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Im Kampf gegen das bayerische Landwirtschaftsministerium

IV. Als Protagonist der Ordnungszelle Bayern (1919–1924)

7. Im Kampf gegen das bayerische Landwirtschaftsministerium

Hatte Horlacher seine Stellung als Geschäftsführer innerhalb der Bayerischen Landesbauernkammer gegen den Bund der Landwirte zu verteidigen, so musste er sich nach außen gegenüber dem bayerischen Landwirtschaftsministerium zur Wehr setzen. Dabei überlagerte sich der parteipolitisch motivierte Konflikt – mit dem von einem Bauernbundssympathisanten geführten Ministerium – mit einem organisationspolitischen Konflikt – da dessen Ministerialbürokratie eifersüchtig über ihre administrativen Kompetenzen gegenüber den Ansprüchen der Landesbauernkammer auf Selbstverwaltung wachte. Sowohl das 1919 errichtete Landwirtschaftsministerium298 als auch die 1920 gegründete Landesbauernkammer erhoben für sich den Anspruch auf die Durchführung der Landwirtschaftsverwaltung. Das Verhältnis zwischen Horlacher und der staatlichen Landwirtschaftsverwaltung gestaltete sich deshalb entsprechend dem essayistisch formulierten Modell des Agrarwissenschaftlers Heinrich Niehaus: „Wie die ägyptische Priesterkaste das Bestreben hatte, die astronomischen und sonstigen Erkenntnisse geheim zu halten als Tempelwissenschaft, so gibt es auch eine bürokratische Tempelwissenschaft der Referenten. Auf der Seite der Verbände wächst dagegen die Neugier auf alles, was vorgeht, und die Arbeit setzt intensiver ein. Es müssen die geschicktesten Diplomaten aufgeboten werden, um herauszufinden, was nun eigentlich geplant ist.“299 Dabei bestand Horlachers Strategie nicht darin, vorsichtig und umsichtig vorzugehen. Vielmehr erhob er seine administrativen Ansprüche gegenüber der staatlichen Landwirtschaftsverwaltung fordernd und ultimativ.

Gemeinsam mit Heim erhob Horlacher gegenüber den staatlichen Behörden den Führungsanspruch der Landesbauernkammer in Sachen Landwirtschaftsverwaltung300. Als Direktor der Landesbauernkammer wollte er deshalb dafür sorgen, dass die Landwirtschaftsbeamten „den Willen der bäuerlichen Vertretung kennen lernen und respektieren“. Insofern die Landesbauernkammer keine eigene Verwaltung beanspruche, müsse ihr zugestanden werden, „daß sie die Richtlinien, in der sich diese Verwaltungstätigkeit zu bewegen hat, entscheidend mitbestimmt“301. Zwei Jahre später beklagte Horlacher immer noch, dass Bayern „im Gegensatz zu den anderen Bundesstaaten das größte Maß an der Verstaatlichung des landwirtschaftlichen Dienstes“ habe. Er appellierte deshalb an die Staatsregierung, dass der Landesbauernkammer „jene Zweige überlassen werden, die sich

298 Zur Entstehungsgeschichte des bayerischen Landwirtschaftsministeriums vgl. HAUSHOFER, Jahrhundert;

VOLKERT, Ernährung, 262–263; STINGLWAGNER, Chronik, 43–50.

299 NIEHAUS, Staats- und Verbandsmacht, 139.

300 BayHStA, ML 122, Heim und Horlacher an ML, 24. März 1921. Vgl. dagegen RATJEN, Bauernkammern, 125–127, der behauptet, dass die Landesbauernkammer mit dem Landwirtschaftsministerium „stets harmonisch zusammengearbeitet“ habe.

301 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 1, Sitzung am 3. Juni 1921, 144f.

unbedingt für eine Regelung durch die Berufsvertretung eignen“. Immerhin war er zufrieden, dass die Landesbauernkammer mittlerweile wenigstens vom bayerischen Landwirtschaftsministerium konsultiert wurde302. Das Verhältnis zwischen Landesbauernkammer und staatlicher Landwirtschaftsverwaltung war von gegenseitigem Misstrauen und gegenseitiger Missachtung geprägt. Während die Landwirtschaftsverwaltung die Landesbauernkammer bewusst zu umgehen versuchte, wandte sich diese unter bewusster Missachtung des ministeriumsinternen Dienstweges an Behörden, die dem Landwirtschaftsministerium unterstellt waren, worüber sich Wutzlhofer empörte303. Die sozialdemokratische Fränkische Tagespost urteilte deshalb scharfsinnig, dass es das Bestreben der Landesbauernkammer sei, „dem Landwirtschaftsministerium jede Direktion zu nehmen“. Sie wolle an die Stelle des Ministeriums treten und dann „bei seiner vollständigen Verantwortungslosigkeit schalten und walten, wie es den Bauern beliebt“304. Die Rivalität zwischen Bauernkammern und staatlichen Behörden ließ sich aber nicht zur Zufriedenheit Horlachers lösen. Die Bauernkammern blieben ein begutachtendes und beratendes Organ ohne wirkliche Kompetenz zur Selbstverwaltung305. Dabei besaß die staatliche Landwirtschaftsverwaltung aufgrund ihrer längeren bürokratischen Tradition und ihrer sicheren Finanzierung aus Steuermitteln die stärkere Position – zumal die Landesbauernkammer aufgrund ihrer mangelhaften Finanzausstattung stets von der wohlwollenden Behandlung ihrer Zuschussanträge durch das Landwirtschaftsministerium abhängig war306.

Verschärft wurde dieser organisationspolitische Konflikt durch die parteipolitisch motivierten Auseinandersetzungen zwischen BBB und BV. Während der BBB die Errichtung des Landwirtschaftsministeriums im Jahr 1919 als sein Verdienst ansah307, ging die Gestalt der Bauernkammern vor allem auf den Einfluss des BV zurück308. Damit standen sich zwei administrative Körperschaften gegenüber, wobei das Landwirtschaftsministerium in der Person des Ministers in der Hand des BBB war und die Landesbauernkammer in der Person des Direktors und des Präsidenten in der Hand des BV309. Als die BVP angesichts der

302 Die anderen Ministerien verweigerten der Landesbauernkammer das für Kammern kennzeichnende „Recht des Immediatzugangs zur Exekutivgewalt“ (ABELSHAUSER, Korporatismus, 151). Vgl. dazu Sten. Ber. Bay.

Landesbauernkammer Bd. 2, Sitzung am 14. Februar 1923, 188f.

303 BayHStA, MA 100624, Wutzlhofer an Horlacher, 10. Januar 1922.

304 Fränkische Tagespost vom 16. März 1923.

305 Vgl. HUNDHAMMER, Berufsvertretung, 150f. und 175f.; RATJEN, Bauernkammern.

306 Als es der Landesbauernkammer im Herbst 1923 nicht mehr möglich war, die Gehälter vollständig auszubezahlen, weigerte sich das Landwirtschaftsministerium im Gegensatz zum Finanzministerium, ihr die gewünschten 50 Billionen Mark vollständig zu bewilligen. Erst nachdem Mittermeier (BBB) bei dem bauernbundsnahen Wutzlhofer intervenierte, erklärte sich das Landwirtschaftsministerium dazu bereit, wenigstens einen Teil der Summe zu bewilligen (BayHStA, ML 122, Horlacher an ML, 29. Oktober 1923).

307 Vgl. BERGMANN, Bauernbund, 74–80.

308 Vgl. Kapitel IV.1.

309 Trotzdem werden diese Auseinandersetzungen zwischen Landesbauernkammer und Landwirtschaftsministerium von BERGMANN, Bauernbund, 88 allzu stark als Ausdruck der parteipolitischen Differenzen zwischen BBB und BV gewertet, während er die organisationsimmanente Dynamik, die eine neu

Inflation die Staatsvereinfachung propagierte310, forderte Gandorfer die Abschaffung der Landesbauernkammer311 und Horlacher im Gegenzug die Aufgabe des Landwirtschaftsministeriums. Am 15. Januar 1921 vertrat Horlacher im Plenum der Landesbauernkammer die Pläne der BVP zur Aufhebung des bauernbundsgeführten Landwirtschaftsministeriums. Angesichts der Brisanz dieses Vorhabens fand diese Plenarsitzung der Landesbauernkammer im Gegensatz zum üblichen Gebrauch nicht öffentlich statt. Horlacher hatte in der Landtagskommission, die mit der Staatsvereinfachung betraut worden war, für die Aufhebung des Landwirtschaftsministeriums gestimmt. Nun wollte er das Plenum der Landesbauernkammer überzeugen. Horlacher gab zu bedenken, dass, „ohne ein Opfer zu bringen“, nicht an die auch von den Agrarverbänden geforderte Staatsvereinfachung gedacht werden könne. Er warnte davor, unglaubwürdig zu wirken und gab der Hoffnung Ausdruck, dass die Landesbauernkammer durch die Abschaffung des Agrarministeriums gestärkt werde. Er lockte sogar damit, den Umfang des „Beamten-Apparates“ der Landesbauernkammer als Gegenleistung für die Zustimmung des Plenums der Landesbauernkammer zur Aufhebung des Landwirtschaftsministeriums zu überprüfen. Aber das Plenum der Landesbauernkammer widerstand Horlachers Sirenengesang. BBB, Bund der Landwirte und BV stimmten geschlossen gegen die Aufhebung des Landwirtschaftsministeriums312. Das Landwirtschaftsministerium war über die Parteigrenzen hinweg bei den Landwirten populär. Sie sahen in dessen Existenz mehr als in der öffentlich-rechtlichen Landesbauernkammer ein Zeichen der Anerkennung ihrer Bedeutung für das Gemeinwohl313. Während es Horlacher durch den Ausschluss der Öffentlichkeit diesmal noch gelungen war, sein Gesicht gegenüber der landwirtschaftlichen Öffentlichkeit zu wahren314, zog er es vor, fortan ein doppeltes Spiel zu spielen. In der Landesbauernkammer trat er für die Beibehaltung von Wutzlhofers Ministerium ein315, während er in der Landtagsfraktion der BVP weiterhin die Rückgliederung der Landwirtschaft in das Innenministerium verfolgte316.

Eine Gelegenheit, das Landwirtschaftsministerium anzugreifen, boten die noch bestehenden Reste der Lebensmittelbewirtschaftung, für deren Durchführung Wutzlhofer die Verantwortung hatte. Die Hilflosigkeit, mit der man in Bayern parteiübergreifend der Lebensmittelteuerung gegenüberstand, führte über den Weg gegenseitiger

errichtete Organisation (Landesbauernkammer) gegenüber einer auf dem gleichen Gebiet tätigen konkurrierenden herkömmlichen Organisation (staatliche Landwirtschaftsverwaltung) entfaltet, übersieht.

310 Zu den Staatsvereinfachungsplänen der bayerischen Staatsregierung vgl. TROßMANN, Tätigkeit, 8.

311 BayHStA, MA 102147, Halbmonatsbericht des Regierungspräsidenten von Neuburg und Schwaben, 18.

April 1921.

312 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 1, Sitzung am 15. Januar 1921, 61–64.

313 Vgl. BERGMANN, Bauernbund, 74–80.

314 Der Presse war Horlachers Propaganda zur Abschaffung des Landwirtschaftsministeriums nicht zu Ohren gekommen. In der MAAZ vom 18. Januar 1921 (Abendausgabe) hieß es sogar, dass Horlacher „über die Notwendigkeit der Beibehaltung des Landwirtschaftsministeriums“ gesprochen habe.

315 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 1, Sitzung am 3. Juni 1921, 139.

316 ACSP, Fraktionssitzungen der BVP Bd. 2, Sitzung am 16. Januar 1924.

Schuldzuweisungen zu einer parteipolitischen Instrumentalisierung der Inflation der Lebensmittelpreise – welche drohte, alle beteiligten Akteure zu diskreditieren. Dabei riskierte Horlacher in seinen Bemühungen zur Ausgrenzung des Koalitionspartners BBB auch die Destabilisierung der bürgerlichen Rechtsregierungen der Ordnungszelle. Dies zeigte sich besonders deutlich, als sich Wutzlhofer am 9. November 1921 die Hilflosigkeit der bayerischen Behörden gegenüber Lebensmittelmangel und Teuerung eingestand: „Das Volk glaubt uns allen miteinander nichts mehr, meine sehr geehrten Herren, nicht nur der Regierung allein; denn wie man es macht, ist es verkehrt, und was man sagt, geht letzten Endes wieder anders aus.“317 Horlacher nutzte die naive Hilflosigkeit Wutzlhofers, um ihn gezielt anzugreifen. Am 21. Februar 1922 erkundigte er sich im Landtag im Rahmen einer Kurzen Anfrage bei Wutzlhofer, ob diesem bekannt sei, „daß unter den Landwirten, vor allem den kleineren und mittleren Landwirten vieler Bezirke Bayerns große Erbitterung über die ungerechte Aufbringung des Umlagengetreides herrscht?“ Da Horlacher wissen musste, dass Wutzlhofer für die neuerliche Getreideumlage der Reichsregierung überhaupt nicht verantwortlich war, bestand der Zweck von Horlachers Anfrage einzig darin, Wutzlhofer in die Enge zu treiben. Es entsprach deshalb wohl Horlachers Erwartungen, als der Sprecher Wutzlhofers die Verantwortung wahrheitsgemäß auf die Reichsregierung schob und damit die Einflusslosigkeit des bayerischen Landwirtschaftsministeriums eingestand, wodurch Horlacher den gewünschten Beweis für dessen Überflüssigkeit aus dem Munde eines von dessen Beamten selbst bekam318.

Nachdem der bayerische Bauernbundspolitiker Anton Fehr am 31. März 1922 das Reichsernährungsressort übernommen hatte, erfuhr die Getreideumlage eine verstärkte parteipolitische Instrumentalisierung in Bayern, da Fehr wegen der anhaltenden Inflation an der Getreideumlage festhielt319. Wutzlhofer konnte die Verantwortung für die Getreideumlage nun nicht mehr auf die Agrarpolitik der Reichsregierung schieben, was Horlacher rücksichtslos ausnutzte. Der biedere 53jährige Lagerhausverwalter Wutzlhofer aus Obersunzing, den koalitionspolitische Rücksichtnahmen auf den Stuhl des bayerischen Landwirtschaftsministers gebracht hatten, war dem 34jährigen, akademisch versierten und karrierebewussten Horlacher nicht gewachsen320. Im Plenum der Landesbauernkammer übte dieser am 30. Mai 1922 massiven Druck auf den anwesenden Wutzlhofer aus, sich eindeutig für oder gegen das Umlageverfahren zu erklären, wobei ihm Brügel bereitwillig sekundierte.

Wutzlhofer vermied eine klare Stellungnahme und zeigte sich zunehmend verärgert über die andauernde Kritik an Maßnahmen, die er nicht angeordnet, aber zu vertreten hatte. Resigniert

317 Verh. d. Bay. Landtags 1920–1924. Sten. Ber. Bd. 4, Sitzung am 9. November 1921, 183.

318 Verh. d. Bay. Landtags 1920–1924. Sten. Ber. Bd. 4, Sitzung am 21. Februar 1922, 943f.

319 Zur Agrarpolitik Fehrs vgl. SCHUMACHER, Land, 168–174.

320 Vgl. dagegen die Lebenserinnerungen des bayerischen Ministerialbeamten Karl Sommer, der Wutzlhofer für einen gewandten und schlagfertigen Redner hielt (SOMMER, Beiträge, 104f.).

stellte er deshalb fest: „Es gibt angenehmere Dinge, als den Minister für Ernährung und Landwirtschaft zu spielen.“ Nicht ohne erkennbares Vergnügen holte Horlacher in seiner Antwort zum Schlag gegen Wutzlhofer aus. Dieser habe lediglich gesagt, was man „zu sagen pflegt, wenn sich dann und wann eine Organisation in einer schwierigen Lage befindet und die Vertreter dieser Organisation sich durch alle möglichen Komplimente aus dieser schwierigen Lage herausziehen wollen“. Belehrend wies er Wutzlhofer darauf hin, dass er die Antwort auf seine Frage schuldig geblieben sei. Nachdem der bayerische Agrarminister versucht hatte, von Fehr abzulenken, indem er die Verantwortung für das neuerliche Umlageverfahren auf den Reichstag abzuwälzen versuchte, gab Horlacher seiner gespielten Verwunderung Ausdruck, dass diese Behauptung doch den Gepflogenheiten zur Vorbereitung von Gesetzen durch die Referenten der Ministerien widerspreche. Derart mürbe gemacht, wollte der Agrarminister seine Haltung zum Umlageverfahren von der Stellungnahme der Landesbauernkammer abhängig machen. Damit hatte seine Karriere als Mitglied der bayerischen Staatsregierung den Tiefpunkt erreicht, während sich gleichzeitig eine erregte Debatte zwischen den Repräsentanten des BV und des Bundes der Landwirte um die Frage drehte, von welcher der beiden Organisationen das Umlageverfahren bisher nachdrücklicher bekämpft worden sei. In der erregten Stimmung kam dann ein Antrag zur Abstimmung, der als Misstrauensvotum gegen Wutzlhofer gedeutet werden konnte: „Die Stellungnahme und die Ausführungen des Herrn Staatsministers für Landwirtschaft in der Frage der Brotgetreidebewirtschaftung haben die Bayerische Landesbauernkammer in keiner Weise befriedigt.“ Der Beschluss fiel einstimmig aus. Auch Wutzlhofers Parteifreunde vom BBB hatten zugestimmt321.

Wenn es letztlich auch nicht zu entscheiden ist, auf wessen Anregung dieser Beschluss zustande kam, wurde Horlacher dafür in die Verantwortung genommen. In bewusster Übertreibung wurde der Beschluss von der sozialdemokratischen Münchner Post und den liberalen Münchner Neuesten Nachrichten zum Anlass genommen, den Beschluss als

„Mißtrauensvotum“ zu werten322 und eine Koalitionskrise zu beschwören323. Deshalb geriet die eigentlich so erniedrigend verlaufende Sitzung schließlich zu einer zweifelhaften Genugtuung für den geschmähten Agrarminister. Denn der bayerische Ministerrat fürchtete angesichts des Presseechos, das der Beschluss der Landesbauernkammer hervorrief, um sein Ansehen und stellte sich geschlossen hinter Wutzlhofer. Der Landesbauernkammer wurden Sanktionen angedroht, falls sie sich tatsächlich das „Recht zur Erteilung eines parlamentarischen Mißtrauensvotums“ beilegen wollte324. Um Schadensbegrenzung bemüht, entschuldigte sich Horlacher kleinlaut bei Wutzlhofer und lobte dessen verdienstvolle

321 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 2, Sitzung am 30. Mai 1922, 107–118.

322 MP vom 31. Mai 1922; MNN vom 1. Juni 1922 (Morgenausgabe).

323 MNN vom 1. Juni 1922 (Morgenausgabe); MP vom 2. Juni 1922.

324 BayHStA, MA 99517, Ministerratssitzung am 1. Juni 1922.

bisherige Arbeit325. Noch deutlich erkennbar von der Peinlichkeit dieses Vorfalles berührt, erklärte Horlacher im Plenum der Landesbauernkammer am 23. Juni 1922, dass er es „mit aller Entschiedenheit zurückweise, dass man eine wirtschaftliche Angelegenheit der Landesbauernkammer auf das politische Gebiet hinüberschieben will, so wie es ein Teil der großstädtischen Presse versucht hat“. An die Adresse des Landwirtschaftsministeriums richtete er die Warnung, dass die Geschäftsleitung und das Präsidium der Landesbauernkammer über die ihr zustehenden Rechte aus dem Bauernkammergesetz wachen werden326.

Horlachers zurückhaltende und peinlich berührte Reaktion ist letztlich aber auch darauf zurückzuführen, dass er erkannt hatte, dass sich die Getreideumlage schlichtweg nicht als Kampfmittel gegen den Einfluss des BBB im Landwirtschaftsministerium eignete, ohne die von ihm so vehement propagierte Wiederherstellung stabiler wirtschaftlicher und innenpolitischer Verhältnisse in der „Ordnungszelle“ zu gefährden. Eine Koalitionskrise hatte die Landesbauernkammer mit ihrem Beschluss vom 30. Mai 1922 ja bereits hervorgerufen – wobei es nicht von der Hand zu weisen ist, dass der deutschnationale Abgeordnete Brügel die Stimmung in der Plenarsitzung am 30. Mai bewusst anheizte, um dieses Ergebnis zu erzielen.

Denn die Bayerische Mittelpartei befand sich bis August 1922 in Opposition und drängte in die Regierungsverantwortung. Rücksichtslos hatte der gewiefte Brügel die Gelegenheit ergriffen, die dem Bund der Landwirte daraus erwuchs, dass zwei Bauernbundsminister auf Landes- und Reichsebene die Verantwortung für die ungeliebte Getreideumlage übernommen hatten. Durch eine radikal-populistische Agitation gegen die Getreideumlage gelang es Brügel schließlich persönlich, dem BBB prominente Lokalpolitiker abzuwerben327. Die Getreideumlage war bei den Landwirten höchst unbeliebt. Sie erhofften sich nach der Abschaffung der Reste der Zwangswirtschaft eine Erhöhung der Preise und das Ende der als erniedrigend empfundenen Kontrollen. Verschärft wurde die Stimmung innerhalb der Landwirtschaft noch dadurch, dass die Bauern zur Ablieferung – also zur Produktion – gezwungen wurden, während die Landarbeiter und Dienstboten erstmals das Streikrecht zugestanden bekamen328. Insofern die Agrarfunktionäre in ihrer populistischen Agitation gegen die Getreideumlage der Stimmung der Bauern folgten und dazu eigene parteipolitische Zwecke verfolgten, so stachelten sie den Unmut der Bauern dadurch noch zusätzlich an.

Dadurch war der Boden für die außerparlamentarische Freie Bauernschaft bereitet, die sich in ihrem populistischen Kampf gegen die Reste der Zwangswirtschaft bewusst an gewerkschaftliche Begrifflichkeit anlehnte und den Lieferstreik anders als die etablierten

325 BayHStA, ML 122, Horlacher an Wutzlhofer, 3. Juni 1922.

326 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 2, Sitzung am 23. Juni 1922, 124.

327 Vgl. BERGMANN, Bauernbund, 192.

328 Zur zunehmenden Ablehnung der Zwangswirtschaft durch die Bauern vgl. BERGMANN, Bauernbund, 181–

202; ZIEMANN, Front, 308–328.

Organisationen BV, BBB und Bund der Landwirte nicht als – meist staatspolitisch, d.h. mit nichtagrarischen Argumenten motivierte – Notmaßnahme, sondern als legitimes Kampfmittel in einer als klassenkämpferisch empfundenen Auseinandersetzung auffasste329. Während es dem BV noch gelang, die kirchlich besonders gebundenen Bauern mit moralischem Druck vom Ausreizen der Schwarzmarktpreise abzuhalten330, brach die Freie Bauernschaft vor allem in Gandorfers niederbayerische Hochburgen ein. Sämtliche Bauern des niederbayerischen Bezirks Rottenburg entschlossen sich unter dem Einfluss der Freien Bauernschaft, einen Lieferstreik bis zur Umsetzung der Forderung nach Anhebung des Umlagenpreises durchzuführen. Im Herbst 1922 wurde dort kein Getreide abgeliefert331.

Horlacher war über den Erfolg, den die Freie Bauernschaft in den niederbayerischen Getreideanbaugebieten erzielen konnte, beunruhigt und über ihre Taktik empört. Am 26.

April 1923 brachte er seinen Unmut über die „gewerkschaftliche Bewegung der Bauern“, die seinen Vorstellungen von der Landwirtschaft als Stand so gar nicht entsprechen wollte, zum Ausdruck: „Eine solche Gedanken- und Geistesverwirrung, daß man glauben könnte, man könnte gewerkschaftliche Methoden auf einen Stand der Besitzenden anwenden, ist überhaupt noch nie dagewesen.“ Statt der für Horlacher allzu sehr an sozialistische Begrifflichkeit erinnernden Verlautbarungen der Freien Bauernschaft plädierte er für „eine auf ausgleichender christlicher Gerechtigkeit beruhende systematische Agrarpolitik“. Horlacher appellierte daran, Agrarpolitik nur „unter dem Gesichtspunkte der staatspolitischen Einstellung, unter dem Gesichtspunkte, wie dem bayerischen und deutschen Bauernstand und damit der ganzen Nation am besten gedient werden kann“, zu betrachten. Dadurch demonstrierte Horlacher, wie sehr die Freie Bauernschaft seine Taktik, die Landwirtschaft als antisozialistische „Stütze der Staatsautorität“ in der Ordnungszelle Bayern zu etablieren, durchkreuzte, indem sie die wirtschaftsegoistischen Interessen der Landwirte unverhohlen und ohne weltanschauliche Bemäntelung zum Ausdruck brachte332.

Im Gegensatz zur Freien Bauernschaft war Horlacher bemüht, die Landwirtschaft in ihrer Gesamtheit als uneigennützig und pflichterfüllt darzustellen und davon die Legitimation agrarpolitischer Forderungen herzuleiten – wie er es tat, um die Besteuerung der Landwirtschaft nach dem Verkehrswert von Grund und Boden abzuwehren: „Die deutsche Landwirtschaft wird der Reichsregierung ein Angebot zur Förderung der Produktion mit brauchbaren und greifbaren Mitteln machen, die auf rasche Sicht wirken, sie will dafür sorgen, daß Devisen erspart werden; die deutsche Landwirtschaft verlangt aber dann von der Reichsregierung die geeigneten Maßnahmen, sie verlangt insbesondere, daß alles von der

329 Zur Freien Bauernschaft vgl. BERGMANN, Bauernbund, 187–193; OSMOND, Protest, 81–90.

330 Vgl. ZIEMANN, Front, 326f.

331 Vgl. OSMOND, Protest, 83.

332 Verh. d. Bay. Landtags 1920–1924. Sten. Ber. Bd. 8, Sitzung am 26. April 1923, 215f.

Landwirtschaft weggehalten wird, was einen Eingriff in das Betriebsvermögen bedeutet.“333 Deshalb verknüpfte Horlacher das von den deutschen Landwirtschaftskammern initiierte

„Hilfswerk der deutschen Landwirtschaft“ mit der Hoffnung, „daß der soziale Opfersinn, den die bayerische Landwirtschaft mit einer solchen Aktion bekundet, auch das vollste Anerkenntnis findet“334. Im Gegensatz zu Horlachers salbungsvollen Bemühungen, die Landwirtschaft als altruistische Wirtschaftsgruppe darzustellen, hielten viele Bauern ihre Vorräte zurück, da sie wegen der instabilen Währung mit einem weiteren Steigen der Preise rechneten335. Nach dem Urteil eines niederbayerischen Beamten vom Juni 1922 interessierten sich die Bauern in seinem Zuständigkeitsbereich weder für die Ernährungssituation in den Städten, noch für staatspolitische Angelegenheiten, sondern nur für den Preis ihrer Produkte336.

Gerade dieses wirtschaftsegoistische Verhalten machte die Abschaffung der Reste der Zwangswirtschaft fragwürdig. Die SPD, die an der Lebensmittelbewirtschaftung schon deshalb festhalten wollte, da sie darin einen notwendigen Schritt auf dem Weg zur sozialistischen Planwirtschaft sah337, sah sich in ihrem Festhalten an der Zwangswirtschaft durch die nachlassende Ablieferungsmoral der Bauern bestätigt338. Während Horlacher die Reste der Zwangswirtschaft für die Lebensmittelteuerung verantwortlich machte, da sie der Landwirtschaft den notwendigen Produktionsanreiz über steigende Preise vorenthielt, war Horlachers Argumentation für den führenden Politiker der bayerischen SPD, Erhard Auer (1874–1945), nur ein „ganz gewöhnlicher agrarischer Schwindel“, weshalb er sich mit Horlacher eine publizistische Auseinandersetzung lieferte339. Der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Joseph Inhofer (1867–1934)340 hatte wegen der mangelhaften Nahrungsmittelversorgung bereits wieder mit einer Revolution gedroht, „die noch nicht richtig dagewesen sei“341. Der soziale Frieden in der Ordnungszelle war also nicht zuletzt wegen der Landwirtschaft gestört und gefährdete deren Stabilität.

Um dem Druck der Landwirte nachzukommen, ohne die innenpolitische Stabilität zu gefährden, machte Horlacher im Wirtschaftsausschuss des Landtages den Vorschlag, den Umlagenpreis auf der Grundlage der Produktionskosten und eines angemessenen Gewinnes

Um dem Druck der Landwirte nachzukommen, ohne die innenpolitische Stabilität zu gefährden, machte Horlacher im Wirtschaftsausschuss des Landtages den Vorschlag, den Umlagenpreis auf der Grundlage der Produktionskosten und eines angemessenen Gewinnes

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