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Das Problem beim Ausmerzen des Bösen

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 24-28)

Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel.

Jesus von Nazareth: Matthäus 5,39

Vor ein paar Jahren stieß ich zufällig auf ein wunderschönes Bild: das Original der drei berühmten Affen, die nichts Böses hören, nichts Böses sagen und nichts Böses sehen. Man hatte sie im 17. Jahrhundert in Japan in den Türsturz einer Stalltür geschnitzt.

Ich weiß noch, dass ich als Junge Gipsdarstellungen der drei Affen sah, doch die hatten ganz anders ausgesehen als die alten japanischen Affen. Die Figuren, die ich kannte, waren vergleichsweise bieder. Die drei Affen hockten dabei lethargisch auf dem Boden und blickten alle in die gleiche Richtung. In der japanischen Originalschnitzerei dagegen, wandten sie sich in unterschiedliche Richtungen und waren dadurch aktiv, dynamisch und voller Leben. Diese Affen schienen sich nicht wie auf dem bekannteren Bild zu weigern, das Böse wahrzunehmen, sondern sich in ihrer Reaktion darauf geradezu zu überschlagen.

Wir denken gerne, wir hätten rein gar nichts mit dem Bösen zu tun. Wir doch nicht – wir, die Guten! Und wir möchten, dass das auch so bleibt. Folglich stempeln wir bestimmte Menschen oder politische Systeme oder Religionen gerne als böse ab. Man kann tatsächlich in fast allem das Böse sehen. (Das erinnert mich daran, dass mir einmal gesagt wurde, der Lake Superior sei böse, weil er so viele Menschen das Leben koste.)

Doch wenn wir glauben, nichts mit dem Bösen zu tun zu haben (oder je zu tun haben zu können), müssen wir immerzu

dagegen ankämpfen, um es in Schach zu halten.

Wir glauben, ganz und gar von unseren Erfahrungen getrennt zu sein. Wir glauben, dass uns »das dort draußen« einfach widerfährt. Und wenn es so aussieht, als sei »das dort draußen«

angenehm oder schutzbringend, nennen wir es gut. Und wenn es bedrohlich oder seltsam oder beängstigend scheint, nennen wir es böse. Demnach lässt erst das Gefühl der Getrenntheit die Vorstellung von gut und böse entstehen.

Wenn wir die Welt sähen, wie sie ist, würde sich die Frage nach gut und böse gar nicht erst stellen.

Sehen wir uns einmal an, mit welch außerordentlicher Dummheit wir diesen Kreislauf immer wieder neu durchlaufen (und in Gang halten). Zuerst stellen wir uns vor, wir seien ganz und gar von allem anderen getrennt, dann reagieren wir emotional auf unsere Vorstellungen. Anschließend erschaffen wir auf der Basis unserer emotionalen Reaktionen – wir fürchten dies und wollen jenes – geistige Gebilde, die wir in gut und böse einteilen. Aber diese Gebilde sind nicht echt, obwohl wir das denken. Es sind Phantome, die wir als Reaktion auf andere Phantome erschaffen haben.

Außerdem besitzt dieses Problem einen noch tiefer gehenden Aspekt. In dem verzweifelten Bemühen, uns vom Bösen fern und diese Trennung aufrechtzuerhalten – in dem fruchtlosen Versuch, das Unmögliche zu tun –, bereiten wir uns und anderen allerhand Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten werden wiederum als böse gebrandmarkt, und manchmal werden sogar wir selbst als böse bezeichnet. Die Kette setzt sich immer weiter fort. Wir frönen unseren begrifflichen Unterscheidungen und würden lieber Krieg auf uns und andere herabbeschwören, als die ungreifbare Welt der Ganzheit und Totalität zu erkennen, der wir bereits angehören.

Tatsache ist, dass wir stets Teil des Ganzen sind. Wir können weder uns selbst noch etwas anderes – einen Gedanken, eine

Sache – aus diesem Ganzen herauslösen. Wenn wir dies sehen könnten, bekämen wir eine völlig andere Einstellung zu Gut und Böse. Eine Einstellung, die uns nicht immer mehr in Schmerz und Verwirrung verwickeln würde.

Damit soll nicht verleugnet werden, dass wir schmerzliche oder traurige oder schwierige Erfahrungen machen. Aber der erwachte Geist sieht die Erfahrung in ihrer Gesamtheit und nicht das Böse als solches. Er deutet die Erfahrung nicht als »etwas dort draußen, das mich bedroht«. Ebenso wenig sieht er das Gute »dort draußen« als etwas Eigenständiges, Abgetrenntes.

Wenn wir erwachen und unsere Erfahrung in ihrer Gesamtheit begreifen, erkennen wir, dass das Denken selbst das Problem ist.

Hier liegt die Wurzel all unseres Kummers, unseres Schmerzes, unseres Leids und unserer Verwirrung.

Gemäß dem Buddha-Dharma (der Lehre des Erwachten) sollen wir uns darum bemühen, voll und ganz und voller Mitgefühl in dieser trüben Welt zu leben, ohne dabei noch mehr Schlamm aufzuwühlen. Damit uns das gelingt, müssen wir lediglich begreifen, dass alles, was unseres Weges kommt, bereits Teil des Ganzen ist und wir uns dessen nicht entledigen können. Wir müssen uns genau hier, wo wir uns befinden, damit beschäftigen.

Damit möchte ich weder Brutalität noch Zorn, Rachsucht oder Zerstörungswut gutheißen. Doch wo Verwirrung herrscht, können wir vielleicht etwas Licht anzünden. Wo Schmerz ist, können wir vielleicht etwas tun, um ihn zu lindern. Wo Gewalt herrscht, ist es vielleicht möglich, sie zu absorbieren – während wir gleichzeitig unser Möglichstes tun, um sie zu reduzieren.

Doch zuerst müssen wir lernen, den eigenen Geist zu beobachten. Wir müssen sehen, dass wir von den anderen weder isoliert noch getrennt sind – dass wir es niemals waren und niemals sein werden. Wir müssen den eigenen Geist ehrlich und leidenschaftslos prüfen und erkennen, wie er sich den

unzähligen, von ihm selbst erschaffenen Ablenkungen und Vorstellungen zuneigt und sich wieder von ihnen entfernt.

Deshalb ermahnt uns Buddha im Dhammapada, unseren Geist zu reinigen. Vermutlich sind wir alles andere als glücklich darüber, uns mit dem Hier und Jetzt beschäftigen zu müssen, doch nur im Hier und Jetzt können wir frei in der Welt leben, ohne andere oder uns selbst für böse zu halten.

Eben weil wir so schnell damit bei der Hand sind, die Dinge in gut und böse aufzuteilen, erzeugen wir Trennung und menschliches Elend. Wenn wir das sehen, gelingt es uns allmählich, weise zu handeln.

Wenn wir uns dabei ertappen, dass wir trennenden Gedanken nachhängen oder uns in Urteilen über »die da« (oder »uns hier«

) ergehen, können wir uns in die Gegenwart zurückholen. Dazu braucht es lediglich etwas Aufmerksamkeit, Besinnung und Geduld.

Sieh Verwirrung als Verwirrung. Erkenne Leiden als Leiden an. Fühle den Schmerz und den Kummer und das Getrenntsein.

Erlebe Zorn oder Angst oder Schock als das, was sie sind.

Deshalb musst du sie nicht gleich für böse halten – für von Grund auf böse, für etwas, das vernichtet oder aus unserer Welt vertrieben werden muss. Sie müssen im Gegenteil absorbiert, gelindert und geheilt werden.

Wie wir selbst ist das, was wir gerne als böse bezeichnen würden, bereits Teil des Ganzen und kann nicht herausgelöst werden. Wenn es uns gelingt, es auf diese Weise zu sehen, reinigen wir unseren Geist.

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 24-28)