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Konfrontation mit den revolutionären Bauernräten

IV. Als Protagonist der Ordnungszelle Bayern (1919–1924)

1. Konfrontation mit den revolutionären Bauernräten

Wie sehr Horlacher von der Berechtigung seiner Durchhalteparolen überzeugt war, zeigte sich an der Überraschung, mit der auf die Novemberrevolution reagierte. Am 6. November 1918 hatte Horlacher in der MAAZ noch die Errichtung eines bayerischen Wirtschaftsministeriums gefordert, um im Rahmen der in allen Staaten des Deutschen Reiches nun voranschreitenden Parlamentarisierungsprozesse eine „zielbewusste bayerische Wirtschaftspolitik“ gegenüber dem Berliner Wirtschaftszentralismus zu betreiben1. Am 7. November 1918 war Horlacher mit Redaktionsarbeiten beschäftigt, da am 8. November 1918 eine Nummer der Mitteilungen der Wirtschaftspolitischen Vereinigung der Landwirtschaft und Agrarindustrie Bayerns erscheinen sollte. Die Nummer erschien auch wie geplant2, aber die politischen Rahmenbedingungen der Tätigkeit von Horlachers Büro hatten sich durch den Sturz der Monarchie in der Nacht vom 7. auf den 8. November radikal verändert. Cetto erklärte „infolge des Umsturzes der Verhältnisse in Bayern“ seinen Rücktritt vom Vorsitz der Wirtschaftspolitischen Vereinigung3. Deren hauptamtlicher Apparat war nun ohne Dienstvorgesetzten. Desorientierung kennzeichnete die Stimmung im Büro der Wirtschaftspolitischen Vereinigung. Erst am 22. November sah sich Horlacher in der Lage, seinen Unmut über die Revolution kund zu tun. Er gab zu bedenken, „daß die Vermeidung eines Bürgerkrieges auf das Konto des sich selbst verleugnenden Bürger- und Beamtentums gesetzt werden muß und daß gerade diese Selbstbeherrschung zum Wohle des ganzen nicht zuletzt dem alten Regime und der von ihm anerzogenen Pflichtauffassung zu danken ist“.

Damit demonstrierte Horlacher, wie wirkmächtig die autoritären Erziehungsinhalte seiner Schulzeit im Gegensatz zur Vermittlung einer monarchischen Gesinnung waren. Deshalb sah er die „Erfüllung der Berufsaufgaben nach wie vor als die vornehmste Pflicht“ an, während er den Sturz der gekrönten Häupter als gegebene Tatsache akzeptierte. Deshalb plädierte er für die baldige Schaffung einer neuen Verfassung, um „Ruhe und Ordnung“ gegenüber dem

„bolschewistischen Chaos“ zu verteidigen4. Das Büro der Wirtschaftspolitischen Vereinigung rief deshalb alle nichtsozialistischen Kräfte auf, „für eine wirkliche Demokratie die Sorge zu tragen“, und zwar „gleichviel, ob sie auf dem monarchischen oder republikanischen Standpunkt stehen“5.

1 HORLACHER, Wirtschaftsministerium (6. November 1918), 2.

2 Mitteilungen der Wirtschaftspolitischen Vereinigung vom 8. November 1918.

3 Mitteilungen der Wirtschaftspolitischen Vereinigung vom 22. November 1918.

4 Mitteilungen der Wirtschaftspolitischen Vereinigung vom 22. November 1918. Obwohl diese Stellungnahme zur Revolution ungezeichnet ist, spiegelt sie die Haltung Horlachers wider, der nach dem Rücktritt Cettos die alleinige Verantwortung für die Wirtschaftspolitische Vereinigung hatte.

5 Mitteilungen der Wirtschaftspolitischen Vereinigung vom 14. Dezember 1918.

Mit der Revolution hatte die vordergründige organisationspolitische Harmonie der in der Wirtschaftspolitischen Vereinigung zusammengeschlossenen Agrarverbände ihr Ende genommen. Die Rivalitäten waren wieder offen ausgebrochen, als sich der Bayerische Bauernbund unter der Führung Gandorfers an der Revolution beteiligte. Gandorfer ergriff die Gelegenheit und schuf mit dem revolutionären Parlamentarischen Bauernrat eine vom Bauernbund dominierte Organisation, die die Vertretung der Bauern im revolutionären Provisorischen Nationalrat übernahm und als offizielles landwirtschaftliches Beratungsorgan der revolutionären Regierung mit dem Anspruch auf die Selbstverwaltung der Landwirtschaft fungierte sowie als Zentral- bzw. Landesbauernrat die Spitzenorganisation der lokalen und regionalen – allerdings in der Mehrheit keinesfalls revolutionären – Bauernräte darstellte6. Horlacher wehrte sich zwar publizistisch dagegen, im Parlamentarischen Bauernrat Gandorfers die „berufsmäßige parlamentarische Vertretung der bayerischen Landwirtschaft“

zu sehen7, die Vorbereitung der organisatorischen Maßnahmen zur Abwehr der Ansprüche des BBB liefen jedoch zunächst an Horlacher und seiner Wirtschaftspolitischen Vereinigung vorbei.

Um den organisationspolitischen Vorsprung zu kompensieren, den sich der BBB durch die Errichtung der zentralen Bauernratsgremien während der Revolution, aber doch ganz deutlich innerhalb des Rahmens der herkömmlichen politischen Rivalitäten zwischen dem BV und dem BBB verschaffen konnte8, war der Bayerische Christliche Bauernverein um einen engeren Zusammenschluss der nichtrevolutionären landwirtschaftlichen Organisationen gegenüber den revolutionären Teilen des BBB bemüht. Schlittenbauer machte deshalb als Generalsekretär des BV dem Generalsekretär des Landwirtschaftlichen Vereins – Hubert

6 Für die zentrale landwirtschaftliche Räteorganisation in Bayern waren mehrere Bezeichnungen üblich, was zu einiger Begriffverwirrung führte. Der Begriff Zentralbauernrat sollte den Dachverband der lokalen und regionalen Bauernräte bezeichnen, der aus Wahlen hervorgehen sollte. Da dies weitgehend unterblieb, bildete der von Gandorfer in seiner Zusammensetzung bestimmte Parlamentarische Bauernrat (als Teil des Provisorischen Nationalrates) während der Regierungszeit Eisners faktisch die Spitzenorganisation der bayerischen Bauernräte. Für dieses Gremium bevorzugte Gandorfer hingegen die Bezeichnung Landesbauernrat.

Zu den revolutionären Bauernräten vgl. KÖGLMEIER, Rätegremien, 205–218; ferner immer noch grundlegend die bei Max Weber entstandene soziologische Dissertation MATTES, Bauernräte; ferner einseitig antirevolutionär HUNDHAMMER, Geschichte, 119–138 und PIX, Organisation, 76–101, der zugibt, sich nur widerstrebend mit den Bauernräten beschäftigt zu haben, weshalb denjenigen Teilen seiner Doktorarbeit, die sich mit den Bauernräten beschäftigen, die analytische Schärfe von Mattes fehlt.

7 Mitteilungen der Wirtschaftspolitischen Vereinigung vom 22. November 1918.

8 Im Gegensatz dazu betrachtet Jonathan Osmond die Errichtung der revolutionären Bauernräte als Bruch in der Entwicklung des landwirtschaftlichen Organisationswesens in Bayern. Zusammen mit der vom BV ausgehenden Gründung der BVP im Herbst 1919 und der Ausbreitung der Freien Bauernschaft im Sommer 1922 (als Reaktion auf die Weiterführung der Zwangswirtschaft) sieht er eine zweite agrarische Mobilisierung nach der Errichtung von BBB, BV und Bund der Landwirte in den 1890er Jahren (OSMOND, Mobilization, 183–186).

Dabei betont Osmond diesen durch Krieg, Revolution und Zwangswirtschaft verursachten Bruch innerhalb des landwirtschaftlichen Organisationswesens in Bayern gegenüber der Kontinuität der seit den 1890er Jahren zwischen dem Funktionärsverband BV und dem Honoratiorenverband BBB ausgetragenen organisationsstrukturellen Richtungskämpfe zu sehr. Denn er übersieht, dass die starke innerorganisatorische Stellung der Funktionäre im BV durch Revolution und Zwangswirtschaft nicht beeinträchtigt wurde.

Luschka (1870–1927)9 – am 8. Dezember 1918 den Vorschlag, diese beiden Organisationen unter dem gemeinsamen Präsidium von Matthäus Mittermeier (1864–1939)10, der als Präsident des Bayerischen Landwirtschaftsrates an der Spitze des Landwirtschaftlichen Vereins stand, und Georg Heim, dem führenden Politiker des BV, organisatorisch zu verschmelzen. Denn es könne „nach meiner Anschauung nur ein ideales Ziel geben, eine grosse, freie, alle bayerischen Bauern umfassende Organisation, die neben der Staatsregierung und neben den etwa von ihr gewählten landwirtschaftlichen Beratern eine respektable Macht darstellt“11. Schlittenbauers Vorschlag traf jedoch im Landwirtschaftlichen Verein auf großes Misstrauen12. Bereits am 21. November 1918 war im Bayerischen Landwirtschaftsrat die Schaffung einer „landwirtschaftlichen Einheitsfront innerhalb der landwirtschaftlichen Körperschaften im Volksstaat Bayern“ als Dachverband diskutiert worden13. Dieser lockere Zusammenschluss war der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die beiden Organisationen einigen konnten. Am 1. Februar 1919 gründeten die Delegierten dieser beiden Organisationen, der ihnen nahe stehenden genossenschaftlichen Organisationen und des Landesverbandes bayerischer Ackerbauvereine den Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns. Mitglieder der vorläufigen Vorstandschaft waren Mittermeier für

9 Funktionär, katholisch, geboren am 27. November 1870 in Tübingen als Sohn des bekannten Anatomieprofessors Hubert von Luschka, 1893 bis 1895 Studium der Landwirtschaft an der Akademie Hohenheim, anschließend Verwalter auf dem Universitätsgut Gieshügel bei Würzburg, anschließend Assistent im Generalsekretariat der Oldenburgischen Landwirtschaftsgesellschaft, seit 1898 Vorstand der landwirtschaftlichen Winterschule Kaufbeuren, seit 1904 technischer Hilfsarbeiter im Generalsekretariat des Bayerischen Landwirtschaftsrates, 1909 bis 1927 Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Landwirtschaftsrates und Hauptschriftleiter des Wochenblattes des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern, Ernennung zum Landesökonomierat, gestorben am 30. Oktober 1927 in Konstanz. Zu Luschka vgl. BSZ vom 2. November 1927;

Wochenblatt des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern vom 9. November 1927.

10 Guts- und Brauereibesitzer, katholisch, geboren am 27. September 1864 in Haunersdorf/Niederbayern, Besuch der Realschule, 1887 Übernahme des elterlichen Betriebes (520 Tagwerk), Präsident des Bayerischen Landwirtschaftsrates als Nachfolger Cettos, 1900 bis 1933 Bürgermeister von Haunersdorf, 1903 bis 1907 MdR für den Bayerischen Bauernbund, führender Politiker des gemäßigten Bauernbundsflügels, 1920 bis 1933 Stellvertretender Präsident der Bayerischen Landesbauernkammer, gleichzeitig Präsident der Kreisbauernkammer Niederbayern, 1920 bis 1933 Erster Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Landwirtschaftsrates, seit 1920 Mitglied des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates, 1933 Verlust aller Ehrenämter, 1936 Verkauf des Hofes durch den ledig gebliebenen Mittermeier an eine Siedlungsgenossenschaft, gestorben am 22. März 1939. Zu Mittermeier vgl. RATJEN, Bauernkammern, 182; GOTTWALD, Deutscher Landwirtschaftsrat, 167; SCHWARZ, MdR, 404; GBBE, 1325.

11 BBV-Herrsching, Landwirtschaftlicher Verein GC/652, Schlittenbauer an Luschka, 8. Dezember 1918.

12 BBV-Herrsching, Landwirtschaftlicher Verein GC/652, Paul Pausinger an den Bayerischen Landwirtschaftsrat, 17. Dezember 1918. Pausinger war Guts- und Brauereibesitzer in Herrngiersdorf/Niederbayern, katholisch, geboren 1861, seit 1892 im landwirtschaftlichen Organisationswesen tätig, Mitglied des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern, Aufsichts- bzw. Verwaltungsratsvorsitzender des Bayerischen Landesverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V., der Bayerischen Zentral-Darlehenskasse e.G.m.b.H. und der BayWa, 1907 Ernennung zum Ökonomierat, 1914 Verleihung des bayerischen Verdienstordens vom hl. Michael IV. Klasse, 1913 bis 1931 Kreisanwalt des niederbayerischen Kreisverbandes des Bayerischen Landesverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften, seit 1919 Landesvorsitzender dieses Verbandes, seit 1920 Mitglied der Kreisbauernkammer Niederbayern und der Bayerischen Landesbauernkammer, gestorben 1941. Zu Pausinger vgl. BayHStA, ML 2433, Aktenvermerk des ML, 17. Dezember 1923; BayHStA, ML 2435, Bayerischer Landesverband landwirtschaftlicher Genossenschaften an Fehr, 3. Dezember 1927; HOHENEGG, Raiffeisen, 270f.

13 BBV-Herrsching, Landwirtschaftlicher Verein GC/652, Rundschreiben des Bayerischen Landwirtschaftsrates, 4. Februar 1919.

den Landwirtschaftlichen Verein, Karl Freiherr von Freyberg-Eisenberg (1866–1940)14 als Vertreter des diesem nahe stehenden Bayerischen Landesverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften und Schlittenbauer als Vertreter des BV. Die vorläufige Geschäftsführung übernahm Luschka15. Die Aufgabe des neuen Dachverbandes bestand in der „einheitlichen und gemeinsamen Wahrnehmung und Vertretung derjenigen landwirtschaftlichen Interessen, die bislang schon von den verschieden gearteten landw. Körperschaften, oftmals ohne gegenseitige Fühlungnahme nebeneinander, vertreten worden sind“16. An eine Weiterführung von Horlachers Wirtschaftspolitischer Vereinigung der Landwirtschaft und Agrarindustrie Bayerns war nun nicht mehr zu denken. Horlacher hatte deshalb versucht, zu den Verhandlungen hinzugezogen zu werden, was jedoch am Widerstand des Landwirtschaftlichen Vereins scheiterte. Dessen Vertreter sahen in Horlacher eine Konkurrenz für ihren eigenen Führungsanspruch. Sie waren ihm gegenüber sehr misstrauisch.

Da sie sich jedoch nicht in der Lage sahen, ihn dauerhaft fernzuhalten, wollten sie ihn deshalb so lange wie möglich aus dem Gründungsprozess des Zweckverbandes der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns ausschalten, um ihn dann vor vollendete Tatsachen zu stellen17. Die Verhandlungsführer des BV gingen auf diese Bedingung ein und ließen Horlacher im Unklaren über seine berufliche Zukunft. Die Integration des Landwirtschaftlichen Vereins in den neuen Dachverband und damit dessen Bindung an den BV war Schlittenbauer wichtiger als die Berücksichtigung Horlachers. Letztlich gab es aber keine Alternative zur Übernahme der Geschäftsführung durch Horlacher, da für diesen als einen durch Dienstvertrag abgesicherten Funktionär eine neue Wirkungsstätte gesucht werden

14 Gutsbesitzer, katholisch, geboren am 15. November 1866 in Jetzendorf, entstammte dem bayerischen Uradel, 1884 bis 1887 Jurastudium an der LMU, 1889 Übernahme der Verwaltung des elterlichen Gutes, seit 1893 Mitglied des Bayerischen Landwirtschaftsrates, 1898 Präsident der Deutschen Katholikenversammlung in Krefeld, 1905 bis 1918 Mitglied der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages für das Zentrum, 1907 bis 1912 MdR, ab 1917 Direktor des Bayerischen Landesverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften, 1919/1920 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung für die BVP, 1919 bis 1924 MdL für die BVP, 31. Mai 1919 bis zu seinem Rücktritt am 14. März 1920 bayerischer Landwirtschaftsminister, ab Januar 1920 bis 14.

März 1920 Stellvertretender Ministerpräsident, gestorben am 10. Januar 1940. Zu Freyberg vgl. STINGLWAGNER, Chronik, 73f.; HAUSHOFER, Freyberg, 420f.

15 BBV-Herrsching, Landwirtschaftlicher Verein GC/652, Rundschreiben des Bayerischen Landwirtschaftsrates, 4. Februar 1919. Zur Gründung des Zweckverbandes der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns vgl. PIX, Organisation, 102–131; HUNDHAMMER, Berufsvertretung, 126–136; BAUER, Organisation, 156–159; BERGMANN, Bauernbund, 55–58.

16 BBV-Herrsching, Landwirtschaftlicher Verein GC/652, Rundschreiben des Bayerischen Landwirtschaftsrates, 4. Februar 1919.

17 Ludwig Kießling (1875–1942, promovierter Agrarwissenschaftler, seit 1910 Professor für Pflanzenzucht an der Akademie für Landwirtschaft und Brauerei in Weihenstephan und Leiter der dortigen Bayerischen Saatzuchtanstalt, zu Kießling vgl. GBBE, 1013f.) schrieb am 29. Januar 1919 an Luschka: „Ich bitte dringend, es bei der getroffenen Abmachung zu lassen und Dr. Hr. nicht zu der Besprechung einzuladen. Wir dürfen vor dem Herrn keine Angst haben, sonst sind wir von vornherein ins Hintertreffen gedrängt. Seine Gegenagitation fürchte ich nicht, solange wir selbst einig sind. Wenn unser Verband fertig gegründet ist, dann wird er vor die Wahl gestellt sein, entweder mitzutun oder weg zu gehen. Die wirtschaftspolitische Vereinigung aufrecht zu erhalten nach der Verbandsgründung ist unmöglich. Das Heft haben wir ja in der Hand, indem wir unseren Austritt anmelden können“ (BBV-Herrsching, Landwirtschaftlicher Verein GC/652, Ludwig Kießling an Luschka, 29.

Januar 1919).

musste, nachdem die Wirtschaftspolitische Vereinigung überflüssig geworden war. Deshalb wurde die Geschäftsführung des neuen Dachverbandes doch Horlachers Büro übertragen und die Wirtschaftspolitische Vereinigung aufgelöst18.

„Ein ungünstiger Zufall“ – so Horlacher anlässlich der Erstattung seines ersten Jahresberichtes als Geschäftsführer des Zweckverbandes der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns – „wollte es, daß die konstituierende Generalversammlung gerade an dem Tage stattfand, wo in München die Räterepublik ausgerufen wurde.“19 Am 7. April 1919 versammelten sich die Vertreter von 26 landwirtschaftlichen Interessenvertretungen, Genossenschaften und technischen Verbänden in München zur Gründungsversammlung des dezidiert antirevolutionären neuen Agrardachverbandes. Nur der am politischen Umsturz beteiligte Bayerische Bauernbund fehlte als Organisation, während sich revolutionsskeptische Bauernbundsmitglieder als Einzelpersonen sehr wohl beteiligten20. Ausdrücklich erhob Schlittenbauer in der Gründungsversammlung die Forderung, den Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns zu einer Landwirtschaftskammer als Selbstverwaltungskörperschaft mit Pflichtmitgliedschaft auszubauen21. Indem sich der Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns auch mit der produktionstechnischen Förderung und Beratung der Landwirtschaft beschäftigte und dazu eine eigene Abteilung einrichtete22, demonstrierte Horlachers Büro, diese Forderung auch tatkräftig verfolgen zu wollen und damit den Anspruch der revolutionären Bauernräte auf die Kompetenzen einer Selbstverwaltungskörperschaft23 abzuwehren. Bisher hatte es bereits zahlreiche Versuche gegeben, eine Landwirtschaftskammer in Bayern zu errichten24, die jedoch hauptsächlich am Widerstand des Landwirtschaftlichen Vereins gescheitert waren, der

18 BBV-Herrsching, Landwirtschaftlicher Verein GC/652, Luschka an einen Bewerber um die Geschäftsführerstelle beim Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns, 17. Februar 1919.

19 BBV-Herrsching, Landwirtschaftlicher Verein KC/Unterfranken 1.667, Generalversammlung des Zweckverbandes der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns am 13. April 1920.

20 Zahlreiche Bauernbundsmitglieder waren als Vertreter von Genossenschaften oder technischen Verbänden anwesend. Zur Gründungsversammlung des Zweckverbandes der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns vgl. MAAZ vom 13. Mai 1919 (Abendausgabe); Wochenblatt des Landwirtschaftlichen Vereins vom 14. Mai 1919; Mitteilungen des ZlK vom 16. Mai 1919; PIX, Organisation, 103–106.

21 MAAZ vom 13. Mai 1919 (Abendausgabe). PIX, Organisation, 109f. und HUNDHAMMER, Berufsvertretung, 132 sahen deshalb im Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns einen wesentlichen Schritt zur Errichtung der Bayerischen Landesbauernkammer.

22 HUNDHAMMER, Berufsvertretung, 127f.; PIX, Organisation, 116f.

23 Zu den Selbstverwaltungskompetenzen der Bauernräte vgl. Vorläufige Richtlinien für die Bauernräte vom 26. November 1918, in: MATTES, Bauernräte, 67–71. Ausdrücklich erblickte der revolutionäre bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner (1867–1919) in den Räten eine Verbindung von beruflicher Selbstverwaltung, politischer Interessenvertretung und Mittel zur Erziehung zur Demokratie (vgl. KÖGLMEIER, Rätegremien, 62–

65). Für HETZER, Bauernräte, 45 sind die Bauernräte deshalb zu Recht ein „flüchtiger Ausdruck für einen Bedarf an ständischer Interessenvertretung im nicht mehr agrarisch fundierten pluralen Parteienstaat“. Zum beruflichen Selbstverwaltungscharakter der revolutionären Räte im Allgemeinen vgl. SCHULZ, Räte, 355–366.

24 Vgl. ZAHNBRECHER, Landwirtschaftliche Vereine, 32–102; BAUER, Organisation, 160–167; LAUERBACH, Landwirtschaft, 18–20; HUNDHAMMER, Berufsvertretung, 102–117; RATJEN, Bauernkammern, 12–22.

seine offiziöse Stellung dadurch gefährdet sah25. Die Errichtung einer Landwirtschaftskammer erschien nun als antirevolutionäre Notwendigkeit, um dem Zentral- bzw. Landesbauernrat das Feld der landwirtschaftlichen Selbstverwaltung nicht zu überlassen26. Um den Einfluss auf die Ausgestaltung einer zukünftigen Selbstverwaltungskörperschaft nicht zu verlieren, war der Landwirtschaftliche Verein gezwungen, mit dem BV zusammenzuarbeiten. Die antirevolutionäre Rhetorik, die der BV nun im Kampf gegen die Bauernräte anschlug, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass damit nur die herkömmlichen Rivalitäten zum BBB mit einer an die veränderten politischen Verhältnisse angepassten Phraseologie weitergeführt wurden27. Dabei gelang es dem BV durch seine dezidiert antirevolutionäre Frontstellung, den ihm gegenüber misstrauischen Landwirtschaftlichen Verein – wenn auch zögerlich – an sich zu binden und zur Mitarbeit im Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns zu bewegen.

Da die Bauernräte jedoch mit dem Makel der Revolutionsgeburt behaftet waren und durch ihre einseitige Zusammensetzung aus Mitgliedern des Bayerischen Bauernbundes auch nicht die für eine Landwirtschaftskammer notwendige Voraussetzung der parteipolitischen Neutralität mitbrachte, besaß der Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns schon aufgrund seiner Organisationsform als Dachverband einen organisationspolitischen Vorsprung vor dem in München tagenden zentralen Bauernratsgremium. Dabei war es im Hinblick auf die Legitimation als Interessenvertretung der gesamten bayerischen Landwirtschaft eine kluge Entscheidung, mit Mittermeier einen Bauernbündler des gemäßigten Flügels zum Vorsitzenden des Zweckverbandes der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns zu wählen – während sich der BV mit der Übernahme des Stellvertretenden Vorsitzes durch Schlittenbauer begnügte. Die übrigen Sitze in der Vorstandschaft wurden gleichmäßig auf die übrigen Mitgliedsorganisationen verteilt28. Der Einfluss des BV hing also vom Durchsetzungsvermögen Schlittenbauers und Horlachers an. Deshalb wurde der Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns

25 Vgl. RATJEN, Bauernkammern, 12–22. Vgl. dagegen BERGMANN, Bauernbund, 84 der den BV vor der Novemberrevolution als Hauptgegner der Errichtung einer Landwirtschaftskammer betrachtet, da eine solche den Einfluss des Adels und des Großgrundbesitzes geschmälert hätte.

26 Nach Horlachers eigener Darstellung habe die Revolution mit ihren „willkürlichen“ Bauernräten stimulierend auf die 1920 erfolgte Errichtung der Bayerischen Landesbauernkammer als gesetzliche Selbstverwaltungskörperschaft gewirkt (HORLACHER, Bauernkammern (30. August 1920), 1–3).

27 Vgl. dagegen BERGMANN, Bauernbund, 55–58 und HETZER, Bauernräte, 27, die den Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns als bloße Organisation zur Eindämmung der Revolution betrachten. Dabei hatte bereits ein vordergründig antirevolutionärer Beschluss der Wirtschaftspolitischen Vereinigung vom 14. Dezember 1918 – „Ein Bauer oder gar eine bäuerliche Organisation, die mit Sozialisten Hand in Hand arbeitet, begeht Verrat am eigenen Stand und leistet sozialistischen Agitatoren auf dem platten Lande nur Vorspanndienste.“ (Mitteilungen der Wirtschaftspolitischen Vereinigung vom 5. Januar 1919) – seiner Wirkung nach nicht den primären Zweck, den BBB von der Unterstützung der Revolution abzubringen, sondern dessen Austritt aus der Wirtschaftspolitischen Vereinigung zu provozieren – womit der Beschluss letztlich auch erfolgreich war (Mitteilungen der Wirtschaftspolitischen Vereinigung vom 5. Januar 1919).

28 Vgl. PIX, Organisation, 113.

zunächst auch von Bauernvereinsfunktionären misstrauisch betrachtet, vor allem wenn sie in dessen Errichtung nicht unmittelbar eingebunden waren29.

Während Horlacher im Büro des Zweckverbandes der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns bis zur Niederkämpfung der Räterepublik innerhalb der nächsten Wochen zu organisatorischer Untätigkeit bestimmt war30, hatte Gandorfer mit seinem Parlamentarischen Bauernrat während dieser Zeit seine revolutionäre Legitimation zur Vertretung der bayerischen Landwirtschaft eingebüßt. Gandorfers Anhang, der in den regionalen Bauernräten außerhalb Niederbayerns ohnehin nicht stark war31, verminderte sich seither rapide32. Diejenigen Bauern, die sich aus Kriegsmüdigkeit zu Beginn an der Revolution beteiligt hatten, hatten an weitergehenden gesellschaftlichen Umstrukturierungen meist ohnehin kein Interesse33. Das Trauma, das die gewaltsame Geschichte der Räterepublik und ihrer Niederschlagung in der bayerischen Bevölkerung hinterlassen hatte34, wirkte sich ebenfalls in einer Minderung von Gandorfers Einfluss aus. Im BBB hatten nun die gemäßigten Kräfte um den niederbayerischen Großbauern Mittermeier und den Ruhpoldinger Waldbauernführer Georg Eisenberger (1863–1945)35 die Oberhand gewonnen36.

Nach der Niederschlagung der Räterepublik nahm das zentrale landwirtschaftliche Rätegremium in München unter der üblich gewordenen Bezeichnung Landesbauernrat im Mai 1919 seine Tätigkeit wieder auf. Dabei bemühte sich dieser nach dem Verlust der revolutionären Legitimation um eine beschleunigte Umwandlung in eine Landwirtschaftskammer37. Dagegen arbeiteten der altbayerisch-katholische Bayerische Christliche Bauernverein und der fränkisch-protestantische Bund der Landwirte an einer konzertierten Aktion zur Liquidierung der Bauernräte. Die fränkischen Bauernräte – die in

29 BBV-Oberpfalz, Protokollbuch 1914–1948, Vorstandschaftssitzung des Oberpfälzischen Christlichen Bauernvereins am 1. Februar 1919. Vgl. dagegen BERGMANN, Bauernbund, 90, der behauptet, dass der Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns und der BV „weitgehend identisch“ gewesen seien.

30 „Infolge der Bolschewistenherrschaft“ – so Horlacher in seinem ersten Geschäftsbericht – „wurde so von vornherein die äußere Geschäftstätigkeit des Zweckverbandes auf fast vier Wochen unmöglich gemacht“ (BBV-Herrsching, Landwirtschaftlicher Verein KC/Unterfranken 1.667, Generalversammlung des Zweckverbandes der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns am 13. April 1920).

31 Die Bauernräte Mittelfrankens, Schwabens, der Oberpfalz und Oberbayerns standen ohnehin nicht auf der Seite Gandorfers. Ein von ihnen verhängter Lieferstreik sollte zum Ende der Räterepublik beitragen. Vgl.

HUNDHAMMER, Geschichte, 160–162.

32 MATTES, Bauernräte, 61–64.

33 Vgl. ZIEMANN, Front, 329–375; BLESSING, Erfahrung, 989f.

33 Vgl. ZIEMANN, Front, 329–375; BLESSING, Erfahrung, 989f.

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