• Keine Ergebnisse gefunden

4. Mikroökonomische Betrachtungsebene

4.2 Sourcingstrategien und Anforderungen der Automobilhersteller in China

4.2.1 Sourcingstrategie von Shanghai VW

Das Joint Venture Shanghai-Volkswagen Ltd. (上海大众, Shanghai dazhong) wurde im September 1985 gegründet und produziert die VW Pkw-Modelle Santana, Santana 2000, Santana 3000, Polo, Passat, Gol13 und Touran. Die Unternehmensanteile sind zwischen der VW AG (40%), SAIC (25%), VW China (10%), der Bank of China (15%) und der China National Industry Corp. (10%) aufgeteilt.14

Abbildung 38: Pkw-Modelle von Shanghai VW

Santana Santana 2000 Santana 3000 Passat Gol

4.2.1.1 Sourcing-Historie

In den Neunzigerjahren montierte Shanghai VW hauptsächlich SKD oder CKD-Kompo-nenten und hatte eine niedrige interne Wertschöpfung. Die Local Content-Rate der in-house montierten Module betrug 1992 lediglich 18,35%, da größtenteils importierte Komponenten verbaut wurden.

SVW implementierte daraufhin in den Neunzigerjahren ein Zuliefer-Kooperationssystem nach japanischem Vorbild, die so genannte "Shanghai Santana Local Content Cooperative", in der mehrere Komponentenhersteller, Universitäten und Forschungsinstitutionen zusam-mengebracht wurden und die bald darauf 133 Unternehmen und Organisationen umfasste. Der chinesische Partner SAIC leitete gleichzeitig den Aufbau eines Lieferantennetzwerks. Das

"Shanghai Santana Local Content Coordination Office", das direkt der Shanghaier Stadt-regierung unterstellt ist, berät die Zulieferunternehmen des Netzwerks in Managementfragen und agiert für SVW als Koordinator von Finanzen und Materiallieferungen. Da die chinesi-schen Zulieferer in der Regel jeweils nur eine einzelne Komponente liefern konnten, war ihre Zahl recht hoch. 1998 hatte Shanghai VW beispielsweise 300 Teilelieferanten.15

Die Stadtregierung stellte Spezialkredite mit niedrigem Zinssatz für Komponentenlieferanten von SVW aus der Region Shanghai zur Verfügung, damit diese in Entwicklung und moderne Produktionsanlagen investieren konnten. Für den Modellwechsel zum Santana 2000, der 1994

13 Das VW-Modell Gol (sic!) ist eine preiswertere, vereinfachte Version des Modells Golf, das von Volkswagen Brasilien speziell für den lateinamerikanischen Markt entwickelt wurde. Nach seinem erfolgreichen Einsatz in dieser Region führte VW das Modell in den chinesischen Markt ein.

14 Für den gesamten folgenden Abschnitt vgl. Interview mit Dr. Li Wenhui (李文辉), Manager Engine Planning Department, im zweiten Motorenwerk von Shanghai Volkswagen in Anting bei Shanghai am 15.März 2004.

15 vgl. Fiducia Management Consultants: Chinas Automobilindustrie, online unter www.chinalink.de/handel/

fid_automobilindustrie.html, 6.August 2001

auf den chinesischen Markt kam, nahmen erstmals 13 chinesische Zulieferer als Entwicklungspartner an der Vorentwicklungsphase teil.16

4.2.1.2 Sourcing der Motorkomponenten

Im zweiten Motorenwerk von Shanghai Volkswagen in Anting erfolgt die Endmontage der Motoren für die zweite und dritte Generation des Santana (Santana 2000 und Santana 3000).

Das Werk beinhaltet Produktionslinien für die Motormontage aus Zylinderblock, Zylinderkopf, Kurbelwelle, Nockenwelle und Pleuel.

Die Motorkomponenten sollen auch für die anspruchsvolleren VW-Modelle zunehmend in China lokalisiert werden. Shanghai VW plant, bis zum Jahr 2008 komplett zu lokalem Sourcing überzugehen. Der Hauptgrund hierfür sind die niedrigeren Kosten.

SAIC und VW entschieden sich 2003 für den Bau eines gemeinsamen Motorenwerkes in Dalian, das 2007 die Produktion aufnehmen wird, um auf die wachsende Nachfrage des chinesischen Pkw-Marktes zu reagieren.

"Das symbolisiert, dass künftig in Bezug auf Motoren für Pkw in China von der Montage von importierten Motorkomponenten (进 口 装 配, jinkou zhuangpei) zu einer vollkommen einheimischen Produktion übergegangen wird und die jetzige Situation der Abhängigkeit von Importen (依赖进口的现状, yilai jinkou de xianzhuang) sich ändert."17

Tabelle 12: Sourcing der Motorkomponenten von Shanghai VW

Pleuel Die Pleuel werden derzeit aus Deutschland importiert, wo sie von der Firma Brockhaus beliefert werden. Die Lokalisierung in China ist für 2006 durch das chinesisch-japanische Joint Venture der Unternehmen Aichi und Shanghai Forging (einer SAIC-Tochterfirma) geplant.

Kurbelwellen Die Kurbelwellen werden für den VW Passat von ThyssenKrupp Gerlach aus Deutschland importiert und für den VW Polo durch VW in Polen importiert. Die Kurbelwelle für den VW Santana 2000 ist bereits lokalisiert und wird durch das chinesisch-deutsche Joint Venture Shanghai Sandmann (der chinesische Partner gehört zu SAIC) beliefert. Die Kurbelwelle für den VW Passat 1.8 l Turbo wird derzeit als geschmiedete Kurbelwelle von ThyssenKrupp Gerlach in Deutschland beliefert. Nach der Lokalisierung wird sie durch eine gegossene Kurbelwelle von Shanghai Sandmann ersetzt. Die deutsche Firma Sandmann war in Deutschland nie Lieferant von VW, sondern wurde erst in China zu einem VW-Zulieferer.

Nockenwellen Die Nockenwellen werden derzeit von ThyssenKrupp Presta in Liechtenstein beliefert und nach China importiert. Die Lokalisierung ist durch ein im Aufbau begriffenes chinesisches Werk desselben Unternehmens für 2008 geplant.

Zylinderkopf Der Zylinderkopf wird von dem chinesisch-deutschen Joint Venture Shanghai Pierburg (der chinesische Partner gehört zu SAIC) lokal beliefert.

Zylinderkopfdeckel Der Zylinderkopfdeckel wird durch die chinesische Firma Dalian Yaming lokal beliefert.

Quelle: Interview mit Dr. Li Wenhui (李 文 辉), Manager Engine Planning Department, im zweiten Motorenwerk von Shanghai Volkswagen in Anting bei Shanghai am 15.März 2004

16 vgl. Lee, Chunli; Chen, Jin und Fujimoto, Takahiro (Tokyo University): "Different Strategies of Localization in the Chinese Auto Industry: The Cases of Shanghai Volkswagen and Tianjin Daihatsu". Vortrag beim MIT 1996 Sponsors Meeting, Sao Paulo, Brasilien 9.-12.Juni 1996

17 薜浩/Bi Hao: "上汽集团和大众集团投资兴建新发动机厂/Shangqi jituan he dazhong jituan touzi xingjian xin fadongjichang", in: 市场报/Shichang bao, 1.Oktober 2003

4.2.1.3 Allgemeine Sourcingstrategie: Import vs. Lokalisierung

VW plant, den Anteil der von Europa nach China gelieferten Autoteile innerhalb von fünf Jahren zu halbieren. So versucht der Konzern, Kosten in Millionenhöhe, welche durch die Stärke des Euro gegenüber der chinesischen Währung RMB entstehen, auszugleichen. VW will innerhalb von vier bis fünf Jahren den Anteil der aus Europa an seine chinesischen Autofabriken gelieferten Teile von 40% auf 20% reduzieren.18 Zur Erreichung dieses Ziels investiert VW in China in neue und erweiterte Werke, vor allem für die Komponenten-herstellung.19

4.2.1.4 Preispolitik

Ende der Neunzigerjahre lagen die Preise der von VW lokal bezogenen Komponenten 20 bis 40% über den Weltmarktpreisen. Daher verkündete VW eine Anpassung seiner Sourcing-strategie in China mit dem Ziel, seine dortigen Operationen wettbewerbsfähiger zu machen.

Das Ziel war die Senkung der Kosten für Zulieferteile um 30% innerhalb von fünf Jahren. Im Jahr 2000 verkündete VW, die Zulieferer müssten ihre Preise um 8 bis 10% jährlich senken.

Zur Belohnung für ihre Preissenkungen würden diejenigen Zulieferer in China, die die Preisanforderungen erfüllten, in das globale Sourcing-Netzwerk von VW integriert.20

Abbildung 39: Materialkosten von VW im Vergleich Europa (49%) und China (75%)

Quelle: Beschaffungsstrategische Ansätze der VW AG in China, Präsentation von U. Muntau (VW AG), 2002

4.2.1.5 Einflussnahme des chinesischen Partners

Ein deutscher Einkaufsmanager von Shanghai VW machte die Aussage, dass der staatliche chinesische Partner SAIC großen Druck ausübe, bei der Lieferantenauswahl Tochterfirmen – bzw. westliche Joint Ventures mit den Tochterfirmen – der Industriegruppe SAIC zu bevorzugen. Außerdem ergäben sich Schwierigkeiten aufgrund der Konkurrenz zwischen den beiden staatlichen chinesischen Partnern von VW, SAIC in Shanghai und FAW in

18 vgl. Mackintosh, James: "VW drosselt den Autoteile-Export nach China", in: Financial Times Deutschland, 8.Januar 2004

19 ebenda

20 vgl. 10 Mega Trends of the Chinese Automotive Industry after WTO entry, Roland Berger Strategy Consultants Shanghai Office, 31.Juli 2001

Changchun. So weigerte sich z.B. FAW, für die in Changchun montierten VW-Modelle Motoren aus Shanghai einzusetzen. Aus diesem Grund musste ein neues Joint Venture mit FAW für die Motorenfertigung in Changchun aufgebaut werden.21 Die Integration der Zulieferer von Shanghai VW und FAW-VW zur Nutzung von Synergieeffekten und Mengen-vorteilen ist ein wichtiges Ziel der Sourcingstrategie.22

Abbildung 40: Integration der Komponentenbeschaffung von Shanghai VW und FAW-VW

Quelle: Beschaffungsstrategische Ansätze der VW AG in China, Präsentation von U. Muntau (VW AG), 2002

Um dem stärker werdenden Einfluss des chinesischen Partners entgegenzuwirken, hat am 1. April 2004 ein groß angelegtes Sourcing-Office in Beijing mit 60 deutschen VW-Einkäufern, die aus Wolfsburg entsandt wurden, seine Tätigkeit aufgenommen. VW ist sich bewusst, dass Local Content eine immer größer werdende Rolle in China spielen wird. Um jedoch möglichst viel Kontrolle über die Sourcing-Entscheidungen seiner Joint Ventures in China ausüben zu können, versucht VW, seine traditionellen europäischen Zulieferer zum Nachfolgen nach China zu bewegen, anstatt mit rein chinesischen, von den Joint Venture-Partnern bevorzugten Unternehmen zusammenzuarbeiten. Das zentrale VW-Einkaufsbüro in Beijing wird in Kooperation mit SAIC und FAW eine elektronische Lieferantenplattform einrichten, um die Einkaufsaktivitäten in China zu professionalisieren.