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Das richtige Motiv

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 169-174)

ie meisten Menschen fangen mit ihrem Alltagsgeist an, Zen zu üben – das heißt, sie haben die Vorstellung, davon irgendwie zu profitieren, gesünder oder glücklicher oder besser geerdet oder spiritueller zu werden; oder sie denken, dass Zen sie anderweitig zu besseren Menschen macht.

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In der Tat prüfen wir bei den meisten neuen Projekten zuerst, was sie uns bringen werden. Wieso sollten wir uns auch bemühen, wenn dabei nichts für uns herausspringt?

Das ist nicht wahres Zen.

Diese Art von Zen kann mancherlei Gestalt annehmen, je nachdem, was du dir davon erwartest. Am häufigsten übt man um der eigenen Person willen. Du willst deinem Schmerz und deinem Leid ein Ende bereiten. Du möchtest gerne Zen-Erfahrungen machen. Die meisten von uns fangen so an.

Irgendwann stoßen wir vielleicht auf die weit verbreitete Vorstellung, dass wir Zen zum Wohle aller Wesen üben sollten.

Normalerweise lernen wir dann, unseren Geist auf andere zu richten. Doch wenn uns das tiefe Verständnis dafür fehlt, dass das Selbst und die anderen eins sind, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir eine Fassade von Nächstenliebe aufbauen, die verdeckt, dass die Sorge um das Selbst auch weiterhin unser Hauptmotiv ist. Wir wollen allen Wesen helfen. Wir wären gern eins mit den andern. Wir hätten gern weniger egoistische Motive. Auch das ist nicht wahres Zen.

Oder wir üben, weil wir hoffen, eine mystische Erfahrung zu machen – möglicherweise erwarten wir, Zwiesprache mit Gott halten zu können oder in einer Woge des Entzückens oder der Energie zu vergehen. Das ist schön und gut, aber auch das ist nicht Zen. Genau genommen ist eine solche Einstellung noch

nicht einmal buddhistisch.

Zen kennt keine äußeren Beweggründe. Wir üben Zen um seiner selbst willen. Wenn du aus einem anderen Grund anfängst, Zen zu üben, sieht es vielleicht aus wie Zen, ist es aber nicht. Es ist Verwirrung – das Übliche.

Wir beschäftigen uns gerne mit Dingen, die besonders und wunderbar sind und uns Macht verleihen. Von außen kann es durchaus so aussehen, als träfe all das auf die Zenpraxis zu – oder als könnte sie uns diese Eigenschaften verleihen. Aber derartige Gedanken sind reine Verblendung. Zen ist nichts von alledem.

Der Zenlehrer Bankei war ein beliebter Redner, und viele Menschen kamen, um ihm zuzuhören. Eines Tages erschien der Schüler einer anderen buddhistischen Richtung, der Bankei seine große Zuhörerschaft neidete, und unterbrach seinen Vortrag, weil er ihn in eine Diskussion verwickeln wollte.

»Der Gründer unserer Sekte«, sagte der Schüler, »stand am einen Ufer, sein Diener stand am anderen Ufer des Flusses und hielt ein leeres Blatt Papier in die Höhe. Dann schrieb unser Meister mit seinem Pinsel den Namen Buddhas durch die Luft auf das Blatt. Kannst du das auch?«

»Das ist ein toller Trick«, sagte Bankei, »aber es ist nicht Zen.

Das Wunder, das ich wirke, besteht darin, dass ich esse, wenn ich hungrig bin, und trinke, wenn ich durstig bin.«

Wir müssen uns wirklich darüber klar werden, dass Zen nichts mit irgendwelchen Wundern oder besonderen Kräften zu tun hat. Wir finden es im Alltag und im einfachen Leben.

Aber wenn wir anfangen, Zen zu üben, weil wir glauben, etwas Besonderes dabei zu lernen, bleiben wir in unserem alltäglichen Geist, in unserem normalen Denken gefangen, in dem sich alles um Nutzen, Ziele und Gewinne dreht.

Simone Weil schrieb: »Der mittelmäßige Teil unserer selbst fürchtet nicht die Erschöpfung und das Leiden, er fürchtet das,

was ihm selbst den Tod bringen könnte.«

Sieh dir nur an, wie viel Schmerz und Leid die Menschen in ihrem Leben erdulden – um ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder eine bestimmte Stellung zu bekommen, um sich oder andere zu beeindrucken, um anderen eine Freude oder sich selbst glücklich zu machen. Wir treiben uns dazu an, dieses zu bekommen oder jenes zu erreichen, und erdulden – oder erzeugen – auf dem Weg dorthin gewaltigen Schmerz und gewaltiges Leid.

Wir glauben, Schmerz und Leid erdulden zu müssen, um den Weg zur Erleuchtung zu finden. Aber auch darum geht es im Zen nicht. Wenn wir nicht wissen, warum wir wirklich Zen üben, kann es vorkommen, dass wir Schmerz und Leid erdulden und immer noch verwirrt, immer noch unglücklich sind.

Was fürchten wir eigentlich? Wir haben keine Angst davor, Schmerz, Leid, Erschöpfung oder unseren eigenen Ehrgeiz zu ertragen. Wir haben Angst vor dem Tod. Wir fürchten die Ichlosigkeit.

Die meisten von uns verdrängen ihre Angst vor dem Tod mit allerlei schlauen oder verzweifelten Tricks – indem sie sich einen Ruf aufbauen, sich Macht und Reichtum verschaffen, sich große Ziele stecken; indem sie versuchen, sich anzupassen oder sich nicht anzupassen. Im Rahmen der Zenpraxis führt eine solche Einstellung in der Regel zu einer Form von »Schau-fenster-Zen«. Wir hängen uns mächtig rein. Wir nehmen häufig an längeren Meditationsseminaren teil. Wir besorgen uns die richtige Kleidung. Wir schrauben unsere Lebenshaltungskosten zurück. Leider hat nichts von alledem etwas mit Zen zu tun. Es ist nur noch mehr Verblendung.

Tatsächlich fürchten sich die meisten Menschen vor der Freiheit. Im Grunde sagen sie: »Ich möchte dieses Ding, diese Freiheit nicht, weil ich Angst habe, dass mich die Leute dann nicht mehr bemerken. Man wird mich vergessen, an den Rand

drängen, hinter sich lassen. Ich habe Angst davor, in der Versenkung zu verschwinden.« Also treiben sie sich in den Bereichen, in denen sie ohne Angst sind, gnadenlos an – und ertragen Erschöpfung, Leid und Schmerz.

Wenn wir Zen üben ( »rechte Anstrengung«, wie Buddha es nannte), geht es nicht darum, uns abzurackern, nach etwas zu streben und gegen Hindernisse anzukämpfen. Stattdessen geht es darum, uns voll und ganz der Tätigkeit zu widmen, die wir in diesem Augenblick ausüben. Wenn wir zuhören, hören wir nur zu. Wenn wir abspülen, spülen wir nur ab. Wenn wir Auto fahren, fahren wir nur Auto. Wir trinken, wenn wir durstig sind, und essen, wenn wir Hunger haben.

Wir glauben, wir sehnten uns nach Erleuchtung – und genau darin liegt das Problem. Wir wollen sie haben – und wir wollen wissen, wann es so weit ist, damit wir uns in ihrem Glanz sonnen können. Statt des Films mit dem Titel »Verblendung«, den wir uns ständig ansehen, soll der Film namens

»Erleuchtung« laufen. Doch wenn wir die Verblendung auf Abstand halten, halten wir gleichzeitig auch die Erleuchtung auf Abstand.

Das Paradoxe daran ist: Wenn wir dieses Verhalten erkennen, werden wir auf der Stelle erleuchtet. Wir werden erleuchtet, wenn wir lernen, uns nicht selbst zu täuschen.

Wir sehen uns die alten Zenmeister an und denken, sie müssen besondere Kräfte und Fähigkeiten gehabt haben, die auch wir gerne hätten. Dabei entgeht uns, dass wir nur an uns denken – und dann fragen wir uns, weshalb wir nicht erwachen.

Weil die Zenpraxis so unkompliziert ist, rutschen wir leicht ab, lassen wir uns ablenken, verstehen wir oft nicht, worum es geht.

Mein Lehrer pflegte zu sagen, Zen erwecke oft den Anschein, schwierig und kompliziert zu sein, doch dem sei nicht so. Das Komplizierte seien unser Geist und unser Denken, mit denen wir uns das Leben schwer machen.

Beim Zen geht es darum, zu sehen, wie wir das tun und was wir bewirken, wenn wir es tun – Schmerz, Erschöpfung und Leid. Schritt für Schritt, ohne Kampf und Mühe, sondern einfach durch das Sehen, lernen wir, Abstand von derartigen Verwicklungen zu nehmen.

Es läuft immer auf unsere Beweggründe hinaus. Wollen wir etwas bekommen oder erreichen – oder einfach nur wach sein?

Im Dokument Buddhismus im Alltag (Seite 169-174)