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Warum nach Befreiung streben?

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 140-145)

s war einmal ein Mann, der ging zu einem Zenlehrer und fragte: »Ich habe gehört, dass es vor langer Zeit einen Buddha gab, der zehn Ewigkeiten meditierte, aber dennoch nicht die volle Befreiung des Geistes erlangte. Wie ist das möglich?«

E

Der Lehrer sprach: »Du hast deine Frage selbst beantwortet.«

»Aber er hat andauernd meditiert! Warum ist er nicht erwacht?«

Der Lehrer erwiderte: »Er war kein Buddha.«

Wie der Mann in dieser Geschichte verlangen wir Erklärungen. Wenn wir mit Zen oder dem Meditieren beginnen, haben wir eine bestimmte Vorstellung davon, was mit Menschen geschieht, die fleißig üben. Wir denken, wenn es jemandem mit der Meditation wirklich ernst ist, muss er etwas Bedeutendes erreichen. Wir hegen alle möglichen Erwartungen – was ein Buddha ist, was die Erleuchtung ist, was mit Menschen passiert, die viel meditieren. Und wenn die Wirklichkeit nicht unseren Erwartungen entspricht, regen wir uns auf.

Doch die meisten von uns verstehen nicht, dass nicht die Wirklichkeit, sondern unsere Erwartungen das Problem sind.

Wir denken, wenn wir uns eifrig um etwas bemühen – zum Beispiel darum, Astronom oder Kfz-Mechaniker zu werden –, werden wir gut darin und können diese Kunst vielleicht sogar meistern. Manchmal trifft das auch zu. Das Problem ist, dass wir mit der gleichen Auffassung an die Meditation herangehen.

Einen Zenlehrer halten wir also für jemanden, der die Kunst der Meditation gemeistert hat.

Doch wenn wir mit dieser Vorstellung an die Zenpraxis herangehen, haben wir nichts verstanden.

In dieser Geschichte ging der Fragesteller davon aus, dass

jeder, der fleißig und gewissenhaft meditiert, eine besondere Erfahrung macht und zu tiefer Erkenntnis gelangt. Schließlich scheint es nur fair, dass wir eine Sache, um die wir uns lange und eifrig bemühen, auch irgendwann meistern. Oder sie aufgeben.

In der Tat geben viele Leute die Zenpraxis wieder auf, nachdem sie sich einige Zeit sehr eifrig darum bemüht haben.

Wenn es so aussieht, als würden sie nichts erreichen, hören sie auf. Wieso aber haben sie nichts erreicht?

Sie – und wir – erreichen nichts, weil sie glauben, wir suchten etwas, das sich erreichen ließe.

Bei der Zenpraxis geht es nicht darum, etwas zu erreichen oder ein Buddha zu werden. Genau genommen ist das unmöglich.

Niemand wird ein Buddha.

Ein Buddha ist schlicht ein Mensch, der wach ist, der sich der Wirklichkeit bewusst ist. Wenn du siehst, was wirklich ist, bist du ein Buddha.

Dessen ungeachtet klammern wir uns an die Vorstellung:

»Wenn ich richtig hart arbeite, werde ich vielleicht erleuchtet - wie ein Buddha.« Dann fangen wir an zu üben, als könnten wir uns die Buddhaschaft irgendwie erarbeiten.

Doch das ist nicht möglich. Aus einem sehr einfachen Grund:

Du bist bereits ein Buddha. Es gibt nichts, was du dir erarbeiten müsstest.

Die meisten von uns gehen an die Zenpraxis heran, als könne sie uns etwas geben, das wir brauchen. In Wirklichkeit ist es eher so, dass wir etwas loswerden müssen.

Du hast bereits, was du brauchst, um das menschliche Leben vollständig zu verstehen – um nicht verwirrt, nicht verängstigt zu sein, dich nicht ständig nach etwas zu sehnen, nicht zu leiden.

Du hast es bereits jetzt.

Trotzdem glauben wir weiterhin, irgendwie unzulänglich zu

sein – ganz besonders, wenn es um die Erleuchtung geht. Und wir glauben, wenn wir eine Ewigkeit üben, können wir vielleicht zu Buddhas oder erleuchteten Wesen werden.

Doch so funktioniert die Wirklichkeit nicht. Wie können wir etwas erlangen, das wir bereits besitzen, und wenn wir noch so lange meditieren? Es ist, als sehne man sich danach, in Amerika zu sein, obwohl man in New York lebt.

Wir müssen verstehen, dass es den Buddha, nach dem sich der Mann in der Geschichte erkundigte, gar nicht gab. Der Mann stellte ihn sich als einen Menschen vor, dem etwas fehlte und der meditieren musste, um ein Buddha zu werden. Doch einen solchen Menschen gibt es nicht – und wird es nie geben.

Niemandem, der lebt und unter uns weilt, fehlt die Fähigkeit, wach zu sein, ganz und gar Mensch zu sein, die Wirklichkeit zu erkennen.

Hier ist noch eine Zen-Geschichte von einem Mann, der auf der Suche nach geistiger Freiheit zu einem Zenlehrer kam. Der Lehrer fragte ihn: »Wer bindet dich?«

Der Mann antwortete: »Niemand.«

»Weshalb strebst du dann nach Befreiung?«

Wir haben die Angewohnheit, auf unserem Lebensweg ständig nach irgendetwas zu suchen. Wir lesen sogar Bücher wie dieses, weil wir etwas finden möchten. Wieso sollten wir etwas suchen, das uns direkt ins Auge sticht?

Wir verbringen unsere Zeit in Gedanken, verbringen sie damit, alles zu zerlegen, uns von der Wirklichkeit abzuspalten – und dann zu glauben, wir seien unzulänglich und müssten diesen Mangel beheben.

Solange wir das nicht erkennen, können wir kein Buddha werden. Schlicht und einfach deshalb, weil diese Art Buddha nur eine Vorstellung ist. Solange du diese Vorstellung hast, übersiehst oder leugnest du die klare, offensichtliche Wahrheit

dieses Augenblicks.

Buddhas sind Menschen, die sich ihrer Verblendung bewusst sind. Wir schreiben ihnen vielleicht besondere Einsicht zu, dabei sehen sie in Wirklichkeit nur, dass wir dieses Spielchen spielen.

Sie sehen, wie wir dazu verführt werden. Und sie sehen, wie schmerzhaft es ist, dieses Spiel zu spielen, ohne es zu wissen.

Wenn wir Zen üben, machen wir uns tagtäglich damit vertraut, wie schnell wir uns täuschen lassen, wie leicht wir uns von unseren Vorstellungen der Wirklichkeit einfangen lassen und wie fest uns all unsere Vorlieben und Abneigungen, unsere Ängste und Vorurteile binden.

Und dennoch sind wir hier. Wir können nicht anders. In Wirklichkeit bist du bereits ein Buddha. Dies geschieht gerade.

Es entgeht uns nur deshalb, weil wir es immer irgendwie interpretieren. Wir blasen etwas auf, das nichts Besonderes ist.

Wenn wir Zen üben oder uns mit Zenlehren beschäftigen, geht es nicht darum, etwas zu finden oder sich etwas anzueignen. Es geht darum, die Wirklichkeit zu erkennen – dass uns gar nichts fehlt.

Wir müssen lediglich erkennen, was vor sich geht. Darum geht es in der Meditation – um Achtsamkeit und Sosein.

Die Welt ist nichts Besonderes – sondern Augenblick für Augenblick lebendig, unvorhersehbar und wirklich. Wir müssen lediglich sehen, wie sie ist und dass sie so ist – unmittelbar vor unseren Augen.

TEIL ZWEI

WANDEL VON HERZ UND GEIST

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 140-145)