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Wirtschaftsredakteur bei der München-Augsburger Abendzeitung

III. Eine Kriegskarriere an der Heimatfront (1914–1918)

3. Wirtschaftsredakteur bei der München-Augsburger Abendzeitung

Am 1. April 1917 wechselte Horlacher als volkswirtschaftlicher Redakteur zu der in der bayerischen Landeshauptstadt erscheinenden München-Augsburger Abendzeitung124. Die MAAZ war ein traditionsreiches Organ, das seit 1904 im Kunstverlag F. Bruckmann AG erschien. Bis zur Gründung der Bayerischen Staatszeitung im Jahr 1913 hatte sie als offiziöses Regierungsorgan gegolten125. Ihre Leserschaft bestand hauptsächlich aus Angehörigen der Beamtenschaft und des gehobenen Bürgertums126. Ihr Hauptverbreitungsgebiet hatte die MAAZ in Oberbayern und Schwaben, in Franken war sie nahezu bedeutungslos127.

Horlachers Schritt aus dem Staatsdienst in den Journalismus erscheint plötzlich und unvermittelt128. Aber Horlacher wechselte wohl im Auftrag seiner Vorgesetzten. Denn unter ihrem Chefredakteur Cajetan Freund war die MAAZ in den Bannkreis des annexionistischen und antisemitischen Alldeutschen Verbandes geraten und hatte ein nationalistisch übersteigertes Erscheinungsbild angenommen. Allzu lautstark war sie für die Kanzlersturzbewegung eingetreten. Diese alldeutsche Agitation kam dem mit der Pressezensur beauftragten Kriegsministerium im Interesse einer ruhigen Zusammenarbeit mit der Reichsregierung nicht gelegen129. Das bayerische Kriegsministerium hatte solange Druck auf den Verlag ausgeübt, bis Freund als Chefredakteur abgelöst wurde. Anfang 1917 wurde er durch den Brentano-Schüler Friedrich Möhl (1875–1957)130 ersetzt, der als bisheriger Sekretär im Pressereferat des Kriegsministeriums die Zeitung auf Regierungskurs halten sollte131. Trotzdem beschwerte sich das bayerische Innenministerium – das bis zur Errichtung des bayerischen Landwirtschaftsministeriums im Frühjahr 1919 für Landwirtschaft zuständig war – im März 1917 über die Kritik, die in der MAAZ an der Durchführung der

124 MAAZ vom 1. April 1917 (Abendausgabe).

125 Zur Geschichte der MAAZ vor 1914 vgl. HOSER, Münchner Tagespresse, 50 und 977f.

126 HOSER, Münchner Tagespresse, 989.

127 HOSER, Münchner Tagespresse, 987. Die MAAZ hatte eine Auflage von etwa 60.000 (HOSER, Münchner Tagespresse, 981).

128 In den die Presse betreffenden Akten des für die Kriegszensur zuständigen Kriegsministeriums finden sich keine Informationen über den Wechsel Horlachers zur MAAZ (BayHStA-KriegsA, MKr 13888–13890).

129 Vgl. HOSER, Münchner Tagespresse, 43–55; FISCHER, Zensurstelle, 142–155.

130 Journalist, geboren am 10. Oktober 1875 in München, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an der LMU, 1903 Promotion zum Dr. oec. publ. bei Lujo Brentano, 1905 Redakteur der liberalen Münchner Neuesten Nachrichten, im Ersten Weltkrieg Sekretär im Pressereferat des bayerischen Kriegsministeriums, seit 1917 Chefredakteur der MAAZ, gestorben am 9. Dezember 1957. Zu Möhl vgl. HOSER, Münchner Tagespresse, 1097.

131 HOSER, Münchner Tagespresse, 53; FISCHER, Zensurstelle, 91.

Lebensmittelversorgung geübt wurde132. Es reagierte sensibel auf jede Kritik. Die schlechte Versorgungslage war öfter Hauptthema in der Presse als die Ereignisse an der Front133. Gerade im Frühjahr 1917 intensivierte das Innenministerium seine Bemühungen zur Pressebeeinflussung134. Es liegt deshalb nahe, in Horlachers Wechsel in die Redaktion der MAAZ einen Coup des Innenministeriums zu sehen, um eine Berichterstattung über die Lebensmittelbewirtschaftung im Sinne der Regierung zu gewährleisten. Horlacher hatte sich auch bisher stets als zuverlässiger Publizist im Dienste der Verteidigung der Kriegsernährungswirtschaft erwiesen. Dass die bayerische Staatsregierung imstande war, Druck auf die personelle Zusammensetzung der Redaktion auszuüben, hatte sie im Falle Freunds ja bereits bewiesen. Aber auch die MAAZ musste Interesse an Horlacher haben, war die Redaktion der MAAZ doch durch Einberufungen empfindlich dezimiert worden135. Bei dem zweimal als dienstuntauglich befundenen Horlacher bestand einige Sicherheit gegenüber der Gefahr einer Einberufung. Aber auch für Horlacher konnte der Wechsel in die Redaktion der MAAZ interessant sein. Seine beachtliche bisherige Karriere im Staatsdienst war an einem toten Punkt angelangt. Trotz anerkannter fachlicher Leistungen und politischer Zuverlässigkeit war ihm der Weg in den höheren bayerischen Verwaltungsdienst ohne juristisches Staatsexamen schlichtweg verwehrt. Wie unbefriedigend diese Situation für ihn gewesen sein muss, zeigte sich, als er in der MAAZ dreieinhalb Monate nach seiner Aufnahme in die Redaktion die Stellung der volkswirtschaftlich gebildeten „sogen. wissenschaftlichen Mitarbeiter oder Hilfsarbeiter“ beklagte, denen aufgrund des Juristenmonopols in der Regel alle Aufstiegsmöglichkeiten in den höheren Dienst verbaut seien. Er verlangte

„Gleichberechtigung mit ihren juristischen Kollegen, wenn man sich überhaupt diese Bezeichnung erlauben darf“. Denn der „Kreis der Verwaltungstätigkeit im modernen Staatsleben hat sich so erweitert, eine ganze Reihe von Sonderaufgaben, die ein außerordentlich umfangreiches Spezialwissen erfordern, hat sich entwickelt, so daß in vielen Dingen die ‚umfassende‘ juristische Bildung nicht mehr ausreicht“. Selbstbewusst erblickte er darin keine „unbillige Forderung, zumal ein guter Teil der wertvollen volkswirtschaftlichen Arbeiten der reichs- und landesstatistischen Ämter von Volkswirtschaftlern herrührt“136.

In der Redaktion der MAAZ wurde er zeitlich sehr in Anspruch genommen. Die MAAZ erschien zweimal täglich, auch sonntags. Eine Arbeitszeit von über zehn Stunden sowie Nacht- und Sonntagsarbeit waren die Regel137. Ohne jemals eine besondere journalistische

132 BayHStA, MInn 66327, Aufzeichnung über die Haltung der Münchner Presse zur Lebensmittelversorgung im Februar und März 1917, undatiert.

133 MÜNCH, Tätigkeit, 302.

134 BayHStA, MInn 66327, Aufzeichnung über die Haltung der Münchner Presse zur Lebensmittelversorgung im Februar und März 1917, undatiert; zur Pressebeeinflussung der bayerischen Regierung während des Ersten Weltkriegs vgl. HOSER, Münchner Tagespresse, 377–385; ALBRECHT, Landtag, 198–208 und 251f.

135 Vgl. HOSER, Münchner Tagespresse, 822f.

136 HORLACHER, Industrieförderung (14. Juli 1917), 4.

137 HOSER, Münchner Tagespresse, 822f.

Ausbildung genossen zu haben, machte sich Horlacher umgehend an die Aufwertung des Wirtschaftsteils der MAAZ, der dann seit dem 29. April 1917 unter der Überschrift

„Volkswirtschaftliche Zeitung“ firmierte138. Dabei stellte die Verteidigung der öffentlichen Lebensmittelbewirtschaftung einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit dar139. Als er sich am 26. März 1917 mit den Ursachen der Februarrevolution in Russland beschäftigte, führte er diese auf die „russische Mißwirtschaft“ zurück, der es nicht gelungen sei, die Industriegebiete mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die mangelhafte Lebensmittelbewirtschaftung habe dort eine Situation entstehen lassen, „wie wir sie in Deutschland bisher nicht zu verzeichnen haben und wohl auch nicht erleben werden“140. Dieser skeptische Blick in die Zukunft zeigt sehr deutlich, dass Horlachers Siegesgewissheit einer nicht mehr zu unterdrückenden Unsicherheit über die Leistungsfähigkeit der deutschen Ernährungswirtschaft gewichen war. In der offenen Sprache gegenüber den Problemen der Kriegsernährungswirtschaft zeigt sich aber auch nicht zuletzt seine unabhängigere Stellung gegenüber den Behörden, die er als Zeitungsredakteur trotz aller Regierungsnähe der MAAZ nun im Unterschied zu seiner ehemaligen Beschäftigung als Angestellter im öffentlichen Dienst einzunehmen in der Lage war. Als sich Horlacher am 8. Juli 1917 in der MAAZ mit den wirtschaftlichen Wirkungen des uneingeschränkten U-Bootkrieges auseinandersetzte, musste er sich eingestehen, dass die Produktivität der englischen Industrie dadurch zwar beeinträchtigt wurde, nicht aber die Lebensmittelversorgung. Selbst wenn Großbritannien zur Lebensmittelrationierung schreiten würde, gab er nun zu bedenken, dass England trotzdem immer noch mit Einfuhren rechnen könne, „während bei uns erst die notwendigsten Lebensmittel aus der Landwirtschaft mit viel Mühe herausgezogen werden müssen“. Trotzdem propagierte er den uneingeschränkten U-Bootkrieg gegen Großbritannien, um die dortige Kriegsindustrie zu schädigen, der „im Falle der Absperrung vom Ausland gerade in England engere Grenzen gesteckt sind und ihr deshalb nicht minder bedeutsame Krisenkeime innewohnen“. Er hoffte, dass das „Wirtschaftsleben Englands bis in die Grundfesten erschüttert wird, wenn die verkehrswirtschaftliche Isolierung in nennenswertem Unfange eintritt“141. Da alle Artikel über den U-Bootkrieg der Zensur vorzulegen waren142, war die derart in Zustimmung verpackte Kritik das Äußerste, was sich Horlacher erlauben konnte.

Während sich Horlacher der Verteidigung der Kriegsernährungswirtschaft immer zurückhaltender widmete, verlegte er den Schwerpunkt seiner Publikationstätigkeit auf Themen aus dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft. In einer Artikelserie machte er sich für die „Industrieförderung in Bayern“ stark. Ohne zu den freihändlerischen Thesen seines

138 MAAZ vom 29. April 1917 (Morgenausgabe).

139 MAAZ vom 3. Mai 1917 (Abendausgabe); MAAZ vom 19. Juni 1917 (Mittagsausgabe).

140 HORLACHER, Mißwirtschaft (26. März 1917), 1.

141 HORLACHER, Wirkung (8. Juli 1917), 3.

142 FISCHER, Zensurstelle, 266–268.

akademischen Lehrers Brentano zurückzukehren, trat Horlacher nun wieder als Verteidiger einer industriestaatlichen Entwicklung Bayerns auf. Nun stand nicht mehr die These von der besonders herausragenden Produktivität der deutschen Landwirtschaft im Zentrum von Horlachers wirtschaftspolitischer Argumentation, sondern die Notwendigkeit zur Stärkung der Industrie. „Deutschlands Macht- und Weltstellung“ habe sich erst nach dem „Übergang vom überwiegenden Agrar- zum überwiegenden Industriestaat“ eingestellt, schrieb Horlacher in der MAAZ vom 3. Juni 1917. Im Gegensatz zur Landwirtschaft, deren Produktivität vom

„Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag“ begrenzt sei, sah er in der Industrie

„unausschöpfbare Kapital- und Einkommensquellen“, da in der Industrie das „Gesetz der progressiven Ertragssteigerung“ gelte. Er forderte deshalb: „Ein überwiegender Industriestaat werden wir bleiben müssen, um zu leben und vorwärtszustreben, nicht bloß um künftige finanzielle Lasten zu tragen, sondern gleichzeitig die Möglichkeiten einer gesunden Weiterentwicklung unserer Bevölkerung zu bieten.“143 Deshalb sah er in einer verstärkten Förderung der industriellen Entwicklung ein Gebot zur Erhaltung der Selbständigkeit Bayerns. Bayerns wirtschaftliche Zukunft „weist auf die Industrie. Eine solche Förderung des Erwerbslebens bringt zugleich eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Staatsganzen, damit schaffen wir uns auch das wirksamste Mittel zur Erhaltung unserer Selbstbehauptung, unserer politischen Geltung im Gesamtrahmen des Reiches und gewährleisten endlich eine befriedigende Entwicklung unseres Wohlstandes und damit zugleich unserer Finanz- und Steuerkraft.“144 Deshalb plädierte er für die Errichtung eines eigenen Handelsministeriums145. Dabei forderte er, dass sich dessen Personal hauptsächlich aus „hervorragenden volkswirtschaftlichen Praktikern der Industrie- und Handelswelt“ zusammensetzen sollte. Da den Juristen „Statistik und Volkswirtschaft keine Freude bereiten“, sollten dem zu errichtenden Handelsministerium Volkswirte „den so notwendigen Rückhalt in einer gesunden Tradition geben, die durch den raschen Wechsel der Verwaltungsjuristen auf solchen Durchgangsposten nur in geringem Maße gewährleistet wird“146. Offenbar wollte sich Horlacher mit dieser Artikelserie für eine Beschäftigung in dem damals viel diskutierten Handelsministerium empfehlen147.

Horlacher plädierte am 19. Januar 1918 in der MAAZ für eine bevorzugte Förderung der Exportindustrie. Dies tat er aus der Sorge um die gestiegenen Lebenshaltungskosten, deren Senkung nach dem Krieg er sich aus der Steigerung des industriellen Exports erhoffte148. Die eher verbraucherfreundliche als agrarische MAAZ149 hatte die

143 HORLACHER, Industrieförderung (3. Juni 1917), 4.

144 HORLACHER, Industrieförderung (7. Juni 1917), 5f.

145 HORLACHER, Industrieförderung (13. Juli 1917), 3.

146 HORLACHER, Industrieförderung (14. Juli 1917), 4.

147 Zu den Plänen zur Errichtung eines Handelsministeriums vgl. BORCHARDT, Geschichte, 24–26; SPERL, Wirtschaft, 110–129.

148 HORLACHER, Grundlinien (19. Januar 1918), 4.

149 Vgl. HOSER, Münchner Tagespresse, 788.

Industrieförderung in Bayern am 13. Dezember 1917 schon im bisher „allzu sehr zurückgesetzten Interesse des Konsumenten“ zur Notwendigkeit erklärt150. In dieser Haltung drückte sich nicht zuletzt eine zunehmende Besorgnis um die sich immer mehr radikalisierende Stimmung in der Bevölkerung aus, die nach Ansicht Horlachers auch von den vermeintlich staatserhaltenden Kräften des Bürgertums nicht mehr Halt machte – wobei sich bei Horlacher Revolutionsfurcht und Angst um den eigenen sozialen Status verbanden, wie er am 26. Januar 1918 in der MAAZ deutlich machte. Die durch die Kriegswirtschaft geförderte Zusammenballung wirtschaftlicher Macht betrachtete er als zunehmende Gefährdung für das Bürgertum. In der MAAZ prognostizierte er deshalb am 26. Januar, dass es „zu allmählichem Untergang bestimmt“ sei. Die „Vermögensumschichtung“ während des Krieges sei auf Kosten des Mittelstandes erfolgt. Deshalb forderte er einen organisatorischen Zusammenschluss des Bürgertums, um damit einen „mächtigen Schutzwall gegen die kräftig emporgeschossene sozialistische Flut durch die Sammlung aller staatserhaltenden mittleren Kräfte noch rechtzeitig zu schaffen, bevor die Flut auch in diese Kreise Bresche legen kann“151.

Aufgrund seiner nun offensiv zur Schau getragenen industriefreundlichen Einstellung beurteilte er die von der Reichsregierung verfolgten Zollunionspläne mit Österreich-Ungarn152 am 10. September 1917 positiv: „Das im Blute gefestigte Bündnis der mitteleuropäischen Staaten soll im Frieden zu einem fest gefügten Wirtschaftsblock werden, der die Pläne des englischen Wirtschaftskrieges nach dem Kriege zunichte macht und uns von der gesicherten Linie eines weiten inneren Absatz- und Bezugsmarktes aus stetig und sicher unsere frühere Welt- und Seegeltung wieder erringen läßt.“153 Mit dieser positiven Bewertung der Zollunionspläne befand sich Horlacher in Übereinstimmung mit der bayerischen Regierung154, die dafür aber von landwirtschaftlicher Seite heftig kritisiert wurde. Die Agrarier sahen in den Zollverhandlungen mit dem agrarischen Österreich-Ungarn eine Gefährdung der bayerischen Landwirtschaft.

150 MAAZ vom 13. Dezember 1917 (Abendausgabe).

151 HORLACHER, Entwicklungslinien (26. Januar 1918), 5.

152 Zur geplanten Zollunion mit Österreich-Ungarn vgl. BRANDT, Bruck, 332–352; FLEMMING, Interessen, 113–

116.

153 HORLACHER, Wirtschaftsprogramm (10. September 1917), 1.

154 Zur Haltung der bayerischen Regierung gegenüber den Zollunionsplänen vgl. MENGES, Schmelzle, 26–28.

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