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Keine Frage des Glaubens

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 190-195)

er Buddhismus verlangt nicht, dass wir blind an Gott oder an eine heilige Schrift glauben. Genau genommen geht es beim Buddha-Dharma nicht darum, irgendetwas zu glauben. Der Buddha-Dharma ist eine religiöse Tradition, die vor zweieinhalb Jahrtausenden entstand, aber er ist kein Glaubenssystem.

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Eine Lehre oder Praxis oder Tradition, die unseren Blick auf die Wahrheit lenken möchte, kann nicht auf Glauben beruhen.

Sie kann nicht darauf beruhen, dass wir uns irgendwelche Vorstellungen zu Eigen machen. Sie kann uns nur lehren, die tatsächliche, unmittelbare, direkte Erfahrung dieses Augenblicks zu prüfen, zu testen und zu erkennen.

Wenn sich die Menschen mit den großen Fragen des Lebens beschäftigen, legen sie sich meist im Geiste eine Auswahl von Vorstellungen und Überzeugungen zurecht, mit deren Hilfe sie alle aufkommenden Fragen klären. Sie tun dies in dem Versuch, sich einen Reim auf sich selbst und auf die Welt zu machen.

Vielleicht ist dir bereits klar geworden, dass uns das nicht hilft, die Welt zu verstehen. Unsere Vorstellungen und Überzeugun-gen sind einfach nicht tragfähig – sie traÜberzeugun-gen noch nicht einmal sich selbst, geschweige denn uns und die Last der Welt. Deshalb sind wir tief im Inneren unsicher und verwirrt, wenn wir durchs Leben tappen und versuchen, uns einen Reim auf unsere Erfahrungen zu machen, indem wir unsere Überzeugungen, unsere Vorstellungen, unsere Wirklichkeitsmodelle dazu heranziehen.

Das heißt nicht, dass wir keine Überzeugungen haben dürfen oder können. Um im Alltag klarzukommen, brauchen wir eine gewisse Anzahl fester Überzeugungen. Die meisten Menschen halten es für besser, die Verkehrsregeln zu befolgen und es mit der Körperpflege einigermaßen ernst zu nehmen.

Überzeu-gungen wie diese erfüllen einen Zweck und sind oft notwendig.

Doch wenn wir vor den großen Fragen stehen – »Woher komme ich?« »Wohin gehe ich?« »Was ist die Wirklichkeit?« –, helfen uns die Überzeugungen und die Geschichten, die wir uns als Antwort auf unsere Fragen ausdenken, nicht weiter. Sie trösten uns eine Zeit lang, verursachen letzten Endes aber nur Schmerz und Verwirrung, einfach deshalb, weil die Ungewiss-heit zwangsläufig bleibt – egal, was wir uns erzählen.

Uns muss klar werden, dass mit derartigen Fragen von Grund auf etwas nicht stimmt. Wir müssen sehen, dass sie unseren geistigen Konstrukten – unseren egoistischen Wünschen, Ängsten und Spekulationen – und nicht der unmittelbaren Erfahrung entspringen, die aus dem einfachen Sehen folgt.

Nur wenn wir lernen, eine solche Verwirrung unseres Denkens zu erkennen, können wir verhindern, dass wir uns weiter darin verstricken. Doch die Möglichkeiten, sich zu verstricken, sind vielfältig und nicht leicht zu erkennen.

In dem Zen Center, in dem ich lehre, gibt es keine Buddhastatue. Nicht, weil es falsch oder schlecht wäre, eine Buddhastatue in einer Meditationshalle oder einem buddhisti-schen Zentrum zu haben, sondern weil eine solche Statue viele von uns unnötig verwirren könnte, da sie uns reizt, eine Menge von Vorstellungen und Gefühlen zu entwickeln. Die einen denken an »Götzendienst« und fühlen sich davon abgestoßen.

Andere verlieben sich in sie und wollen sofort auch eine Statue haben. Keine dieser Reaktionen ist dem Erwachen dienlich.

Deshalb haben wir stattdessen einen großen Stein in unserem Meditationssaal. Es ist schwer (wenn auch nicht unmöglich), sich dabei viel zu denken. Es ist nur ein Stein.

Trotzdem ist er ebenso Ausdruck der Wahrheit wie eine Buddhastatue (oder alles andere, was wir dort hätten aufstellen können).

Wir fanden den Stein auf einem Feld westlich der Stadt. Dort,

wo ihn die Gletscher vor vielen zehntausend Jahren zurückgelassen haben. Er war Teil uralter Gebirge, die schon seit langem fortgewaschen sind.

Er ist recht schlicht, aber er wirkt im Meditationssaal, als wenn er dort hingehört. Ruhig liegt er da, ein eleganter Ausdruck von Stabilität. Gleichzeitig stört sich niemand daran, da er keinerlei Ähnlichkeit mit der Vorstellung hat, die sich jemand von einem Buddha machen könnte (oder von irgendetwas anderem – bis auf einen Stein vielleicht).

Dennoch helfen uns der Stein und die vergängliche Blume, die daneben steht, unser kleines Leben in die richtige Perspektive zu rücken. Während wir gemeinsam im Meditationssaal sitzen, scheint sich unser Leben in einem Tempo zu entfalten, das zwischen dem des langlebigen Steins und dem der flüchtigen Blume liegt.

Der Stein ist ein natürlicher Gegenstand – er ist ohne Absicht entstanden. Deshalb drückt er alle Eigenschaften eines Buddhas wie Stille, Ruhe, Zentriertheit, Geduld, Toleranz, ja sogar Großzügigkeit, Mitgefühl und Weisheit aus. Der Stein, der einfach nur ruhig daliegt, erinnert uns an unser wahres Wesen, das da ist, bevor wir unseren Geist mit unseren Gedanken aufrühren. Weil er aber dennoch immer ein natürlicher Gegenstand bleibt, kränkt er niemanden und fördert keinen besonderen Ansichten oder Gedanken.

Weshalb verzichten wir nicht auf alles und lassen die Meditationshalle leer? Das ist natürlich eine Möglichkeit. Doch jeden Augenblick muss sich etwas manifestieren, nimmt irgendetwas Gestalt an. Die Entstehung von Dingen ist in unserer materiellen Welt nötig. Dass wir sie festhalten freilich nicht.

Schon aus diesem Grund ist es am besten, die von uns erschaffenen Formen eher schlicht zu halten. Es fällt uns nämlich leicht, eine Form auf die andere zu bauen, bis wir nicht

mehr wissen, was wir tun oder warum wir es tun. Wir verfangen uns so leicht in Formen, dass wir bestimmte Formen bald nicht nur für wirklich, sondern auch für unbedingt erforderlich halten.

Wenn wir andererseits versuchen, uns der Formen ganz und gar zu entledigen, betrügen wir uns selbst. Was wir auch tun, es wird eine Form entstehen. Selbst in dieser gestaltlosen Welt muss immer etwas Gestalt annehmen. Ja, nur in dieser Welt der Leere können Formen überhaupt entstehen.

Was wir auch tun, wie wir auch leben, unser Leben und unser Erleben in diesem Augenblick wird stets eine bestimmte Atmosphäre, ein Aroma, einen Beigeschmack haben. Doch im Zen geht es darum, sich nicht in dieser oder jener Form, dieser oder jener Überzeugung zu verfangen.

Ständig zerren Menschen und Umstände uns in die eine oder andere Richtung. Trotzdem müssen wir uns ansehen, was wir wirklich tun. Wir müssen sehen, was in unserem Herzen und in unserem Geist vor sich geht. Wir müssen sehen, woran wir hängen, worauf wir beharren, was wir nicht verlieren möchten.

Wir müssen uns wieder und wieder auf das besinnen, was wir tun – jetzt, in diesem Augenblick.

Es sind unsere Gedanken, unsere Überzeugungen – die Schöpfungen unseres Geistes –, die uns beunruhigen, ängstigen und verwirren. Das gilt besonders für die Vorstellungen, die sich in erster Linie in Form unseres Egos äußern. Mit diesen verstricken wir uns unwissentlich in Tatsachen und Angelegenheiten, die von geringer oder gar ohne Bedeutung sind. Das hält uns im Sumpf von Unwissenheit und Verwirrung gefangen.

Wir müssen dies lediglich sehen, um sofort frei zu sein.

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REINER GEIST

37. Wie man auf der Stelle Befreiung

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