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3. Makroökonomische Betrachtungsebene

3.5 Industriepolitik – die Rolle des Staates in der Entwicklung der

3.5.6 Bewertung des Erfolgs der Richtlinien zur Entwicklung der

Technologietransfer zu verstärken, findet sich in den neuen Industrierichtlinien die Auflage, dass jedes ausländische Unternehmen, das einen Anteil von mehr als 10% an einer chinesischen Firma hält, sein F&E-, Produktions- und Vertriebs-Know-how mit dem chinesischen Partner teilen muss.168

Durch die neue Industriepolitik wird der Import von Automobilkomponenten eingeschränkt, vor allem, um die derzeit sehr populäre SKD-Montage zu unterbinden.169 Pkw, die in China aus importierten Komponenten montiert werden, werden seitdem steuerlich wie importierte ganze Fahrzeuge behandelt, auf die deutlich höhere Zölle erhoben werden. Um steuerlich als lokal hergestellter Pkw zu gelten, müssen mindestens 40% der Automobilteile lokal produziert werden. Diese neue Vorschrift soll dazu dienen, die Verwendung von fortgeschrittener Technologie in China zu fördern und zu verhindern, dass – wie derzeit üblich – viele der in China produzierenden Pkw-Joint Ventures importierte Teile und Komponenten einsetzen170, anstatt einheimische Komponentenhersteller technisch zu unterstützen, qualitativ zu schulen und als Lieferanten komplexer Teile "aufzubauen". Die Details der mit diesen Vorschriften verbundenen Local Content-Auflagen sowie ihre Auswirkungen auf die Sourcingstrategien der OEMs in China werden in Kapitel 4.1 ausführlich diskutiert.

3.5.6 Bewertung des Erfolgs der Richtlinien zur Entwicklung der

zentrale Punkte der Richtlinien dem WTO-Abkommen. Sowohl Local Content-Vorschriften als auch protektionistische Tariffestlegungen wie die Zollerhebung auf Komponentenbausätze gestattet die WTO nicht. Auch die Beschränkung ausländischer Investitionen im Bereich der Pkw-Montage auf höchstens 50% eines Gemeinschaftsunternehmens und die zwangsweise Genehmigung der ausländischen Partner durch die chinesische Regierung ist nicht konform mit den WTO-Richtlinien. Nach ihnen wird ein Industrieunternehmen als zu dem Land zugehörig behandelt, in dem es registriert ist und Steuern zahlt, wogegen das Herkunftsland unerheblich ist.173

In der westlichen Literatur ist der allgemeine Tenor, dass die chinesische Regierung die Automobilindustrie der ausländischen Konkurrenz ungeschützt aussetzen und ihren Protektionismus auch de facto beenden muss, um die einheimische Industrie wirklich zu restrukturieren und international wettbewerbsfähig zu machen.

In China gehen die Meinungen der Experten auseinander. Einige betonen den grundlegend positiven Einfluss der Industriepolitik auf die noch schwache, unterentwickelte chinesische Automobilindustrie, wie z.B. der Artikel "Die neue Industriepolitik der Automobilindustrie entwirren – welche weisen Ratschläge verbergen sich darin?"174, obwohl selbst dessen Autor eingesteht, dass die Richtlinien im Detail "nicht unbedingt perfekt zu nennen sind" (不一定十

全十美, bu yiding shiquan shimei)

175. Doch auch in China gibt es eine wachsende Anzahl von Analysten, die die Notwendigkeit von politischer Intervention in die Industrie sehr kritisch sehen.

In seinem Plädoyer für die Selbstregulierung des Marktes stellt Xie Guangfei (谢光飞) den Erfolg der Industrierichtlinien von 1994 und die Notwendigkeit und Erfolgsaussichten der neuen Industrierichtlinien von 2004 auf den Prüfstand:

"1. Kann (die neue Industriepolitik) das Symptom 'fragmentiert und chaotisch' (散乱, san luan) heilen?

Der erklärte Schwerpunkt der letzten, 1994 verabschiedeten Industriepolitik für die Automobilindustrie, war es, das Problem 'fragmentiert, chaotisch und mangelhaft' (散乱差, san luan cha) zu beheben. Der Zustand 2003 ist: Es gibt 123 OEMs in 27 Provinzen, autonomen Gebieten und Städten, nur zwei OEMs mit einer Jahresproduktion über 500.000, acht OEMs mit einer Jahresproduktion über 100.000, 95 mit einer Produktion unter 10.000 und 70 OEMs mit einer Produktion von unter 1000 Fahrzeugen pro Jahr.

Unter den 600 größten Unternehmen der ganzen Automobilindustrie, also Zulieferer eingeschlossen, gibt es sogar 200 Unternehmen, die jahrelang eine sehr niedriger Produktion hatten, darunter sogar solche mit Null-Produktionsvolumen (零产量, ling chanliang).

Die neue Politik betont, dass die Organe des Verwaltungssektors (行政部门, xingzheng bumen) über Leben oder Tod (生死, sheng si) von Unternehmen entscheiden werden. Es

173 vgl. 投资与合作/touzi yu hezuo, November-Ausgabe 1999

174 "解读汽车产业新政: 锦囊里到底有何妙计/jiedu qiche chanye xinzheng: jinnang li daodi you he miaoji", veröffentlicht 29.Juni 2003, a.a.O.

175 ebenda

wird ausdrücklich zu Übernahmen und Umstrukturierungen (兼并重组, jianbing zhongzu) von Unternehmen ermutigt und angekündigt, durch härtere Investitionsvorschriften die Markteintrittsschwelle (市场推入门槛, shichang tuiru mendian) für Unternehmen höher anzusiedeln. Doch eine Zauberwaffe (法宝, fabao), durch die die Korrekturmaßnahmen der Defizite 'fragmentiert, chaotisch und mangelhaft' sowie des lokalen Protektionismus umgesetzt werden könnten, fehlt in den Richtlinien. Eine solche Zauberwaffe wäre das Ermöglichen von Wettbewerb und des Eintritts vieler unterschiedlicher Wirtschaftsteilnehmer ( 多 种 经 济 成 分 , duo zhong jingji chengfen) in die Automobilindustrie.

2. Kann sie die administrative Regulierung durch die Behörden (行政审批, xingzheng shenpi) verringern?

Eine Stoßrichtung der neuen Politik soll die 'deutliche Verringerung von administrativer Regulierung durch die Behörden' sein. Doch durch viele Richtlinien, die z.B. Investitions-Mindestsummen und die Gründung von Joint Ventures regulieren, erhöht die neue Politik selbst noch die 'administrative Regulierung'!

3. Kann sie 'blinde Investitionen' (盲目投资, mangmu touzi) einschränken?

Derzeit gibt es eine Investitions-Überhitzung (投资过热, touzi guore), da bei neuen Investitionen die Bedürfnisse des Marktes nicht ausreichend beachtet werden.

Ausländische Investitionen machen 80% der Investitionen in die Pkw-Produktion aus, wovon 50% durch die Großen Drei (三大, san da; Anm.: FAW, SAIC und Dongfeng) dominiert werden. Der Investitionszustand der restlichen Automobilindustrie kann als großes Chaos unter dem Himmel (天下大乱, tianxia da luan) bezeichnet werden. Früher war der Zustand in der Elektronikindustrie genauso. Damals überlegten sich die Beamten auch viele Möglichkeiten der Eindämmung und Kontrolle, doch letztlich war die Hand des Marktes am effektivsten für die Kontrolle: sie ließ die, die sterben sollten, sterben und die, die übrig geblieben sind, sind die Stärksten (让该死的死了,剩下的,是最强的, rang gai si de si le, sheng xia de, shi zui qiang de).

4. Kann sie die einheimische Entwicklungskapazität vorantreiben?

Um den Trend der CKD-Montage von importierten Fertigteilen (散件组装, sanjian zuzhuang) zu verhindern, promulgiert die neue Industriepolitik das Ziel, dass bis zum Jahr 2010 die Hälfte des mit Originalteilen für die Kfz-Montage erzielten Umsatzes durch lokal entwickelte Produkte (自主产权的产品, zizhu chanquan de chanpin) erzielt werden muss.176 Dies wird vielleicht durch die langfristigen Strategien einiger großer multinationaler Unternehmen in China beschleunigt, aber das zeitliche Ziel ist zu ehrgeizig.

Außerdem will nicht jedes westliche Unternehmen an jedem Standort in China ein F&E-Zentrum bauen, da das unwirtschaftlich ist. (...)

5. Kann sie die 'Konsumumgebung bereinigen' (d.h. die Bedingungen für Konsumenten verbessern)?

Die Politik ist darauf fokussiert, China zu einer Produktions-, Entwicklungs- und Exportbasis zu machen, aber sie vernachlässigt die Bedürfnisse der chinesischen Konsumenten und des Marktes. Deshalb heißen die Richtlinien auch (Anm.: wörtlich) 'Entwicklungsrichtlinien der Automobilproduktions-Industrie'.

176 Dieses Ziel aus dem Entwurf wurde nicht in die Endfassung der Richtlinien übernommen, da es von chinesischen Industrieexperten stark kritisiert wurde.

6. Kann sie die harmonische Entwicklung (协调发展, xietiao fazhan) anstoßen?

Die Politik proklamiert zwar ambitiöse Produktionsziele für 2010, aber beantwortet nur ungenügend konkrete Fragen. Es ist zwar richtig, dass durch die regionale Konzentration der Automobilindustrie Synergieeffekte geschaffen werden können (通过汽车企业的地域 集 中,提高聚集效应, tongguo qiche qiye de diyu jizhong, tigao juji xiaoying). Doch wie kann China die Entwicklungsregeln, nach denen in der internationalen Automobilindustrie der Konzentrationsprozess von Industrie funktioniert, kennen lernen

und anwenden? (我国如何认识和运用国际汽车工业的产业集群化发展规律, woguo

ruhe renshi he yunyong guoji qiche gongye de chanye jiqunhua fazhan guilü?) Darauf hat die Politik keine Antwort.

7. Kann sie Vertriebswege optimieren?

Alle Versuche, den Markt künstlich zu teilen und zu monopolisieren (分割和垄断, fenge he longduan), werden mittelfristig scheitern und die Liberalisierung der Vertriebswege (besonders von importierten) Automobilprodukten durch die neue Politik ist daher sinnvoll und überfällig.

8. Kann sie China zu einem erfolgreichen großen Produktionsland von Automobilprodukten machen?

Die Politik verkündet die Ziele, bis 2010 sollen 50% der in China verkaufen Automobil-produkte (Kfz und Teile) aus eigener Entwicklung stammen177, 40% der Produktion soll exportiert werden und China soll zu einem großen Produktions-, Entwicklungs- und Exportland geworden sein. (...)

Als wir nur Automobilteile herstellen konnten, waren wir nicht zufrieden – Chinesen hätten Ehrgeiz und Fähigkeiten, wir müssten unbedingt selbst ganze Autos entwickeln. Als wir hauptsächlich Montagearbeiten ausübten, waren wir nicht zufrieden – China sei zur verlängerten Werkbank für ausländische Autos geworden, bestimmt könnten wir unsere Wettbewerbsvorteile ausnutzen und eine eigene Industrie arbeitsintensiver Autoteile hervorbringen! Als wir sowohl Automontage als auch Komponentenproduktion selbst machten, waren wir nicht zufrieden – das große Geld mit den Kerntechnologien würden wir Ausländer verdienen lassen, wir müssten Produkte mit eigenen Produktionsrechten entwickeln! Am Ende stellten wir fest, dass auf dem internationalen Automobilmarkt 50-60% des Profits in der Domäne der Dienstleistungen generiert wird, und wollen nun auch dieses Stück an uns reißen."

Abschließend schreibt Xie Guangfei:

"Über die Politik für die Automobilindustrie sagen einige 'was sie ermutigte, ging zugrunde, was sie einschränkte, lebte auf, das Konkrete verlor sie, das Grundlegende verdrehte sie' (鼓励 的废了,限制的活了,具体的丢了,总体的歪了。Guli de fei le, xianzhi de huo le, juti de diu le, zongti de wai le) – kurz, es war verschwendete Kraft und einfach nicht gut genug. Die Automobilindustrie ist eine Industrie, die traditionell von intensivem Wettbewerb geprägt ist – ist es da wirklich notwendig, ihr 2004 noch einmal isolierte Richtlinien und zentrale Kontrolle aufzuzwingen?"178

Einerseits verlässt sich die chinesische Regierung heute mehr auf marktwirtschaftliche Regulierung als früher, beispielsweise bei der passiven Beobachtung, welche Unternehmen

177 dito

178 谢光飞/Xie Guangfei: "单独立政策是否有必要? 八问汽车产业政策/danduli zhengce shifou you biyao?

ba wen qiche chanye zhengce", in: 中国经济时报/Zhongguo jingji shibao, 25.Februar 2004, teilweise gekürzt und zusammengefasst

aus eigener Kraft am wettbewerbsfähigsten sind, und beim Rückzug aus internen Management-Angelegenheiten dieser Unternehmen. Dies zeigt, dass sich die Perspektive der vormals zentral planenden Regierung verändert hat. Andererseits beweisen die Dokumente der Industriepolitik, dass die Regierung plant, die einheimische Automobilindustrie weiterhin zu steuern und zu beschützen.

"China has come a long way in opening up its economy, but some of the most difficult adjustments still lie ahead. China must now step up its institution building and rebuilding - including dismantling remaining central planning institutions, formulating policies consistent with WTO agreements, amending laws inconsistent with WTO rules, and imposing uniform rules throughout the country."179