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Wie können wir etwas wissen?

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 180-186)

enn wir uns zum ersten Mal mit buddhistischen Lehren beschäftigen, machen sie oft einen sehr komplizierten Eindruck auf uns. Auf viele Menschen wirken sie geheimnisvoll, fremd und verwirrend.

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Aber eigentlich ist das, was Buddha lehrte, recht einfach und unmittelbar, wenn wir uns an seine ursprüngliche Lehre halten.

Wir sind kompliziert. Wir denken zu viel.

Das Entscheidende am Buddha-Dharma ist, dass wir erwachen und die Wirklichkeit sehen.

Man sagte mir einmal, im Buddhismus gebe es drei Möglich-keiten, die Wahrheit zu erkennen: erstens durch Autorität, zweitens durch das Ziehen logischer Schlüsse und drittens durch direkte Erfahrung. Eine derartige Äußerung habe ich freilich in keinem buddhistischen Text finden können, und sie hat einen entscheidenden Makel – egal, ob es sich dabei nun tatsächlich um eine buddhistische Lehre handelt oder auch nicht.

Wenn wir genau hinsehen, stellen wir fest, dass die ersten beiden Behauptungen schnell zu Staub zerfallen. Aber auch die unmittelbare Erfahrung löst sich auf, doch statt zu Staub zu zerfallen, verschwindet sie spurlos.

Wenn das kompliziert, geheimnisvoll, fremd oder verwirrend erscheint, lies bitte weiter. Du wirst bald merken, wie einfach es ist.

Widmen wir uns zuerst der Vorstellung, man könne Wissen durch Autorität erlangen. Diese Behauptung ist leicht zu widerlegen. Der britische Philosoph Bertrand Russell tat dies in einem Satz, als er sagte, das Problem mit der Autorität sei, dass sich stets eine andere Autorität finden lasse, die das Gegenteil behauptet.

Im Buddhismus besitzt Buddha selbst die wohl größte Autorität. Er aber forderte die Menschen ausdrücklich dazu auf, sich nicht auf die Autorität anderer zu verlassen – auch nicht auf die seine. Er machte oft Bemerkungen wie: »Glaubt mir nicht, nur weil ich als Lehrer vor euch stehe. Glaubt mir nicht, nur weil andere es tun.« Er ermahnte die Menschen unablässig dazu, genau hinzusehen, um selbst zu sehen und zu erkennen. Das bedeutet, die Worte einer äußeren Autorität weder blind zu akzeptieren noch sie kurzerhand abzulehnen, sondern zuzuhören und sie an der tatsächlichen Erfahrung zu messen.

Der Dalai Lama formulierte das einmal so: »Wir Buddhisten können viel aus den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen lernen. Und die Wissenschaftler können aus den buddhistischen Erkenntnissen lernen. Wir müssen nachforschen, alles prüfen und dann die Ergebnisse unserer Forschungen akzeptieren.

Wenn Buddhas eigene Worte der Prüfung nicht standhalten, müssen wir sie ablehnen.«

Diese Worte sind sowohl mit Buddhas Lehre als auch mit den modernen wissenschaftlichen Methoden im Einklang.

Manchmal gehen wir der falschen Vorstellung auf den Leim, erleuchtete Menschen könnten das Absolute auch in absolute Worte fassen, sobald sie die Wirklichkeit gesehen haben, und wir könnten ihre Äußerungen niederschreiben, bewahren, studieren und für alle Zeit verehren. Doch wir Menschen – erleuchtet oder nicht – machen keine absoluten Erfahrungen.

Wir leben mit der Veränderung. Das ist es, was Buddha lehrte, und es trifft auch auf seine eigene Lehre zu.

Deshalb gibt es in einigen buddhistischen Gruppen regel-mäßige Versammlungen, in denen sie prüfen, wie sie vorgehen wollen, was funktioniert, was noch stimmt und was nicht. Die Zeiten ändern sich, und deshalb kann es vorkommen, dass Dinge, die früher oder anderswo einmal angebracht waren, hier und jetzt nicht mehr funktionieren. Wir können – und sollten – uns nicht in einen Rahmen sperren, der vor 2.500 Jahren in

irgendeiner fremden Kultur (oder auch nur vor 20 Jahren hier) seinen Sinn hatte. So manches trifft vielleicht nicht mehr auf uns zu oder könnte uns sogar schaden.

Wir müssen ständig prüfen, was wir lehren. Wir müssen uns fragen: »Ist es effektiv? Hilft es den Menschen, die Augen zu öffnen?«

Kurz gesagt ist alles zu prüfen und mit äußerstem Respekt zu behandeln, wie Buddha es lehrte, aber nichts ist heilig – oder könnte es je sein. Deshalb verglich Buddha seine Lehre mit einem Floß, das man nach der Flussüberquerung zurücklassen sollte.

Noch etwas zum Thema Autorität: Kein Mensch und keine Institution hat mehr Autorität, als ihr von anderen zugestanden wird. Das bedeutet, du bist die höchste Autorität, wenn es darum geht, wem du Glauben schenkst und wie du dein Leben lebst.

Wenn man diese Autorität auf andere überträgt, ist das eine Art spirituelle Faulheit. Du bist dann nicht mehr gewillt, kritisch und genau zu betrachten, was tatsächlich geschieht, und bist der Manipulation, der Täuschung und dem Betrug schutzlos ausgeliefert.

Buddha wusste das und warnte davor. Er wies die Menschen zum Beispiel an, sich kein Bildnis von ihm zu machen (was sie anfangs auch nicht taten).

Du musst erkennen, dass du Buddha bist. Doch je mehr wir den Mann, den wir Buddha nennen, verherrlichen und vergöttern, desto schwerer fällt es uns zu erwachen. Denn wenn du Lehrer zu Göttern machst, wie kannst du dann erkennen, dass du im Grunde bist wie sie?

Am Ende läuft es auf Folgendes hinaus: Die Autorität, die du bereits besitzt, beruht ganz allein auf der unmittelbaren Erfahrung. Im Grunde musst du nirgends sonst suchen.

Die zweite Möglichkeit, wie man die Wahrheit angeblich finden kann, ist das Ziehen logischer Schlüsse. Logik ist

zweifellos ein sehr viel nützlicheres Werkzeug als blinder Gehorsam. Sie kann verhindern, dass wir vom Weg abkommen und Schlüsse ziehen, die von unseren Voraussetzungen abweichen. Doch logische Schlüsse verraten uns nichts über die Gültigkeit dieser Voraussetzungen. Wir können uns also nicht darauf verlassen, dass uns das Ziehen logischer Schlüsse allein zur Wahrheit führt.

Hier ist das Beispiel für einen legitimen logischen Schluss, den so genannten Syllogismus: Alle Vögel sind grün. Der König von Spanien ist ein Vogel. Deshalb ist der König von Spanien grün.

Die Logik ist tadellos. Da aber beide Voraussetzungen falsch (um nicht zu sagen absurd) sind, gelangen wir zu einem Schluss, der sich zwar folgerichtig aus den Voraussetzungen ergibt, grundsätzlich aber falsch (um nicht zu sagen lächerlich) ist. Das Werkzeug, die Logik, funktioniert einwandfrei. Trotzdem müssen wir noch irgendwie sicherstellen, dass wir von gültigen Voraussetzungen ausgehen.

In der buddhistischen Lehre arbeiten wir tatsächlich mit Logik.

Mit ihrer Hilfe zeigen wir, dass die Voraussetzungen, von denen wir normalerweise hinsichtlich der Wirklichkeit ausgehen, falsch sind. Buddhistische Logik, wie Nagarjuna sie einsetzte, bringt uns an einen Punkt, an dem wir feststellen, dass all unsere Vorstellungen uns am Ende in der Luft hängen lassen. Wenn wir ein paar davon geprüft haben, sehen wir schließlich, dass wir am Ende immer in der Luft hängen, wenn wir uns auf unsere Gedanken und unsere Vorstellungen verlassen. Wir sehen, dass diese Methode uns niemals zur Wahrheit führen wird.

Halten wir kurz inne und machen wir Inventur. Wir können uns weder auf die Autorität noch auf das bloße Ziehen logischer Schlüsse verlassen. Keines von beidem kann uns den Weg zur Wahrheit weisen. Wir können uns also nur auf die unmittelbare Erfahrung verlassen.

Nachdem sowohl Autorität als auch Logik zu Staub zerfallen sind und all unsere Vorstellungen – vom Selbst, vom anderen, von Weisheit, Leere und Buddhismus – verblasst und vom Winde verweht sind, hat die unmittelbare Erfahrung noch immer Gültigkeit. Sie ist noch da. Aber wenn wir sie ganz genau betrachten, fällt uns noch etwas auf: Nur, weil es eine unmittelbare Erfahrung gibt, bedeutet das noch lange nicht, dass es auch jemanden gibt, der diese Erfahrung macht.

Hui-neng, der sechste Zen-Patriarch, fragte den Mönch Huai-jang: »Woher kommst du?«

»Ich komme von Tung-shan«, erwiderte der.

»Was kommt von dort?«, fragte Hui-neng.

Huai-jang war sprachlos. Acht lange Jahre sann er über die Frage nach. Dann dämmerte es ihm eines Tages, und er rief aus:

»Allein zu sagen, es ist, ist verkehrt.«

Wir müssen es selbst sehen – unmittelbar. Bei genauer Betrachtung löst sich all das auf, was wir für unser Selbst halten.

Doch die unmittelbare Erfahrung geht weiter.

Wir erfahren niemals etwas, das tatsächlich »dort draußen«

geschieht. Und wir erfahren niemals, dass »hier drin« tatsächlich jemand existiert, der etwas erfährt. Wir denken es nur.

Wir alle werden nackt und unschuldig in diese Welt hineingeboren. Wir können uns nur auf das stützen, was passiert – auf unsere unmittelbare Erfahrung. Nur dieses.

Das Problem ist, dass es den meisten Menschen nicht besonders gut gelingt, auf die tatsächliche Erfahrung zu achten.

Der Grund dafür ist schnell gefunden: Wir denken zu viel.

Dabei ist es ganz einfach, sich auf das zu konzentrieren, was ist. Wir müssen nur hinsehen und feststellen, dass das, was wir sehen, von dem abweicht, was wir denken. Wir müssen uns dem Paradox und der Verwirrung stellen.

Ich rede hier nicht von vagen, mystischen Ideen. Fang an, dir

die Bäume, Felsen, Vögel, Menschen, den Geist, das Denken, das Fühlen, ja sogar Gedankengebilde wie Engel und Geister ganz genau anzusehen. Betrachte sie eher als Erfahrung und nicht so sehr als materielle Dinge, die »dort draußen«, getrennt von »dir«, existieren. Sieh dir ruhig und wortlos (das heißt ohne geistigen Dialog) an, was vor sich geht. Das ist ganz einfach, nicht geheimnisvoll, fremd, kompliziert oder verwirrend.

Prüfe ständig, was du tust, was du denkst, was du fühlst. Achte auf das, was du glaubst und was du sagst. Tue das immer wieder, ohne davon auszugehen, dass du je wieder damit aufhören wirst. Lass zu, dass Logik und Autorität unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen.

Was bleibt, ist das, was schon immer hier war: die Wirklichkeit, so wie sie ist, bevor wir versuchen, etwas aus ihr zu machen.

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 180-186)