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Die Dinge umkehren

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 109-114)

eder von uns kennt das, wenn der Geist lauthals vor sich hin zetert. Jeder von uns schimpft im Stillen über das, was ihm nicht passt. Entweder wollen wir etwas und kriegen es nicht.

Oder wir bekommen immer wieder etwas, das wir nicht wollen.

Wir wollen nicht dieses, sondern jenes. Aber die Welt tischt uns immer nur dieses auf.

J

Manchmal gelingt es uns in dieser Situation, unseren Geist irgendwie abzulenken, zu besänftigen oder gar zu erfreuen.

Folglich verwenden wir sehr viel Zeit und Energie auf diesen Versuch. Weil es uns nicht gefällt, wenn unser Geist vor sich hin zetert, versuchen wir für gewöhnlich, die Welt zu verändern, in dem Glauben, wir würden uns dann besser fühlen. Wir denken und handeln, als könnten wir mit der richtigen Planung, der richtigen Strategie und dem richtigen Einsatz alles irgendwie ins Lot bringen oder doch zumindest zu einer zufrieden stellenden Regelung gelangen. Dann, so sagen wir uns, wird sich das Gezeter in unserem Kopf legen, und wir können endlich glücklich und in Frieden leben.

Doch schon deshalb, weil wir mit anderen zusammenleben, läuft garantiert nicht immer alles nach unseren Vorstellungen.

Früher oder später werden wir mit anderen und der Welt auf verschiedene Weise in Konflikt geraten. Die Unzufriedenheit wird sich immer wieder regen, was wir auch tun, zumindest solange wir unser Problem weiter »dort draußen« suchen.

Gerade die Tatsache, dass Unzufriedenheit unvermeidlich ist, offenbart uns eine bemerkenswerte Erkenntnis: Nämlich dass nicht die Welt »dort draußen« unser Problem ist. Du kannst dich aufregen, so viel du willst, der Welt – der Natur – ist das egal.

Die Natur schimpft und zetert nie. Sie macht einfach weiter – tischt mal dies, mal jenes auf.

Wenn wir Zen üben, lernen wir nicht nur, diesen unzufrie-denen, lauten, zeternden Geist loszulassen. Wir lernen sogar, ihn zu vergessen. Uns nicht weiter darum zu kümmern, ob er noch da ist oder nicht. Ihn einfach loszulassen. Die Aufmerksamkeit von dem Durcheinander abzuziehen, das wir in unserem Geist anrichten, und sie auf das zu richten, was genau hier, genau jetzt in diesem Augenblick passiert.

Wenn wir im Sitzen meditieren, passiert nicht allzu viel – schließlich beschränken wir uns weitgehend in unserem Tun, in unserem Sprechen und in dem Platz, den wir einnehmen.

Deshalb können wir uns diesem Geist, der ständig von uns verlangt, dass wir ihm alles recht machen, nun frei und offen stellen und ihn betrachten. Wenn wir meditieren, kann sich jener Geist hervorwagen, der nicht ängstlich, wütend, unleidlich oder unzufrieden ist.

Wenn andererseits Unzufriedenheit in deinem Geiste lauert, wird das ruhige Verharren in der Meditation sie deutlich hervortreten lassen. Das ist eine wundervolle Chance: Indem du dich dieser Unzufriedenheit zuwendest und dich ihr stellst, indem du sie betrachtest und siehst, was vor sich geht, kannst du deinen zeternden Geist loslassen.

Betrachten wir unsere chronische Unzufriedenheit – unseren Wunsch, die Dinge mögen anders sein, als sie sind – einmal genauer.

Wir leben in einer Kultur, in der man von uns erwartet, dass wir einen Großteil unserer Zeit darauf verwenden, auf vielerlei Weise für das eigene Wohlbefinden zu sorgen. Dabei liegt gerade dieser Nachdruck, den wir darauf legen, uns selbst zufrieden zu stellen, unserer Unzufriedenheit, unserem Unglück-lichsein und unserem Kummer zugrunde.

Wir müssen unser Ego ans Licht zerren und es einer strengen Prüfung unterziehen. Wenn unser Leben einem Geist folgt, der ständig verlangt: »Ich will das so« oder: »Ich will das anders«,

besteht unsere unmittelbare Erfahrung aus Unzufriedenheit, Elend, Schmerz, Leid, Besessenheit, Verzweiflung, Frustration, Wut und so weiter. Dieses Ego, dieses »Ich«, dieser Nabel der Welt, möchte beschützt und zufrieden gestellt werden – und fordert es manchmal sogar sehr nachdrücklich. Es ist der Sitz all unseres Leids, der Ursprung all unserer Probleme.

Trotz seiner Sorge um das eigene Wohlergehen ist das Ego unser ärgster Feind. Doch wenn wir aufmerksam bleiben, wissen wir, worauf wir achten müssen, und wenn wir uns selbst gegen-über absolut ehrlich sind, werden wir die Tricks unseres Egos erkennen und uns nicht davon täuschen lassen. Wenn wir sehen, bekommen wir die Gelegenheit, die Situation zu verändern – und eine andere Art des Denkens zu wählen.

Als ich Schüler von Katagiri Roshi war, erstanden wir eine neue Klangschale für den Meditationssaal. Wir kamen bald dahinter, dass die Schale besser klang, wenn wir sie schräg stellten. Die Schale stand zwar nun nicht mehr so sicher auf ihrem Kissen, aber wir hatten, was wir wollten – einen vollen Klang ohne große Mühe.

Als unser Lehrer das sah, rückte er die Schale sofort gerade.

»Zwingt die Schale nicht, sich euch anzupassen«, sagte er.

»Lernt, euch der Schale anzupassen.«

Wenn wir uns jeden Augenblick neu erschaffen, um der jeweiligen Situation gerecht zu werden, wird es kein Gezeter in unserem Geist geben. Was die Welt uns auch auftischt, wir nehmen es an – nicht zu unseren, sondern zu ihren Bedin-gungen. Um des Ganzen willen vergessen wir uns und unsere Verblendung.

Ein alter Zenlehrer sagte: »Der Weg ist immer bei den Menschen, aber die Menschen jagen den Dingen nach.«

Der Weg – Wahrheit, Wirklichkeit, Erleuchtung – ist immer bei den Menschen. Er ist auch jetzt bei dir. Er ist nicht »dort draußen«, du musst ihm nicht nachlaufen, ihn in Ordnung

bringen oder besitzen. Dein Problem besteht darin, dass du hinter den Dingen her- oder vor ihnen davonläufst. Erkenne, dass der Weg anders ist. Er ist immer bei dir.

Wenn du das nicht im Hinterkopf behältst, wirst du nicht verstehen und nur wieder irgendwo hinlaufen. Du wirst versuchen, Zen zu erwerben oder zu besitzen, und wirst damit genauso verfahren, wie mit allem anderen, wonach du strebst.

Betrachte diese beiden Personen. Äußerlich sehen sie gleich aus, doch in ihrem Inneren sind sie ganz und gar verschieden.

Die Person links hat einen lärmenden Geist, der begreifen will und voller Vorstellungen und Techniken ist. Ganz anders die Person auf der rechten Seite, die sich weder mit irgendwelchen Gedanken noch mit irgendeiner Technik beschäftigt.

Die Person links meditiert, um Erleuchtung zu erlangen – um ein Buddha zu werden. Die Person rechts meditiert wie ein Buddha.

Der Geist der Person links kennt tausend Erklärungen, Rechtfertigungen und Gründe für die Sitzmeditation. Die Person rechts sitzt einfach.

Die Person links versteht die Person rechts noch nicht, nimmt aber an, sie täten beide das Gleiche. Sie versteht noch nicht, dass geistige Freiheit unmittelbar ist und mit dem Verständnis kommt – nicht dadurch, dass man sich an den »korrekten« Ablauf hält.

(Der »korrekte« Ablauf ergibt sich, er führt dich nicht. Trotzdem müssen wir ihn einhalten.)

Die Person links versteht nicht, dass sie nicht nach dem stre-ben kann, wonach sie zu strestre-ben glaubt. (In Wirklichkeit weiß sie gar nicht, wonach sie da eigentlich strebt. Sie hat lediglich eine Vorstellung von der Erleuchtung.) Die Person rechts hat keinen Grund für das, was sie tut. Deshalb tut sie es so vollkom-men. Deshalb kennt sie wahre Weisheit und wahres Mitgefühl sowie völligen geistigen Frieden und geistige Freiheit.

Dass wir bereits besitzen, was unser Erwachen uns zeigen will – Wahrheit, Wirklichkeit –, ist der Grund, weshalb wir überhaupt erwachen und es erkennen können. Es offenbart sich uns weder unter den richtigen Umständen noch wenn wir die richtige Technik anwenden. Es ist immer hier. Es ist immer mit uns. Es ist immer mit dir – oder vielmehr, du bist immer bei und in ihm.

Was hier gesagt wird, ist so unglaublich einfach, dass du es wahrscheinlich übersiehst. Doch wenn du aufrichtig danach suchst, kannst du es sehen.

Die Chance, sich völlig von Unmut, Unzufriedenheit, Sehnsucht, Abneigung und unserem zeternden Geist zu befreien, befindet sich genau hier.

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 109-114)