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2. Die westliche Automobilzulieferindustrie – Strukturveränderungen und

2.3 Die Bedeutung von Netzwerk-Management

2.3.1 Vom Lopez-Modell zur Kooperation im japanischen Stil – Zusammenarbeit

Dem traditionellen Modell der Produktions- und Lieferbeziehungen in der Automobilindustrie liegt die Annahme zugrunde, dass Hersteller und Zulieferer zwei getrennten, aber verwandten Industriezweigen angehören, die am Markt nur zum Zweck des Handels punktuell miteinander in Kontakt treten.36 Dieses Modell der punktuellen Transaktionen ohne langfristige partnerschaftliche Lieferbeziehungen herrschte bis vor einigen Jahren in der westlichen Automobilindustrie vor. Besonders während der Strukturkrise der deutschen Automobilindustrie in den Jahren 1992-93 und in der Folgezeit waren die Lieferbeziehungen angespannt. In Deutschland bestimmte das Prinzip des damaligen VW-Managers José Ignacio Lopez das Verhältnis zwischen Herstellern und Zulieferern: Die Automobilhersteller stellten

35 ebenda

36 vgl. Lamming, Richard: Die Zukunft der Zuliefererindustrie. Strategien der Zusammenarbeit: Lean Supply als Überlebenskonzept, Frankfurt/New York 1994

hohe, oft überzogene Forderungen an die Zulieferer, die sich "ausgepresst" fühlten.37 Obwohl die Art der Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Zulieferern heute in einem Wandel begriffen ist (wie im Folgenden dargestellt), ist laut VDA-Präsident Bernd Gottschalk das Verhältnis Hersteller-Zulieferer "immer konfliktbehaftet gewesen und wird es auch bleiben."38 Das liege in dem starken Wettbewerb begründet, der zu einem harten Kampf um Aufträge führe. Dieser ermöglicht es Autoherstellern, die Preise der Teile zu diktieren und von den Lieferanten zu verlangen, dass sie Jahr für Jahr günstiger liefern – bei gleicher oder besserer Qualität als zuvor.

Im Kontrast zur Situation im Westen herrscht in den Liefernetzwerken "Keiretsu"39 der japanischen Automobilhersteller seit den Siebzigerjahren ein kooperativer Ansatz vor. Die Natur dieser vertikal organisierten Industriegruppen hat die Lieferbeziehungen in der japanischen Automobilindustrie entscheidend geprägt. Im Austausch für die langfristigen Verpflichtungen, die die Automobilhersteller mit ihren Keiretsu-Zulieferern eingehen, belohnen diese ihre Kunden bereitwillig mit Investitionen. Diese können in die Entwicklung von Spezialkomponenten fließen, deren Design speziell für die Fahrzeuge des jeweiligen Automobilherstellers angepasst werden, obwohl sie aufgrund dieser Spezialanpassung außerhalb des Keiretsu unverkäuflich sind. Die Zulieferer tätigen aber auch Investitionen im Bereich der Just-in-Time (JIT)-Belieferung,40 indem sie z.B. eine Fertigungsstätte in der unmittelbaren Umgebung der Produktion des OEMs errichten oder mit anderen Zulieferern kooperieren, um die optimale Belieferung zu koordinieren.41 Für diese kundengerechte Ausrichtung (Co-specialisation) werden sie wiederum im Austausch durch Technologie- und Know-how-Transfer von Seiten der Automobilhersteller belohnt.42 Diese gegenseitige

37 vgl. Kilper, Heiderose und Schmidt-Dilcher, Jürgen: Auf dem Weg zum Ko-Produzenten. Über den Wandel der Produktions- und Lieferbeziehungen in der Automobilbranche, Institut Arbeit und Technik (Hrsg.) 2003, www.iatg.de/aktuell/veroeff/ie/kilper99a.pdf

38 vgl. "Kampf um Verträge und Konditionen bleibt hart" – Interview mit VDA-Präsident Bernd Gottschalk, in:

Frankfurter Rundschau, 30.August 2003

39 "In corporate culture, keiretsu refers to a uniquely Japanese form of corporate organization. A keiretsu is a grouping or family of affiliated companies that form a tight-knit alliance to work toward each other's mutual success. The keiretsu firms maintain close financial and personal ties through cross-shareholding, credit holding, interlocking corporate directorates within the group, and a variety of business transactions. In industry, keiretsu are organised vertically into industrial groups connecting manufacturers and part suppliers or manufacturers, wholesalers and retailers (e.g. Toyota, Nissan, Honda-Matsushita) and their subcontractors." (Douthett, Edward B. Jr. und Jung, Kooyul: "Japanese Corporate Groupings (Keiretsu) and the Informativeness of Earnings", in: Journal of International Financial Management and Accounting, Juni 2001, Jg.12, Nr.2, S.133)

40 Just-in-time (JIT) ist eine japanische Management-Philosophie, die von Toyota Vizepräsident Taichi Ohno entwickelt wurde. JIT wird seit den 1970er Jahren in vielen japanischen Produktionsunternehmen angewandt. Die Idee ist es, Teile genau dann zu liefern, wenn sie benötigt werden. Ziel ist es, den Bedarf des Kunden mit einem Minimum an Verzögerung zu decken, um seine Lagerhaltungskosten zu reduzieren. (vgl.

El Kahal, Sonia: "Japanese Management", in: Business in the Asia Pacific, 2001, S.146-166)

41 vgl. Spencer, Barbara J. und Qiu, Larry D.: "Keiretsu and Relationship-Specific Investment: A Barrier To Trade?”, in: International Economic Review, November 2001, Jg.42, Nr. 4, S.871-902

42 vgl. Odaka, K., Ono, F. und Adachi, F.: The Automobile Industry in Japan: A Study of Ancillary Firm Development, Tokyo 1988

Unterstützung ermöglichte den japanischen Automobilherstellern sowohl die Einführung einer großen Pkw-Variantenvielfalt bei günstigen Preisen als auch die Einführung von Just-in-time-Produktion und Qualitätssystemen bei den Zulieferern, die ihnen zu einer hohen Effizienz verhalfen.43 Diese Faktoren machen den Wettbewerbsvorteil der japanischen Autohersteller auf dem Weltmarkt seit den Siebzigerjahren aus und setzen sich bis heute fort.44

Auch in den USA werden die dort produzierenden japanischen Automobilhersteller heute von ihren amerikanischen Zulieferern für ihren kooperativen Ansatz geschätzt.45 Den westlichen Automobilherstellern zeigte der Erfolg des japanischen Keiretsu-Modells im Laufe der Zeit, dass erfolgreiche Marktbeteiligung mit preisgünstigen Produkten nicht zwangsweise durch hierarchische Marktmodelle mit dem Fokus auf dem Erzwingen niedriger Einkaufspreise (wie beim Lopez-Modell) erzielt werden muss. Im Gegenteil kann Vertrauensbildung zwischen Unternehmen zu wirtschaftlicher Effizienz führen und in Käufer-Lieferanten-Beziehungen eine wichtige Quelle von Wettbewerbsvorteilen sein.46

Heute sind die westlichen Automobilhersteller dabei, ihre Zulieferbeziehungen unter den veränderten Rahmenbedingungen entsprechend neu zu bewerten – und nähern sich dabei den bewährten japanischen Kooperationsmodellen an.

"Beim laufenden Strukturwandel der Produktions- und Lieferbeziehungen scheint es sich

…um eine Verschiebung in der Dominanz des Mediums Markt zugunsten des Mediums Netzwerk zu handeln."47

Diese zunehmend partnerschaftlichere Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Zulieferern ist durch mehrere Aspekte des Industriewandels begründet:

a) Da die Zulieferer statt isolierter Einzelteile zunehmend komplette Systemkomponenten liefern, wird ihre Position stärker, während ihre Austauschbarkeit abnimmt.48 Dies wird

43 vgl. Ahmadjian, Christina und Lincoln, James R.: "Keiretsu, Governance, and Learning: Case Studies in Change from the Japanese Automotive Industry", in: Organization Science, Jg.12, Nr.6, November/

Dezember 2001, S.638-701

44 vgl. Dyer, J.: "Does governance matter? Keiretsu alliances and asset specificity as sources of Japanese competitive advantage", in: Organization Science, 1996, Nr.7, S.649-666

45 Bei einer Befragung von Zulieferern der Big Three (General Motors, Ford Motor Company und DaimlerChrysler) und Tochterunternehmen der japanischen OEMS im Jahr 2003 gaben die Zulieferer den japanischen Herstellern für ihre vertrauensvolle, offene Art der Beziehungen die meisten Punkte und gaben an, dass in der Zusammenarbeit mit OEMs Vertrauen die wichtigste Komponente sei. Obwohl die japanischen Autohersteller in Preis- und Qualitätsfragen genau so anspruchsvoll sind wie die Big Three, erreichten sie Preissenkungen durch Kooperation und belohnten die Zulieferer durch langfristige Beziehungen, was sie zu attraktiveren, angenehmeren Partnern für amerikanische Zulieferer macht. (vgl.

Sherefkin, Robert und Armstrong, Julie Cantwell: "Survey: Suppliers' Preference for Japanese Automakers Rises", in: Crain's Detroit Business, 12.Mai 2003, Jg.19, Nr.19, S.31)

46 vgl. Dyer, J.H. und Chu, W.: "The determinants of trust in supplier-automaker relationships in the US, Japan and Korea", in: Journal of International Business Studies, 2000, Jg.31, Nr.2, S.259-285

47 vgl. Kilper, Heiderose und Schmidt-Dilcher, Jürgen, 2003, a.a.O.

die Hersteller zu partnerschaftlicherem Handeln im Umgang mit ihren Systemlieferanten zwingen.

b) Um die Transaktionskosten zu minimieren, die den Herstellern durch die Suche nach Geschäftspartnern, durch Vertragsabschlüsse und Kontrollerfordernisse entstehen, treffen viele Automobilhersteller die strategische Entscheidung, die Zahl ihrer Direktlieferanten zu reduzieren.49

c) Die Zusicherung einer qualitätssicheren JIT-Belieferung der Zulieferer gewinnt für die Automobilhersteller immer mehr an Bedeutung. Um Prozesssicherheit zu gewährleisten und tatsächliche Kosten zu reduzieren, stützen sich die OEMs zunehmend auf Partnerschaftsmodelle, d.h. die Herausbildung und Pflege dauerhafter Beziehungen mit ihren Direktlieferanten.50

Von großer Bedeutung für den Erfolg des heutigen westlichen Partnerschaftsmodells ist es, die internen Abläufe mit denen von Kunden und Lieferanten optimal abzustimmen.51 Voraussetzung dafür ist ein wirksamer Informationsaustausch zwischen den Geschäftspartnern, was sowohl die Kostenkalkulation des Zulieferers als auch das tatsächlich geplante Fahrzeugvolumen des Herstellers angeht. Für eine transparente Zusammenarbeit im Rahmen eines Netzwerks nimmt die Bedeutung von "weichen Faktoren" wie Vertrauen über das vertraglich festgelegte Maß hinaus zu. Das Fazit des englischen Pilotprojekts Mayflower Vehicle Systems Programme, dass sich die Verbesserung des angespannten Verhältnisses zwischen Automobilherstellern und Zulieferern in England zum Ziel gesetzt hatte, war, dass beide Seiten gegenseitiges Vertrauen als Schlüssel zu einer andauernden und integrativen Partnerschaft ansahen.52 Sako et al. definieren drei Aspekte des Vertrauens zwischen Firmen: "contractual trust" - der Partner hält sich an formelle und rechtliche Versprechen,

"competence trust" - das Vertrauen darin, dass der Kunde oder Lieferant kann und tut, was von ihm verlangt wird, und "goodwill trust" - das Vertrauen, dass der Partner sich wohlwollend und förderlich für einen selbst verhält, ohne dass dafür vorher explizite Versprechungen gemacht werden müssen.53 Diese ansteigenden Abstufungen von Vertrauen beschreiben die derzeitige Wandlung vom Marktmodell (contractual trust) zum Netzwerkmodell (goodwill trust) zwischen Automobilherstellern und Zulieferern.

48 so Klaus Urbat von der Arbeitsgemeinschaft Zuliefererindustrie, zitiert in Brankamp, Tom und Tobias, Michael: "Car Wars", in: Brand Eins, Nr. 1, 2002

49 vgl. Kilper, Heiderose und Schmidt-Dilcher, Jürgen, 2003, a.a.O.

50 ebenda 51 ebenda

52 vgl. Tilson, Barbara: "Success and Sustainability in Automotive Supply Chain Improvement Programmes: A Case Study of Collaboration in the Mayflower Cluster", in: International Journal of Innovation Management, Dezember 2001, Jg.5, Nr.4, S.427-457

53 vgl. Sako, M., Helper, S. und Lamming , R.: Supplier Relations in the UK Car Industry: Comparisons with Europe, Japan and the USA, London 1995

Die zunehmende Wichtigkeit von transparentem Informationsaustausch, Vertrauen und langfristiger partnerschaftlicher Kooperation könnte Auswirkungen auf die Auswahl der Zulieferer durch Automobilhersteller an neuen Produktionsstandorten wie z.B. China haben.

Wenn der niedrige Preis in seiner Bedeutung hinter den weichen Faktoren zurücktritt – oder zumindest weniger entscheidend wird – ist zu vermuten, dass OEM-Niederlassungen im Ausland eher geneigt sind, bekannte Partnerunternehmen aus ihren westlichen Operationen mit dem gleichen kulturellen Hintergrund als Direktlieferanten an den neuen Produktions-standort nachfolgen zu lassen. Neue Transaktionen mit unbekannten chinesischen Anbietern einzugehen, deren Liefertreue und Prozessbeherrschung unsicher sind, mit denen die Kommunikation sich eventuell als schwierig erweisen könnte oder bei denen gar eine Veruntreuung von Informationen befürchtet wird, erscheint unter diesen Voraussetzungen, besonders im Fall einer JIT-Belieferung, trotz deren eventuell niedrigeren Preisen weniger attraktiv.

2.3.2 Synergien und Systemintegration - Zusammenarbeit zwischen Zulieferern