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Die Einheit der Wahrnehmung und ihre Abstraktion

1.2. EXISTENZBEWEIS DER SEELE

1.2.4. Die Einheit der Wahrnehmung und ihre Abstraktion

Dieser Beweis stützt sich auf den Unterschied zwischen der Tätigkeit des Menschen und der Tätigkeit des Tiers. Man kann bemerken, dass es beim Menschen einige Phänomene gibt, die sich vom Tier unterscheiden, wie z.B. die Reaktion der Menschen auf fröhliche oder schädliche Ereignisse. Diese Reaktionen sind wie das Lachen oder die Bewunderung oder das Weinen; und auch wie die Unterscheidung zwischen dem Guten und dem Bösen und die Unterscheidung zwischen anderen unterschiedlichen Phänomenen. Dem Tier fehlen diese Reaktionen und diese Unterscheidungsarten, weil es keine Selbstbetrachtungsfähigkeit besitzt wie die Menschen.

Der Mensch, anders als das Tier, besitzt die Fähigkeit der Abstraktion der Dinge von ihren materiellen Eigenschaften, wie z.B. die Fähigkeit des Menschen, die Idee der Quadratheit vom Quadrat zu abstrahieren. Der Mensch unterscheidet sich von allen Lebewesen durch seine Wahrnehmung der allgemeinen Begriffe, die aus der Materie abstrahiert sind, und zwar durch die Seele. In der Seele gibt es Fähigkeiten, die mit den Instrumenten (Ibn SÍnÁ verwendet das arabischen Wort “ت9ا“, d.h. Instrumente, die mit den Organen des Körpers identisch sind, aber ich bevorzuge die Übersetzung Instrumente, und zwar nicht nur, um in der Nähe des Denkens Ibn SÍnÁs zu bleiben)

zusammen ihre Tätigkeiten ausüben können, aber es gibt andere Fähigkeiten, die keine Instrumente brauchen, wie z.B. die Vernunft. Es gibt auch Seelenfähigkeiten, die nicht immer Instrumente brauchen, d.h. sie können ihre Tätigkeiten einmal mit Instrumenten verwirklichen, und bei anderen Gelegenheiten von diesen unabhängig sein. Ibn SÍnÁ adaptierte damit die Stufenmethode und zwar auf allen Gebieten der Seelenphänomene. Gemeint sind die Funktionen der Seelenfähigkeiten und die Stufen der Abstraktion.30

Ibn SÍnÁ stellt andere Unterschiede zwischen dem Menschen und dem Tier dar.

Diese Unterschiede könnten wir als soziale Unterschiede bezeichnen. Ihm zufolge kann der Mensch nicht auf das Prinzip des Zusammenlebens mit anderen Menschen verzichten. Der Mensch braucht die anderen, um seine Existenz weiter zu sichern.

Im Gegensatz zum Menschen stütze sich das Tier auf sich selbst, ohne dass es ein Zusammenleben mit Artgenossen benötige, d.h. seine Verbindungen mit den anderen Tieren besteht nicht aus Notwendigkeit.

Er sagte: Wenn es nur einen einzigen Mensch geben würde und wenn dieser einzige Mensch alle Hilfsmittel zum Essen, Trinken, für den Haushalt usw. in seiner Hand hätte, würde er trotzdem nicht lange existieren können. Der Mensch braucht diejenigen, die ihm Essen kochen, Brot backen, Kleider produzieren, usw. Aber das Kleid des Tiers ist die Natur, und sein Essen ist ebenfalls in der Natur vorhanden31. Kurz gesagt: Das Tier ist ein individuelles Lebewesen, während der Mensch ein kollektives Lebewesen ist.

Ein anderer Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tier ist die Stimme. Ibn SÍnÁ zufolge braucht der Mensch die Stimme, um seinen Partner über verschiedene Dinge zu informieren. Die Stimme ist aus Lauten - Buchstaben zusammengesetzt.

Aus diesen Buchstaben werden verschiedene Worte zusammengesetzt - und zwar ohne Beteiligung des Körpers.

Meiner Meinung nach wollte Ibn SÍnÁ durch dieses Argument sagen, dass die Worte materielle Ereignisse oder materielle Dinge bezeichnen, und der Mensch, der diese Ereignisse dem anderen vermitteln will, die Stimme benutzt, die eine Art der

30 Über den Unterschied zwischen Mensch und Tier im Zusammenhang mit diesem Phänomen vgl.: Ibn SÍnÁ, þIlm al-nafs, fünfte Abhandlung, erstes Kapitel. Über die Abstraktionsstufen der Seele und über die Stufung der Seelenfunktionen und Fähigkeiten, vgl. Ebd., S. 29-52, und die fünfte Abhandlung in Ebd., S. 198-231.

31 Ebd., S. 199.

Abstraktion dieser physikalischen Ereignisse ist. Er bezieht sich hier also auf die Idee, dass die Natur durch Worte übersetzt wird.

Der Mensch verwendet nicht nur die Stimme, sondern auch eine andere Abstraktionsart, und zwar das Zeichen - “ةر>>>ﺵ9ا“. Der Unterschied zwischen der Stimme und dem Zeichen ist der Folgende: Die Stimme ist in ihrer Hinweiskraft

”لدا“ deutlicher, klarer als das Zeichen. Die Erklärung für diesen Unterschied ist, dass das Zeichen führt ”ي>>“ zum Objekt, das sich vor dem Auge befindet. D.h. es bezeichnet das Objekt, das sich vor dem Sinnesorgan befindet, und deswegen verlangt das Zeichen die Bewegung des Auges hin zum Bezeichneten. D.h beim Zeichen müssen Bewegung und Konzentration in dieselbe Richtung gerichtet sein.

Aber bei der Stimme braucht der Mensch diese Bewegung des Auges nicht, weil die Stimme nicht aus einer bestimmten Richtung kommen muss. Die Natur ermöglicht, nach Ibn SÍnÁ, der Seele die Fähigkeit, Informationen durch die Stimme zusammenzusetzen, die sie anderen liefern kann. Bei den Tieren beschränkt sich die Stimme nur auf die Bedürfnisse ihrer Instinkte, d.h. auf die Divergenz und die Konvergenz ” $>>+ا او ة'>>.ا“ bei den Tieren geschieht dies ohne Überlegung – ohne Denken.32

Ein anderer Beweis ist die Verbindung zwischen den inneren Seelenfähigkeiten.

Die Vorstellungskraft und die Erinnerungskraft sind innere Fähigkeiten. Der Unterschied zwischen den Tätigkeiten des Körpers und diesen Fähigkeiten liegt darin, dass die Tätigkeiten des Körpers sich von einer Situation zur anderen ändern, während die Tätigkeiten dieser Fähigkeiten unveränderbar sind. Ibn SÍnÁs Argument für diesen Beweis lautet folgendermaßen: Der Mensch soll sich vorstellen, dass sein Selbst dasselbe Selbst sei, das schon sein ganzes Leben lang bis jetzt existiert hat. So kann sich der Mensch an viele Begebenheiten in seinem Leben erinnern. Wenn dem so ist, dann bedeutet dies, dass sein Selbst unveränderbar bleibt, während sein Körper sich verändert hat. Der Körper befindet sich immer in einem Zerfallsprozess.

Der Mensch bekämpft diesen Zerfall des Körpers durch das Essen. Wenn er eine bestimmte Zeit keine Nahrung zu sich nimmt, wird sein Körper zwangsläufig vergehen. Ibn SÍnÁ sagt: „Dann wird deine Seele nach zwanzig Jahren wissen, dass von deinem Körper fast nichts übrig geblieben ist.“ Ibn SÍnÁ wollte damit sagen, dass sich, wenn der Mensch sich der Vergänglichkeit seines Körpers bewusst ist, die

32 Ebd., S. 199-200.

Seele etwas anderes als der Körper sein müsse. Das Wissen ist kein physikalisches Phänomen.

Dieser Vorstellung zufolge sind das Selbst und der Sammler ”J>>>Gﻡ“, der der Treffpunkt aller Fähigkeiten ist, ein und dasselbe. Dieses Selbst beinhaltet drei Zeitdimensionen und bewahrt die Einheit der Persönlichkeit. Wir bemerken hier, dass Ibn SÍnÁ auf das Bewusstsein, wie es von der modernen Psychologie geklärt ist, hinweist.

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