Bildnis von König Ludwig III., auf der Rückseite ein Rautenschild mit Angabe des Stiftungstages 7. Januar 1916. Es wurde auf der linken Brust an einem weiß und blau gerippten, mit blauen Bordstreifen eingefassten Band getragen. Vorschlagsberechtigt waren die Ministerien. Zum König-Ludwig-Kreuz vgl. GVBl vom 7.

Januar 1916, 1f.

89 BayHStA, Statistisches Landesamt 111, Aktenvermerk, undatiert. Horlachers Stiefvater Wilhelm Ramminger hatte das König-Ludwig-Kreuz einen Tag vor Horlacher verliehen bekommen (StadtA Nürnberg, C 21/III Nr.

785, Einwohnermeldekarte Wilhelm Ramminger).

90 Fränkische Tagespost vom 8. Januar 1916. Seit der Stiftung des Ordens waren bis März 1918 rund 73.000 König-Ludwig-Kreuze verliehen worden (BayHStA, MA Ordensakten 1077, MA an MKr, 9. April 1918).

91 Zur Problematik der überhöhten Ernteschätzungen vor und im Ersten Weltkrieg vgl. SKALWEIT, Kriegsernährungswirtschaft, 5–25; BRÜNKER, Selbstversorgung, 25–51; BERTHOLD, Entwicklung, 92f.

92 Tatsächlich war bereits bei Kriegsbeginn ein Fünftel des Kalorienbedarfes in das Deutsche Reich eingeführt worden. Zum Stand der Selbstversorgung 1914 vgl. BRÜNKER, Selbstversorgung, 25–51; FLEMMING, Interessen, 80–95; SKALWEIT, Kriegsernährungswirtschaft, 1f.; BOELCKE, Wandlungen, 500–502.

93 HEIM – SCHLITTENBAUER, Hilferuf, 5–19; vgl. dazu BOELCKE, Wandlungen, 503–505.

94 BRÜNKER, Selbstversorgung, 54–88.

Nahrungsmittelversorgung“95. Dabei ging der Kieler Volkswirt August Skalweit, der die deutsche Kriegsernährungswirtschaft im Jahr 1927 erstmals einer umfassenden wissenschaftlichen Würdigung unterzog, aufgrund eigener Beobachtung davon aus, dass die Nationalökonomen in ihrer überwiegenden Mehrheit – geblendet von dem Wunsch nach nationaler Größe – von der Möglichkeit der Selbsternährung der deutschen Bevölkerung tatsächlich überzeugt gewesen seien96.

Differenzierter ist das Bild, das Horlacher von der deutschen Lebensmittelverwaltung zeichnet. Die Mängel der Lebensmittelbewirtschaftung waren offenkundig. Es gelang kaum mehr, die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichenden Nahrungsmitteln zu bezahlbaren Preisen sicherzustellen. Horlacher musste sich der Kritik stellen. Dabei machte Horlacher menschliches Versagen für die mangelhafte Umsetzung eines an sich als effektiv vorgestellten Bewirtschaftungssystems verantwortlich. Er kritisierte den Egoismus der Kommunalverbände97, machte Fehler der Reichsstellen geltend98 und prangerte das selbstsüchtige Verhalten mancher Landwirte an99. Darüber hinaus beklagte er sich über die Bevölkerung, die den behördlichen Maßnahmen nicht die genügende Aufmerksamkeit schenkte100, und bedauerte die „Kriegspsychose“, welche dazu geführt habe, dass Vorräte und Ernteergebnisse unter dem tatsächlichen Stand angegeben wurden101. Insgesamt sprach er jedoch von einem „Erfolg der deutschen Kriegswirtschaft“, der es bisher gelungen sei, „ein Volk von fast 70 Millionen Bevölkerung mit einer sehr fortgeschrittenen Lebenshaltung ausreichend zu versorgen und zwar im wesentlichen aus eigener Kraft und trotz der schlechten Ernte des Vorjahres“102. Horlacher hatte seine wissenschaftliche Qualifikation mittlerweile ganz in den Dienst der Politik gestellt, worunter die Objektivität – wenn auch vielleicht in Anlehnung an die Behauptung August Skalweits unbewusst – litt. Er musste sich deshalb in einer nach Kriegsende erschienenen Rezension seiner Studie Die Leistungsfähigkeit Deutschlands und seiner Hauptgegner auf dem Gebiete der Landwirtschaft vorwerfen lassen, unbegründet von einem zu intensiven Stand der deutschen Landwirtschaft vor Kriegsbeginn ausgegangen zu sein. Außerdem wurde ihm vorgeworfen

„Tendenzmeldungen des feindlichen Auslandes“ nicht als solche erkannt zu haben.

Insgesamt, so der Rezensent der Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, beruhe

95 SKALWEIT, Kriegsernährungswirtschaft, 7.

96 SKALWEIT, Kriegsernährungswirtschaft, 7.

97 HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 10.

98 Er warf ihnen vor allem Fehler im Zusammenhang mit der Kartoffelversorgung vor (HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 11f.). Die Kartoffelversorgung funktionierte deshalb nicht, da Kartoffeln im Gegensatz zu Getreide nicht so leicht gelagert werden können (vgl. SKALWEIT, Kriegsernährungswirtschaft, 189–192).

99 HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 14.

100 HORLACHER, Leistungsfähigkeit (1917), 170f.

101 HORLACHER, Leistungsfähigkeit (1917), 181–183.

102 HORLACHER, Leistungsfähigkeit (1917), 170f.

Horlachers Arbeit auf „unzureichenden Grundlagen und kann einen höheren Wert als den eines augenblicklichen Stimmungsbildes nicht beanspruchen“103.

Im Februar 1917 zog Horlacher die Synthese seiner bisherigen Untersuchungen zur Kriegsernährungswirtschaft in einer materialreichen Schrift mit dem Titel Kriegswirtschaft und Lebensmittelteuerung im In- und Ausland104. Sie wurde in der renommierten Reihe Finanz- und Volkswirtschaftliche Zeitfragen veröffentlicht105. Er musste zwar zugeben, dass sich die Nahrungsmittelpreise im Deutschen Reich seit Kriegsbeginn verdoppelt hatten106, in den gegnerischen Staaten stellte er jedoch noch weit höhere Teuerungsraten bei den Hauptnahrungsmitteln fest107. Dabei relativierte er die Teuerung im Deutschen Reich noch zusätzlich, indem er behauptete, dass diese aufgrund einer Umstellung der Ernährung auf billigere Lebensmittel nur 75 Prozent betrage108. Trotzdem musste Horlacher das Bestehen eines Versorgungsproblems zugeben: „Während also die wirtschaftliche Lage Deutschlands im Lichte der Lebensmittelteuerung verhältnismäßig günstig sich gestaltet, kann man dies in gleicher Weise von der Versorgung mit Lebensmitteln nicht behaupten.“109 Deshalb appellierte er an den Durchhaltewillen der Bevölkerung. Während er für Großbritannien die Einführung des Rationierungssystems als Folge des im Januar angeordneten unbeschränkten U-Bootkrieges erwartete110, prognostizierte er, dass das Deutsche Reich „bei einem einigermaßen erträglichen Ernteergebnis seinerseits den Vorsprung durch die weitaus intensivste Entwicklung seiner Landwirtschaft“ halten werde111. Deshalb schloss Horlacher mit einer Durchhalteparole: „Zu weiterem wirtschaftlichen Durchhalten soll uns indes der Gedanke anspornen, daß die Lage unserer Gegner von nun an sich täglich verschlechtern muß.“112 Die Zensurstelle des bayerischen Kriegsministeriums war mit Horlacher zufrieden.

Sie empfahl seine Schrift Kriegswirtschaft und Lebensmittelteuerung im In- und Ausland zur Lektüre, „da er berichtet, daß die Teuerungsverhältnisse in Deutschland gegenüber den Ententeländern noch recht mäßige sind. Daß Mangel an Nahrungsmitteln bei uns besteht, ist dem Gegner aus den täglichen Erörterungen der Presse bekannt. In dieser Hinsicht wirkt aber gerade das Schlußkapitel der Arbeit, das in erhebender Weise vom Geiste des Durchhaltens getragen ist, aufklärend.“113 Damit war Horlacher ein Teil jener regierungsamtlichen Publizistik, die nach dem Urteil Skalweits „bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont, daß

103 Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 115 (1920), 91f.

104 Zum Fertigstellungsdatum vgl. HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 5.

105 Dort publizierte auch der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger (ERZBERGER, Rüstungsausgaben).

106 HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 31–34.

107 HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 66.

108 HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 31–34.

109 HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 67.

110 HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 67–69.

111 HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 9.

112 HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 69.

113 BayHStA-KriegsA, MKr 13888, Statistisches Landesamt an MKr, 17. Februar 1917.

die deutschen Brot- und Getreidepreise niedriger wären als in allen kriegführenden und neutralen Ländern Europas“114.

Indes hatte sich die Ernährungslage dramatisch verschlechtert115. Durch die Zwangsbewirtschaftung landwirtschaftlicher Produkte zu festgesetzten Preisen wurde der Anreiz zur Produktion geschwächt. Je schärfer die Lebensmittel erfasst wurden, umso stärker wurde der Drang der Bauern auf den Schwarzmarkt116. Zunehmend wurden die Landwirte deshalb für die Nahrungsmittelversorgung zu überhöhten Preisen verantwortlich gemacht, was Georg Heim lautstark mit dem Hinweis auf die mangelhafte Versorgung der Landwirtschaft mit Betriebsmitteln und Arbeitskräften zurückwies117. Nach Ansicht Heims war jedoch hauptsächlich die verfehlte Höchstpreispolitik für den Nahrungsmittelmangel verantwortlich. Da landwirtschaftliche Rohprodukte Höchstpreisen unterworfen waren, nicht jedoch die daraus erzeugten Verarbeitungsprodukte, füllten sich die Schwarzmärkte mit landwirtschaftlichen Rohprodukten118. Vor allem die Bayerische Lebensmittelstelle verschonte Heim nicht mit seiner Kritik119. Da Heim kostendeckende Preise für die Landwirte zum Produktionsanreiz für unbedingt erforderlich hielt, konnte sich Heim einen Ausweg aus dem Nahrungsmittelmangel nur durch die weitgehende Unterbindung des freien Land- und Lebensmittelhandels bei planmäßiger Lenkung von landwirtschaftlicher Produktion, Betriebsmittelversorgung und Arbeitskräftebeschaffung vorstellen120. Von dem Konflikt, der sich vor dem Hintergrund des Nahrungsmittelmangels zwischen Erzeugern und Verbrauchern entwickelte und der aufgrund der Agitation Heims zum Rücktritt zweier Minister führte121, finden sich in Horlachers Publikationen keine Spuren. Er wich ihm aus. Er wollte zur

„Abwehr der übertriebenen Angriffe auf die Nahrungsmittelorganisation“122 vor allem durch eine beschönigende und harmonisierende Betrachtungsweise beitragen, konnte aber dem Autoritätsverlust der Herrschaftsträger, der nicht zuletzt von der Unfähigkeit zur Behebung des Nahrungsmittelmangels verursacht worden war123, dadurch nicht begegnen. Die

114 Vgl. SKALWEIT, Kriegsernährungswirtschaft, 140–142.

115 Zum Zusammenhang von Volksstimmung und Ernährungslage während des Ersten Weltkrieges vgl.

ALBRECHT, Landtag, 111.

116 Vgl. SKALWEIT, Kriegsernährungswirtschaft, 3.

117 Vgl. MÜNCH, Tätigkeit, 317–321; ALBRECHT, Ende, 277–282.

118 HEIM – SCHLITTENBAUER, Hilferuf, 46–53. Zur Agitation Heims gegen die staatliche Ernährungspolitik während des Ersten Weltkrieges vgl. MÜNCH, Tätigkeit, 301–344; ferner RENNER, Heim (1957), 216–258.

119 Vgl. MÜNCH, Tätigkeit, 335.

120 HEIM – SCHLITTENBAUER, Hilferuf, 61–67.

121 Der als erzeugerfreundlich geltende Innenminister Maximilian Graf von Soden-Fraunhofen (1844–1922) wies im Ernährungsbeirat des Innenministeriums am 22. November 1916 Vorwürfe Heims gegen die angeblich zu verbraucherfreundliche Zensurpolitik des Kriegsministers Otto Kreß von Kressenstein (1850–1929) nicht zurück. Die daraus sich entwickelnde Ministerkrise endete mit dem Rücktritt beider Minister. Vgl. dazu ALBRECHT, Landtag, 192–196; MÜNCH, Tätigkeit, 336–338.

122 HORLACHER, Kriegswirtschaft (1917), 9.

123 Vgl. ALBRECHT, Ende, 277–282. Die Kriegsernährungswirtschaft stand jedoch nach SKALWEIT, Kriegsernährungswirtschaft, 1 vor der unlösbaren Aufgabe, die Ernährungsversorgung sicherzustellen, ohne über die dafür erforderlichen Mittel zu verfügen, da nicht nur Mangel an Nahrung, sondern auch an Arbeitskräften und landwirtschaftlichen Produktionsmitteln herrschte.

Auswirkungen der englischen Seeblockade und die Missernten der Jahre 1915 und 1916 wurden von ihm unterschätzt, die Wirkungen des U-Bootkrieges überschätzt.

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