• Keine Ergebnisse gefunden

Die Konjunktur des Antisemitismus

IV. Als Protagonist der Ordnungszelle Bayern (1919–1924)

11. Die Konjunktur des Antisemitismus

Nach der Novemberrevolution hatte der Antisemitismus Konjunktur. Das gehäufte Auftreten jüdischer Intellektueller unter den Protagonisten der Revolution ließ vor allem in revisionistischen Kreisen den Schluss nahe liegen, den Juden im Rahmen der Dolchstoßlegende die Schuld am verlorenen Krieg einzuräumen432. Diesem antirevolutionären Antisemitismus wollte sich auch Horlacher nicht entziehen. Erstmals bediente er sich als Hauptredner auf der Hauptversammlung des Bayerischen Müllerbundes am 17. August 1919 judenfeindlicher Thesen zur Erklärung der Revolution, für die er „die jüdische Pest, die von Moskau aus sich ausbreitet“, verantwortlich machte433. Auf dem

428 Vgl. Kapitel VI.5.

429 Aichacher Kurier vom 20. Februar 1933.

430 HORLACHER, König (1931), 598–600.

431 Während Horlacher 1946 noch die Möglichkeit eines Referendums über die Staatsform in die bayerische Verfassung einfügen wollte (Sitzung des Landesarbeitsausschusses der CSU am 1. Mai 1946, in: Die CSU 1945–

1948, 193–209, hier: 207), behauptete die BLZ vom 20. Mai 1949, dass Horlacher als Landtagspräsident anlässlich des 80. Geburtstages des Kronprinzen Rupprecht eine „Brandrede gegen den monarchistischen Gedanken“ gehalten habe.

432 Vgl. BRENNER, Novemberrevolution, 270–274; SEEBAß, Antijudaismus, 21–24. Nach GREIVE, Theologie, 34–43 habe der Antisemitismus nirgends in Deutschland das in Bayern in monarchistischen und antirepublikanischen Kreisen nach Zahl und Heftigkeit der Angriffe erreichte Ausmaß angenommen.

433 HORLACHER, Wirtschaftslage (20. September 1919).

Verbandstag des „Verbandes ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation für das rechtsrheinische Bayern“ sprach er am 29. Oktober 1919 von der „jüdisch-russischen kommunistischen Republik“, welche die Arbeiter aufhetze434. Die radikalsten sozialistischen Gruppen standen für ihn „unter fast ausschließlich jüdischer Führung“435. Die Verwendung rassistischer Begrifflichkeit lag ihm nicht fern, als er darauf hinwies, dass die Führungsschichten sozialistischer Staaten „weitaus in der Überzahl der Rasse entnommen werden, die in den letzten Revolutionen die ausschlaggebende Rolle spielte“436. Dabei machte Horlacher die Juden gleichermaßen für den Sozialismus und die Auswüchse des Kapitalismus verantwortlich. Denn auch für den Wucher sei der „jüdische Geist mit all seinen Schattenseiten“ verantwortlich437. Der Hinweis auf vermeintlich jüdischen Einfluss diente Horlacher zur pauschalen Diffamierung aller wirtschaftlichen Gruppierungen, die seiner Konzeption einer bürokratisch geordneten, erzeugerorientierten Agrarpolitik entgegenstanden – seien es Sozialisten, Arbeiter, Händler oder schlicht Verbraucher. Deshalb bestand für ihn kein Zweifel, dass auch der Allgemeine Verbraucherbund München unter jüdischem Einfluss stand: „Die ,Verbraucher‘ werden besonders in München nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern nach politisch-radikalen Gesichtspunkten geführt, darüber gibt es gar keinen Zweifel, das mögen sich die Herren vom Allgemeinen Verbraucherbund in München gesagt sein lassen. Solche Herren sind wirtschaftspolitisch nicht anzuerkennen. Ich erinnere an den nichtbodenständigen Vertreter, Herrn Cassel. Welchen Gesichtserker er hat, brauche ich nicht auseinanderzusetzen.“438

Für Horlacher bestand der Zweck der von ihm angewandten antisemitischen Begrifflichkeit offenbar darin, der Erwartungshaltung seiner politischen Weggefährten und bäuerlichen Zuhörer nachzukommen439. Denn Horlachers judenfeindliche Äußerungen stellten in seinen volkswirtschaftlichen Ausführungen kein konstitutives Element dar, sondern besaßen eine akzidentielle Bedeutung, sie waren seinen Reden appliziert. Somit konnte er seine antisemitischen Ausfälle aus seinen wirtschaftspolitischen Ausführungen tilgen, als sich nach dem Hitlerputsch das politische Leben in Bayern beruhigte – so wie die BVP ihre judenfeindliche Positionierung ebenfalls revidierte440.

Wie sehr Horlacher mittlerweile vom Antisemitismus angewidert war, konnte er demonstrieren, als er im Wirtschaftsausschuss des bayerischen Landtages am 11. November 1924 als Berichterstatter zu einem Antrag des Völkischen Blockes „betreffend Schutz der

434 HORLACHER, Zukunft (1919), 7.

435 HORLACHER, Zukunft (1919), 18.

436 HORLACHER, Zukunft (1919), 23.

437 HORLACHER, Zukunft (20. April 1921), 63.

438 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 1, Sitzung am 6. November 1920, 38.

439 Vgl. dazu ZIEMANN, Front, 335–339, der der Ansicht ist, dass der BV mit seinen antisemitischen Äußerungen eher einer Stimmung an der bäuerlichen Basis folgte, als dass der Antisemitismus vom BV zur Mobilisierung der Massen instrumentalisiert worden sei.

440 Vgl. GREIVE, Theologie, 88; MAZURA, Zentrumspartei, 158–166.

deutschen Wirtschaft vor jüdischer Ausbeutung“ fungierte. In dem Antrag wurde kriminelles Verhalten jüdischer Händler für die Teuerung verantwortlich gemacht, weshalb ihnen die Zulassung zum Handel pauschal verwehrt werden sollte. Horlacher erkannte darin einen bloßen Agitationsantrag, den er mit dem Hinweis auf seine Verfassungswidrigkeit abtun zu können glaubte. Seiner Meinung nach war der Antrag des Völkischen Blocks unzulässig, da nach Art. 109 der Reichsverfassung alle Deutschen vor dem Gesetz gleich seien. Nachdem die Völkischen diesem Argument mit dem rassistischen Hinweis entgegentraten, dass die Juden keine Deutschen seien, ließ sich Horlacher jedoch in eine Debatte hineinziehen, wobei er seinen Standpunkt sehr impulsiv vertrat. Die rassistische Argumentationsweise der Völkischen ignorierend wies Horlacher darauf hin, dass auch Christen an den Mißständen im Wirtschaftsleben Schuld seien: „Solange die Völkischen nicht nachweisen würden, daß alle Juden schlecht und alle sogenannten Christen gut seien, solange gehe er den blöden Weg des Antisemitismus nicht.“ Wer behaupte, „daß das Judentum allein das deutsche Volk mammonistisch verseucht habe, befinde sich in einem großen Irrtum, den er einmal hier ganz offen brandmarken wolle“. Nach Horlachers Plädoyer wurde der Antrag zwar gegen die Stimmen des Völkischen Blocks abgelehnt – trotzdem hatte er seinen agitatorischen Zweck erfüllt, wie der völkische Abgeordnete Adolf Wagner (1890–1944) befriedigt feststellte. Denn es seien die bürgerlichen Parteien „gezwungen worden, Farbe zu bekennen“: Wagner freute sich mitansehen zu können, wie die BVP gemeinsam mit der KPD stimmte, um den Antrag abzulehnen441.

Im Landtag bekam Horlacher als Berichterstatter des Wirtschaftsausschusses am 16.

Januar 1925 die Gelegenheit, gegen den Rassismus des völkischen Antrages vorzugehen:

„Diesen sogenannten reinrassigen Antisemitismus machen wir nicht mit, weil er eine ungerechte, brutale Sache ist, die kein vernünftiger Mensch in dieser Form vertreten kann, wie Sie das machen.“442 Obwohl Horlachers Landtagsrede dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus als lobeswürdig erschien443, darf jedoch nicht übersehen werden, dass Horlacher nach wie vor antijüdische Ressentiments pflegte. Weiterhin bezeichnete er unlautere Geschäftspraktiken stereotyp als „jüdisch“. So hatte er sich im Wirtschaftsausschuss von den Völkischen am 11. November 1924 trotz aller Ablehnung zu der Aussage

441 BayHStA, Bayerischer Landtag, Ausschuß für Aufgaben wirtschaftlicher Art, Sitzung am 11. November 1924. Nach der eigenen Aussage des Fraktionsvorsitzenden des Völkischen Blockes war es das erklärte Ziel derartiger Anträge, die bürgerlichen Parteien dadurch zu zwingen, mit Sozialdemokraten und Kommunisten zu stimmen. Vgl. PROBST, Landtag, 47–49.

442 Verh. d. Bay. Landtags 1924–1928. Sten. Ber. Bd. 1, Sitzung am 16. Januar 1925, 882–885.

443 Abwehr-Blätter vom 15. Januar 1925. RÖSCH, NSDAP, 31 behauptet, dass Michael Horlacher für den Verein zur Abwehr des Antisemitismus tätig gewesen sei. Dabei stützt sich Rösch auf die Berichte, welche die Polizeidirektion München über diesen Verein erstellte und in denen von einem „Dr. Horlacher“ die Rede ist. Wie aus diesem Berichten klar hervorgeht, handelt es sich bei diesem „Dr. Horlacher“ jedoch um Dr. Richard Horlacher, den Geschäftsführer dieses Vereins (StA Bremen, P70, Lagebericht Nr. 92 der Nachrichtenstelle der Polizeidirektion München, 9. Juli 1930; StA Bremen, P70, Lagebericht Nr. 97 der Nachrichtenstelle der Polizeidirektion München, 26. Februar 1931).

provozieren lassen, dass zwar nicht die Juden als Menschen, sehr wohl aber „der jüdische Geist, wo er im staatlichen wie im wirtschaftlichen Leben auftrete, zu bekämpfen sei“444. Ausdrücklich nahm er auch die Ostjuden aus, als er am 16. Januar 1925 im Plenum des Landtages die Ablehnung des rassistischen Antrages der Völkischen begründete445. Horlachers Judenfeindlichkeit war dort offenbar unüberwindlich, wo er sich mit antikapitalistischen und fremdenfeindlichen Vorurteilen verband. Nach dem Hitlerputsch änderte sich nur die Intensität seiner antisemitischen Äußerungen, was blieb war ein antijüdischer Bodensatz, der in seinen Reden allerdings seither keine Rolle mehr spielen sollte.

Horlachers Haltung zu den Juden ist durchaus schillernd und weltanschaulich kaum gefestigt. Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Kapitalismuskritik verbanden sich bei ihm zu einem schwer entwirrbaren Knäuel antijüdischer Phrasen wechselnder Intensität – stets jedoch in wirtschaftspolitische Zusammenhänge eingebettet. Horlachers Haltung zu den Juden war weder rassistisch noch religiös begründet. Deshalb erscheint es müßig, Horlacher eher dem traditionell religiösen Antijudaismus zuordnen zu wollen oder eher dem ,modernen‘

rassischen Antisemitismus446. Die Behauptung eines pseudodarwinistischen rassischen Unterschiedes zwischen Juden und Deutschen lag ihm fern, während er jedoch stets einen gewissen Antijudaismus auf der Basis von kulturellen und wirtschaftlichen Vorurteilen pflegte.

444 BayHStA, Bayerischer Landtag, Ausschuß für Aufgaben wirtschaftlicher Art, Sitzung am 11. November 1924.

445 Verh. d. Bay. Landtags 1924–1928. Sten. Ber. Bd. 1, Sitzung am 16. Januar 1925, 882–885.

446 Zur heuristischen Unterscheidung von Antijudaismus und Antisemitismus vgl. SEEBAß, Antijudaismus, 9–25.

Mittlerweile hat die Antisemitismusforschung erkannt, dass nicht trennscharf zwischen einem traditionellen, religiös motivierten Antijudaismus einerseits und einem modernen, rassistischen Antisemitismus andererseits unterschieden werden kann, sondern dass von einem breiten Spektrum von Zwischenstufen und Mischformen auszugehen ist. Vgl. KATZ, Kontinuität.

ÄHNLICHE DOKUMENTE