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Der „Bauerndoktor“ – Horlacher als Angehöriger der Führungsspitze des Bayerischen Christlichen Bauernvereins Bayerischen Christlichen Bauernvereins

Horlacher als Angehöriger der Agrarelite Bayerns

2. Der „Bauerndoktor“ – Horlacher als Angehöriger der Führungsspitze des Bayerischen Christlichen Bauernvereins Bayerischen Christlichen Bauernvereins

Horlachers geisteswissenschaftlich-nationalökonomisches Studium und seine hauptamtliche Anstellung als Agrarfunktionär bei gleichzeitigem Überschreiten der Grenze zwischen haupt- und ehrenamtlicher Betätigung sind – wie hier zu zeigen sein wird – Kennzeichen einer Agrarelite, die für den Bayerischen Christlichen Bauernverein charakteristisch war und deren

95 StadtA Regensburg, NL Heim 1220, Horlacher an Heim, 23. Juli 1921.

96 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 2, Sitzung am 6. Oktober 1922, 178.

97 BayHStA, NL Horlacher 1.2, Gutachten von Dr. med. Karl Senger, 23. Mai 1933.

98 ACDP, NL Horlacher I-129-001, Horlacher an Franz Demmel, 9. Dezember 1929.

99 Bauernvereinsfunktionär und Journalist, katholisch, geboren am 2. Oktober 1882 als Sohn eines Kleinbauern in Prächting (Oberfranken), Besuch einer Mittelschule, Mitarbeiter Heims in der LZG in Ansbach bzw.

Regensburg, seit 1904 Redakteur der Bauernvereinszeitung Der fränkische Bauer, 1905 bis 1933 Sekretär (bzw.

ab 1918 Direktor) des unterfränkischen BV, bis 1931 Zweiter Schriftführer im Präsidium des BV, 1919 bis 1921 MdL für die BVP, 1920 bis 1933 Mitglied der Kreisbauernkammer Unterfranken und der Bayerischen Landesbauernkammer, Mitglied der Vorstandschaft der Vereinigung der deutschen Bauernvereine, 1928 Ernennung zum Landesökonomierat auf persönliches Einschreiten von Ministerpräsident Held (BayHStA, ML 2435, MA an Fehr, 7. Dezember 1928), 1933 Schutzhaft, Verlust der beruflichen Stellung und der Ehrenämter, 1945 Gründungsmitglied des BBV, 1945/1946 Direktor des BBV in Unterfranken, 1946 Übertritt in den Bayerischen Landwirtschaftsverlag, gestorben am 26. September 1953. Zu Kropp vgl. Bayerischer Bauernvereins-Kalender 26 (1931), 95f.; BLW vom 27. April 1946; BLW vom 4. Oktober 1952; SCHUMACHER, M.d.L., 697; RATJEN, Bauernkammern, 180; BERGMANN, Bauernbund, 383.

100 BBV-Generalsekretariat, Akt Gründung, Entwurf zum Protokoll zur Gründungsversammlung des Bayerischen Bauernverbandes am 7. September 1945.

Angehörige von den Zeitgenossen als „Bauerndoktoren“ bezeichnet wurden. Das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt bezeichnete Horlacher am 19. Oktober 1957 kurz nach seinem Tod als einen „Mann aus der Reihe der Bauerndoktoren, die, ohne selbst Bauer zu sein, die Sorgen und Anliegen dieses Standes genau kannten und dafür nicht nur in den Parlamenten kämpften, sondern auch bei den anderen Ständen Verständnis hierfür zu wecken vermochten“101. Dabei bezeichnete sich Horlacher auch selbst als „gewachsener Bauerndoktor“102.

Um die Stellung der „Bauerndoktoren“ als Agrarelite innerhalb des vielgestaltigen und zersplitterten landwirtschaftlichen Organisationswesens in Bayern zu verstehen, ist ein Blick auf dessen Entwicklung unter dem Gesichtspunkt des Elitenwandels nötig. Der bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus das landwirtschaftliche Organisationswesen beherrschende Landwirtschaftliche Verein in Bayern widmete sich vor allem der produktionstechnischen Förderung der Landwirtschaft. Er stützte sich überwiegend auf die ehrenamtliche Geschäftsführung durch staatliche Beamte, da er seine politische Legitimation im noch agrarischen Bayern aus der Identität der Interessen von Staat und Landwirtschaft bezog103. Als Reaktion auf den Kulturkampf entstanden dann so genannte Patriotische Bauernvereine, deren bekanntester und dauerhaftester der Bayerisch-Patriotische Bauernverein von Tuntenhausen war. Diese Bauernvereine hatten sich vor allem die Vertretung der kulturpolitischen Interessen des katholischen Landvolks verschrieben und wurden von Klerikern, dezidiert katholischen Adeligen und Abgeordneten der Bayerischen Patriotenpartei ehrenamtlich geführt104. Zur gleichen Zeit löste sich die Interessenidentität zwischen agrarischen und staatlichen Interessen mit der zunehmenden Industrialisierung immer mehr auf. Es entstand die Notwendigkeit, landwirtschaftliche Interessen auch gegen den Staat vertreten zu müssen. Im Protest gegen die industriefreundliche Wirtschaftspolitik des Reichskanzlers Leo von Caprivi (1831–1899) wurde 1893 in Berlin der Bund der Landwirte als bürokratisch organisierte und stark zentralisierte Massenbewegung gegründet. Da sich der Bund der Landwirte als dauerhafte Interessenvertretung zur wirtschaftspolitischen Beeinflussung von Presse sowie staatlicher und kommunaler Verwaltung verstand, wurde die bisherige Honoratiorenverwaltung erstmals bei einer landwirtschaftlichen Interessenvertretung weitgehend durch bezahlte Berufsarbeit ersetzt. Neben die adeligen Honoratioren, die das Erscheinungsbild des Bundes der Landwirte nach außen prägten, trat

101 BLW vom 19. Oktober 1957.

102 BBV-Generalsekretariat, Akt Landesversammlungen 1956–1957, Landesversammlung am 10. November 1956.

103 Zur Geschichte des Landwirtschaftlichen Vereins in Bayern vgl. BAUER, Organisation, 28–75; LAUERBACH, Landwirtschaft, 118; HARRECKER, Verein.

104 Zu den Patriotischen Bauernvereinen vgl. HARTMANNSGRUBER, Bayerische Patriotenpartei, 59–71; PUHLE, Agrarbewegungen, 58–60.

der Berufsfunktionär als neuer Typ des Interessenvertreters105. Trotz eines hohen bäuerlichen Mitgliederanteils stellte der Bund der Landwirte und der ihn in der Weimarer Republik beerbende Reichslandbund den „interessenpolitischen Zusammenschluss der unternehmerischen Großlandwirtschaft“106 dar. In Bayern besaß der Bund der Landwirte entsprechend der landwirtschaftlichen Struktur Bayerns jedoch vorwiegend bäuerlichen Charakter und entwickelte sich aufgrund des dezidiert katholischen Charakters des Bayerischen Christlichen Bauernvereins zur Interessenvertretung der bäuerlichen Landwirtschaft im protestantischen Franken107.

Aufgrund der Skepsis gegen den großagrarischen Bund der Landwirte entstand mit dem ab 1893 sich ausbreitenden Bayerischen Bauernbund (ab 1922: Bayerischer Bauern- und Mittelstandsbund) in Altbayern eine eigenständige Protestbewegung gegen die expansive Sozialpolitik und industriefreundliche Handelspolitik des Reiches. Da diese Politik aus parteipolitischen Erwägungen vom Zentrum als der Partei des politischen Katholizismus unterstützt wurde, besaß der BBB seinen Schwerpunkt im katholischen Altbayern. Indem sich diese Protestbewegung von der Partei des politischen Katholizismus abwandte, wandte sie sich auch von deren klerikalen, adeligen und bürgerlichen Eliten ab. Die Organisationsstruktur des BBB war von dem Postulat geprägt, nur praktische Landwirte zur landwirtschaftlichen Interessenvertretung zuzulassen. Der BBB war deshalb ein von Honoratioren geführter Verband108 – wie es Franz Wieland (1850–1901)109 anlässlich der Gründung des Bundes niederbayerischer Landwirte am 10. April 1893 in Straubing gefordert hatte: „Wir wollen keine Grafen, Beamten, Doktoren und Professoren als Abgeordnete mehr, sondern Bauern.“110 Um die Abwanderung bäuerlicher Wähler zum BBB aufzuhalten, forcierte die Bayerische Zentrumspartei die Errichtung von Christlichen Bauernvereinen.

Während die führenden Personen im BBB das „Interesse des einzelnen bäuerlichen Unternehmers als letzte Motivationsebene für ihr politisches Handeln“111 betrachteten, sahen sich die Christlichen Bauernvereine über die bloße wirtschaftspolitische Interessenvertretung hinaus auch als kultur- und gesellschaftspolitische Interessenvertretung des katholischen Landvolkes. Während der BBB als eigenständige Partei antrat, lehnten sich die Christlichen

105 Zur Entstehung des Bundes der Landwirte vgl. WEBER, Wirtschaft (Teilband 4), 202; PUHLE, Agrarbewegungen, 63–68; ULLMANN, Interessenverbände, 85–94.

106 KLUGE, Agrarwirtschaft, 87.

107 Zum Bund der Landwirte in Bayern vgl. HELLER, Bund der Landwirte; BAUER, Organisation, 102–129;

LAUERBACH, Landwirtschaft, 146–153; HUNDHAMMER, Berufsvertretung, 56–68.

108 Zur Gründung des BBB vgl. BAUER, Organisation, 130–141; LAUERBACH, Landwirtschaft, 162–165;

HUNDHAMMER, Geschichte; HAUSHOFER, Bauernbund, 166–171; HOCHBERGER, Bauernbund, 69–82.

109 Landwirt und Güterhändler, geboren am 20. Oktober 1850 als Sohn eines Bauern, führender Politiker des niederbayerischen Bauernbundes, 1897 bis 1899 Mitglied der Kammer der Abgeordneten des Bayerischen Landtages, gestorben am 17. September 1901. Zu Wieland vgl. HOCHBERGER, Bauernbund, 50f.

110 Wieland zit. nach Johann RIBLINGER, Radikalmittel, 48.

111 BERGMANN, Bauernbund, 94.

Bauernvereine an die jeweilige Partei des politischen Katholizismus an112. Da sich die Christlichen Bauernvereine im Unterschied zum BBB nicht nur auf agrarpolitische Agitation beschränkten wollten, sondern die Integration der Landwirtschaft in ein zunehmend von der Industrie dominiertes Wirtschaftssystem über einen umfangreichen Steuer- und Betriebsberatungsapparat sowie die forcierte Gründung landwirtschaftlicher Genossenschaften zu bewerkstelligen suchten, war die Organisationsstruktur des Bayerischen Christlichen Bauernvereins durch eine hauptamtliche Führung gekennzeichnet113. Die Geschäftsführung der Christlichen Bauernvereine war hauptamtlichen Funktionären übertragen, während ehrenamtliche Honoratioren die Repräsentation übernahmen. Dabei bestand über diese Aufgabenverteilung im BV kein Zweifel: 1932 hieß es im Bayerischen Bauernblatt, dem Organ des BV, dass der geschäftsführende „Bezirksbeamte“ „für die Mitglieder des Bauernvereins die Führung hat“114. Und der Bauernvereinsmitarbeiter Alois Hundhammer hatte die „Verbürokratisierung“ der Landwirtschaft in seiner volkswirtschaftlichen Dissertation im Jahr 1926 als Notwendigkeit bezeichnet, denn es müsse den Bauern „vorgearbeitet werden von Leuten mit der erforderlichen Schulung“115.

Dagegen führte die Elitenrekrutierung des BBB zu einer dauerhaftern organisatorischen Unterlegenheit gegenüber dem BV. Das Postulat der ehrenamtlichen Führung entwickelte sich im BBB zu einer organisationspolitischen Ideologie und verhinderte die Errichtung eines effizienten bürokratischen Verbandsapparates116. Während im BBB erst seit dem 1. Februar 1919 ein Hauptgeschäftsführer als Spitzenfunktionär bestellt wurde117, besaß der BV seit 1898 ein Generalsekretariat118. Dem BBB gelang es deshalb im Gegensatz zum BV nicht, ein flächendeckendes Netz von Kreis- und Bezirkssekretariaten aufzubauen119. Den im BBB tonangebenden praktischen Landwirten fehlte es an der für die Ausübung von organisatorischen Führungsaufgaben notwendigen Zeit und Bildung120 – nicht jedoch an

112 Zur Errichtung der Christlichen Bauernvereine vgl. BAUER, Organisation, 76–101; LAUERBACH, Landwirtschaft, 131–145; HUNDHAMMER, Berufsvertretung, 34–56; HOCHBERGER, Bauernbund, 66f.;

BERGMANN, Bauernbund, 30–32.

113 Vgl. BERGMANN, Bauernbund, 162–166. Zum Dienstleistungsangebot des BV vgl. HEIM – ZAHNBRECHER, Bauernverein; ZAHNBRECHER, Landwirtschaftliche Vereine, 24–27; LAUERBACH, Landwirtschaft, 149–151.

114 Bayerisches Bauernblatt vom 16. Februar 1932.

115 HUNDHAMMER, Berufsvertretung, 104. Während der Inflation betonte der BV im Bayerischen Bauernblatt vom 29. August 1922: „Der Bauernverein hat Beamte, er muß sie haben, weil sie Euch Ratgeber sind und die Geschäfte des Vereins besorgen; wir müssen sie entsprechend der Teuerung bezahlen, damit sie nicht Hunger leiden müssen.“

116 Der BBB bot deshalb sogar Rechtsberatung an, ohne Juristen anzustellen. Vgl. ZAHNBRECHER, Landwirtschaftliche Vereine, 27–29. Vor 1925 soll der Bauernbund nur einen einzigen hauptamtlichen Angestellten beschäftigt haben. Vgl. THRÄNHARDT, Wahlen, 144f.

117 Zur hauptamtlichen Organisation des BBB vgl. BERGMANN, Bauernbund, 26f.

118 Vgl. BERGMANN, Bauernbund, 34–38.

119 Vgl. HOCHBERGER, Bauernbund, 131–163; BERGMANN, Bauernbund, 25–27.

120 Der Bauernbundspolitiker Georg Eisenberger beklagte sich bereits in der Frühphase des BBB, dass ihm die verbandspolitische Arbeit neben seiner praktischen landwirtschaftlichen Tätigkeit über den Kopf zu wachsen begann (EISENBERGER, Eisenberger, 19). Der dem BV nahe stehende Alois Hundhammer urteilte deshalb in seiner Dissertation diffamierend überspitzt, aber im Kern zutreffend, dem BBB „mangelte es überhaupt an Persönlichkeiten von entsprechendem Weitblick und notwendiger Schulung“ (HUNDHAMMER, Geschichte, 216).

agitatorischem Talent, das zur Mitgliederbindung angesichts der mangelhaften Organisation umso notwendiger war. Werden die Organisationen von BV und BBB miteinander verglichen, so zeigt sich die von Max Weber konstatierte Überlegenheit einer bürokratischen Verwaltung über Honoratiorenverwaltungen: „Ein voll entwickelter bürokratischer Mechanismus verhält sich zu diesen genau wie eine Maschine zu den nicht mechanischen Arten der Gütererzeugung. Präzision, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung, Ersparnisse an Reibungen, sachlichen und persönlichen Kosten sind bei streng bürokratischer, speziell: monokratischer Verwaltung durch geschulte Einzelbeamte gegenüber allen kollegialen oder ehren- und nebenamtlichen Formen auf das Optimum gesteigert.“121

Dabei wurde die Tendenz zur bürokratischen Führung im BV dadurch verstärkt, dass sich die Grenze zwischen hauptamtlichen Funktionen und ehrenamtlichen Repräsentationsaufgaben zunehmend verwischte, seit Hauptamtliche vermehrt ehrenamtliche Positionen übernahmen122. Neben der zeitlichen Beanspruchung durch die Betriebsführung war es wohl nicht zuletzt eine gewisse Einsicht in die beschränkten administrativen Organisations- und Führungsfähigkeiten der Bauern, die dazu führten, dass in dem sechsköpfigen Präsidium des Bayerischen Christlichen Bauernvereins im Jahr 1931 neben fünf Verbandsangestellten nur ein praktischer Landwirt vertreten war123. Diese Verschränkung zwischen ehren- und hauptamtlichen Positionen zeigt sich besonders deutlich bei Horlacher. Er stand als Funktionär der Bayerischen Landesbauernkammer außerhalb des BV, besetzte jedoch in diesem als Mitglied der Gesamtvorstandschaft einen ehrenamtlichen Posten124. Darüber hinaus war er noch Ehrenmitglied des schwäbischen BV und des oberbayerischen BV125. Horlacher publizierte regelmäßig im Bayerischen Bauernblatt und trat auf regionalen und zentralen Veranstaltungen der Bauernvereine in ganz Bayern als Hauptredner auf126. Für Horlacher stellte der BV eine notwendige Bühne für sein parteipolitisches und parlamentarisches Engagement dar. Aber seine Stellung als Kammerdirektor litt unter der dauerhaften Identifizierung mit dem BV. Neben Heim und Schlittenbauer wurde Horlacher zu den Führungspersönlichkeiten des BV gezählt. Das machte ihn zum Objekt der Kritik des BBB. Am 26. Januar 1926 beklagte sich das Bayerische

121 WEBER, Wirtschaft (Teilband 4), 185.

122 So war Michael Melchner hauptamtlicher Direktor des oberbayerischen BV und stellvertretender ehrenamtlicher Präsident des BV auf Landesebene (StA München, AG München Registergericht 19173, Tagung der Mitgliederversammlung des Bayerischen Christlichen Bauernvereins am 19. Mai 1933).

123 Zur Zusammensetzung des Präsidiums im Jahr 1931 vgl. Bayerischer Bauernvereins-Kalender 26 (1931), 99.

124 Horlacher ist seit 1924 als Mitglied der Gesamtvorstandschaft des BV nachzuweisen (Reichstags-Handbuch III. Wahlperiode 1924, 367f. und Reichstags-Handbuch VIII. Wahlperiode 1933, 164f.).

125 BayHStA, Slg Personen 4839, Horlacher an Friedrich Josef Maria Rehse, 16. Juni 1926.

126 Bayerisches Bauernblatt vom 2. Mai 1922; BSZ vom 1. Dezember 1922; BayHStA, ML 3638, Christlicher Bauernverein für Mittelfranken an ML, 10. Juni 1924; BayHStA, ML 3638, Jahresbericht des Oberbayerischen Christlichen Bauernvereins für 1926; BK vom 19. September 1927; MNN vom 1. Mai 1930; Bayerisches Bauernblatt vom 7. Oktober 1930; BK vom 1. Mai 1931; BayHStA, ML 3638, Jahresbericht des Oberbayerischen Christlichen Bauernvereins für 1931; BK vom 22. April 1932.

Bauernblatt: „Dr. Heim, Dr. Schlittenbauer, Dr. Horlacher, die zu den führenden Männern im Bauernverein gehören, werden fast in jeder Versammlung der Bauernbündler angegriffen.“127 Und am 9. Dezember 1927 beklagte sich Schlittenbauer: „Tag für Tag fast werden die wirtschaftlichen Führer des Bauernvereins, Dr. Heim, Dr. Schlittenbauer, Dr. Horlacher, in der Presse und in der Agitation des Bayerischen Bauernbundes in der flegelhaftesten Weise persönlich angegriffen und heruntergerissen.“128

Die „Bauerndoktoren“ standen funktional zwischen Honoratiorenverwaltung und Funktionärsverwaltung. Sie verbanden die administrative Tätigkeit als Verbandsgeschäftsführer mit dem Anspruch auf die öffentliche Repräsentation der Verbandsinteressen und die parlamentarisch-politische Interessenvertretung. Dadurch unterschieden sie sich deutlich vom Idealtyp des anonymen Funktionärs, wie er von dem Sozialwissenschaftler Johannes Messner (1891–1984) beschrieben wurde129. Dabei wurde der Funktionärstyp des „Bauerndoktors“ von Georg Heim geprägt, der zunächst als Direktor der

„Landwirtschaftlichen Zentralgenossenschaft des Bayerischen Bauernvereins für Ein- und Verkauf e.G.m.b.H.“ fungierte, dann zum Geschäftsführer der Zentralstelle des BV berufen wurde und schließlich zwischen 1910 und 1913 als ehrenamtlicher Vorsitzender des BV amtierte130. Dabei stellt sich die Frage, wieso Heims Vorbild für einen ganzen Funktionärstyp prägend werden konnte? David Blackbourn erkannte, dass die bäuerliche Protestbewegung der 1890er Jahre einerseits den „Dorfkönig“ hervorbrachte, der seine Legitimation zur Interessenvertretung aus der eigenen landwirtschaftlichen Praxis zog, andererseits den akademisch gebildeten „politischen Außenseiter“, der nicht aus den überkommenen Honoratiorenstrukturen hervorging. Dazu zählte er neben dem Journalisten Dr. Johann Baptist Sigl (1839–1902) und dem katholischen Priester Dr. Georg Ratzinger (1844–1899) auch den Realschullehrer und promovierten Nationalökonomen Heim131. Während sich Sigl und Ratzinger dauerhaft nicht in die landwirtschaftliche Protestbewegung der 1890er Jahre integrieren ließen132, gelang es Heim mit Hilfe seines außergewöhnlichen Organisationstalents, den Druck der bäuerlichen Protestbewegung für seine eigene politische Karriere im politischen Katholizismus zu nutzen. Mit ihm wurde Blackbourns „maverick political leader“ institutionalisiert133. Im Zuge von Heims organisatorischem Erfolg wurde sein eigenes Ausbildungsprofil zur Norm für die Besetzung der weiteren Spitzenpositionen im

127 Bayerisches Bauernblatt vom 26. Januar 1926.

128 BVC vom 9. Dezember 1927.

129 MESSNER, Funktionär, 39 schreibt dazu: „Gewiß, die Namen der Funktionäre des ersten und vielleicht des zweiten Ranges sind innerhalb ihres Verbandes und in den gegnerischen Interessenverbänden bekannt. Aber in der Öffentlichkeit treten die Funktionäre kaum je als die Verantwortlichen hervor, wenn es um die Durchsetzung der Verbandsinteressen geht.“

130 Zur Karriere Heims im BV vgl. RENNER, Heim (1957); RENNER, Heim (1961).

131 Vgl. BLACKBOURN, Peasants, 59f.

132 Vgl. HOCHBERGER, Bauernbund, 51–54.

133 Vgl. BLACKBOURN, Peasants, 63–68.

BV. Auf diese Funktionäre wurde auch das erstmals 1897 im Zusammenhang mit Heim gebrauchte Attribut „Bauerndoktor“134 übertragen. Im Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt hieß es anlässlich von Horlachers 65. Geburtstag, dass sich dieser aufgrund seiner langjährigen agrarpolitischen Tätigkeit den „Ehrentitel ,Bauerndoktor‘“ verdient habe – der „bei uns in Bayern seit Dr. Heim sehr begehrt ist“135. Dabei war das Attribut

„Bauerndoktor“ keine Bezeichnung für Agrarfunktionäre im Allgemeinen, sondern war allein den Eliten des BV im Umfeld von Heim vorbehalten: „Ihr Dickköpfe, ihr Heimsklaven, ihr Bauerndoktoren, ihr Schwindler“, hieß es in einer niederbayerischen Bauernversammlung, auf der der BV im Sommer 1922 für die abermalige Erhebung der Getreideumlage verantwortlich gemacht wurde136.

Die hauptamtlichen Spitzenpositionen der bayerischen Bauernvereine waren 1931 vorwiegend mit Akademikern besetzt137. Der promovierte Altphilologe Sebastian Schlittenbauer übte das Amt des – ehrenamtlichen – Generalsekretärs des BV aus. Er hatte jedoch in der Person des promovierten Historikers und Volkswirts Alois Hundhammer einen hauptamtlichen ersten Stellvertreter und in dem promovierten Volkswirt Joseph Baumgartner (1904–1964)138 einen hauptamtlichen zweiten Stellvertreter. – An die ehrenamtliche Spitze des BV trat seit 1932 überdies der Landwirt und promovierte Volkswirt Fridolin Rothermel (1895–1955)139. – Der promovierte Volkswirt Alois Schlögl (1893–1957)140 war Direktor des

134 Vgl. LENK, Heim, 364.

135 RAGL, Ehrentag, 55.

136 Zit. nach OSMOND, Protest, 82f.

137 Zur Zusammensetzung der hauptamtlichen Spitzenpositionen im BV im Jahr 1931 vgl. Bayerischer Bauernvereins-Kalender 26 (1931), 99–101.

138 Bauernvereinsfunktionär, katholisch, geboren am 16. November 1904 in Sulzemoos als Sohn eines Gütlers, 1925 bis 1929 Studium der Volkswirtschaft an der LMU, 1929 Promotion zum Dr. rer. pol., gleichzeitig Volontär beim oberbayerischen BV, 1929 bis 1933 Zweiter Stellvertretender Generalsekretär des BV, 1933 Verlust der beruflichen Stellung, seither im Versicherungswesen tätig, 1942 bis 1945 Soldat, 1945 Gründungsmitglied der CSU, Gründungsmitglied des BBV, 1946 Mitglied der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung, 1946 bis 1962 MdL, am 22. Oktober 1945 auf Betreiben Horlachers zum bayerischen Landwirtschaftsminister ernannt, nach seinem Rücktritt am 15. Januar 1948 Beitritt zur Bayernpartei, 1948 bis 1952 und 1953 bis 1959 Vorsitzender der Bayernpartei, 1949 bis 1951 MdB, 1950 bis 1959 Honorarprofessor für Agrarpolitik an der Landwirtschaftlichen Hochschule Weihenstephan, 1954 bis 1957 bayerischer Landwirtschaftsminister und Stellvertretender Ministerpräsident, gestorben am 21. Januar 1964. Zu Baumgartner vgl. VOSSEN, Baumgartner.

139 Land-, Gast- und promovierter Volkswirt, katholisch, geboren am 26. November 1895 als Sohn eines Bauern in Oberrohr (Schwaben), 1907 bis 1914 Besuch des humanistischen Gymnasiums in Dillingen, Kriegsteilnehmer, 1919 bis 1921 Studium der Volkswirtschaft an der LMU, Promotion zum Dr. oec. publ. mit einer Arbeit über die Ursberger Wohltätigkeitsanstalt, 1921/1922 Besuch der landwirtschaftlichen Winterschule in St. Ottilien, seit 1923 Bewirtschaftung des erheirateten Bauernhofes in Bayersried bei Ursberg (27 Hektar), seit 1928 Mitglied des BV, seit 1932 MdL und MdR für die BVP, 1932/1933 Erster Vorsitzender des Bayerischen Christlichen Bauernvereins, 1933 Verlust aller Ehrenämter, Kriegsdienst im Zweiten Weltkrieg, nach dessen Ende Gründungsmitglied der CSU, 1946 bis 1955 Landrat des Landkreises Kulmbach, 1946 Mitglied der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung, 1946 bis 1955 Präsident des BBV, 1947 bis 1955 MdS für den BBV, 1954 Wahl zum Vizepräsidenten der Confédération Européene de l´Agriculture, gestorben am 1. Oktober 1955. Zu Rothermel vgl. BLW vom 15. Oktober 1955; JOHN, Bauernköpfe, 134–136;

SIMNACHER, Rothermel, 375–397; KREUZER, Nachlaß, 275–283.

140 Bauernvereinsfunktionär und Journalist, katholisch, geboren am 4. April 1893 in Pleinting bei Vilshofen als Sohn eines Schuhmachers, 1904 bis 1913 humanistisches Gymnasium in Passau, 1913/1914 Studium an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Passau, seit Dezember 1914 Kriegsteilnehmer, 1919 Mitglied eines

niederbayerischen BV, der promovierte Volkswirt Karl Storm (geb. 1900)141 war Direktor des schwäbischen BV. Über die Ausbildung Michael Melchners und Anton Dollingers, der Direktoren des oberbayerischen bzw. des mittelfränkischen BV, lassen sich keine Angaben machen. Melchner besaß jedoch in dem promovierten Volkswirt Jakob Fischbacher (1886–

1972)142 einen akademisch gebildeten Stellvertreter. Gregor Klier (1880–1954)143, der immerhin das humanistische Gymnasium besucht hatte, war Direktor des oberpfälzischen BV.

Der unterfränkische Bauernvereinsdirektor Georg Kropp hatte „Mittelschulstudien“

aufzuweisen144. Andreas Neppig (1891–1954)145 war zwar als Direktor des oberfränkischen BV kein Akademiker, aber an der ehrenamtlichen Spitze des oberfränkischen BV stand der als „Waldbauerndoktor“ bezeichnete Forstexperte und promovierte Volkswirt Valentin

Freikorps zur Niederschlagung der Räterepublik, nach Kriegsende Studium der Nationalökonomie an der LMU und in Erlangen, Promotion bei Karl Theodor von Eheberg im Fach Nationalökonomie, seit 1920 für den BV als Sekretär in Passau tätig, nach Ansicht des BBB „unstreitig der größte politische und wirtschaftliche Maulaufreißer“ in Niederbayern (Landauer Volksblatt vom 28. Mai 1925), seit 1925 Mitglied der Kreisbauernkammer Niederbayern, 1925 bis 1933 Direktor des niederbayerischen BV, 1932/1933 MdL für die BVP, 1933 von den Nationalsozialisten lebensgefährlich misshandelt, 1933 Verlust der beruflichen Stellung und der Ehrenämter, 1945 Initiator der Gründung des BBV, 1945 bis 1948 Generalsekretär des BBV, Gründungsmitglied der CSU, gemeinsam mit Horlacher an der Spitze des so genannten „Bauernflügels“ der CSU, 1946 Mitglied der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung, 1946 bis 1957 MdL für die CSU, 1948 bis 1954 bayerischer Landwirtschaftsminister, gestorben am 27. September 1957. Zu Schlögl vgl.

SCHLÖGL, Siedlung; IfZ-Archiv, OMGUS 7/36-3/1–4, Weekly Report of Intelligence Analysis and Public Opinion, OMGB, prepared by Intelligence Division, Research and Analysis Branches, Week Ending 14 January 1949; Bayern-Kurier vom 17. April 1954; Bayern-Kurier vom 5. Oktober 1957; SCHUMACHER, M.d.L., 1104.

141 Bauernvereinsfunktionär, katholisch, geboren am 7. Oktober 1900 in Venlo (Holland) als Sohn eines Gutsbesitzers, 1916 Übersiedlung in das Deutsche Reich, Besuch des Realgymnasiums in Düsseldorf, 1920 bis 1923 Studium der Volkswirtschaft an der LMU und in Erlangen, 21. Februar 1923 Promotion im Fach Nationalökonomie zum Dr. phil. bei Karl Theodor von Eheberg. Zu Storm vgl. STORM, Handelsbeziehungen, 69.

142 Bauernvereinsfunktionär, katholisch, geboren am 28. Mai 1886 als Sohn eines Bauern in Tötzham bei Wasserburg, Besuch des humanistischen Gymnasiums in Freising, Beginn eines theologischen Studiums,

142 Bauernvereinsfunktionär, katholisch, geboren am 28. Mai 1886 als Sohn eines Bauern in Tötzham bei Wasserburg, Besuch des humanistischen Gymnasiums in Freising, Beginn eines theologischen Studiums,

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