• Keine Ergebnisse gefunden

Abweichend von der genauen chronologischen Schilderung wurde der Züricher Entwurf von 1892 in dieses Kapitel aufgenommen, da er aus dem ersten Projekt von 1887 entwickelt wurde, und, wie jener auch, nicht zur Ausführung gelangte. Ein weiterer Grund für die zusammenge­

faßte Darstellung ist die eng zusammenhängenden Geschichte beider Projekte. In der

"Schweizerischen Bauzeitung" vom 12. Februar 1887 wurde der Wettbewerb als "interessante Ideen-Concurrenz" in Aussicht gestellt.223 Am 2. April 1887 war in derselben Zeitschrift das Programm für die "Neue Tonhalle in Zürich" ausgeschrieben, die Einlieferungsfrist wurde auf den 31. August festgesetzt, wobei "sich Architecten aller Nationalitäten betheiligen können."224 Im Programm waren im wesentlichen folgende Räumlichkeiten vorgesehen: "Ein großer durch zwei Geschosse gehender Concertsaal für etwa 1600 Personen" mit 775 m^, ein kleiner Konzertsaal (320 m^), ein "Concert Pavillon mit grossem Saal" (780 m2), die nötigen Wirtschafts- und Verwaltungsräume, sowie Räume für die Musikschule; auch sollte eine Gartenanlage im Entwurf enthalten sein. Des weiteren wurden im Programm noch genaue Benutzungsanforderungen gestellt, die den Entwurf der Gesamtanlage zu einer schwierigen Aufgabe machten: "Ein besonderes Gewicht wird darauf gelegt, dass der große Saal und der Concert-Pavillon so disponirt werden, dass die Räume bei gewissen Anlässen leicht in der Weise zusammen benutzt werden können, dass der grosse Saal als Tanzlocal, der Pavillon als Speisesaal dienen kann. Aber auch die getrennte Nutzung zu musicalischen Zwecken soll ohne

222AR, 4. Jg. Stuttgart 1888, 7. Heft, Begleittext (s.p.) 223SchBZ, Bd. 9, Zürich 1887, S. 45

224SchBZ, Bd. 9, Zürich 1887, S. 88

gegenseitige Stöhrung möglich sein."225 Auch für alle anderen Baulichkeiten waren präzise Forderungen aufgestellt worden.

Die Redaktion der "Schweizerischen Bauzeitung" war wie,der "Deutschen Bauzeitung" immer darum bemüht, auf das öffentliche Wettbewerbswesen so einzuwirken, daß klare Verhältnisse schon bei der Ausschreibung einer Konkurrenz spätere Unregelmäßigkeiten verhindern sollten.

Der heikelste Punkt war - damals genauso wie heute - die Übertragung der Bauausführung auf den Gewinner des Wettbewerbs. Schließlich, so lautete die Forderung der Architekten, sollten die Preisrichterkollegien von Fachleuten majorisiert sein, und der Sieger sollte auch die Bau­

ausführung übertragen bekommen, ohne daß der Bauherr oder Teile der Jury später

abweichend votieren konnten. Im Falle der Züricher Tonhalle war die Redaktion der Fachzeit­

schrift vom eingeschlagenen Verfahren so sehr angetan, daß sie aufgrund der anscheinend nur selten anzutreffenden Vorbildlichkeit der Ausschreibung die Gründe des Lobes auch benannte:

"Erstens fordert dieselbe (die Konkurrenz, d. Verf.) durch die schöne, anregende Aufgabe, die hier gestellt wird, förmlich zur Betheiligung auf. Zweitens ist sie dem Sinn und Geist unserer Grundsätze für das Verfahren bei öffentlichen Concurrenzen so genau angepaßt, dass sie für zukünftige Preisbewerbungen geradezu als Muster hingestellt werden darf."226 Das

Preisgericht bestand aus den Architekten Andre/Lyon, Auer/ Wien, Friedrich Bluntschli/Zürich, A.Geiger/Zürich und B.Recordon/Lausanne.227 Die Jury tagte am 19. und 20. September 1887 und wählte aus den 62 eingekommenen Entwürfen einen ersten und drei gleichrangige zweite Preisträger aus: "1. Preis (2000 Fr.) Nr. 27, Motto >Belvedere<. Verfasser: Georg Braun in Berlin, 2. Preis (1000 Fr.), Nr. 34, Motto "Amor musicam docet", Verfasser Architect Julius Kunkler jun. in St. Gallen, 2. Preis (1000 Fr.) Nr. 51, Motto "W" Architect W. Martin in Riesbach, 2. Preis (1000 Fr.) Nr. 60, Motto "XX", Verfasser Architect Eugen Meyer, Paris."

Die Entwürfe dieser Teilnehmer und drei "Ehrenmeldungen" der Architekten Albert Müller/Zürich, G. Weidenbach & A. Käppler in Leipzig sowie Georg Frentzen/Aachen228 wurden im "Börsensaal" bis zum 29. September 1887 ausgestellt. Die Redaktion der

"Schweizerischen Bauzeitung" vermutete sogleich einen "Pseudonymus" unter dem Namen Georg Braun, "denn ein Architect dieses Namens, der im Stande wäre, eine so schöne,

durchgearbeitete und mit solcher hohen zeichnerischen Begabung ausgeführte Arbeit zu liefern, gibt es unseres Wissens in Berlin nicht. Wir vermuthen unter diesem Namen einen deutschen Architecten, der schon aus einer Reihe von Preisbewerbungen ehrenvoll hervorgegangen ist."229 Sehr anerkennend wurde in der Fachzeitschrift über den Entwurf geurteilt (Abb. 108-

112). Der Verfasser habe den Bau so plaziert, daß der Großteil des zur Verfügung stehenden 225SchBZ. Bd. 9, Zürich 1887, S. 88

226SchBZ, Bd. 9. Zürich 1887, S. 89 227SchBZ, Bd. 9, Zürich 1887. S. 108 228SchBZ, Bd. 10. Zürich 1887, S. 83 229SchBZ, Bd. 10. Zürich 1887. S. 82

Geländes für die Gartenanlagen genutzt werden könnte. Auch sei die Auflage, alle größeren Veranstaltungsräume wahlweise getrennt oder gemeinsam nutzen zu können, erfüllt worden.

Auch die Gesamtanlage wurde positiv bewertet: "Die Terrassen-Anlage ist direct mit dem Gebäude verbunden und so mit dem Garten sowohl, als mit ersterem in Beziehung gebracht, dass alles als ein harmonisches Ganzes wirkt."230 Als besondere Einzelheit wurde in der kurzen Vorbesprechung noch hervorgehoben, daß die Fenster im niedrigen Teil des Pavillons als in den Boden versenkbare geplant waren.

Bruno Schmitz hat den Baukomplex eng mit der Gartenanlage durch eine klare Terrassierung verbunden. Der Baukörper wird durch einen großen quergelagerten Baublock und einen daran gefügten, zur Seeseite hin halbrund abgeschlossenen Teil gebildet. An den Seiten endet der quergelagerte Gebäudeteil, der u.a. den Haupteingang, das Vestibül, den großen und einen kleinen Konzertsaal sowie eine "Restauration" birgt, in einer kreuzförmig angeordneten

dreiflügeligen Anlage, deren Mittelrisalite sehr ähnlich gestaltet sind: Die dreiachsigen Fassaden sind im Erd- und Obergeschoß mit Rundbogen-Öffnungen versehen und durch einen Drei­

ecksgiebel mit Wappenkartusche abgeschlossen, wobei im Obergeschoß eine sehr flache Loggia entsteht. In der Seitenansicht sind sieben Achsen mit flankierenden Mauerflächen zu sehen. Im Erdgeschoß sind die zwei den Risalit flankierenden Achsenpaare als Raumteil fast bis zur Straßenflucht des Risalits vorgezogen, im Obergeschoß tragen sie durch Lauben bedeckte Balkons. Die nach der Längsachse des Gebäudes ausgerichteten Fassaden sind nur fünfachsig und haben im Erdgeschoß Rechteckfenster mit quadratischen Fenstern darüber. Die Rund­

bogenstellung des Obergeschosses erreicht nicht dieselbe Höhe wie die des Risalits an der Seitenfassade; die Differenz wird wie im Erdgeschoß durch quadratische Öffnungen aus­

geglichen. Auch ist das Obergeschoß nicht als flache Loggia ausgebildet, sondern die Bogen­

stellungen sind durch Wandzungen von einander getrennt, so daß drei kleine Balkons mit Balusterbrüstung entstanden sind.

Die breit entwickelte, dem Seeufer abgewandte Hauptfassade ist nicht dokumentiert, und zumindestens für deren seitliche Risalite wird man eine ähnliche Gestaltung wie die der

Seitenfassade annehmen dürfen. Aus dem in einer kleinen Abbildung überlieferten Grundriß231 läßt sich auch - wenigstens ungefähr - die Gestaltung der Fassadenmitte rekonstruieren: Dem Erdgeschoß war zwischen den beiden seitlichen Risaliten eine fünfachsige Säulenhalle vorge­

stellt, die auch als "Sommer-Foyer" genutzt wurde und vom Obergeschoß aus als Terrasse zu betreten war. Der zweite große Bauteil, der "Concert-Pavillon", schloß sich in der Längsachse als großes Halbrund an. In der Dachzone wurden die beiden Bauteile dadurch zu einem Gebäude vereinheitlicht, daß der Architekt vom Satteldach des Querbaus im rechten Winkel ebenfalls ein Satteldach ansetzte, dessen First bis über den Mittelpunkt des Halbrunds reichte, 230SchBZ. Bd. 10. Zürich 1887, S. 82

231SchBZ, Bd. 10. Zürich 1887, S. 82

wo eine Laterne das Kegeldach des "Concert-Pavillons" bekrönte. Die Dächer waren durch verschiedene geformte und unterschiedlich gefärbte Ziegel ornamentiert.

Am Übergang des Bauteils mit dem "Concert-Pavillon" zum Halbrund ist auf jeder Seite ein Turm über quadratrischem Grundriß plaziert., der allerdings erst ab der Traufe als eigen­

ständiger, schlank auffagender Bauteil in Erscheinung tritt. Über einem kleinen Austritt am oberen Ende wird der Turm durch einen Kranz von Kragsteinen, die auf lang ausgezogenen Konsolen ruhen, zu einem Umgang erweitert. Auf dieser Plattform befindet sich ein weiterer Aufbau mit einem kleineren Umgang über einem Rundbogenfries. Der sich ab hier erhebende, einem Glockenstuhl nachempfundene Teil wird durch eine ziegelgedeckte Haube mit Kugel als Schlußzier bedeckt.

Das bereits in den Seitenfassaden des Kopfbaus angewandte Motiv der hohen Rundbogen- Öffnungen im Erdgeschoß mit darüber befindlicher Terrasse ist in den gerundeten Wänden des

"Concert-Pavillons” wieder aufgenommen. Im Scheitel des Halbrunds unterbricht eine bis über die Traufe reichende Nischenarchitektur diese Terrasse. Die Nische wird von zwei Schmuck- pfeilem eingefaßt, deren verzierte Endungen über Firsthöhe aufragen. Der Nische ist eine rechteckige Plattform vorgelagert, die auf zwei Eckpfeilern und zwei eingestellten Säulen ruht.

Am Fuß dieser Plattform befindet sich an der gebogenen Abschlußwand des Bassins eine dreistufige Kaskade, die von mehreren wasserspeienden Figuren besetzt ist, deren Wasser sich in ein großes Bassin ergießt. Das Bassin ist von Beeten eingefaßt, weiterhin sind auf dem Freigelände sind noch zwei Treppen mit zwei gegenständigen Läufen, Baumreihen und Pergolen zu erkennen.

Die Innenausstattung läßt sich kaum rekonstruieren, lediglich die Schnitte bieten einige Anhaltspunkte. Die Treppen des Haupteingangs, der an der linken Seite, und nicht in der Hauptfassade lag, waren z.B. von Meereswesen flankiert. Der große Saal hatte in den Ecken vier große Figurennischen, in den Lünetten der fünf Joche waren Ovale mit Büsten angebracht, wohl Musiker-Porträts darstellend; dem Eingang zum großen Saal gegenüber war eine Orgel vorgesehen. Auch im "Concert-Pavillon" gab es wahrscheinlich im Obergeschoß zwei

Figurennischen, die Fläche des Gewölbeansatzes war mit Inschrifttafeln, Wappenkartuschen, Figuren und möglicherweise auch mit Bildfeldern geschmückt. Ob diese skizzenhaften Angaben auch einem vielleicht vorhandenen Ausführungsentwurf entsprachen, läßt sich heute nicht mehr entscheiden; Änderungen muß man in Betracht ziehen, denn Bruno Schmitz korrigierte oft bis zur letzten Minute, so daß des öfteren Abweichungen in Einzelheiten auch innerhalb der einzelnen Teile des Entwurfs festzustellen sind. In dem anläßlich des Berichts über diese Konkurrenz veröffentlichten Querschnitt, auf dem auch die Schilderung der Innenausstattung beruht, hat Bruno Schmitz als Abschlußzier der Turmhelme Delphine angegeben, während in der perspektivischen Ansicht Kugeln zu sehen sind.

Als am 21. September die Jury ihr Urteil fällte, wurde allein das Projekt Nr. 27 (Motto:

"Belvedere") - wie oben erwähnt - durch einen ersten Preis ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es zum Projekt von Bruno Schmitz alias Gregor Braun: "Dieses Projekt zeigt auf den ersten Blick in Grundriss und Fagadenausbildung die volle Beherrschung des der Arbeit zu Grunde liegenden Gedankens. Um die Hauptsache, den Kernpunkt, den man wol den grossen Concertsaal nennen darf, gruppiren sich in durchaus richtiger Weise alle übrigen Räume. Auch hier wie bei Nr. 51 ist der Pavillon in Halbkreisform an den Saal angelehnt, in glücklicher Weise getrennt durch einen Zwischentract, die drei Durchgänge und Buffeträume enthalten.

Recht zweckmäßig erscheint der Gedanke der Gallerie- und Terrassenanlagen auf 1. Etage des Pavillons, von wo aus in ungestörtester Weise die herrliche, ja unvergleichliche Aussicht auf den See, die lieblichen Ufer und den grossartigen Alpenkranz genossen werden kann. (...) In der Form und architectonischen Ausbildung des grossen Saales mit den ausserhalb und in mässiger Höhe sich befindenden Gallerien ist der richtige Typus für einen Concertsaal speciell für unsere Verhältnisse getroffen. Die Innendecoration ist bescheiden, nicht aufdringlich, aber von guter Wirkung. Die Treppenanlagen sind zweckmäßig, übersichtlich angelegt und gestatten eine rasche Entleerung nach den verschiedenen Richtungen hin. Die Musikschule in be­

sonderem Flügel und mit eigenem Eingang hat die ihr gebührende Berücksichtigung gefunden.

Die Fagadenausbildung ist dem Grundrisse entsprechend, in klarer und bestimmter Weise spricht sich der Charakter des Gebäudes in der gewandten Darstellung des Gedankens aus. Der Pulsschlag freudiger Lebenslust ist in der äussem Erscheinung, wie in der ganzen Gestaltung des Ausgeländes, den Terrassen mit Gartenanlage fühlbahr. Selbst eine etwas einfachere

Formbehandlung im Aeussem mit etwelcher Modification der Thurmbauten würde der Wirkung keinen Eintrag thun, dieselbe angesichts der herrlichen Natur wol eher erhöhen.

Wenn wir an dem Projecte etwas auszustellen haben, so beschränkt sich das auf Weniges. Der kleine Saal erscheint uns zu langgestreckt und es würden wol zweckmässigerweise die

Seitengallerien mit derjenigen von dem kleinen Saale zu verbinden sein. Auch einige Aborte sollten in der 1. Etage mehr untergebracht werden. Im Garten dürfte angesichts des herrlichen Sees das dort angelegte Bassin kleinlich erscheinen und würde besser wegbleiben. Dagegen muss gerade hier hervorgehoben werden, wie durch den Versuch der Terrassirung des Vorgartens nicht nur Leben und Bewegung in die Anlage gebracht wird, sondern auch der Ausblick in die Nähe und Feme von allen Räumen und Plätzen der ganzen Bauanlage aufs Beste ermöglicht werden kann."232

Das ausführliche Lob der mit renommierten Fachgrößen besetzten Jury blieb jedoch nicht unwidersprochen. Wiedemm war es die "Deutsche Bauzeitung", die mit Kritik nicht zurückhielt und Bmno Schmitz sogar zu einer öffentlichen Erwiderung veranlaßte. Die "Schweizer

232 Das Urteil der Jury wurde erst Ende Oktober veröffentlicht: SchBZ, Bd. 10, Zürich 1887, S. 105-108, hier S. 108.

Bauzeitung" veröffentlichte die Kritik am 15. Oktober 1887: "Die interessante Arbeit verdankt ihre Auszeichnung wol in erster Linie der trefflichen Grundrisslösung. Mit grosser Schönheit eint die Anordnung des Entwurfes eine anscheinend in allen Einzelheiten ausgereifte Zweck­

mässigkeit; alle Bedingungen der Zugänglichkeit und der passenden Verbindung bezw. des Abschlusses der Haupträume unter einander sind erfüllt: Nebenräume sind in reicher Zahl und guter Anordnung vorhanden. Leider, dass gegenüber diesen Vorzügen die Gestaltung des Aeusseren an einem schweren Bedenken krankt. Nicht, dass sie Schönheit der Formen und Verhältnisse missen liesse oder für die Bestimmung des Gebäudes nicht bezeichnend wäre: sie ist vielmehr mit grosser künstlerischer Kraft erfunden, wie der Grundriss der Anlage. Aber sie zeigt in der Anlage des von zwei Thürmen begleiteten Pavillons mit dem Wasserbecken davor eine so große Aehnlichkeit mit dem Mittelbau des Pariser Trocadero-Palastes, dass sich die Züricher Bauherren doch wol kaum dazu verstehen dürften, die Anlage in dieser Form zur Ausführung zu bringen. In den Einzelformen der Pavillon-Architectur sind natürlich

Abweichungen von jenem Vorbilde vorhanden, während die Form der Thürme ihm gleichfalls sehr nahe verwandt ist. Es war wol nur Mangel an Zeit, welche den Künstler zu einer

derartigen Anleihe veranlasst hat, die nach unsem Anschauungen die Grenze des Zulässigen weit überschreitet, ihm aber glücklicher Weise in den Augen der Preisrichter nicht geschadet hat. Hoffentlich gelingt es ihm bei nochmaliger Durcharbeitung seines Entwurfes, dem wir im Uebrigen die Ausführung nur wünschen können, auch in dieser Beziehung eine selbständige Lösung zu finden."233 Diese Kritik ist in der generellen Einschätzung durchaus gerechtfertigt, wie ein Vergleich mit der gewaltigen Halbrotunde des Trocadero zeigt (Abb. 113). Allerdings gibt es in den Einzelformen keine Übereinstimmung, wie es die Kritik auch vermerkte.

Das Pariser Ausstellungsgebäude, 1878 nach Entwurf der Architekten Davioud und Bourdais errichtet234, enthielt im Mittelbau einen Festsaal für 4.500 Personen und das "Ethnographische Museum", in den vom Kopfbau ausgehenden halbelliptischen Flügelbauten waren eine

Gipsabgußsammlung und das Kambodschamuseum untergebracht. Bis auf den Festsaal bot der Trocadero-Palast keine vergleichbaren Funktionen, auch die Proportionen und der Grundriß sind mit dem Tonhallen-Entwurf nicht zu vergleichen. Als vergleichbar sind also die

Kombination von halbrundem Bauteil mit Kegeldach, mit seitlichen Türmen und die besondere Gestalt der Türme festzuhalten. Als Vorbild für den Stil des Trocadero ließ sich, zumindest in der Einschätzung durch die Zeitgenossen, nicht eine Epoche oder eine Region schlüssig heran­

ziehen. Paul Sedille, der in der Gazette des Beaux-Arts 1878 über die Architektur des Trocadero schrieb, antwortete auf die Frage, ob man den Stil byzantinisch, arabisch,

233SchBZ, Bd. 10, Zürich 1887, S. 98

234Vgl. Louis Hautecoeur: La fin de Tarchitecture classique 1848-1900. Paris 1957. S. 391-393 (=Ders., Histoire de Larchitecture classique en France, Tome VII)

romanisch, griechisch oder florentinisch zu nennen habe, daß er all dies zusammen sei, daß er aber gleichzeitig auch gar nichts von diesen habe, denn der Trocadero gehöre zu den modern zu nennenden Gebäuden, die nicht alte Formen imitieren, sondern die die den Stilen zugrunde liegende Prinzipien anwenden,235 Der Trocadero war bei der Weltausstellung 1878 das Gegenstück zur großen Anlage der Ausstellungshallen, die ihrerseits als Ingenieursbauten ebenso weltweite Beachtung fanden.

Im folgenden sei die Erwiderung Bruno Schmitz' auf die Kritik der "Deutschen Bauzeitung"

vollständig wiedergegeben, da sie eine der seltenen Quellen ist, in welcher der Architekt sein Verhältnis zu Vorbildern und deren Einfluß auf seine Entwürfe mit eigenen Worten schildert:

"Die vor einiger Zeit in der >Deutschen Bauzeitung< erschienene Kritik des an erster Stelle prämiierten Projectes für die Züricher Tonhalle, hätte mich in Folge ihrer Tendenz einer Erwiderung überhoben. - Heute, nachdem ich bemerkt habe, dass diese Kritik in die

Schweizerische Bauzeitung< übergegangen, leiste ich einer an mich ergangenen Aufforderung Folge, und erwidere für die Leser dieser Fachschrift Nachfolgendes: Es ist mir nach den

angestrengtesten Vergleichen meines Entwurfs mit dem Pariser Trocadero-Palaste nicht möglich, im Grundriss und Inhalt meines Projectes, in der Verbindung der Anlage mit den Terrassen, dem Wasserbecken, überhaupt dem ganzen Garten eine solche Uebereinstimung mit dem Pariser Bauwerk zu entdecken, welche von einer Copie zu reden die Berechtigung gäbe. - Es ist mir ebenfalls nicht gelungen, in den angewandten Architectur-Motiven (ich will vorläufig von den Thürmen absehen) auch nur im Entferntesten eine Anlehnung an das >Pariser

Vorbildc, wie die >Deutsche Bauzeitung< sich auszudrücken beliebt, herauszufinden, sodass ich die Meinung ausdrücken darf, dass sich die Mehrzahl aller objectiv Denkenden mit der

>D.B.<, welche die Urheberschaft meiner Composition kritisirt, in Widerspruch befindet.

Aus dem von mir nach sorgfältigsten Studien aus den Bedingungen und der Platzwahl

hergeleiteten Grundrissschema, speciell aus dem nach der Seeseite halbrunden Abschluss des Pavillons, welches in mannichfältigster Variation bei der vorliegenden Concurrenz vielfach zu Tage trat (so auch bei der Mehrzahl der prämiierten Projecte), ergiebt sich wie ebenfalls die publicierten Pläne ersichtlich machen, die Anwendung von Thürmen zu Seiten des Halbrund, wozu ausserdem der Character der Aufgabe, die Nähe des Sees, die herrliche Aussicht, unbedingt herausfordert. - Ich habe beim Projectieren meiner Arbeit eine Zeichnung des

Trocadero nicht zur Hand gehabt; ich war mir jedoch bewusst, dass Thürme in Verbindung mit dem Rundtheil des Pavillons im Allgemeinen in der Silhouette eine Erinnerung an den

mehrgenannten Pariser Saalbau ergeben, ohne jedoch bis heute der Ueberzeugung zu leben, dass ich copirt habe.

235Vgl. Paul Sedille: L' architecture au Trocadero, in: Gazette des Beaux-Arts.1878, S. 918-930. hier S. 928

Zeigen die Thürme, wie ich zugebe, in der Silhouette eine Verwandtschaft mit denjenigen des Trocadero, so ist auch diese nur eine zufällige, denn wie ich nicht verhehlen will, hat mir für deren Durchbildung der schlanke Thurm des Palazzo publico, auf der Piazza del Campo zu Siena vorgeschwebt! Da es nur, wie mir jeder Einsichtige zugestehen wird, allein die Thürme sind, welche, um die Erinnerung an den Trocadero nicht aufkommen zu lassen, einer mir jeden­

falls nicht allzuschwer fallenden Aenderung unterzogen werden müssen, so frage ich: >Wozu der Lärm?!<

Die Kritik schliesst mit den Worten - dass mir die >Anleihe< in den Augen des Preisgerichts

>glücklicher Weise< nichts geschadet hätte; - man kann dies so auffassen, als hätte die Jury mir nur unglücklicher Weise, nämlich in Unkenntnis der vermeintlichen Uebereinstimmung mit dem Trocadero den Preis ertheilt; dementgegen glaube ich mich zu der Behauptung berechtigt, dass dem ganz einwandfreien Preisgericht (dem als Architecten Bluntschli - Zürich, Auer-Wien, Andre-Lyon, Geiser-Zürich, Recordon-Lausanne, angehörten), dem gegenüber sich mein Project gegen mehr als 60 Concurrenten zu behaupten hatte, - der Trocadero gewiss ebenso gut

>glücklicher Weise< nichts geschadet hätte; - man kann dies so auffassen, als hätte die Jury mir nur unglücklicher Weise, nämlich in Unkenntnis der vermeintlichen Uebereinstimmung mit dem Trocadero den Preis ertheilt; dementgegen glaube ich mich zu der Behauptung berechtigt, dass dem ganz einwandfreien Preisgericht (dem als Architecten Bluntschli - Zürich, Auer-Wien, Andre-Lyon, Geiser-Zürich, Recordon-Lausanne, angehörten), dem gegenüber sich mein Project gegen mehr als 60 Concurrenten zu behaupten hatte, - der Trocadero gewiss ebenso gut