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Propaganda für die Einwohnerwehren

IV. Als Protagonist der Ordnungszelle Bayern (1919–1924)

3. Propaganda für die Einwohnerwehren

Zur Bewältigung des Revolutionstraumas wurde die autoritäre Aufrechterhaltung innenpolitischer Stabilität zum obersten Ziel der gegen das linke politische Spektrum gerichteten „Ordnungszelle Bayern“ erklärt. Diesem Ziel sollte die von Forstrat Dr. Georg

150 Bayerisches Bauernblatt vom 6. September 1921.

151 HORLACHER, Bauernkammern (30. August 1920), 2.

152 Zur Allgäuer Butter- und Käsebörse vgl. LEICHTLE, Butter- und Käsebörse, 353–409.

153 Er hoffte, mit ihrer Hilfe die Abkehr von der Milchbewirtschaftung „in geordnete Bahnen zu lenken“ und Konjunkturgewinne des Handels vermeiden zu können (Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 2, Sitzung am 23. Juni 1922, 127).

154 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 2, Sitzung am 23. Juni 1922, 127.

155 So meinte Balthasar Eichner (1871–1940) im April 1926, dass „große Irrtümer sich eingestellt haben, nämlich vielfach die Begriffsverquickung, daß Landwirtschaftsministerium und Bauernkammern ein und dasselbe wäre, nämlich eine Berufsvertretung“ (Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 3, Sitzung am 24.

April 1926, 5–8). Eichner war praktischer Landwirt in Jasberg und Bauernvereinspolitiker, katholisch, geboren am 25. November 1871 in Rettenbach (Bezirksamt Wasserburg), 1894 Übernahme des elterlichen Bauernhofes, 1906 Gründer des Vereins der Milchproduzenten des bayerischen Oberlandes, 1911 Gründer des Verbandes der Milchproduzentenvereinigungen von München und Umgebung, als „Milchbauernführer“ bezeichnet, 1919 bis 1924 MdL für die BVP, als Zweiter Schriftführer Mitglied der Landesvorstandschaft der BVP, 1920 bis 1933 Mitglied der Bayerischen Landesbauernkammer, Präsident der Kreisbauernkammer Oberbayern, 1933 Verlust aller Ehrenämter, gestorben am 2. Juni 1940. Zu Eichner vgl. LUIBLE, Vertretung, 28; BayHStA ML 2433, Melchner an Wutzlhofer, 15. März 1923.

Escherich (1870–1941)156 angestoßene Errichtung von Einwohnerwehren dienen157, die nicht nur als ländliche Selbstschutzorganisationen dienen sollten. Vielmehr wollte sie Escherich auch außerhalb der Dörfer im politischen Kampf gegen sozialistische Organisationen einsetzen, um „die Großstädte auszumisten“158. Da es während der Räterepublik vereinzelt zu Übergriffen auf landwirtschaftliches Eigentum gekommen war, interessierte sich Heim für die Pläne Escherichs. Nachdem es diesem gelungen war, Heim zu gewinnen159, konnte auch der Präsident des mit Heims Bauernvereinen konkurrierenden Bundes der Landwirte in Bayern, Luitpold Weilnböck (1865–1944)160, nicht abseits stehen. Als weitere prominente Agrarpolitiker konnte er Horlacher als Repräsentant des Zweckverbandes der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns und Schlittenbauer als Repräsentant des BV zur Unterstützung der Einwohnerwehren gewinnen161. Dabei ermutigte Heim seine Mitarbeiter zum Engagement für die Einwohnerwehren162.

Horlacher wurde aktiv, als er im Namen des Zweckverbandes der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns die in Bamberg weilende Regierung in der politisch instabilen Lage nach der gewaltsamen Niederschlagung der Münchner Räterepublik am 16. Mai 1919 aufforderte, die Bauern zu bewaffnen163. Die Forderung nach Bauernwehren führte zu einer

156 Forstexperte, katholisch, geboren am 4. Januar 1870 als Sohn eines Fabrikbesitzers in Schwandorf, humanistisches Gymnasium in Regensburg, Promotion im Fach Forstwissenschaft, Übertritt in den bayerischen Forstdienst, Leiter der Waldbauschule Kaufbeuren, 1915 Leiter der Militärforstverwaltung in Bielawicz, 1919 bis 1931 Leiter des Forstamtes Isen, 1919 Landeshauptmann der bayerischen Einwohnerwehren, Mitglied der BVP, 1920 Leiter der republikfeindlichen Orgesch (Organisation deutscher und österreichischer Einwohnerwehren zur Bekämpfung des Sozialismus), 1921 von der Bayerischen Staatsforstverwaltung in den Vorläufigen Reichswirtschaftsrat delegiert, 1929 Leiter der monarchistisch-partikularistischen Wehrorganisation Bayerischer Heimatschutz, gestorben am 26. August 1941. Zu Escherich vgl. NUßER, Wehrverbände.

157 Zur Entstehung der Einwohnerwehren vgl. NUßER, Wehrverbände, 77–85; BERGMANN, Bauernbund, 110–

119; FENSKE, Konservativismus, 76–112; LARGE, Politics; SPECKNER, Ordnungszelle, 101–111; ZIEMANN, Front, 394–413.

158 ESCHERICH, Bauer, 8f. Vgl. dazu auch NUßER, Wehrverbände, 91–95.

159 BayHStA-KriegsA, HS 920–924, Kurt Schober, Geschichte des Landesverbandes der Einwohnerwehren Bayerns und seiner Landesleitung 1918/22 Bd. 1, 66a–66b. Der Quellenwert von Schobers maschinenschriftlichem Manuskript resultiert aus der Tatsache, dass er selbst Mitglied der Landesleitung der Einwohnerwehren war.

160 Gutspächter, katholisch, geboren am 19. Februar 1865 in Vilshofen, mittlere landwirtschaftliche Ausbildung, anschließend Landwirtschaftsbeamter, dann Pächter des Rittergutes Hummendorf im Bezirksamt Stadtsteinach, 1893 Gründungsmitglied des Bundes der Landwirte in Bayern, 1905 bis 1911 MdL für den Bund der Landwirte, 1912 bis 1918 MdR für die Deutschkonservative Partei, 1919/1920 Mitglied der Nationalversammlung in Weimar für die Bayerische Mittelpartei bzw. DNVP, ab 1919 Mitglied des Reichsvorstandes der DNVP und des Landesvorstandes der Bayerischen Mittelpartei bzw. DNVP, 1920 bis 1928 und 1930 bis 1932 MdR, Mitglied der Kreisbauernkammer Oberfranken, Mitglied der Bayerischen Landesbauernkammer, 1918 bis 1928 und 1930 bis 1933 Vorsitzender des Bundes der Landwirte in Bayern bzw. des Bayerischen Landbundes, gestorben am 21.

Dezember 1944 in Schillingsfürst. Zu Weilnböck vgl. LUIBLE, Vertretung, 68; KITTEL, Weimar, 181f.; LILLA, Landtag, 202.

161 Eine Liste der von Escherich zur Unterstützung der Einwohnerwehren gewonnenen Persönlichkeiten findet sich in: BayHStA-KriegsA, HS 920–924, Kurt Schober, Geschichte des Landesverbandes der Einwohnerwehren Bayerns und seiner Landesleitung 1918/22 Bd. 1, 66b–66c.

162 BayHStA-KriegsA, Einwohnerwehren Bd. 3/1a, Klier an Escherich, 17. Juli 1919.

163 Mitteilungen des ZlK vom 16. Mai 1919.

engen Zusammenarbeit zwischen Horlacher und der Landesleitung der Einwohnerwehren164. Als Geschäftsführer des Dachverbandes sämtlicher maßgeblicher landwirtschaftlicher Organisationen in Bayern mit Ausnahme des BBB wurde ihm von Escherich eine große Bedeutung für den Erfolg der Einwohnerwehren beigemessen. Horlachers Aufgabe bestand darin, „gemeinsam für alle landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns“ die Werbung für die Einwohnerwehren zu übernehmen165. Dabei bewegte sich Horlacher in dem für die Ordnungszelle Bayern charakteristischen „Halbdunkel von Sitzungen“166, welche nur für die leitenden Personen der Einwohnerwehren zugänglich waren. Bei einem von Gustav von Kahr – damals noch oberbayerischer Regierungspräsident – geleiteten Zusammentreffen führender Personen der Einwohnerwehren wurde Horlacher am 9. Juli 1919 von Escherich nochmals um

„weitgehendste Unterstützung vor allem durch Propaganda auf dem Lande und Vorbereitung des Bodens in Mittel- und Nordbayern“ gebeten, was er auch bereitwillig zusagte167. Nicht zuletzt aufgrund Horlachers Werbetätigkeit besaß der am 27. September 1919 gegründete Landesverband der Einwohnerwehren überwiegend ländlichen Charakter168. Anfang November 1919 wurde Schlittenbauer von Escherich informiert, dass die Organisation der Einwohnerwehren nun abgeschlossen sei und über 200.000 Mann in Bayern bewaffnet seien.

Nun, so Escherich, habe „Spartakus sein Spiel in Bayern verloren“169.

Eine gefährliche Zuspitzung der angespannten innenpolitischen Lage brachte der am 17. März 1920 erfolglos beendete monarchistische Kapp-Putsch, in dessen Verlauf die Einwohnerwehren eine zwielichtige Rolle spielten. Daraufhin war die Entente nicht mehr bereit, die Umtriebe der paramilitärischen Einwohnerwehren, die den Bestimmungen des Versailler Vertrages widersprachen, länger hinzunehmen170. Bereits am 12. März 1920 war bei der Reichsregierung eine ultimative Note der Entente eingetroffen, in der die Entwaffnung und Auflösung der Einwohnerwehren bis zum 10. April 1920 gefordert wurde. Es begann nun eine über ein Jahr lang dauernde Auseinandersetzung um die Entwaffnung und Auflösung der Einwohnerwehren. Denn Kahr, der nach dem Rücktritt Hoffmanns am 16. März 1920 auf Betreiben Heims zum Ministerpräsident gewählt worden war171, stellte sich demonstrativ hinter die Einwohnerwehren. Um Maßnahmen gegen den Entwaffnungskommissar der Reichsregierung zu besprechen, traf sich die Landesleitung der Einwohnerwehren am 12.

164 BBV-Herrsching, Landwirtschaftlicher Verein KC/Unterfranken 1.667, Generalversammlung des Zweckverbandes der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns am 13. April 1920; PIX, Organisation, 128.

165 BayHStA-KriegsA, Einwohnerwehren Bd. 3/1a, Schlittenbauer an Escherich, 4. Juli 1919.

166 Philipp Loewenfeld zit. nach Recht und Politik in Bayern, 385.

167 BayHStA-KriegsA, Einwohnerwehren Bd. 3/1a, Sitzung der oberbayerischen Einwohnerwehren am 9. Juli 1919.

168 Zum ländlichen Charakter der Einwohnerwehren vgl. NUßER, Wehrverbände, 106; BERGMANN, Bauernbund, 110–119.

169 BayHStA-KriegsA, Einwohnerwehren Bd. 3/1a, Escherich an Schlittenbauer, 7. November 1919.

170 Vgl. NUßER, Wehrverbände, 130–136.

171 Hoffmann war zurückgetreten, da er die durch den Kapp-Putsch ausgelöste und von seinem Kabinett mehrheitlich akzeptierte Forderung nach Übertragung der vollziehenden Gewalt auf das Militär nicht akzeptieren wollte. Zur Regierungsübernahme durch Kahr vgl. KEßLER, Held, 384–388; SCHWARZ, Zeit, 454–457.

April 1920 mit den Repräsentanten der für zuverlässig gehaltenen Agrarverbände – es fehlte also der BBB. Vom Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns war Horlacher anwesend, vom Bund der Landwirte Weilnböck und vom Bayerischen Christlichen Bauernverein Schlittenbauer und Michael Melchner (geb. 1871)172. Um für den Fall eines Generalstreiks als Antwort der Gewerkschaften auf die Abwehrmaßnahmen gegen den Entwaffnungskommissar vorbereitet zu sein, wurden die Vorarbeiten zu einem Lieferstreik besprochen. Zwei Streikleitungen sollten die Lebensmittellieferungen in die Großstädte unterbinden. Für die Absperrung Münchens übernahm Horlacher die Vorbereitungen, für diejenige Nürnbergs war Brügel verantwortlich. Ein bewaffneter Schutz von Horlachers Büro durch die Einwohnerwehr wurde vorbereitet173. Noch am selben Tag rief der Zweckverband der landwirtschaftlichen Körperschaften Bayerns die Öffentlichkeit auf, der Auflösung der Einwohnerwehren „mit allen Mitteln“ entgegenzutreten, wobei der antisozialistische Charakter der Einwohnerwehren klar angesprochen wurde: „Unsere Einwohnerwehren sind notwendig zum Schutz der Heimat und der Arbeit, zur Abwehr von Plünderung und Klassenherrschaft.“ Der Reichsregierung wurde bedeutet, dass die unterzeichneten Organisationen zum Lieferstreik fest entschlossen seien174. Da Horlacher die Einwohnerwehren zur Aufrechterhaltung der innenpolitischen Stabilität für notwendig hielt, war er bereit, ihren Erhalt mit dem Druckmittel des Lieferstreiks zu erpressen – während er sich gegen Küblers (BBB) wirtschaftlich motivierten Aufruf zum Lieferstreik vom August 1919175 gewehrt hatte, da er darin keine staatserhaltende Absicht erblickte, sondern eine innenpolitisch destabilisierende Wirkung befürchtete. Diese hätte sich aber auch jetzt eingestellt. Horlacher maß hier eindeutig mit zweierlei, parteipolitisch motiviertem Maß – wenn ihm dies auch selbst nicht bewusst gewesen sein dürfte. Schließlich wurde das Vorhaben des Lieferstreiks zur Unterstützung gewaltsamer Maßnahmen der Einwohnerwehren fallen gelassen176. Letztlich erwies es sich als zweckmäßiger, den Entwaffnungskommissar einfach zu täuschen, wodurch die Entwaffnungsaktion zu einer Farce wurde177.

172 Bauernvereinsfunktionär, katholisch, geboren 1871, seit 1906 für den BV in Oberbayern tätig, 1907 bis 1933 Herausgeber des Bayerischen Bauernblattes – des Organs des Bayerischen Christlichen Bauernvereins, 1915 bis 1933 hauptamtlicher Kreissekretär des BV in Oberbayern, bis 1933 zusätzlich Dritter (ehrenamtlicher) Vorsitzender des BV, Ernennung zum Landesökonomierat, Verleihung des Ritterkreuzes des St. Silvesterordens durch Papst Pius XI., Ehrenmitglied sämtlicher Kreisvereine des Bayerischen Christlichen Bauernvereins, 1933 Verlust der beruflichen und ehrenamtlichen Stellung. Zu Melchner vgl. Bayerisches Bauernblatt vom 28. April 1931; BERGMANN, Bauernbund, 35–38; BRAUN, Existenz, 49.

173 BayHStA-KriegsA, Einwohnerwehren Bd. 2/10, Besprechung bei der Landesleitung der Einwohnerwehren am 12. April 1920. Zu dieser Sitzung vgl. NUßER, Wehrverbände, 208.

174 BK vom 12. April 1920.

175 Vgl. Kapitel IV.1.

176 Ob der Lieferstreik deshalb nur als leere Drohung zu sehen ist, kann angesichts der Quellenlage nicht entschieden werden. Vgl. die Diskussion bei ZIEMANN, Front, 410 und BERGMANN, Bauernbund, 115f.

177 Vgl. NUßER, Wehrverbände, 136–139.

Nach dem Rechtsruck bei der Landtagswahl am 6. Juni 1920 war die BVP bereit, Kahrs „entschiedene Politik im Sinne der Erhaltung von Ruhe und Ordnung“178 mit Hilfe der Einwohnerwehren fortzusetzen. Aber der Druck der Entente wuchs. Kahr lehnte jedoch die Auflösung der Einwohnerwehren kategorisch ab179. Unterstützung bekam er von der Landesbauernkammer. Diese fasste am 6. November 1920 auf Anregung Heims den einstimmigen Beschluss, an den Einwohnerwehren unbedingt festhalten zu wollen. Sie wurden als unerlässliche „Selbstschutz-Organisation gegen Umsturz und Gewalttätigkeit, Raub und Plünderung“ bezeichnet180. Damit entsprach die Landesbauernkammer einem echten Wunsch der Bauern, welche Plünderungen als Folge der Auflösung der Einwohnerwehren fürchteten181. Nachdem sich Kahr aber dem Druck der Entente nicht mehr entziehen konnte, legte Escherich am 27. Juni 1921 seine Ämter nieder. Nach wenigen Tagen erfolgte die offizielle Auflösung der Einwohnerwehren durch das Reich182. Für die politischen Zwecke Escherichs hatten sich die ländlichen Einwohnerwehren ohnehin nie geeignet, da sich die bäuerlichen Mitglieder zwar für den Schutz ihres Eigentums interessierten, sich jedoch für jeden überörtlichen Einsatz als ungeeignet erwiesen183.

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