• Keine Ergebnisse gefunden

Geistiger Juckreiz

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 34-38)

enn wir im dualistischen Denken verstrickt sind, sagen wir uns oft: »Ich bin verblendet, deshalb möchte ich erleuchtet werden«, und merken dabei nicht, dass wir bereits erleuchtet sind.

W

Wir sitzen hier und glauben, dort drüben gäbe es etwas anderes, etwas Besseres – etwas, das wir bekommen, uns verschaffen, erreichen müssten. Dann fangen wir an zu meditieren, in dem Glauben, die Meditation würde uns irgendwie die Erleuchtung bringen.

Wir denken das – ja, wir glauben es mit Inbrunst –, obwohl uns anhand von diversen Beispielen und Geschichten immer wieder gezeigt wird, dass die Wirklichkeit nicht so funktioniert.

Wir hören von Baso, der meditierte, um ein Buddha zu werden, bis sein Lehrer begann, einen Ziegel zu polieren, um, wie er sagte, »einen Spiegel daraus zu machen«. Baso verstand:

Man kann einen Ziegel so lange polieren, wie man will. Es wird niemals ein Spiegel daraus werden. Ebenso wenig kann uns das Meditieren in einen Buddha verwandeln. Wie könnte es auch?

Wir sind bereits ein Buddha – das heißt untrennbar mit der Wirklichkeit und der Wahrheit verbunden. Und doch ignorieren wir das und benehmen uns weiter, als fehle uns etwas.

In Zen-Geist, Anfänger-Geist erklärt uns Suzuki Roshi, bei der Zenpraxis gehe es nicht darum, etwas zu erreichen. Falls doch, sei es nicht Zen. Wir bekommen das immer und immer und immer wieder zu hören. Jahrelang. Ein echter Lehrer verpasst uns die volle Dosis.

Und doch merzen wir diese grundlegende Verblendung unseres Geistes nicht aus. Wir schwelgen darin, erfreuen uns daran. Wir hoffen weiter darauf, dass es uns irgendwie gelingen

wird, den richtigen spirituellen Schalter umzulegen, und dass die Erleuchtung uns dann endlich durchfluten wird.

Sind wir in der Lage, diesen kleinen, in unseren Köpfen herumgeisternden Gedanken mit schlichter, einfacher Ehrlich-keit zu betrachten? Denn das müssen wir. Wir müssen uns diese Aufgabe zu Herzen nehmen. Wir müssen sie ernst nehmen.

Wenn wir uns erst einmal eingestanden haben, dass wir diesen Gedanken hegen, was tun wir dann dagegen? Vertreiben wir ihn? Tun wir so, als gäbe es ihn nicht? »Ich mache das wirklich nicht, weil ich erleuchtet werden will. Ich mache das einfach so.

Ich habe ganz sicher keinerlei Hintergedanken dabei.« Aber wenn der Gedanke da ist, müssen wir ihn uns eingestehen. Es bringt nichts, ihn zu leugnen oder zu bekämpfen oder zu denken:

»Ich sollte nicht so sein.« Warum sollten wir nicht so sein? Es ist völlig normal für uns, so zu sein. Das ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Wenn wir anfangen, auf uns herumzu-hacken, weil wir uns nach der Erleuchtung sehnen, schüren wir dieses Verlangen nur weiter und werden immer wieder das gleiche Problem heraufbeschwören – in der einen oder anderen Form.

Im Grunde müssen wir uns lediglich bewusst machen, womit wir uns gerade beschäftigen. Dann, und nur dann, können wir allmählich erkennen, dass wir erst frei sein werden, wenn wir uns weder an den Wunsch nach Erleuchtung noch an das Verlangen klammern, den Wunsch nach Erleuchtung zu überwinden.

Das muss uns absolut klar sein. Erst wenn wir diese Erkenntnis verinnerlicht haben, hört der Gedanke an die Erleuchtung von ganz alleine auf, in unserem Kopf herumzugeistern. Von da an üben wir wirklich Zen.

Wir müssen unseren Geist, der sich ständig an etwas klammern will, durchschauen. Zen bedeutet keinesfalls, dass man etwas in seinen Geist aufnimmt oder daraus entfernt oder

dass man leugnet, wie er beschaffen ist. Das funktioniert nicht, denn es hat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Wenn unser Geist sich in diesem Augenblick an etwas klammert, dann ist das unser Geist. So ist er eben. Es hat keinen Zweck, so zu tun, als sei es nicht so. Seien wir ehrlich.

Man kann die Sache auch anders erklären:

Glaubst du wirklich, es gäbe etwas, das man in den Geist aufnehmen oder daraus entfernen könnte, um das heftige Verlangen im Herzen zu stillen? »Ich will wach sein.«

»Ich wünsche mir Freiheit und Seelenfrieden.« Es ist wie ein geistiger Juckreiz, und wir haben keine Hand frei, um uns zu kratzen.

Glaubst du wirklich, dass es »dort draußen« etwas gibt – die Erleuchtung, das Nirvana, eine besondere Erkenntnis –, das dich befriedigen könnte? Hast du je etwas gefunden, das den existenziellen Juckreiz deines Geistes wirklich stillen konnte?

So etwas gab es nie und wird es nie geben. Mag sein, dass der Juckreiz einen Augenblick lang nachlässt, doch selbst dann solltest du nicht vergessen, dass es »dort draußen« immer wieder etwas Neues geben wird. Solange du dich abgrenzt, wird es immer etwas geben, was du haben oder loswerden musst. Der Vorrat an diesen Dingen ist unerschöpflich. Und die Erleuchtung wird lediglich zu einem weiteren Verlangen, einem weiteren Juckreiz, den wir zu stillen versuchen.

Das, wonach wir wirklich suchen, hat keine Gestalt, ist aber auch nicht formlos. Wir können es nicht erfassen oder erreichen oder festhalten oder in Begriffe packen oder auch nur beschreiben.

Was können wir also tun?

Wir können unsere Lage verstehen. Wir können erkennen, dass sich unser Leben nicht von der Wirklichkeit – vom Leben der Welt in ihrer Gesamtheit, vom Leben der anderen – trennen lässt. Mit anderen Worten, dass es nichts zu erreichen gibt.

In der Praxis bedeutet das zu erkennen, dass unser Geist sich anklammern will – und dieses Anklammern allein durch die Erkenntnis auszumerzen –, während wir unser Leben Tag für Tag leben. Wir können unmittelbar erkennen, dass der Schmerz und die Verwirrung, von der wir uns befreien wollen, von unserem ruhelosen, begehrlichen Geist selbst verursacht werden, der ständig fragt: »Was habe ich davon?« und »Was ist das Beste für mich?«

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 34-38)