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Eine Dolchstoßlegende für den Wirtschaftskrieg

III. Eine Kriegskarriere an der Heimatfront (1914–1918)

6. Eine Dolchstoßlegende für den Wirtschaftskrieg

Da der Kriegszustand für Horlacher auch nach dem Friedensvertrag von Versailles nicht beendet war und der Krieg auf wirtschaftspolitischem Gebiet seiner Ansicht nach weitergeführt wurde, verglich er die wirtschaftliche und politische Lage im Deutschen Reich der Nachkriegszeit stets in einer verklärenden Rückschau mit der „glänzenden Friedenszeit“240. Zum Reichshaushaltsplan von 1926 meinte er vor dem Plenum des Reichstages: „Der Friedensetat war ein Etat zum weiteren Fortschritt Deutschlands, war ein Etat der Sicherung und Erhaltung der deutschen Kraft, war ein Etat zur Sicherung der deutschen Weltgeltung. […] Der jetzige Etat ist ein Etat der Verwaltung, ist ein Etat, der nur das Notwendigste noch zuläßt, ist ein Etat der gewaltigen Belastung des deutschen Volkes infolge der Kriegs- und der Reparationslasten.“241 Der Sturz von der berauschten Siegesgewissheit zur unerträglichen Gegenwart der Niederlage war auch für Horlacher groß.

Das gesamtwirtschaftliche Wachstum, das in den sechs Jahrzehnten vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein vorher nie erreichtes Ausmaß angenommen und dem Deutschen Reich tatsächlich eine Spitzenposition in der Weltwirtschaft gesichert hatte242, schuf ein wirtschaftliches Überlegenheitsgefühl, welches Horlacher als Propagandist der deutschen Kriegsernährungswirtschaft stets selbst gepflegt hatte243 und welches er mit zunehmender zeitlicher Distanz zur Niederlage im Krieg nach einer ersten Zerknirschung angesichts des Schocks dieser Niederlage244 unter selbsttäuscherischer Ausblendung des Zusammenbruches der deutschen Kriegsernährungswirtschaft wieder nachdrücklicher verbreitete: „Die schönste Großtat des deutschen Volkes“ – so Horlacher in seiner 1924 erschienenen Denkschrift Die

237 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 3, Sitzung am 22. September 1927, 116f.

238 HORLACHER, Lage (1925), 25.

239 Horlacher zit. nach Mitteilungen der Bay. Landesbauernkammer vom 2. März 1925.

240 HORLACHER,Veränderungen (6. Dezember 1919), 592.

241 Verh. d. Reichstags. Sten. Ber. Bd. 388, Sitzung am 12. Februar 1926, 5477.

242 Vgl. FELDENKIRCHEN, Wirtschaftswachstum, 77–155.

243 Vgl. Kapitel III.2.

244 Vgl. Kapitel III.5.

Erhaltung der Landwirtschaft. Eine Lebensfrage für das deutsche Volk – „war es aber, daß es mit einer starken deutschen Landwirtschaft 4½ Jahre hindurch gegen eine Welt von Feinden trotzen konnte“245.

Als er am 17. August 1919 das Hauptreferat auf der Generalversammlung des Bayerischen Müllerbundes erstattete, erkannte er letztlich zwar im Krieg die Ursache der sich in einer zunehmenden Teuerung äußernden wirtschaftspolitischen Probleme des Deutschen Reiches: „Die Krankheitserreger sind zweifellos der schamlose Kriegswucher, das jahrelange Durchhungern, die wahre Dividendenwut, die sich seit dem Hindenburgprogramm und seit der ersten Erhöhung der Eisenpreise über die deutsche Industrie ergossen hat, die Mißstände in den Kriegsgesellschaften, die Ungewißheit über deren finanzielle Erträgnisse, das Verschleiern der Gewinne dieser Kriegsgesellschaft vor der Öffentlichkeit.“ Diese Analyse wurde jedoch nach der Revolution immer mehr von der Kritik an den „maßlosen Forderungen der Arbeiterschaft seit der Revolution“ verdrängt246. Für die Teuerung machte er in einer

„Denkschrift über Deutschlands finanzielle und wirtschaftliche Not“ die seit der Revolution erhöhten Löhne bei gleichzeitiger Arbeitszeitverminderung durch Einführung des Achtstundentages und den „Mangel an Arbeitswillen der revolutionären Massen“

verantwortlich247. In seiner Erstlingsrede als Landtagsabgeordneter erklärte er am 27. Juli 1920: „Die Revolution war der Anfang zum neuen Revolutionswucher, zum Emporblühen des Revolutionsgewinns. In diesem autoritätslosen Zustande war die Geburtsstätte des erbärmlichen Revolutionsgewinns, das kann von ernsten Vaterlandsfreunden nie bestritten werden. Alle Mißstände während des Krieges müssen verbleichen gegenüber den Umwälzungen, die die Revolution auf wirtschaftlichem Gebiete gebracht hat.“248 Dabei empfand er die sozialpolitischen Forderungen der Gewerkschaften als krassen Wirtschaftsegoismus, über den er sich empörte: „Die Arbeiterkreise sind vielfach bestrebt, aus der Revolution für sich ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Erhaltung ihrer Produktionsstätten rücksichtslos Gewinn zu ziehen.“249 Deshalb stellte Horlacher die Arbeiterschaft in eine feindliche Reihe mit den „maßlosen französischen Annexionsgelüsten“

und der „englischen Einkreisungspolitik“250. Die sozialpolitischen Forderungen der Arbeitnehmer bezeichnete Horlacher als „inneren Wirtschaftskrieg“, der in bewusster Verbindung mit dem „Wirtschaftskrieg seitens des Auslandes“ stehe251.

Die sozialpolitischen Forderungen der Gewerkschaften erschienen ihm als Teil einer geplanten internationalen sozialistischen Verschwörung, worauf er eine antisozialistische und

245 HORLACHER, Erhaltung (1924), 6.

246 HORLACHER, Wirtschaftslage (20. September 1919).

247 HORLACHER, Wiederaufbau (1919), 91–97.

248 Verh. d. Bay. Landtags 1920–1924. Sten. Ber. Bd. 1, Sitzung am 27. Juli 1920, 212.

249 HORLACHER, Wiederaufbau (1919), 7.

250 HORLACHER, Wiederaufbau (1919), 8.

251 HORLACHER, Wiederaufbau (1919), 89–98.

antisemitische Verschwörungstheorie konstruierte, die er im Oktober 1919 den Raiffeisengenossenschaften vorstellte: „Der Traum des Sozialismus ist ja letzten Endes die staatlich und international organisierte Werteverschiebung. Die Agenten eines solchen sozialistischen Staates würden dann weitaus in der Überzahl der Rasse entnommen werden, die in den letzten Revolutionen die ausschlaggebende Rolle spielte.“252 Deshalb war er davon überzeugt, dass die Einberufung einer verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung vom revolutionären Rat der Volksbeauftragten in Berlin bewusst verzögert werde: „Wohin die sozialistische Reise gehen soll, das hat die Sitzung der sozialistischen Gewalthaber des Reiches und der Bundesstaaten jüngst in Berlin zur Genüge bewiesen. Man will dem ganzen Volk die ,Wohltaten des Sozialismus‘ ohne Zutun einer Nationalversammlung von vornherein gewaltsam aufdrängen, man will möglichst Zeit gewinnen, um ohne zu starkes Gegengewicht bürgerlicher Kreise das Land sozialistisch zu bearbeiten.“253 Das „Hauptmerkmal des Bolschewismus“ aber sei „die Zerstörung der Produktivkräfte und die allmähliche Auflösung alles sittlichen Pflichtbewusstseins für ein geordnetes Zusammenarbeiten in jeder größeren oder kleineren Gemeinschaft. Mögen nun Maßnahmen von Rechts-, Mittel- oder Linkssozialisten, sei es gewollt oder ungewollt, jedoch in der Praxis einen solchen Zustand herbeiführen, in jedem Fall sind solche Vorgänge als bolschewistische Auswüchse zu bekämpfen.“254

Damit konstruierte sich Horlacher eine wirtschaftspolitische Dolchstoßlegende, die ihm fortan in der als Wirtschaftskrieg empfundenen weltwirtschaftlichen Situation nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages als Erklärungsmodell für sozialpolitische Forderungen diente, denen er verständnislos gegenüberstand. Von einem sozialdemokratischen Abgeordneten provoziert, der der Landwirtschaft wegen ihres wirtschaftsegoistischen Marktverhaltens während der Inflation einen „Dolchstoß“ gegen die hungernde Bevölkerung vorwarf, bestand Horlacher im Landtag am 26. April 1923 darauf,

„daß man diese Dolchstoßgeschichte nicht gegen die Landwirtschaft zur Anwendung bringen kann, sondern daß man doch so freundlich sein möge, an die eigene Brust zu schlagen, wo damals der Dolchstoß geführt wurde und wie er damals ausreichte, um dazu zu führen, bei der zusammengebrochenen deutschen Front den Waffenstillstandsvertrag abschließen zu müssen, der die Ursache unseres heutigen Elends ist“255. Mit der Dolchstoßlegende verfügten alle republikfeindlichen Kräfte auf der rechten Seite des politischen Spektrums im Deutschen Reich über ein Interpretationsmuster der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg. Dadurch war es möglich, von den Fehlern der deutschen Kriegsführung abzulenken und sich die militärische und wirtschaftliche Übermacht der Ententestaaten nicht eingestehen zu müssen.

252 HORLACHER, Zukunft (1919), 22–27.

253 HORLACHER, Wiederaufbau (1. Dezember 1918), 5.

254 HORLACHER, Wiederaufbau (1. Dezember 1918), 5.

255 Verh. d. Bay. Landtags 1920–1924. Sten. Ber. Bd. 8, Sitzung am 26. April 1923, 213f.

Die Streiks und die Antikriegspropaganda wurden als Versuche zur Destabilisierung der Front gewertet, welche in der Revolution gipfelten und einen akzeptablen Frieden verhinderten.

Diese Geschichtsfälschung diente zur Propaganda gegen die Weimarer Verfassung und die sozialpolitischen Errungenschaften als Folgen der Novemberrevolution. Dadurch wurde die Dolchstoßlegende zum Ausgangspunkt aller republikfeindlichen und revisionistischen Aktivitäten256.

Wenn Horlacher die Revolution als wirtschaftspolitischen Dolchstoß betrachtete, dann diente ihm dies nicht zuletzt dazu, die Landwirtschaft vor dem Verdacht zu schützen, die deutsche Niederlage an der Heimatfront mitverschuldet zu haben – ein Verdacht, der wegen der Revolutionsbeteiligung des Bauernbundsführers und niederbayerischen Großbauern Karl Gandorfer (1875–1932)257 nahe lag. In der Bayerischen Landesbauernkammer erklärte er deshalb am 14. Februar 1923 angesichts des Ruhrkampfes geradezu beschwörend, „daß die Landwirtschaft, die bisher in den revolutionären Erschütterungen des Staatswesens Stand gehalten hat, auch in dem jetzigen schweren Kampfe ihre Pflicht erfüllen wird; denn aus der Landwirtschaft kommt in urwüchsiger Kraft die Liebe zur Scholle, die Heimatliebe“258. Dabei idealisierte er die ökonomische Tätigkeit der Landwirtschaft während des Weltkrieges und der Revolution zur pflichtgemäßen Selbstaufopferung im Dienste des Gemeinwohls: „Wäre der deutsche Bauer von diesem Gift der Arbeitsunlust und von der Sehnsucht nach dem Achtstundentag ergriffen worden, so wäre unsere deutsche Volkswirtschaft und damit unser deutsches Volk schon längst zugrunde gegangen. Der Bauer, der die harte Feldarbeit verrichtet und nicht nach einer Begrenzung der Arbeitszeit fragt und auch nicht fragen kann, weil er der Natur folgen muß, muß unter allen Umständen verlangen, daß auch in den Städten, für deren Ernährung er sorgt, gearbeitet wird, und zwar nicht nach dem Trägheitsprinzip, das viele Menschen heute beherrscht.“259 Die Landwirtschaft galt ihm deshalb nach dem militärischen Ende des Krieges als „Fundament für jede wirtschaftliche Betätigung“260. Denn Horlacher war der Ansicht, dass sich der wirtschaftliche Wiederaufbau wegen der Zerstörungen in der Industrie und wegen der Handelsrestriktionen des Versailler

256 Zur Dolchstoßlegende vgl. BARTH, Dolchstoßlegenden, 55–92.

257 Landwirt und Bauernbundspolitiker, katholisch, geboren am 23. Februar 1875 in Pfaffenberg, Bürgermeister von Pfaffenberg, 1913 bis 1924 MdL für den BBB, Bruder des Revolutionärs Ludwig Gandorfer (USPD), dessen Hof er nach dessen Tod übernahm (320 Tagwerk), Mitwirkung an der Novemberrevolution in München, 1918/1919 Mitglied im Präsidium des Provisorischen Nationalrates, 1918 bis 1920 Vorsitzender des bayerischen Landesbauernrates, 1919/1920 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, nach dem Ende der Revolution Zustimmung des Landtages zur Einleitung eines Strafverfahrens wegen eines Verbrechens des Hochverrats und eines Vergehens wider die öffentliche Ordnung, Einwilligung des Landtages zur Strafverfolgung wegen verbotener Wareneinfuhr aus der Schweiz, 1920 Einwilligung des Landtags zur Strafverfolgung wegen des Verdachts der Untreue, 1922 Zustimmung des Landtages zur Strafverfolgung wegen eines Verbrechens des Meineids, 1925 bis 1932 Mitglied der Bayerischen Landesbauernkammer, 1928 bis 1932 MdR, gestorben am 21.

August 1932. Zu Gandorfer vgl. BERGMANN, Bauernbund, 20f.; HUNDHAMMER, Geschichte; HOCHBERGER, Bauernbund; RATJEN, Bauernkammern, 181f.

258 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 2, Sitzung am 14. Februar 1923, 195.

259 HORLACHER, Zukunft (1919), 17f.

260 HORLACHER, Zukunft (1919), 5f.

Friedensvertrages „in der Hauptsache nur auf der Grundlage einer allmählich wieder erstarkenden deutschen Landwirtschaft vollziehen“ könne261.

Wenn für Horlacher die zentrale Bedeutung der Landwirtschaft in einem nur defensiv zu bestehenden Wirtschaftskrieg eine unbestreitbare Tatsache war, dann verband sich in dieser Einschätzung wirtschaftspolitische Analyse mit einer Sehnsucht nach der Harmonie des Landlebens in der Tradition bürgerlicher Agrarromantik, wie er es als Hauptredner auf der Generalversammlung des Bayerischen Müllerbundes am 17. August 1919 deutlich machte:

„Es dürfte wohl niemand mehr in Deutschland geben, der nicht wüsste, daß in erster Linie nur die gesunde Luft des Landlebens eine wirtschaftliche und moralische Wiedergeburt bringen kann.“262 Wirtschaftliche Zerrüttung und moralische Verwilderung galten Horlacher als selbstverständliche Folgen von Revolutionen263. Zur Überwindung der Revolutionsfolgen auf wirtschaftlichem Gebiet forderte er eine Politik der „Erhöhung der Produktion, der Arbeitslust, der Arbeitsleistung, der Wiederaufnahme geregelter Handelsbeziehungen, der Herstellung von staatlicher Autorität und Ordnung, der Reinigung unseres Deutschtums von allen undeutschen Einflüssen, der sittlichen Erneuerung jedes einzelnen, der Einschaltung des christlichen Gewissens in die Wirtschaft“264. Um dieses Ziel zu erreichen, hoffte er auf die Strahlkraft der moralischen Qualitäten, die die Landwirtschaft seiner Meinung nach besaß:

„Die Wurzeln der Demokratisierung müssen ausgerissen werden. Die Entartungen, wie sie das Streben nach Geld seit der Revolution gebracht haben, müssen beseitigt werden, und da habe ich das Zutrauen zu unserem Bauernstande, der auf christlichem Boden steht, daß er hier den Grundstein für den Wiederaufbau des deutschen Volkes und der deutschen Wirtschaft abgibt.“265 Nur eine agrarische Wirtschaftspolitik sei deshalb eine „staatserhaltende Politik und bewahrt unser Volk immer mehr vor der Gefahr, daß es von einigen tausend verrückten Leuten der großen Städte terrorisiert wird“266. Dabei war seine Vorstellung von den landwirtschaftlichen Arbeitsbeziehungen harmonisierend überzeichnet267, weshalb er in

„Pflichterfüllung, Opfergeist und Gemeinsinn“ besonders bäuerliche Tugenden erblickte, deren Erfüllung er zur Überwindung des Klassenkampfes empfahl268. Unschwer sind diese Tugenden jedoch als die vor allem im bürgerlichen Diskurs zur Legitimation des Krieges

261 HORLACHER, Landwirtschaft (6. Juni 1919), 9.

262 HORLACHER, Wirtschaftslage (20. September 1919).

263 Im Landtag meinte Horlacher deshalb am 27. Juli 1920: „Wer die wirtschaftlichen Wirkungen der Revolutionen in der Revolutionsgeschichte aller Jahrhunderte studiert hat, der weiß, daß Revolutionen Zerrüttung wirtschaftlichen Lebens, sittliche Verwahrlosung und im Zusammenhang damit […] eine zügellose Preissteigerung auf allen Gebieten wirtschaftlicher Betätigung mit sich bringen“ (Verh. d. Bay. Landtags 1920–

1924. Sten. Ber. Bd. 1, Sitzung am 27. Juli 1920, 212).

264 HORLACHER, Bauernkammern (30. August 1920), 1–3.

265 HORLACHER, Zukunft (20. April 1921), 66.

266 HORLACHER, Zukunft (1919), 24.

267 HORLACHER, Wiederaufbau (1919), 98: „Die große Mehrzahl der ländlichen Dienstboten lebt ja in inniger Familiengemeinschaft mit dem Bauer und der Bäuerin, es sind also hier die Verhältnisse grundverschieden gegenüber den Arbeitermassen in den einzelnen Großbetrieben.“

268 Sten. Ber. Bay. Landesbauernkammer Bd. 2, Sitzung am 14. Februar 1923, 195f.

entstandenen „Ideen von 1914“ zu identifizieren, welche den Ersten Weltkrieg als Kampf zur Verteidigung als besonders deutsch empfundener Tugenden gegen französischen Materialismus und Individualismus deuteten269. An der Übertragung der „Ideen von 1914“

auf die vermeintliche Wirtschaftsethik der praktischen Landwirtschaft zeigt sich, wie sehr Horlacher sich diese im Rahmen außerlandwirtschaftlicher Denkmuster verständlich zu machen versuchte.

Seit seiner Schulzeit vertraut mit der Idee von der besonderen nationalen Aufgabe des Deutschen Reiches, schlug das von Horlacher auch an der Heimatfront als identitätsstiftend und sinngebend empfundene Weltkriegserlebnis durch die Niederlage in eine persönliche Katastrophe um, die er dadurch bewältigte, dass er an den „Ideen von 1914“ festhielt und sie mit den sozial- und verfassungspolitischen Errungenschaften der Revolution kontrastierte.

Deshalb verband er die Forderung nach Revision der Weimarer Verfassung mit der Forderung nach Revision des Versailler Vertrages. Dadurch konnte er zu einem der subalternen Protagonisten der Ordnungszelle Bayern werden, zu deren zentralen Gestalten sein politischer Mentor Heim gehörte270. Nach dem Schock, den die Räterepublik und ihre blutige Niederschlagung in Bayern vor allem beim Bürgertum hinterlassen hatten, wurde Bayern mit dem Zentrum in München zum Sammelbecken nationalistischer, völkischer und monarchistischer Kräfte, deren gemeinsamer Nenner in der Ablehnung der republikanischen Staatsform bestand. Von Bayern aus sollte die Revolution rasch und vollständig liquidiert werden271.

269 Zu den „Ideen von 1914“ vgl. VERHEY, Ideen, 568f.

270 Heim propagierte etwa eine bayerische „Gesundungszelle“ (MAAZ vom 7. Mai 1920 (Morgenausgabe)).

271 Hans Fenske deutete die Entstehung der Ordnungszelle Bayern als psychologischen Kompensationsversuch dafür, dass ausgerechnet das agrarische und konservative Bayern zum Schauplatz einer Räterepublik geworden war. Vgl. FENSKE, Konservativismus, 63f. Zum Programm der Ordnungszelle Bayern vgl. KEßLER, Held, 390f.;

SCHWARZ, Zeit, 458f.

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