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Horlachers Beitrag zur Radikalisierung der politischen Stimmung im Sommer und Herbst 1923 im Sommer und Herbst 1923

IV. Als Protagonist der Ordnungszelle Bayern (1919–1924)

8. Horlachers Beitrag zur Radikalisierung der politischen Stimmung im Sommer und Herbst 1923 im Sommer und Herbst 1923

Während sich die öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen Bayerischer Landesbauernkammer und bayerischem Landwirtschaftsministerium beruhigten, wurden die politischen Verhältnisse reichsweit durch den so genannten Ruhrkampf erschüttert. Nachdem französische und belgische Truppen zur Erzwingung der deutschen Reparationszahlungen seit Januar 1923 das Ruhrgebiet besetzt hatten, stellte sich Horlacher im Zeichen der dadurch hervorgerufenen nationalistischen Aufwallung voll und ganz hinter den von Reichskanzler Cuno ausgerufenen passiven Widerstand360. Die bäuerliche Bevölkerung Bayerns blieb indes

Füssen und Landau/Isar, 1906 Ernennung zum Regierungsrat bei der Regierung von Unterfranken, seit 1. Juni 1916 Staatskommissar bei der Bayerischen Bodenkreditanstalt in Würzburg, seit 1. Dezember 1916 Staatsanwalt beim bayerischen Verwaltungsgerichtshof, 1917 Übertritt in das bayerische Innenministerium, dort Leiter des Referates für Landwirtschaft und des Referates für Ernährungswesen im bayerischen Innenministerium, seit 1919 Mitglied des Bayerischen Landwirtschaftsrates als Vertreter der bayerischen Staatsregierung, nach der Errichtung des bayerischen Landwirtschaftsministeriums Ernennung zum Staatsrat (3. Januar 1920), 1. Oktober 1929 Versetzung in den Ruhestand. Zu Lang vgl. MNN vom 3. April 1920; Wochenblatt des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern vom 24. Oktober 1929; BayHStA, ML 3201, Fehr an Lang, 22. Juni 1929; STINGLWAGNER, Chronik, 75.

357 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 2, Sitzung am 14. Februar 1923, 189f.

358 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 2, Sitzung am 14. Februar 1923, 205.

359 ACSP, Fraktionssitzungen der BVP Bd. 2, Sitzung am 11. Oktober 1923.

360 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 2, Sitzung am 14. Februar 1923, 188.

weitgehend gleichgültig gegenüber den Vorgängen an der Ruhr361. Nationalistische Organisationen erhielten massiven Zulauf. Erstmals gelang es der NSDAP, durch ihre Auftritte von sich Reden zu machen. Unterstützt vom deutschnationalen Koalitionspartner und dem BV hielt Ministerpräsident Knilling die NSDAP für eine nützliche Kraft im Konflikt mit linken Organisationen. Dagegen plädierten Held und Innenminister Franz Schweyer (1868–1935) für eine klare Abgrenzung gegenüber der NSDAP, deren Umtriebe ihrer Meinung nach die Staatsautorität gefährdeten362. Angesichts des Risses, der wegen der Stellung zur NSDAP durch die BVP ging, gab Horlacher im Landtag am 26. April 1923 eine gewundene Stellungnahme zwischen Ablehnung und Zustimmung ab: „Ich bitte mich nicht mißzuverstehen. Ich sage ausdrücklich: Der vaterländische Gedanke als solcher, das Nationalbewußtsein verdient größtmögliche Unterstützung und überall, wo sich dieser nationale Gedanken selbstlos, neutral, unpolitisch, unparteiisch nur dem Wohle des Vaterlandes dienend, zeigt, ist er eine hocherfreuliche Erscheinung.“ In „solcher Form muß er weitestgehende Unterstützung finden“. Die sozialistischen Elemente im Wirtschaftsprogramm der NSDAP lehnte er jedoch ab, weshalb er sich zu einer Warnung vor der NSDAP als einer

„innerlich sozialistischen Bewegung“ durchrang363.

Trotzdem erblickte Horlacher im Nationalsozialismus einen geeigneten Bündnispartner im Kampf gegen den Sozialismus, wie er im Herbst 1923 anlässlich einer Kundgebung der Landesbauernkammer gegen die Steuerpolitik der Reichsregierung bekannt gab: „Dem Nationalsozialismus stimme er zu, soweit er den Kampf gegen den Sozialismus führe, im übrigen müsse er seine verschwommenen Programmpunkte ablehnen.“364 Horlacher war damit ein Anhänger jener verhängnisvollen „Politik der Wiedergewinnung der guten Kräfte“365, welche die Programmatik der NSDAP faktisch ausblendete und nicht mit dem revolutionären Charakter der NSDAP rechnete, sondern in ihr eine geeignete Organisation zur Unterstützung der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung gegen links erblickte. Denn Horlacher hatte seine Bedenken gegen den Nationalsozialismus zurückgestellt, als sich die innenpolitische Lage nach dem Rücktritt Cunos vom Amt des Reichskanzlers am 13. August 1923 verschärft hatte. Die Finanzierung des Ruhrkampfes hatte die Inflation angeheizt, da dessen Kosten nach dem Willen Cunos durch die Notenpresse gedeckt werden sollten.

Steuerliche Mehrbelastungen für die Wirtschaft wollte er dagegen vermeiden. Aufgrund der finanzpolitischen Katastrophe, zu der sich der Ruhrkampf deshalb entwickelt hatte, trat Cuno zurück366. In Bayern rief die Bildung des neuen Reichskabinetts durch den nationalliberalen

361 Vgl. ZIEMANN, Front, 412.

362 Zur Haltung der BVP zur frühen NSDAP vgl. KEßLER, Held, 489–493; zur Haltung der Bayerischen Mittelpartei zur frühen NSDAP vgl. KIISKINEN, Deutschnationale Volkspartei, 212–216; zur Haltung des BV zur frühen NSDAP vgl. NICHOLLS, Hitler, 111.

363 Verh. d. Bay. Landtags 1920–1924. Sten. Ber. Bd. 8, Sitzung am 26. April 1923, 217f.

364 MP vom 13. September 1923; ferner Bayerisches Bauernblatt vom 18. September 1923.

365 Schweyer zit. nach SCHWEND, Bayern, 206.

366 Zu den Folgen des Ruhrkampfes vgl. WINKLER, Weimar, 188–207.

Politiker Gustav Stresemann (1878–1929) von der DVP wegen der Rückkehr der SPD in das Kabinett größte innen- und wirtschaftspolitische Bedenken hervor367. Horlacher bezeichnete den Sturz Cunos als „Verbrechen“. Von dessen Nachfolger erwartete er sich „die Durchführung des sozialistischen Wirtschaftsprogrammes“368. Stresemann hatte die Folgen des Ruhrkampfes zu bewältigen. Er musste diesen beenden, die Reparationszahlungen wieder aufnehmen, den zerrütteten Haushalt sanieren und die Inflation bekämpfen. All diesen Zwecken sollte eine Steuerreform – die so genannte „Auguststeuergesetzgebung“ – dienen.

Bisher war die bereits durch die Steuerreform Erzbergers drastisch erhöhte Steuerbelastung für die Landwirtschaft erträglich, da die Steuern in entwertetem Geld zu zahlen waren.

Nunmehr sollten die erhöhten Einkommen-, Vermögen- und Umsatzsteuern und einer so genannten Landabgabe als Besitzsteuer in wertbeständiger Goldmark erstattet werden369. Damit der Landabgabe verfolgte die Reichsregierung nicht zuletzt das Ziel, die Landwirte zur Räumung ihrer Scheunen zu zwingen370. Denn Warenhortungen waren ein weit verbreitetes Mittel, mit der sich Landwirte vor der Geldentwertung zu schützen suchten371.

Der BV erhob die Steuerreform Stresemanns zur existentiellen Bedrohung und bereitete die Landwirtschaft auf den Entscheidungskampf vor: „Wir halten es für unsere Pflicht, den bayerischen Mittelstand und die bayerische Landwirtschaft darauf aufmerksam zu machen, daß der marxistische Vernichtungskampf gegen ihren Fortbestand eingesetzt hat; wir fordern sie auf, sich auf den Endkampf vorzubereiten.“372 Schlittenbauer und Horlacher riefen auf einer „großen Protest-Bauernversammlung“ in München am 12. September 1923 zur Steuersabotage auf. Nach dem Versammlungsbericht der sozialdemokratischen Münchner Post prophezeite Schlittenbauer den Sturz Stresemanns und die Bildung einer rein sozialdemokratischen Regierung. Dann sah er den Zeitpunkt für ein eigenständiges Vorgehen Bayerns gegen Berlin für gekommen. Horlacher sekundierte ihm und forderte die Zusammenfassung aller „nationalgesinnten Kräfte“ einschließlich der Nationalsozialisten zu einer „geschlossenen Einheitsfront des deutschen Volkes, in die nie der Sozialismus einbegriffen sein könne“373.

In der Landtagsfraktion verlangte Schlittenbauer am 20. September 1923 die Einsetzung eines „Sicherheitskommissars“ und verknüpfte diese Forderung mit dem Appell an die bayerische Staatsregierung, die bayerische Landwirtschaft vor der Einhebung der Reichssteuern zu schützen374. Entsprechend groß waren die steuerpolitischen Hoffnungen des BV auf den am 26. September durch die bayerische Staatsregierung eingesetzten

367 Vgl. SCHWEND, Bayern, 209f.; ferner KIISKINEN, Deutschnationale Volkspartei, 216f.

368 ACSP, Fraktionssitzungen der BVP Bd. 2, Sitzung am 5. September 1923.

369 Zur „Auguststeuergesetzgebung“ vgl. SCHUMACHER, Land, 276f.; BERGMANN, Bauernbund, 208–210.

370 Vgl. SCHUMACHER, Land, 289–293.

371 Vgl. SCHUMACHER, Land, 183; ZIEMANN, Front, 348.

372 Bayerisches Bauernblatt vom 4. September 1923.

373 MP vom 13. September 1923; ferner Bayerisches Bauernblatt vom 18. September 1923.

374 ACSP, Fraktionssitzungen der BVP Bd. 2, Sitzung am 20. September 1923.

Generalstaatskommissar Kahr, der die von linken und rechten Gruppierungen gefährdete Staatsautorität aufrechterhalten sollte375. Am 2. Oktober 1923 drückte die Landtagsfraktion der BVP die Hoffnung auf eine „gerechtere und vernünftigere Verteilung der steuerlichen Lasten“ aus, als sie Kahr und Ministerpräsident Knilling ihr Vertrauen aussprach. Gleichzeitig kündigte Schlittenbauer den passiven Widerstand der Landwirtschaft gegen die Reichssteuern an376. Horlacher wollte mit dem Steuerstreik den Zusammenbruch der Reichsfinanzverwaltung herbeiführen377. Um dafür vorbereitet zu sein, wurde eine Fraktionskommission eingesetzt, welche der Staatsregierung Vorschläge zur Errichtung einer eigenen, vom Reich unabhängigen Steuerverwaltung machen sollte, zu deren Mitgliedern Horlacher zählte378. – Horlacher unterstützte Kahrs partikularistischen Konfrontationskurs mit der Reichsregierung vorbehaltlos.

Als die Höhepunkte von Inflation und innenpolitischer Krise im Sommer 1923 zusammenfielen – die Kommunisten gewannen im Sommer 1923 zahlreiche Anhänger, Putschgerüchte von rechts wurden kolportiert379 –, war es der verständliche Wirtschaftsegoismus der Bauern gemeinsam mit der antisozialistischen Phraseologie des BV, welche die krisenhafte Stimmung noch verschärften380. Die politischen Repräsentanten der bayerischen Landwirtschaft hatten sich aufgrund ihrer Agitation gegen die Reichssteuern zu destabilisierenden Faktoren der innenpolitischen Lage entwickelt, als Kahr die Kontrolle über die nationalistischen Wehrverbände und rechtsradikalen Parteien verlor. Hatte sich Held durch die Ernennung Kahrs die Eindämmung der nationalsozialistischen Bewegung erhofft, da dieser als besonderer Vertrauensmann der nationalistischen Kampfverbände galt, wurden seine Hoffnungen nun jäh enttäuscht. Die von Kahr angeordnete Außerkraftsetzung des

„Republikschutzgesetzes“ vom 21. Juli 1922 hatte die Hoffnungen der NSDAP auf einen erfolgreichen Putsch noch genährt381, weshalb Kahrs Ordnungszellenpolitik eine wesentliche Voraussetzung für den Hitlerputsch vom 8. und 9. November 1923 darstellte.

375 Zur Ernennung Kahrs zum Generalstaatskommissar vgl. KEßLER, Held, 493–599; KIISKINEN, Deutschnationale Volkspartei, 216–221. Vgl. auch den Aufruf der bayerischen Regierung anlässlich der Bestellung des Generalstaatskommissars vom 26. September 1923, in: Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern Bd. III/2, 210f.

376 ACSP, Fraktionssitzungen der BVP Bd. 2, Sitzung am 2. Oktober 1923.

377 ACSP, Fraktionssitzungen der BVP Bd. 2, Sitzung am 10. Oktober 1923.

378 ACSP, Fraktionssitzungen der BVP Bd. 2, Sitzung am 19. Juli 1923.

379 Zur angespannten innenpolitischen Lage in Bayern im Vorfeld des Hitlerputsches vgl. SCHWEND, Bayern, 205–214.

380 Vgl. dazu BERGMANN, Bauernbund, 210f.

381 Zum Generalstaatskommissariat Kahrs vgl. KEßLER, Held, 502–506; KIISKINEN, Deutschnationale Volkspartei, 216–235.

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