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2. Die westliche Automobilzulieferindustrie – Strukturveränderungen und

2.4 Qualitätsanforderungen und -standards

2.4.1 Qualitätsmanagement: Prozesse zur "Null-Fehler-Produktion"

Durch die veränderten Produktionsstrategien wie die Modularisierung des Produkts Auto, die Verringerung der Fertigungstiefe und die Konzentration der Automobilhersteller auf ihre Kernkompetenzen ist JIT-Belieferung die Norm geworden. Angesichts geringer Lagerbestände bei den Herstellern erfordert JIT-Produktion das reibungslose Funktionieren der Belieferung sowie die Gewährleistung von "Null-Fehler-Qualität" ("zero defects"70) der gelieferten Teile.71 Um Null-Fehler-Qualität zu erreichen, haben in den letzten Jahren praktisch alle westlichen Automobil- und Zulieferunternehmen die ursprünglich in Japan entwickelten Qualitätssicherungsprozesse und -techniken Six Sigma, Kaizen und Poka Yoke eingeführt.

a) Six Sigma ist ein 1987 von Motorola eingeführter kontinuierlicher Qualitätsverbesserungs-prozess mit dem Ziel der optimalen Kundenzufriedenheit.72 Ford war 1999 der erste westliche Automobilhersteller, der Six Sigma auf seine Supply Chain – Prozesse angewandt hat und damit sehr erfolgreich war. Seitdem ist Six Sigma über Fords Lieferanten weit verbreitet worden.73 Der Begriff leitet sich vom griechischen Buchstaben Sigma ab, der in der Statistik ein Maß für Abweichungen ist. In der industriellen Produktion misst Sigma die Fähigkeit eines Prozesses, fehlerfrei zu funktionieren. Ein Sigmawert von 6 besagt, dass ein Prozess nicht mehr als 3,4 Fehler pro Million Möglichkeiten produziert, was einem Qualitätsstandard von 99,99966 Prozent entspricht.

69 vgl. McCracken, Jeffrey: "Tier 1 Suppliers' Cuts Will Trim Tier 2 Ranks", in: Automotive News, 28.Februar 2000, Jg.74, Nr.5863

70 vgl. Vadrevu, Srikrishna: "Six sigma: the new corporate buzzword", in: New Straits Times – Management Times, Malaysia 3.Mai 2003

71 vgl. Kilper, Heiderose und Schmidt-Dilcher, Jürgen, 2003, a.a.O.

72 vgl. Harry, M.: The vision of six sigma – a roadmap for breakthrough, 1997: Tri Star Publishing

73 vgl. Moore, Karen G.: "Six Sigma: Driving Supply at Ford", in: Supply Chain Management Review, Jg.6, Nr.4, Juli/August 2002, S.38-41

Das Ziel von Six Sigma-Verbesserungsprojekten ist es, die Ursachen von Defekten zu identifizieren und zu eliminieren – durch einen Prozess mit den Stufen "definieren, messen, analysieren, verbessern und kontrollieren".74 Six Sigma ist in den letzten Jahren in der westlichen Zulieferindustrie ein Modeschlagwort geworden und wird als sehr effektive Philosophie, Strategie, Ziel, Benchmark und objektives Qualitätsmaß verstanden.75 Da Six Sigma die Ursachen von Fehlern in Prozessen sucht, ist es keine Symptombekämpfung, sondern erfordert einen grundlegenden "Kulturwandel" (culture change)76 des Managements, da Manager aufhören müssen, sich bei Entscheidungen auf ihre Erfahrung und Intuition zu verlassen, um sich stattdessen von quantifizierbaren Fakten und Daten leiten zu lassen.77

b) Kaizen ist eine Technik zur Effizienzsteigerung, die innerhalb des Lean Production-Konzepts angewandt wird. Sie ermöglicht die Massenproduktion von preisgünstigen, verlässlichen Produkten mit einer breiten Auswahl von Spezifikationen und half den japanischen Automobilherstellern in den Siebziger- und Achtzigerjahren, den US-Amerikanischen Markt zu dominieren. Kaizen wurde als Problemlösungsmethode im Rahmen des Toyota Production Systems in den frühen Sechzigerjahren entwickelt. Der japanische Begriff Kaizen (

改善

) bedeutet "fokussierte dauerhafte Verbesserung". Die Wege dazu sind die Reduzierung von Ausschuss, die Reduzierung der Aufbauzeiten von Maschinen, verbesserte Qualität, Arbeitssicherheit und Ergonomie. Das Toyota Production System und Kaizen wurden schließlich zu weltweiten Standards, da auch die amerikanischen Automobilhersteller durch diese Methoden, die sie von ihren japanischen Wettbewerbern gelernt hatten, signifikante Verbesserungen ihrer Produktionsprozesse erzielten.78 Qualitätssteigerung mit Kaizen funktioniert durch kleine Verbesserungen des Status Quo durch kontinuierliche Anstrengungen, während Innovation drastische Verbesserungen als Ergebnis von monetären Investitionen in neue Technologie oder Maschinen bedeutet. Der so genannte "kaizen blitz" ist derzeit bei Qualitätsmanagern in den USA und Europa beliebt. Bei dieser Technik werden unter Leitung eines externen Trainers kleine Teams an die Produktionslinien eines Unternehmens entsandt, um ad hoc Prozesse zu optimieren – eine "explosive Form" des Kaizen, die große Umwälzungen der Fertigungsstätten nach sich zieht.79

74 ebenda

75 vgl. Harry, M., 1997, a.a.O.

76 vgl. Gale, Sarah : "Building Frameworks for Six Sigma Success", in: Workforce, Mai 2003, Jg.82, Nr.5, S.64-69

77 vgl. Rowlands, Hefin: "Six sigma: a new philosophy or repackaging of old ideas?", in: Engineering Management, April/Mai 2003, Jg.13, Nr.2, S.18-22

78 vgl. Syverson, Nancy: "Kaizen: Continuing to Improve", in: Industrial Maintenance & Plant Operation, Februar 2001, Jg.62, Nr.2, S.16-19

79 vgl. Bodek, Norman: "Quick and Easy Kaizen", in: IEE Solutions, Juli 2002, Jg.34, Nr.7, S.43-45

c) Poka yoke benutzt technische Vorkehrungen und Einrichtungen, mit denen unbeabsichtigte Fehler von Menschen in der Produktion vermieden werden können. Die Kombination der japanischen Worte poka "zufälliger, unbeabsichtigter Fehler" und yoke "Vermeidung" oder

"Verminderung" wird als "fehlhandlungssicher" übersetzt. Trotz hoher Automatisierung ist der größte Teil der Tätigkeit in der Komponentenfertigung Handarbeit am Produkt oder an den Maschinen. Bei arbeitsintensiven Montagen ist es trotz manueller Endkontrolle nicht möglich, eine Null-Fehler-Produktion zu erreichen, weil erfahrungsgemäß nicht 100 Prozent der fehlerhaften Teile bemerkt und ausgesondert werden können. Daher sind neben verbesserten Inspektionsmethoden weitere Maßnahmen notwendig, um eine Null-Fehler-Produktion zu erreichen.80 So werden bei Poka yoke Montageteile, bei denen Fehlmontage oder Fehler auftreten, durch mechanische Vorrichtungen (z.B. eine assymetrische Bohrung) so abgewandelt, dass sie nur auf die richtige Weise oder in einer bestimmten Reihenfolge zusammengesetzt werden können, um menschliche Irrtümer komplett auszuschließen. Die Mitarbeiter in der Produktion werden ermutigt, Verbesserungsvorschläge zu machen, die dann – meist sehr kostengünstig – umgesetzt werden. Wie auch die oben beschriebenen Qualitätsmaßnahmen wurde Poka yoke von westlichen Auto- und Zulieferunternehmen angenommen, nachdem bekannt wurde, dass japanische Produzenten in der gesamten Automobilwertschöpfungskette durch sie große Effizienz und Kostenersparnis erzielten.81

Zusätzlich zu den oben beschriebenen Qualitätssicherungswerkzeugen benutzen die globalen Zulieferunternehmen umfassende Qualitätssicherungssysteme, neuerdings Total Integrated Management, das in den letzten fünf Jahren sukzessive (zuerst in Japan, dann im Westen) seinen Vorgänger Total Quality Management abgelöst hat. Das System misst die Qualität des Managements und behandelt Problembereiche. Bei erfolgreichem Total Integrated Management sollte ein Unternehmen hervorragende Leistungen in folgenden fünf Kategorien erreichen:

1. Unternehmensstruktur (business structure) – die Geschäftsbereiche, in denen die Firma sich bewegt, die Zusammensetzung des Unternehmens und seine Position im Markt, 2. Managementressourcen (management resources) – Gelder, Material, Informationen und

Mitarbeiter,

3. Managementaufstellung (management design) – die interne Organisation und Verantwortungsabläufe,

4. Unternehmenskultur (corporate culture),

80 vgl. Präsentation der c.a.r.s. GmbH, 2000, Frankfurt am Main

81 Der Zulieferer Lucent Technologies in den USA hat beispielsweise 3.000 Poka yoke – Vorrichtungen umgesetzt, von denen die Hälfte weniger als 100 USD kostete, dem Unternehmen aber durch verringerten Ausschuss insgesamt 8,4 Mio. USD einbrachten, oder im Durchschnitt 2.545 USD pro Vorrichtung. (vgl.

Dvorak, Paul: "Poka-yoke designs make assemblies mistakeproof", in: Machine Design, 3.Oktober 1998, Jg.70, Nr.4, S.181-185)

5. Managementleistung (management performance) – Wachstumsrate, Unternehmensgröße, Stabilität, Profit und Marktanteil des Unternehmens.

Total Integrated Management beinhaltet die Prinzipien zur Qualitätssicherung im ganzen Unternehmen, die bereits Total Quality Management beinhaltete,82 geht aber durch seinen umfassenden Managementprozess-Anspruch noch darüber hinaus.83

Bei westlichen und ganz besonders bei japanischen Automobilzulieferern wird den diversen Qualitätssicherungswerkzeugen sowie Qualitätssicherungskonzepten große Bedeutung zugemessen, da Null-Fehler-Qualität angestrebt werden muss, um sich als zuverlässig lieferndes Unternehmen mit qualitativ hochwertigen Produkten im Markt zu behaupten. Die Einführung solcher Maßnahmen wird auch für Automobilzulieferer in China unvermeidbar sein, wenn sie sich als Lieferanten für die globalen Automobilhersteller etablieren wollen. Die Qualitätsanforderungen der OEM-Multinationals sind hoch, und es gibt formelle Qualitätsstandards, nach denen sich Direktlieferanten der Automobilhersteller – und zunehmend auch deren Sublieferanten – zertifizieren lassen müssen. Ohne die oben genannten Instrumente sind die anspruchsvollen Vorschriften kaum zu erfüllen.

2.4.2 Qualitätsstandards und Zertifizierung