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Befreiung, nicht Resignation

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 87-92)

er Buddha sagte, er lehre lediglich zwei Dinge: Duhkha, was man als Wandel, Kummer, Verlust, Leiden, Qual oder Verwirrung übersetzen kann, und die Befreiung von Duhkha.

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Solange wir uns an unser geliebtes Selbst klammern, wird Duhkha uns begleiten. Wenn wir genau hinsehen, können wir sehen, dass sogar das Vergnügen Duhkha ist, denn wenn sich die Dinge ändern, leiden wir unter dem Verlust (und der Angst vor dem Verlust) des Vergnügens.

Im Grunde genommen ist Duhkha das menschliche Leben mit all seinen Fesseln.

Buddha zeigte uns unsere Fesseln und wies uns einen Weg in die Freiheit. Diese Freiheit finden wir, indem wir erkennen, dass wir uns selbst aus Unwissenheit in unserem Denken fesseln.

Buddhas Lehren zeigen uns deutlich, wie wir uns in tausend Dingen, Situationen und Beziehungen verfangen und ver-stricken. Dadurch können diese Lehren uns helfen, einen großen Teil des Leidens zu vermeiden – unter anderem auch das beunruhigende Gefühl, dass wir im Grunde nicht die leiseste Ahnung haben, was vor sich geht.

Doch Buddha beließ es nicht dabei. Er zeigte uns sogar, wie wir uns auch davon – von Befreiung und Erleuchtung – befreien können.

Wir sind, was die Freiheit angeht, sehr verwirrt. Wir werfen mit allerlei Vorstellungen um uns, die wir uns von der Freiheit gemacht haben, doch im Grunde fesseln uns all diese Vorstellungen, denn es sind nur Ideen, durch die wir die Wirk-lichkeit ersetzten. Deshalb fällt es uns schwer, wahre Freiheit zu kosten, denn je mehr wir darüber nachdenken und je mehr wir ihr nachjagen und versuchen, sie zu erlangen, desto gründlicher

vereiteln wir unsere Bemühungen und desto tiefer verstricken wir uns in unseren Fesseln. Der Versuch, Freiheit zu erlangen, hält unsere Verwirrung und unser Leiden nur aufrecht.

Manche Menschen glauben, Buddha habe gesagt, wir sollten einfach aufgeben und die Widrigkeiten des Lebens akzeptieren.

Sie denken, im Grunde laute seine Botschaft an die Menschen:

»Hört mal, lasst euch davon nicht stören. Das menschliche Leben ist nun mal schwierig und verdrießlich. Ihr könnt nur das Beste daraus machen.«

In Wirklichkeit sagte Buddha nichts dergleichen. Er räumte ein, dass die Menschen ihn oft missverständen und seine Worte falsch auslegten, und sagte sogar: »Was ich als Befreiung bezeichne, bezeichnet die Welt als Resignation.«

Zudem glauben manche Menschen, darunter auch Buddhisten, der Buddhismus könne uns bestenfalls inneren Frieden schenken. Sie wollen sagen können: »Ich habe Frieden gefunden.«

Doch als Buddha von Befreiung sprach, meinte er damit keine derart arme und begrenzte Erfahrung.

Buddha lehrte echte Befreiung, wirkliche geistige Freiheit. Er zeigte uns, wie wir unabhängig von den Umständen frei sein können – nicht nur resigniert oder in Frieden.

Wenn wir nicht sehen, wird alles, was wir anfangen, zur Fessel, sogar Buddhas Lehre. Diese Fessel befindet sich in unserem Geist. Folglich finden wir auch wahre Freiheit nur in unserem Geist – in unserem Verständnis und unserer Fähigkeit, einfach zu sehen.

Diese Freiheit, dieses Sehen, verlangt keine Opfer. Das, was uns so teuer ist – wovon wir fürchten, dass von uns verlangt werden könnte, es aufzugeben –, bringt uns nur deshalb Schmerz, weil wir daran festhalten. Wenn wir genau hinsehen, entdecken wir, dass wir nichts dabei gewinnen, wenn wir daran festhalten.

Was können wir schon festhalten? Nichts. Weder unseren Besitz noch unsere Gedanken, unsere Gefühle, unsere Erinnerungen, unseren Geist, unser Leben oder die Menschen, die wir lieben. Nichts hat Bestand. Alles verändert sich. Deshalb müssen wir der Freiheit nichts opfern, denn das, was wir fürchten aufgeben zu müssen, hat uns nie gehört. Wir dachten es nur.

Nur wenn wir glauben, die Dinge, nach denen wir streben und an die wir uns klammern, könnten uns befriedigen – wenn wir glauben, wir könnten uns ihrer tatsächlich bemächtigen und irgendwie könnten sie die tiefe Sehnsucht unseres Herzens stillen –, nur dann erzittern wir bei dem Gedanken, dass alles vergeht – sogar unser geliebtes Selbst.

Und es wird vergehen – allerdings nicht, weil wir es aufgeben müssen. Es vergeht so oder so. Wenn wir gar nicht erst versuchen, irgendetwas festzuhalten, werden wir die Befreiung sehen, von der Buddha sprach.

Die Befreiung besteht darin, dass wir unsere wahre Situation eindeutig erkennen. Dabei geht es niemals darum, etwas aufgeben zu müssen, das uns gehört. Schon der Gedanke ist völlig aus der Luft gegriffen, und diese Angst beruht auf Verblendung. Wie können wir etwas aufgeben, das uns nie gehört hat (und von dem wir nur dachten, es hätte uns gehört)?

Wir müssen lediglich sehen, was in jedem beliebigen Augen-blick tatsächlich vor sich geht. Dann werden sich die Dinge als die Eintagsfliegen entpuppen, die sie schon immer waren.

Nichts geht dabei verloren.

Wenn der eine oder andere Teil dieser Lehre ein wenig bedrohlich klingt, liegt das nur daran, dass wir noch immer an der Vorstellung vom Selbst und dem Anderen festhalten.

Die Wahrheit ist, dass alles schon immer so war, und wenn wir diesen Weg weitergehen wollen, gibt es nichts, was wir fürchten, aufgeben oder wegwerfen müssten. Wenn wir aber

sehen, verschwindet vieles von alleine, und ohne dass es uns fehlt.

Es ist wie mit der Angst vor dem schwarzen Mann. Solange wir ihn fürchten, obwohl es ihn gar nicht gibt, müssen wir ihn in Schach halten. Möglicherweise nageln wir jeden Abend die Tür zu. Oder wir sagen Zaubersprüche und Gebete auf, damit er uns in Ruhe lässt. Oder wir lassen das Licht an und bleiben wach, für den Fall, dass er kommt.

Irgendwann gewöhnen wir uns an diese Vorsichtsmaßnahmen, denn schließlich haben sie immer funktioniert. Der schwarze Mann ist nie gekommen. Allein die Vorstellung, welche Schrecken uns widerfahren könnten, wenn wir einen Fehler machten oder sie gar vergäßen! Außerdem haben wir uns daran gewöhnt, ihn in Schach halten zu müssen. Wieso sollten wir etwas riskieren? Der Gedanke, nichts gegen den schwarzen Mann zu unternehmen, versetzt uns in Angst und Schrecken.

Wenn jemand käme und unsere Rituale unterbinden, die Nägel aus der Tür ziehen und sie weit öffnen würde, würden wir ihn für verrückt oder zumindest für sehr mächtig und tapfer halten.

Natürlich ist er weder das eine noch das andere. Davon könnten wir uns selbst überzeugen, wenn die Tür nachts erst einmal geöffnet würde. Mit einem Mal würden wir sehen, dass wir dem Wunsch und dem heftigen Verlangen nach Sicherheit erlegen sind, dass wir von Angst und Kummer gefesselt waren – und dass wir all das selbst erschaffen hatten.

Wir würden sehen, dass uns die völlige Befreiung keine Opfer abverlangt. All die Mühe, der ständige Kampf, um den schwarzen Mann in Schach zu halten – was wir zuvor für unerlässlich gehalten hatten –, ist nun gänzlich verschwunden.

Befreiung ist auch nicht bloße Akzeptanz.

Hinsichtlich der Wirklichkeit haben wir keine Wahl. Wir stecken bereits mittendrin. Wir können nicht einfach sagen:

»Also gut, ich akzeptiere die Wirklichkeit.« Wirklichkeit ist

Wirklichkeit, ob wir sie annehmen oder nicht, wir haben sie am Hals. Wir können uns natürlich mit Händen und Füßen wehren, doch wozu?

Buddhas Lehre ist sehr viel subtiler und tiefgründiger als bloße Akzeptanz. Akzeptanz kann es nur geben, wenn wir uns für ein getrenntes, abgeschnittenes, isoliertes Selbst halten. Sowohl Akzeptanz als auch Resignation gibt es nur in der Welt des Ego, in der wir an Vorstellungen von Trennung und Isolation gebunden sind.

Wenn wir aber sehen, was tatsächlich vor sich geht – dass die Bestandteile unserer unmittelbaren Erfahrung etwas mit uns selbst zu tun haben, mit uns verbunden sind –, erkennen wir, dass es nichts gibt, was wir annehmen oder in das wir uns fügen müssten. Es gibt nicht einmal ein »Ich«, das etwas annehmen oder sich fügen könnte.

Befreiung – das, was genau hier, genau jetzt geschieht – geht über jede Vorstellung von Akzeptanz oder Resignation weit hinaus. Genau genommen wird uns in der Befreiung klar, dass es weder eine einzelne Person gibt, die befreit werden müsste, noch etwas, wovon sie befreit werden müsste. Wenn wir das sehen, sind wir frei.

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 87-92)